Nickolas Butler – Die Herzen der Männer

Ja darf man das denn überhaupt noch? Bücher über Männer und ihre Gefühle Schreiben? #Metoo? Toxische Männlichkeit? Geht da überhaupt noch was? Natürlich geht da noch was – gerade in Zeiten, in denen Männer, Weltbilder und Rollen hinterfragt werden, scheint dies auch wieder vermehrt in der Literatur zu geschehen. Als Beispiel sei hier das in Kürze erscheinende und für den Man-Booker-Prize nominierte Buch Was ein Mann ist von David Szalay genannt – genauso wie das neue Buch von Nickolas Butler, auf das hier genauer eingegangen werden soll.

Butler gelang mit seinem deutschen Erstling Shotgun Lovesongs ein beachtetes Buch, das von der Freundschaft von fünf Menschen aus Wisconsin erzählte. Das Buch sollte gar eine Verneigung vor dem Folkmusiker Bon Iver sein, dessen literarische Wiedergänger einige Kritiker im Buch ausgemacht haben wollten. Meine Begeisterung für den Roman war damals durchaus vorhanden, wenngleich ich dem Roman in der B-Note ein paar Pünktchen abgezogen habe.

Nun gibt es nach fünf Jahren also mit Die Herzen der Männer Nachschub für alle Fans von Butler – die Übersetzung des Buchs kommt abermals von Dorothee Merkel. Eine inhaltliche Einordnung und Zusammenfassung des Buchs fällt dabei doch recht schwer – im Grunde erzählt Butler von Vätern und Söhnen, von Rollenmodellen und missbräuchlichem Verhalten. Er tut dies, indem er seinen Roman in drei Großteile gliedert, die stellvertretend für drei Generationen Männer stehen. Ein Teil des Romans spielt in einem Pfadfinderlager 1962, der zweite Teil springt in den Sommer des Jahres 1996, ehe Butler dann 2019 endet, wo er die große Klammer des Romans schließt, da er wieder im Pfadfinderlager in Chippewa ankommt. Dieses Lager und sein Leiter Nelson sind das Leitmotiv des Buches. Eingangs fungiert Nelson noch als Trompeter des Pfadfinderlagers, dessen Aufgabe es ist, den morgendlichen Weckruf auf seiner Trompete zu spielen. Als Außenseiter leidet er unter Mobbing und häuslichen Spannungen – und auch im Pfadfinderlager sieht er sich einigen Schikanen ausgesetzt.

Auch wenn die Handlung im Folgenden einige Jahrzehnte voranspringt – Nelson ist immer präsent, auch wenn Butler gerade gar nicht direkt bei ihm verweilt. Indirekt und in Rückblenden erfährt man immer mehr aus Nelsons Leben und dem seiner Freunde – der Vietnam-Krieg spielt dabei genauso eine Rolle wie seine Versuche, dem familiären Umfeld zu entfliehen. Am Ende wird jener Nelson gar selbst der Leiter des Pfadfinderlagers in Chippewa. Doch die Spuren der Zeit und die veränderten gesellschaftlichen Muster machen auch ihm und dem Lager zu schaffen. Deutlich wird dies, wenn beispielsweise die eingangs noch von Nelson selbst gespielte Trompete nur noch vom Band ertönt. Viele solche kleiner Inszenierungsideen begegnen dem Leser im Lauf des Buchs. Das ist wunderbar gemacht und fällt vor allem dann auf, wenn ansonsten die Rollenmuster zwischen Eltern und Kindern gleich bleiben.

Nickolas Butler besinnt sich in seinem Roman auf einige immer wiederkehrende Motive, die dem Buch Rhythmus und Tiefe verleihen. Männer, Freundschaft, Krieg, Natur sind omnipräsente Themen, die die Seelen seiner ProgatonistInnen eingehend prägen und kerben. Wer aber nun eine Art Mischung aus Timbersports und Landser-Heftchen erwartet, der sollte schleunigst seine Finger von diesem Buch lassen. Denn Die Herzen der Männer ist vor allem eins: sehr feinfühlig. Butler zeigt gebrochene, widersprüchliche Menschen, die oftmals an ihren eigenen Ansprüchen scheitern. Besonders der dritte, aktuellste Teil scheint dabei wie für all unsere aktuellen Debatten geschrieben. Dieser Teil ist nämlich aus Sicht einer alleinerziehenden Frau erzählt und bringt all diese Themen aufs Tapet, die unsere gesellschaftlichen Debatten der letzten Zeit prägten: Sexismus, Misogynie und Machotum. Eindringlich zeigt der amerikanische Schriftsteller, wie die Mutter im Pfadfinderlager unter dem Sexismus der Väter leiden muss, wie sich Männer einfach über Frauen erheben und ihre Sicht der Dinge zur allesgültigen Hypothese erklären.

Das ist stark gemacht und passt einfach nahezu prophetisch in diese diskursintensive Zeit. Dieses Buch zum schlichten Männer- oder Frauenbuch erklären zu wollen, das greift hier viel zu kurz. Die Herzen der Männer ist eine Meditation darüber, was Männer ausmacht, wie sie ihre Rolle in der Gesellschaft definieren, wie die Geschlechter zueinander stehen, was Einsamkeit und Ausgrenzung mit Menschen machen kann, wie das Leben aussieht. Und somit sollte das Buch von allen gelesen werden: Männern und Frauen!

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[…] Weitere Besprechungen des Buchs findet ihr bei Constanze Zeichen&Zeiten, Haukes Leseschatz und Janines Frau Hemingway und Marius Buch-Haltung […]

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Martinas Buchwelten
6 Jahre zuvor

Hallo Marius,
das Buch ist mir bereits bei Lovelybooks ins Auge gestochen, aber ich habe mich nicht ganz drüber getraut 😉 Nun wird es wohl auf meine Wunschliste wandern.
Lass dir herzliche Grüße da!
Martina

kaisuschreibt
kaisuschreibt
6 Jahre zuvor

Bücher, die speziell für Männer oder Frauen sind – gerade Romane – die Einteilung finde ich absurd. Es muss unterhalten und dieses Buch hat das wohl gemacht. Deine Kritik hat mich auf jeden Fall noch neugieriger gemacht 😀

booknapping.de
6 Jahre zuvor

Hallo Marius,
und … hach *hier denke dir bitte ein wohlig klingendes Geräusch dazu*. Eine sehr schöne Besprechung zu einem schon stark beginnenden Buch, denn ich habe einen kleinen Teil bereits gelesen. Zugunsten anderer Lektüre habe ich „Die Herzen der Männer“ zwar für einige Zeit beiseite gelegt, aber ich freue mich jetzt schon drauf, es bald wieder in die Hand zu nehmen. Denn deine Rezension spricht genau das aus, das ich im Buch erhofft habe.

Herzlichen Dank dafür und liebe Grüße,
Sandra

literaturreich
6 Jahre zuvor

Hallo Marius, ich habe das Buch auch gerade beendet und ich war fast ein wenig erstaunt, wie gut es mir gefallen hat. Es ist, wie du sagst, sehr feinfühlig. Die Szene z.B. als der Sohn den Schrank seiner verstorbenen Mutter ausgeräumt hat und die ganzen Geschenke für ihn und vor allem die jährlichen Baseballkarten-Sets gefunden hat, das war sehr berührend und eine Szene, die ich so schnell nicht vergesse. Und davon gibt es einige. Wirklich schönes Buch. Viele Grüße, Petra

Bri
Bri
6 Jahre zuvor

ich fand Shotgun Lovesongs sehr schön und es steht bei meinen All-time-favs, Butlers Kurzgeschichten Unterm Lagerfeuer jedoch haben mir schon gezeigt, dass er mehr kann, als Feelgood und Die Herzen der Männer ist in meinen Augen perfekt. Alles passt und es geht, wie Du schon sagst, darum, was es heißt, egal zu welcher Zeit, an welchem Ort, sich als Mann zu behaupten. Denn wann ist ein Mann ein Mann? Die wichtigen Männer hier, in diesem großartigen Roman, den ich gerade versuche, selbst für eine Besprechung in Worte zu fassen, was mir ungemein schwer fällt, sind es einfach. Sie haben keine… Weiterlesen »