Hans Ertl war einst im Dritten Reich ein wichtiger Kameramann, der für Leni Riefenstahl drehte und spektakuläre Aufnahmen realisierte. So filmte er etwa Szenen unter Wasser und war damit der erste Kameramann, dem etwas Derartiges gelang. Doch im Nachkriegsmünchen ist der Filmemachter nicht mehr wohlgelitten, und beschließt deshalb, mit seiner Familie nach Bolivien zu ziehen.
Ein Projekt, das er vor Ort realisieren möchte, ist die Suche nach dem mystischen Städtchen Paititi im Dschungel Boliviens. Deshalb macht er sich mit einem Expeditionstreck und zwei seiner Töchter auf, um die versunkene Inkastadt aufzuspüren. Seine Frau und seine jüngste Tochter bleiben zu Hause.
Doch mit dieser Expedition setzt sich etwas fort, das bereits mit dem Aufbruch aus München begann – die Zersetzung der Familie Ertl. Die drei Töchter entfremden sich und bei der ältesten Tochter Monika wird dies in der Folge zu dramatischen privaten und politischen Verwerfungen führen, die sich so zunächst gar nicht abzeichneten.
Hasbún inszeniert diese Auflösung, indem sein Plot einer vielstimmigen Gestaltung folgt. In kurzen Kapitel erzählt er, aufgeteilt in zwei große Blöcke, von den verschiedenen Mitgliedern der Familie Ertl und ihrem Lebensweg. Immer wieder wechselt er den Tonfall und die Erzählperspektive (was die Unterscheidung der einzelnen AkteurInnen auch nicht immer leicht macht). Man liest in der Ich-Form, wird in Passagen mit Du angesprochen und auch die dritte Person ist häufig eine gewählte Erzählperspektive.
Dieser Gestaltungswillen beeindruckt, ist manchmal aber auch etwas zu viel des Guten. Insgesamt sind es für den knappen Umfang von 140 Seiten erstaunlich viele Themen, die Rodrigo Hasbún in Die Affekte packt. Radikalisierung, Auflösung von Strukturen, Suche nach Halt in Kunst – das alles steckt in diesem Buch, was es auch an mancher Stelle überfrachtet. Ein wenig mehr Entzerrung hätte dem Buch gut getan – so wirkt alles stark komprimiert und man muss wirklich genau lesen, um die Anschlüsse und Sprünge nicht zu verpassen.
Wem dieses Buch gefällt, empfehle ich zur weiterführenden und ergänzenden Lektüre den vor Kurzem im Rowohlt-Verlag erschienenen Roman Telex aus Kuba von Rachel Kushner. Radikalisierung und Befreiung von überkommenen Strukturen durch die Jugend – beide Romane haben viel gemein und komplementieren sich wunderbar, wie ich finde.
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