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Mercè Rodoreda – Der Garten über dem Meer

Sie gilt als DIE Dame der katalanischen Literatur: Mercè Rodoreda. 1908 geboren und 1983 verstorben, durchlebte sie ein Leben voller Höhen und Tiefen. Den Impuls zum Schreiben gab ihre unglückliche Ehe, in der sie die Literatur als Mittel der Weltflucht entdeckte.

Nach Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs floh Rodoreda ins Exil. Zunächst lebte sie in Spanien, ehe sie dann in die Schweiz übersiedelte. Erst in den siebziger Jahren kehrte sie dann in ihre katalanische Heimat zurück.

Von diesen wechselvollen Zeiten und dem turbulenten Leben merkt man ihrem im Schweizer Exil entstandenen und 1967 veröffentlichten Roman Der Garten über dem Meer allerdings überhaupt nichts an. Im Gegenteil. Ruhe, Melancholie und Zurückhaltung kennzeichnen diesen Roman, der neben Auf der Plaça del Diamant zu den wohl bekanntesten Werken Rodoredas zählt.

2014 gab Roger Willemsen dieses Buch im Rahmen der mare-Klassiker-Reihe heraus. Kirsten Brandt besorgte die erstmalige Übersetzung aus dem Katalanischen, Willemsen selbst verfasste das Nachwort. Noch nie war das Buch zuvor im Deutschen zu lesen. So konnte man über dreißig Jahre nach dem Tod Rodoredas eine wirkliche Neuentdeckung machen.

Eine Entdeckung, für die man Willemsen wirklich dankbar sein muss. Denn Der Garten über dem Meer ist ein literarisches Kleinod, eines das von der Vergänglichkeit des Sommers und zugleich von der Vergänglichkeit von Beziehungen erzählt

Von der Vergänglichkeit

Ausgangspunkt sind die Erinnerungen eines namenlosen Gärtners, der sich zurückerinnert an sechs Sommer, in denen er ein Herrenhaus betreute. In sechs Kapiteln erzählt er von seiner Rückschau auf jene Sommer, die von ganz unterschiedlichen Erlebnissen, Affären, Feiern, Unglück und Begegnungen geprägt waren.

Mercè Rodoreda - Der Garten über dem Meer (Cover)

Die Frau des Gärtners ist bereits verstorben, sodass er alleine in seiner kleinen Hütte auf dem Gelände des Herrenhauses lebt, als seine Schilderungen einsetzen. Er erzählt vom jungen Paar Francesc und Rosamaria, das mitsamt seiner Freundesclique die Sommer in ihrem Herrenhaus am Meer verbringen. Dort feiern sie rauschende Feste und Bälle, reiten aus, fahren Wasserski und genießen das dolce vita.

Doch was sich zunächst paradiesisch anhört, offenbart auch seine Schattenseiten, von denen der Gärtner erzählt. Eifersüchteleien, Affären, am Ende erbaut sich gar ein neuer Nachbar in bester Gatsby-Manier ein neues und noch prunkvolleres Haus neben dem des jungen Paares.

Lakonisch und mit einem genauen Gespür für die Risse im Gefüge der Clique betrachtet der Gärtner das Geschehen dort hoch oben über dem Meer. Durch seine soziale Außenseiterrolle kann er alles ungefiltert erzählen und legt so die Verwerfungen in der Clique und auch die dunklen Seiten der Sommertage offen. Während er sich um die Ordnung im Garten müht, driften die jungen Leute während der Sommer immer weiter auseinander.

Heiterkeit und Wehmut

Durch den Rückblick bekommt Rodoredas Erzählungen einen melancholischen, distanzierten, klaren und doch auch nostalgischen Ton. Das Wissen um die unmittelbar vergangenen Sommer schwingt im Buch mit und schlägt so den Bogen von sommerlicher Heiterkeit bis hin zum Wehmut. Das ist toll gemacht und zeigt eine Autorin, die zurecht für ihr Schreiben gerühmt und gepriesen wird. Hier ist eine Backlist-Perle zu entdecken. Eine große Empfehlung meinerseits!

Mit Der Garten über dem Meer bekommt man Sommererinnerungen ohne Falschheit. Ein Rückblick mit Wehmut und zugleich mit einem unbestechlichen Blick. Und Rodoreda gelingt ein präzises Bild einer spanischen Jeunesse dorée, das auch nach über 60 Jahren seit seinem Erscheinen nichts von seiner Klasse eingebüßt hat.


  • Mercè Rodoreda – Der Garten über dem Meer
  • Aus dem Spanischen von Kirsten Brandt
  • Mit einem Nachwort von Roger Willemsen
  • ISBN 978-3-8333-1054-6 (Berlin-Verlag)
  • 240 Seiten. Preis: 11,00 €
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Backlist lesen: Euphoria

Aus der losen Reihe der Backlist-Empfehlungen heute ein neuer Tipp rund um Liebe, Ethnologie und ferne Länder.

Die Amerikanerin Lily King schildert in ihrem Roman Euphoria eine Dreiecksbeziehung unter drei Enthnologen, die von der Lebensgeschichte Margaret Meads inspiriert ist. Diese 1901 geborene Ethnologin widmete sich der Erforschung der Völk er im Südpazifikraum, wobei das Feld weite Feld der Sexualität einen Schwerpunkt ihrer Forschung darstellte.

All dies sind auch Themen, die in Lily Kings Roman eine große Rolle spielen. Der Ich-Erzähler Andrew Bankson trifft im Dschungel von Papua-Neuginea in den 30er Jahren des 20. Jahrhundert auf zwei andere Forscher. Es handelt sich um das amerikanische Ehepaar Nell und Fen Stone. Diese forschen ebenfalls, zwar mit anderen Ansätzen, aber auch mit ganzem Einsatz, auf dem Feld der Ethnologie. Jenes Forschungsfeld steckte zur damaligen Zeit noch in den Kinderschuhen und trieb auch kuriose Blüten, wovon Lily King anschaulich zu erzählen vermag.

Während die drei am Sepikfluss unterschiedliche Völker beobachten und erforschen, kommen sich die  jungen Forscher selbst immer näher. Begehren, Anziehung und Neugierde sind nicht nur Themen, die bei den Stämmen, die sie erforschen, eine große Rolle spielen. Auch sie selbst sind vor diesem Thema nicht gefeit und geraten in einen Strudel.

Sehr abwechslungsreich aus immer wieder wechselnden Perspektiven erzählt Lily King davon. Sie inszeniert ihre Geschichte bündig (lediglich ein klein wenig mehr als 260 Seiten umfasst der Roman) und faszinierend. Gerne folgt man den drei Ethnologen bei ihren Forschungen. Geschickt erzeugt Lily King Atmosphäre und lässt den undurchdringlichen Dschungel vor den Augen des Lesers entstehen. Ein Buch, das unterhält und einen Appetitanreger in Sachen Geschichte der Ethnologie und Papua-Neuginea darstellt. Besonders zur Lebensgeschichte von Margaret Mead bietet Kings Erzählung gute Anknüpfungspunkte.

Fazit: Stilstisch abwechslungsreich, sprachlich sehr ansprechend (Übersetzung durch Sabine Roth) und in farbigem Setting entführt das Buch in eine wirklich andere Welt. Bruder im Geiste ist das mindestens ebenso empfehlenswerte Buch Traumatische Tropen von Nigel Barley. Gerne sollte dieses Buch aus der Backlist wieder einmal nach vorne gehoben werden – es verdient auf alle Fälle eine Lektüre!

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