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Zach Williams – Es werden schöne Tage kommen

Menschen im Abwärtsstrudel, eine Zehe zu viel, seltsame Gestalten im Schrank oder der unerwartet komplizierte Kauf einer Mausefalle. In seinem Kurzgeschichtenband Es werden schöne Tage kommen präsentiert der US-amerikanische Autor Zach Williams ganz unterschiedliche Erzählungen, die im Tonfall mitunter realistisch, oft aber auch skurril und fast immer leicht neben die Realität gesetzt sind.


Mitunter fühlt man sich ein wenig wie einer Traumwelt, wenn man sich in die Geschichten von Zach Williams hineinbegibt. Mal umfassen sie über 50 Seiten, mal sind sie nur sieben Seiten kurz wie die von Gedichtzeilen des Kinderbuchautors Richard Scarry inspirierte Geschichte Der neue Zeh. Diese Geschichte erzählt von einem Vater, der an den Füßen seines Sohns eine zusätzliche Zehe ausmacht – und diese kurzerhand amputiert.

So ein neuer Zeh – wie ließ er sich erklären? Es war wichtig, da zu irgendeinem Verständnis zu gelangen. Schließlich würde ich es anderen sagen müssen – dem Kinderarzt, der Kita -, und dann würde man von mir verlangen, dass ich Rechenschaft über diesen neuen Zeh ablegte. Ich würde dafür verantwortlich gemacht werden, so wie ich für jeden Aspekt seines Lebens verantwortlich war, als Sachwalter seines Wachstums und seiner Gesundheit und seines allgemeinen Gedeihens als Organismus. Und der Zeh war gerade erst aufgetaucht, aus heiterem Himmel; ich wusste so gut wie nichts über ihn.

Zach Williams – Es werden schöne Tage kommen, S. 214

Doch wie sicher der Boden der Realität ist, auf dem sich diese Geschichte bewegt, bleibt fraglich. So ist es auch mit anderen Geschichten in diesem Erzählungsband. Luzider Traum oder Wirklichkeit? Das ist hier die Frage.

Alles in der Schwebe, uneindeutige Stimmung allerorten

Zach Williams - Es werden schöne Tage kommen (Cover)

Schon die Geschichte, der der Titel des Buchs entlehnt ist, wirft da Fragen auf. In der Erzählung Das Sauerkleehaus schickt Zach Williams von einem Paar mit Kind in ein leicht heruntergekommenes Sommerhaus, irgendwo in der Natur an einem Berghang. Wie in einer Zeitschleife durchlebt das Paar die neuen Routinen, die der Mann durch exzessiver werdende Ausflüge in die umgebende Natur von den Bergen bis zum Fluss durchbricht. Seine Frau bleibt zunächst mit dem Kind im Haus, muss dann aber auch eine bestürzende Entdeckung machen.

Was die Familie dorthin gebracht hat, was die Hintergründe für den Aufenthalt dort sind, ob es sich gar um eine Neudeutung des Adam und Eva Mythos im Preppermilieu mit einer Schnappschildkröte anstelle einer Schlange handelt, alles bleibt fraglich und in der Schwebe.

Überhaupt, die Schwebe und die uneindeutige Stimmung, sie sind Motiv in einigen Geschichten. Schon die Erzählung Probelauf, mit der Williams seine Storysammlung eröffnet, ist da ein gutes Beispiel. Ein Mann begibt sich trotz Sturm in sein Großraumbüro. Daheim ist der Strom ausgefallen, und so sitzt er nun im sturmumtosten Gebäude im vierzehnten Stock, wo ihm nur ein eigenwilliger Wachmann und ein ebenso rätselhafter Kollege Gesellschaft leisten – und Spam-Mails unklarer Provenienz.

Oft schwingt etwas Untergründiges in diesen Geschichten mit, in denen mal ein Mann die Wohnung seiner verstorbenen Nachbarin betritt und dort auf eine mysteriöse Gestalt trifft, mit der sich während seines Anrufs bei der Polizei ein Pas-de-deux entwickelt. Mal gerät der Fall eines trauernden Vaters zu einem luziden Fiebertraum auf einem Schiff (Lucca Castle), mal zeichnet seine Erzählung berührend den Abstieg eines Vaters nach, der von seiner Anstellung am American Visionary Art Museum in Baltimore und eigenen künstlerischen Versuchen bis zur Vagabundentum im Auto regrediert. Stets umfangen von der Sehnsucht nach seinem Sohn findet diese Geschichte mit einem gedrehten und gefalteten Zeitbezug statt (Ghost Image).

Die Methode der Realitätskontrolle

Wenn Zach Williams in Lucca Castle, der wohl abgedrehtesten Geschichte des Bandes, eine der Figuren betonen lässt, dass die Gruppe von Menschen, mit denen die Hauptfigur in Kontakt kommt, keine Terroristen seien, aber die Methode der Realitätskontrolle praktizierten, dann lässt sich das ein Stück weit auch auf Williams‘ Schreiben selbst übertragen. So spielt und kontrolliert auch er die Realitäten, die er uns präsentiert. Alles ist schwankend, nicht ganz verlässlich, rätselhaft und bisweilen luzide, im Deutschen übertragen und freigelegt von Bettina Abarbanell und Clemens J. Setz.

Das Talent für besondere Stimmungen zeichnet dieses literarische Debüt aus, bei dem sich Zach Williams auch etwas als writer’s writer zeigt, der von Percival Everett bis zu Jonathan Safran Foer viele Fürsprecher vorweisen kann. In seiner Danksagung zeigt er sich als gutvernetzter Autor (so studierte Zach Williams Creative Writing in New York und nennt in seiner Danksagung unter anderem Hari Kunzru, Joyce Carol Oates, Jeffrey Eugenides und Katie Kitamura als Mentoren und Unterstützer, die seine Entwicklungen als Autor gefördert hätten).

Fazit

Auch fand Es werden schöne Tage kommen Aufnahme in die letztjährige Sommer-Empfehlungsliste von Barack Obama. Es sind Geschichten, die über einen Zeitraum von insgesamt acht Jahre entstanden und die das Talent Zach Williams für Stimmungen und Realitätsschwankungen zeigen. Über allem liegt ein mal dickerer, mal feinerer Schleier, der Williams als wahren Meister der Realitätskontrolle zeigt. Von surrealer Traumlandschaft bis zum Albtraum ist hier alles enthalten, was durchaus neugierig macht auf das Debüt in der großen Form, das von Zach Williams vielleicht dereinst zu erwarten ist.


  • Zach Williams – Es werden schöne Tage kommen
  • Aus dem Englischen von Bettina Abarbanell und Clemens J. Setz
  • ISBN 978-3-423-28461-5 (dtv)
  • 272 Seiten. Preis: 24,00 €
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