Stuart Turton hat ein Faible für ungewöhntliche Kriminalromane. So machte er mit seinem Debüt Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle alle Leser*innen glücklich, die an den Gedanken der Wiedergeburt glauben. Seinen Ermittler ließ er immer wieder den gleichen Tag auf einem englischen Herrenhaus durchleben, nur damit dieser einen Mord aufklären konnte. Wie am Murmeltiertag musst er Tag für Tag das gleiche Szenario durchleben, allerdings immer wieder in einem anderen Körper, um so schließlich dem oder der Mörderin auf die Spur zu kommen. Vom klassischen Landhaus-Krimi mit Twist hat er sich nun verabschiedet. Diesmal sind wir in Der Tod und das dunkle Meer zu Gast auf einem Schiff namens Saardam.
Von Batavia nach Amsterdam
Dieses Schiff segelt im Jahr 1634 im Auftrag der Niederländischen Ostindienkompanie von Batavia nach Amsterdam. Eine Reise mit einer Dauer von über acht Monaten, die von Beginn an unter einem schlechten Stern steht. Schon vor Auslaufen der Flotte wird das Schiff von einem Aussätzigen verflucht, der danach spektakulär in Flammen aufgeht und eigentlich gar keinen Fluch über das Schiff aussprechen hätte dürfen, war ihm doch die Zunge war ihm zuvor herausgeschnitten worden.
Solche Begebenheiten häufen sich nach Auslaufen des Schiffs. Auf dem Segel taucht das Symbol des Alten Tom auf. Hierbei handelt es sich der Legende nach um einen schrecklichen Dämon, der offensichtlich unter der Schiffsbesatzung umgeht. Immer wieder finden sich an unterschiedlichen Orten des Schiffs solche Zeichen des Bösen. Es kommt zu grausamen Morden und es scheint, als hätte der Alte Tom schon bald sein Ziel erreicht, das Schiff untergehen zu lassen.
Für den Kampf gegen das Böse wäre eigentlich Samuel Pipps prädestiniert, eine Art Vorgänger von Sherlock Holmes von kleinem Wuchs, aber bestechenden Intellekt. Er befindet sich an Bord des Schiffs – allerdings in Ketten gelegt, denn ihn erwartet in Amsterdam seine Hinrichtung. Wessen man ihn beschuldigt, das weiß er selbst nicht. Aber so bleibt ihm nur die kriminalistische Unterstützung durch seinen Freund Arent Hayes, der Pipps an Bord begleitet und der selbst schon einmal die Bekanntschaft mit dem Alten Tom gemacht hat.
Während das Schiff nun Amsterdam entgegensegelt, spitzt sich die Lage an Bord immer mehr zu. Es scheint, als könnte das Vorhaben des Alten Tom tatsächlich gelingen, die verfluchtet Saardam in ihren Untergang zu lenken.
Der Alte Tom an Bord
Der Tod und das dunkle Meer liest sich wie eine wilde Melange aus Robert-Louis Stevensons Die Schatzinsel, etwas Horror, Anleihen an den Viktorianischen Kriminalroman und Patrick O’Briens Master and Commander. Dabei erklärt Stuart Turton selbst im Nachwort seines Romans, dass er bewusst keinen akkuraten historischen Roman schaffen wollte, sondern es vielmehr vermeiden wollte, sein Buch in das „Korsett eines Genres“ zu zwängen.
Das merkt man dem Krimi auch an, der auf über 600 Seiten auffährt, was Turtons Kreativität so hergibt. Immer mehr Mysterien und Rätsel häufen sich an Bord. Ein Aussätziger erscheint und verschwindet nach Belieben an Bord und kann sogar aus dem Wasser an Bord des Schiffs gelangen. Im Gefolge des Flottenverbands taucht immer wieder minutiös getaktet ein achtes Boot auf, Morde geschehen ohne Spuren und es scheint, als könne der Alte Tom an Bord des Schiffs beliebig umhergehen.
Da fehlen eigentlich nur noch ein paar Klabautermänner und Captain Jack Sparrow, und die Piraten-Nostalgie wäre perfekt.
Etwas zu viel Mysterien an Bord
Stuart Turton greift hier abermals in die Vollen, um Schauder und Nachdenken zu erzeugen. Dabei übertreibt er es allerdings etwas mit den unerklärlichen Rätseln und Ereignissen an Bord, sodass er diese in der Auflösung des Ganzen dann nicht wirklich plausibel und befriedigend zuende bringen kann.
Es waren zumindest meinem Eindruck nach ein paar Rätsel und Volten zu viel, als dass man Turton die vorgebrachte Auflösung dann rundherum abnimmt. Auch die völlige Verwandlung einiger Figuren, die zuvor über viele hundert Seiten völlig gegenläufig dargestellt wurden, überzeugt nicht.
Gerade auf den letzten Seiten stellt sich ein Eindruck einer gewissen Gehetztheit ein, mit der Turton seinen außergewöhnlichen Krimi abschließen wollte (oder vielleicht abschließen musste, da eventuell eine Deadline drohte). Ein paar weniger Unerklärlichkeiten zuvor und die Plausibilität des Ganzen hätte gewonnen. So aber wirkt der Krimi an sich leider nicht ganz rund und zuende gedacht.
Fazit
Mit Der Tod und das dunkle Meer untermauert Stuart Turton abermals seinen Ruf als ungewöhnlicher und wahrlicher kreativer Krimischriftsteller, der seine tollen Ideen und Fülle an Budenzauber dann aber nicht ganz ins Ziel retten kann. Die Auflösung fällt hinter den Großteil der spannenden gut 600 Seiten zurück und befriedigt nicht ganz. Da er zuvor allerdings mit seiner Fülle an Plotideen und Beschreibungskraft (Deutsch abermals von Dorothee Merkel) überzeugen konnte, fällt dies für mich nicht dramatisch ins Gewicht. Abzuwarten bleibt, mit welchem ungewöhnlich Krimi uns der Brite als nächstes überrascht!
- Stuart Turton – Der Tod und das dunkle Meer
- Aus dem Englischen von Dorothee Merkel
- ISBN 978-3-608-50491-0 (Tropen)
- 608 Seiten. Preis: 25,00 €