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Ivy Compton-Burnett – Ein Haus und seine Hüter

Dass Weihnachten nicht unbedingt immer ein Fest der Liebe und der Harmonie ist, das beweisen viele Familienfeste landauf, landab. Bei den Edgeworths in Ivy Compton-Burnetts Roman Ein Haus und seine Hüter ist das nicht anders. Doch hier stellt das wenig besinnliche Weihnachtsfest nur der Auftakt zu einem ganzen Reigen aus Konflikten, Ehen und Toden dar, der sich im Laufe des Romans entspinnt und der der Autorin dem Vergleich mit Jane Austen auf Drogen eingetragen hat, wie das Magazin Harpers Bazar einmal schrieb. In der vorliegenden Ausgabe der Anderen Bibliothek kann man sich davon überzeugen, dass der Vergleich durchaus zutrifft.


Nein, dieses Weihnachtsfest lässt sich wirklich nicht gut an. Schon alleine, dass sich die Kinder und der Neffe nicht rechtzeitig zum Frühstück einfinden wollen, erzürnt den Patriarchen Duncan Edgeworth. Dann noch eine kritikwürdige Predigt in der Kirche, eine Nachbarin, die die Familie heimsucht, um persönlich noch einmal die Weihnachtsbotschaft und die Erwartungen eines Besuchs der Mette vorzutragen. Und zu allem Überfluss ist da auch noch ein – zumindest in den Augen des Familienvorstandes – unziemliches Buch, das sein Neffe Grant als Geschenk erhalten soll, welches Duncan Edgeworth aber lieber in den prasselnden Kamin wirft, anstelle es dem jungen Mann zu überlassen.

Ein wenig besinnliches Weihnachtsfest

Die Zeichen in Ivy Compton-Burnett ursprünglich 1935 erschienenen Roman Ein Haus und seine Hüter stehen wahrlich nicht auf Harmonie und Besinnlichkeit. Dass die gereizte Stimmung der ersten Seiten weit über die Festtage hinaus andauern wird, das zeigt sich dann auch recht rasch im Lauf des Romans. Denn im Laufe der knapp 370 Seiten Romanhandlung kommt es zu einem ganzen Reigen an Konflikten und Reibereien, die den eingangs zitierten Vergleich mit Jane Austen auf Drogen gar nicht so abwegig erscheinen lassen.

Es ist schon unglaublich, was in diesem Haus vor sich geht!

Ivy Compton-Burnett – Ein Haus und seine Hüter, S. 249

Der erzählerische Motor, der diesen Roman beständig antreibt, sind seine Dialoge. Sie sind es, die über allem stehen und auch die äußere Handlung in den Hintergrund treten lassen, obschon auch hier eine ganze Menge in Compton-Burnetts Roman passiert. Diese Gespräche und Dispute dominieren alle Szenen und stehen auch in ihrer Anmutung in der der Tradition des viktorianischen Romans einer Jane Austen. Man debattiert, verlobt sich, lästert, streitet, pflegt Gerüchte, hütet Geheimnisse und redet aneinander vorbei.

Ivy Compton-Burnett in der Tradition von Jane Austen

Ivy Compton-Burnett - Ein Haus und seine Hüter (Cover)

Doch wo es etwa in Jane Austens stilprägendem Roman Stolz und Vorurteil mit dem Tête-a-tête von Elizabeth Bennet und Mr. Darcy noch relativ gemächlich zugeht, geht Ivy Compton-Burnett in die Vollen. Die 1884 in Middlesex geborene Autorin schafft es, im Laufe des Romans ganze drei Ehen des Familienpatriarchen Duncan Edgeworth durchzuexerzieren. Dazu kommen diverse Todesfälle, ein Mordverdacht, ein potentiell uneheliches Kind und noch einiges mehr, was in den Dialogen der Figuren zutage tritt.

Verschmähte Liebe, enttäuschte Hoffnungen und nicht immer glaubwürdige erzählerische Volten stehen im Mittelpunkt von Ein Haus und seine Hüter, das den Zerbröckelungsprozess einer Familie zeigt, die auch einmal über drei Seiten hinweg debattieren kann, wo nun das Porträt der verstorbenen Hausherrin zu platzieren ist.

„Ich bezweifle, dass es hilfreich ist, sich der Familie gegenüber taub zu stellen.“

„Der Familie“, sagte Duncan tonlos. „Wir sind überhaupt keine richtige Familie mehr. Es fehlt die Kraft, die uns miteinander verbunden hat.“ Er seufzte schwer. „Du machst es mir nicht gerade leicht, diesen Tag zu beginnen.“

Ivy Compton-Burnett – Ein Haus und seine Hüter, S. 112

Die Wiederentdeckung einer vergessenen Autorin

Zwar trifft der englische Titel A house and it’s head den Kern des Romans noch etwas genauer, da der herrische Hausvorstand Duncan Edgeworth mitsamt seiner immer neu ansetzenden Eheversuche das Gravitationszentrum dieses Romans bildet. Aber auch die deutlich offenere Variante der Haushüter im Deutschen hat seine Berechtigung, schließlich hat bewachen alle Mitglieder der Familie Edgeworth das Haus in unterschiedlichen Formen und hüten so ziemlich alles, außer ihre Zungen.

Das Haus wird hier zur Bühne des Misstrauens, des Verschweigens, der Geheimnisse und der Konflikte, was die drückende Enge dieses Romans immer wieder unterstreicht.

Mit Ein Haus und seine Hüter hat Ivy Compton-Burnett ein Werk geschrieben, das sich stark an die Tradition der viktorianischen Gesellschaftsromane anlehnt. Dieses Werk bildet den Auftakt zu einer erstaunlich produktiven Karriere, wie Hilary Mantel im Vorwort zu diesem Roman schreibt. Ganze achtzehn weitere Werke aus der Feder der 1969 verstorbenen Autorin sollten folgen, „die immer stimmiger und kraftvoller wurden, zugleich aber „den Gefahren einer allzu großen Leserschaft nicht ausgesetzt“ waren, wie ihr Freunde sagten. Ihr britischer Verleger schien ihre Arbeit nicht zu verstehen oder zu schätzen und unternahm nur wenig, um sie zu fördern“, so Mantel.

Fazit

Der herausgebenden Anderen Bibliothek unter Leitung von Nele Holdack und Rainer Wieland sowie Übersetzer Gregor Hens ist es nun zu verdanken, dass diese Gefahr der allzu großen Leserschaft jetzt deutlich zunimmt. Denn ihre deutsche Neuveröffentlichung macht es möglich, diese hierzulande reichlich unbekannte Autorin (noch einmal) neu zu entdecken und tief in diesen dialogstarken, nicht immer völlig plausiblen, aber doch in der Unterhaltungstradition von Jane Austen und Co. stehenden Roman einzutauchen. Die schlechte Laune und den Zwist an den Weihnachtstagen kann man dann einfach den Edgeworths überlassen, um nach der Lektüre selbst deutlich frohgemuter in die Feiertage zu gehen.


  • Ivy Compton-Burnett – Ein Haus und seine Hüter
  • Aus dem Englischen von Gregor Hens
  • 978-3-8477-0469-0 (Die Andere Bibliothek, Band 479)
  • 372 Seiten. Preis: 48,00 €
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