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Heinrich Mann – Der Untertan

Er ist wohl DER Urtyp für den Menschenschlag „Radfahrer“ – nach oben buckeln und nach unten treten. Die Rede ist von Diederich Heßling, den Mann in seinem wohl bekanntesten Werk Der Untertan ersann. Nun lässt er sich gleich in zwei Fassungen aus dem Reclam-Verlag noch einmal neu entdecken.


Da wäre zum Einen die neugestaltete Ausgabe in der Reihe der Reclam-Klassiker, die mit ansprechenden Design daherkommt und Lust auf eine erneute Lektüre macht. Darin begegnet man dem schon auf dem Cover großartig vorweggenommenen dumpfen Untertanengeist, sturer Mentalität und preußischer Militärbegeisterung, die in Diederich Heßling geweckt wird, als er dem Kaiser Wilhelm bei einer Parade in Berlin Unter den Linden begegnet (stets wird er ihn in der Folge als „originellen Denker“ und „persönliche Persönlichkeit“ rühmen und preis).

Ein Untertan macht Karriere

Mit seiner eigenen Militärkarriere hingegen ist es nicht weit her, schon nach ein paar Tagen bei der Truppe scheidet er ausgemustert wieder aus. Fortan wird diese Episode ein Makel in Heßlings Biografie sein, den er mit einer umso eifrigeren Mitgliedschaft in einer schlagenden Verbindung auszugleichen versucht. Er agitiert, schneidet auf, übernimmt die Papierfabrik seines Vaters, poltert und tobt durch das fiktive Städtchen Netzig, macht unterschiedlichen Frauen den Hof und ist sich bei allem stets der nächste.

Heinrich Mann - Der Untertan (Cover)

Die sozialdemokratischen Umtriebe im Städtchen und in seiner eigenen Fabrik beobachtet er mit Abscheu, ist sich später aber nicht zu schade, um für die Durchsetzung der eigenen Interessen mit seinem verhassten Arbeiter Napoleon Fischer zu paktieren.

Lustvoll beschreibt Heinrich Mann diesen einerseits duckmäuserischen, andereseits an ein Rumpelstilzchen erinnernden Heßling, der der Obrigkeit gegenüber höchst devot ist und seine Kaisertreue stets laut herausposaunt. Das führt zu großartigen Szenen wie einem aufsehenerregenden Prozess um die Niederschießung eines revolutionär gestimmten Arbeiters, der von einem alten Richter geleitet wird, der Heßling an einen wurmigen Adler erinnert und in dessen Verlauf es im Gerichtssaal turbulent hergeht.

Überhaupt, die hochkomische Beschreibungskraft bierdunstgesättigter nächtlicher Sitzungen in Kaschemmen, die bei Heinrich Mann Brüllwettbewerben auf einem Pavianhügel gleichen. Oder der Besuch des heißgeliebten Kaisers in Rom, der hier zu einer Art Hase und Igel-Spiel zwischen dem Monarchen und Diederich Heßling wird, der seinem Kaiser stets nachrennt und nachreist.

Der Untertan als Taschenbuch und als illustrierter Roman

Der Untertan ist von einer ebenso großartigen Komik wie von einer zeitdiagnostischen Schärfe, die in Heßlings Untertanengeist, seinem Berserkertum und seiner Verehrung der politischen Führung später ja in die Katastrophe zweier Weltkriege mündete. Wie er sich anbiedert, sein ganzes Denken und seine Verehrung nach dem Kaiser ausrichtet und wie er diesem in seinem Gehorsam blind folgt, das zeigt Heßling als Teil jener Masse, die bis heute immer wieder Diktaturen und populistische Führungsfiguren ermöglichte, indem sie sich beständig nach Stärke und Führung sehnte und ihrem Obrigkeitsgehorsam

Heinrich Mann - Der Untertan (Cover)

In der eleganten Neugestaltung des Taschenbuchs (wie überhaupt das ganze Reihe von Klassikerneuausgaben, die gerade bei Reclam erscheinen) lässt sich all das vielfach facettiert nachlesen und erleben. Auch 108 Jahre nach Erscheinen überzeugt das Buch durch einen genauen psychologischen Blick Manns auf seinen Anti-Helden.

Aber auch in der zweiten Variante aus dem Reclam-Verlag wird diese Qualität offenbar, hier wird sie zusätzlich noch durch die graphische Gestaltung gestützt und angereichert.

Für diese Gestaltung zeichnet sich Arne Jysch kenntlich. Der 1973 geborene Illustrator bewies sein Talent für die Adaption von literarischen Vorlagen mit seiner Umsetzung des Bestsellers Der nasse Fisch von Volker Kutscher im Carlsen-Verlag.

Mit seinen Illustrationen lässt er das Tun und Treiben in Netzig lebendig werden, hier etwa die Szene zur Einweihung des kaiserlichen Reiterstandbilds, für das sich Heßling eingesetzt hat, dessen Enthüllung aber im Fiasko enden wird. Daneben dann Szenen einer Ehe zwischen Guste Daimchen und ihrem Mann Diederich:

Bildquelle: Reclam-Verlag

In seinen Schwarz-Weiß-Zeichnung werden die Figuren in ihrer Abgefeimtheit und manchmal auch recht platten Denkweise lebendig. Zudem ist der Mitteleinsatz von Arne Jysch reduziert und drängt die eigentliche Lektüre nicht in den Hintergrund, sondern unterstützt diese mit seinen pointierten Zeichnungen. Immer wieder tauchen Illustrationen aus Heßlings Leben auf, allerdings schön über das Buch verteilt und nicht omnipräsent.

Gerade auch für eine Schullektüre wäre diese Variante reizvoll, kann der Schulstoff doch auf den reinen Text reduziert für den einen oder die andere LeserIn schnell dröge werden und sich der Humor Manns nicht wirklich vermitteln. In der graphischen Adaption gewinnt das Buch aber deutlich und drängt auch die eigene Lesefantasie nicht allzu weit zurück, sodass für eine eigene Interpretation der Szenen auch immer noch Platz bleibt und Raum für Diskussionen ermöglicht (wenn der Preis für Schulklassen nicht doch etwas arg exorbitant wäre).

Fazit

So sind zwei neue Zugänge zu Heinrich Manns Der Untertan geschaffen, die zu einer Lektüre einladen und die in den jeweiligen Versionen mit Zeittafeln und weiterführenden Infos die Lektüre ergänzen. Es lohnt sich, Diederich Heßlings Leben noch einmal eine Chance zu geben, selbst wenn man zu Schulzeiten wenig mit diesem Werk anfangen konnte, ist es doch zurecht ein Klassiker, der über seinen eigentlichen Bezugsrahmen weit hinaus weist und bei aller Abscheu über den Opportunisten Heßling auch die Komik nicht vergisst.


  • Thomas Mann – Der Untertan
  • Textausgabe:
  • ISBN 978-3-15-020665-2 (Reclam)
  • 470 Seiten. Preis: 10,00 €
  • Illustrierte Ausgabe:
  • 978-3-15-011326-4 (Reclam)
  • 494 Seiten. Preis: 36,00 €
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John Williams – Augustus

Die Erfolgsgeschichte von John Williams mutet ziemlich kurios an. Zu Lebzeiten recht erfolglos brachte der amerikanische Professor und Schriftsteller nur vier Romane zuwege, darunter die Titel Stoner und Butcher’s Crossing. Der Erfolg blieb recht überschaubar und erst 20 Jahre nach seinem Tod avancierten die oben genannten Bücher zu Welterfolgen. Die einzige Ausnahme stellt sein letzter Roman Augustus dar, der ihm schon zu Lebzeiten den National Book Award einbrachte und die Kritik aufhorchen lies.

Genau 43 Jahre nach dieser Auszeichnung erscheint der Roman nun von Bernhard Robben ins Deutsche übertragen bei dtv. Im Vergleich zu den beiden schon zuvor publizierten Romanen lässt sich hier konstatieren – dieser Roman fällt aus dem Rahmen. Nicht nur wegen des Topos, das von den amerikanischen Settings komplett abweicht, sondern auch von der Schreibweise her.

augustus

Der Roman erzählt die Lebensgeschichte des Gaius Octavius Cäsar, der unter seinem Namen Oktavian beziehungsweise Augustus zu einem der wichtigsten Persönlichkeiten der Geschichte wurde und diese entscheidend mitprägte. Für seine fiktive Biographie des Cäsaren wählt Williams die Form einer Collage. Chronologisch spannt der Autor den Bogen von den Jugendjahren Augustus über dessen Nachfolge des ermordeten Cäsars bis hin zu seinem Tod im Alter von 77 Jahren bei Neapel. Dabei lässt er Weggefährten und Augustus selbst in Briefen, Tagebüchern und Berichten erzählen. Viele der Protagonisten stehen in häufiger Korrespondez miteinander und berichten dabei von der Entwicklung Octavians hin zu Augustus. Dichter wie Vergil oder Horaz schreiben über ihn, Seneca und Cicero finden mit ihren Schriften auch Eingang in den Roman. Williams verwendet für seinen Roman sogar in den Text eingebaut Auszüge aus der Propagandaschrift Res gestae divi Augusti, die die Heldentaten Augustus‘ preisen.

Dies ist profund gestaltet, allerdings ist dieses Buch auch das forderndste aus Williams Feder. Die Lektüre von Augustus ersetzt ein ganzes Pro-Seminar der römischen Geschichte, so detailliert hat sich der Autor eingearbeitet. Neben den zahlreichen berühmten schon oben geschilderten Namen treten auch noch weitere historische Figuren wie der spätere Kaiser Tiberius oder Augusts Weggefährten wie Maecenas und Salvidienus auf. Da die Charaktere auch untereinander immer wieder schreiben, Tagebucheinträge an Erinnerungen montiert sind und das Personaltableau nahezu uferlos ist, braucht man für diese Lektüre schon jede Menge Konzentration bzw. Erinnerungsvermögen, um alle wichtigen Charaktere im Kopf zu behalten. Erleichterung verschaffen da die angefügte Zeittafel und das Who’s who im Alten Rom. Auch der angehängte aufschlussreiche Essay des Williams-Kenner Daniel Mendelsohns soll hier lobend Erwähnung finden.

Fazit: Zweifelsohne Williams‘ ambitioniertester Roman, dessen Lektüre einiges an Zeit bzw. Willen zur Einarbeitung verlangt. Wer dies mitbringt, wird mit einem kenntnisreichen und durchaus auch modernen Roman belohnt, der mit Gewinn (wiederzu-)entdecken ist!

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