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Paula Hawkins – Die blaue Stunde

Eine abgelegene Insel, eine geheimnisvolle Künstlerin, ein Kurator auf der Suche nach der Wahrheit. In ihrem neuen Roman Die blaue Stunde vermengt Paula Hawkins diese Zutaten zu einem fesselnden Roman über den Kunstbetrieb und die Täuschungen, die Kunst und Leben dominieren.


Es ist eine Nachricht eines renommierten forensischen Anthropologen, die in Paula Hawkins neuem Roman alles ins Rollen bringt. Denn dieser hat nach dem Besuch einer Ausstellung der Künstlerin Vanessa Chapman in der Tate Modern eine beunruhigende Entdeckung gemacht. Die in einem Glaskasten ausgestellte Kunstinstallation Division II der bereits verstorbenen britischen Künstlerin enthält nämlich keineswegs eine Paarhuferrippe, wie es in der Erklärung zum Kunstwerk heißt. Vielmehr ist es ein menschlicher Knochen, den der Anthropologe mit seinem Kennerblick ausgemacht hat.

Die Fairburn-Stiftung, die den künstlerischen Nachlass Vanessa Chapmans verwaltet und das Exponat zur Verfügung gestellt hat, ist alarmiert. In Zeiten, in denen Restitutionsdebatten und Streite über Human Remains, also menschliche Überreste, in Ausstellungen erregt geführt werden, kommt die Nachricht des forensischen Anthropologen zur Unzeit. Und so ist es nun an James Becker als Kurator der Fairburn-Stiftung, sich der Sache anzunehmen.

Eine Künstlerin auf Eris Island

Paula Hawkins - Die blaue Stunde (Cover)

Er begibt sich auf Bitten seines Freundes und Vorgesetzten Sebastian nach Eris Island. Dabei handelt es sich um eine kleine Gezeiteninsel vor der Küste Schottlands. Hierhin hatte sich Vanessa Chapman einst zurückgezogen und hier hat sie auch ihr vielfältiges Werk von einer Schwarzen Serie bis hin zu Kunstinstallationen erschaffen. Nun, nach dem Tod der Künstlerin, hofft er auf Eris Island Antworten auf die Frage nach der Herkunft der Knochen zu finden. Dabei trifft er vor Ort auf die Ärztin Grace, die Vanessa zeitlebens als Unterstützerin zur Seite stand und nun nach deren Ableben ihr Werk als eine Art Nachlassverwalterin betreut.

Nach anfänglicher Ablehnung gewährt sie James Einblicke in das Leben und Wirken von Vanessa, in dem sich doch so einige Abgründe auftun. Denn die gefeierte Künstlerin hatte dunkle Seiten, die sie nicht nur auf der Leinwand auslebte. Bei seiner Suche taucht James Becker tief in die Seiten von Vanessa Chapmanns Tagebuch ein und kommt den Geheimnissen auf die Spur, die sie einst und Grace nun auf Eris Island hüten.

Neue Perspektiven und Blickwinkel

Gelungen überführt Paula Hawkins in ihrem ersten bei dtv erschienen Werk den künstlerischen Impetus von Vanessa Chapman in Literatur. Denn ebenso vielgestaltig wie das künstlerische Werk der verstorbenen Künstlerin ist auch der Erzählansatz von Die blaue Stunde. Ähnlich wie in Chapmans Installationen fügt auch Paula Hawkins verschiedene Perspektiven und Erzählelemente zu einem Werk zusammen.

Die Suche von James kombiniert Hawkins mit der Erzählung über die Lebensgeschichte von Grace. Dazu gibt es immer wieder Seiten aus Vanessas Tagebuch zu lesen, die tieferen Einblick in ihre Seele und die Themen geben, die sie umtrieben. Wie bei einem guten Kunstwerk gelingt auch der britischen Autorin in ihrem Roman durch den geschickten Einsatz ihrer Erzählmittel der Effekt von neuen Perspektiven und Blickwinkeln. Immer wieder ändern wir als Leser*innen mit Paula Hawkins als Führerin durch den Erzählraum den Standpunkt und die Position zum bisher Entdeckten. So erarbeiten wir uns im Laufe des Romans gewissermaßen neue Blickachsen und Betrachtungswinkel auf Figuren und Geschehen, was die Unterhaltsamkeit dieses Buchs maßgeblich bestimmt.

Sich ändernde Gewissheiten

Bis hin zum Showdown ändern sich immer wieder Gewissheiten, erscheinen vorher sicher geglaubte Fakten plötzlich fraglich und zeigen sich die Charaktere des Buchs in neuem Licht. Somit gelingt es Hawkins selbst, ein faszinierendes Kunstwerk zu schaffen, das sicher Geglaubtes hinterfragt – eben ganz so, wie es gute Kunst tun sollte. Zudem liefert der Roman auch einen Blick hinter die Kulissen des (britischen) Kunstbetriebs. Wohltuend hinterfragt Paula Hawkins den Geniekult um die Kunst und rückt eine ambivalente Künstlerpersönlichkeit in den Fokus.

Die blaue Stunde ist stark in Sachen psychologischer Spannung, literarischer Montage und Naturbeschreibungen. Stimmungsvoll vermag es Paula Hawkins, die Einsamkeit und die Gefährlichkeiten auf Eris Island zu schildern. Und ähnlich wie ihre irische Kollegin Tana French schafft sie es in diesem in meinen Augen bislang stärksten Roman ihrer Karriere, großartig und höchst lesenswert auf dem Rand zwischen Roman und Krimi zu balancieren und dabei beiden Seiten vollauf gerecht zu werden.

Fazit

So gelingt ihr ein Buch, das durch Spannung, Komposition und Stimmung zu überzeugen weiß. Ein spannender Entwicklungsschritt von Paula Hawkins ist hier zu lesen. Mit Die blaue Stunde bewegt sie sich weiter weg von reinen Psychothrillern wie etwa ihrem Bestseller Girl on the train, hin zu einem nuancierten und wohldurchdachten Erzählen, das gar keiner großen Schockeffekte oder gesteigerter Brutalität bedarf, um die Leser*innen zu fesseln.

Paula Hawkins bei ihrer schriftstellerischen Entwicklung zuzublicken und gewissermaßen mitzulesen ist ein spannender Prozess. Höchst gelungene macht Die blaue Stunde neugierig auf alles, was da noch von der Britin zu erwarten ist!


  • Paula Hawkins – Die blaue Stunde
  • Aus dem Englischen von Birgit Schmitz
  • ISBN 978-3-423-28454-7 (dtv)
  • 368 Seiten. Preis: 22,00 €
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Martina Hefter – Hey guten Morgen, wie geht es dir?

Eine Frau zwischen Performancekunst und Love-Scamming, Annäherung und Abstoßung, Melancholia und Pas de Quatre. In Martina Hefters Roman Hey guten Morgen, wie geht es dir? steht all das nebeneinander. Die Autorin liefert einen Text, der weniger durch einen Erzählbogen denn durch sein Gefühl für Gleichzeitigkeiten überzeugt. Jüngst wurde das Buch mit einem Platz auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2024 belohnt.


Es ist ein ganzes Füllhorn an Motiven und Themen, das Martina Hefter vor ihren Leser*innen ausgießt und das die Grundstruktur ihres Romans bildet. Für ihre Lyrik und Prosa jüngst mit dem Großen Preis des Deutschen Literaturfonds ausgezeichnet stellt die Autorin in diesem Text eine Frau in den Mittelpunkt, die auf den ersten Blick viele Berührungspunkte mit der Autorin selbst aufweist. Von einem an der bayerischen Vils gelegenen Ort stammend hat es die Künstlerin Juno Isabella Flock nach Leipzig verschlagen. Dort teilt sie sich mit ihrem Lebensgefährten namens Jupiter eine gemeinsame Altbauwohnung.

Das prekäre Künstlerdasein verbindet sie mit dem an den Rollstuhl gefesselten Jupiter, in dem sich einige Züge von Jan Kuhlbrodt erkennen lassen, mit dem Hefter tatsächlich in Leipzig zusammenlebt, und der laut dem Nachwort zu diesem Roman auch nichts dagegen hatte, „hier und da mit Jupiter verwechselt zu werden, sondern den Gedanken sogar schön fand“.

Juno und Jupiter

Man schlägt sich so durchs Leben. Sie besorgt für ihn Pizzazungen und löst Rezepte ein, da Jupiter die Wohnung fast nicht mehr verlassen kann. Ab und an gastiert Juno mit Gastspielen auf Bühnen und zeigt Performances und Texte. Manchmal reicht das Geld kaum zum Leben, und doch hat man sich mit dem Zustand und dem Dasein als Kreativschaffende arrangiert und ist gewillt, in diesem Zustand bis zur Rente irgendwie durchzuhalten.

Beim Sommerfest würden sie den Pas de Quatre von Jules Perrot tanzen. Ein berühmtes Stück von 1854, erschaffen für die damals vier berühmtesten Tänzerinnen der westlichen Welt. Marie Taglioni, Carlotta Grisi, Lucile Grahn und Fanny Cerrito.

Sie waren damals Superstars. Zur Aufführung des Stücks trafen sie das erste Mal zusammen und traten gemeinsam auf. Das war eine Sensation.

Juno sollte die Position der Marie Taglioni tanzen.

Es gab keine Handlung in dem Stück, nur eine Situation: Vier Frauen tanzten zusammen. Geometrische Muster, Vierecke, Kreise, Diagonalen.

Planeten, die sich treffen, beinah kollidieren.

Martina Hefter – Hey guten Morgen, wie geht es dir?, S. 133

Dieses berühmte Tanzstück ist ein guter Ausdruck auch für das erzählerische Konzept von Hefters Roman. Denn Hey guten Morgen, wie geht es dir? besticht weniger durch eine konsistent durchgearbeitete Handlung, als durch viele Elemente, die hier nebeneinanderstehen, ebenso wie die Tänzerinnen in dem Stück alle ihr eigenes Stück tanzen – oder eben die Planeten, die auf die Erzählerin ebenfalls einen großen Reiz ausüben.

Briefwechsel mit einem Love-Scammer

Martina Hefter - Hey guten Morgen, wie geht es dir? (Cover)

Größtes Verbindungsstück über den Text hinweg dürfte das Love-Scamming sein, das dem Buch auch den Titel verleiht. Love-Scamming bezeichnet den Betrugsversuch, bei dem Klickarbeiter unter einer falschen Identität den Kontakt zu anderen Menschen im Netz suchen, um sich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen diesen zu nähern, einzuschmeicheln und schlussendlich Kapital aus dieser Nähe zu schlagen.

Mit einem dieser Scammer, der sich mit der nichtssagenden und doch irgendwie interessiert wirkenden Floskel bei Juno meldet, steigt sie – wohlwissend um dessen falsche Identität – in einen Chat ein, aus dem sich ein Gespräch und schließlich sogar Videotelefonate entwickeln, bei dem die beiden Einblicke in ihr Leben gewähren, sich aber dann doch wieder nicht wirklich in die Karten schauen lassen.

Junos Scammer stammt – wie so häufig – aus einem Entwicklungsland und hört auf den Namen Benu. Er lebt in Nigeria, von wo aus er seine digitalen Köder auswirft und versucht, sich anderen Menschen anzunähern. Im Lauf des Romans schreiben sich die beiden immer wieder, versuchen sich in die gegensätzlichen Lebenswelten einzufühlen und kreisen in ihren Gesprächen immer wieder um Themen, die vor allem Juno am Herzen liegen. Insbesondere Lars von Triers Film Melancholia, die Stimmungen, die dieser evoziert, und andere planetare Gegebenheiten sind Themen, die immer wieder in den Chats auftauchen und die Juno Isabella Flock stark beschäftigen.

Inhaltliche und formale Vielfalt

Um diese ganzen digitalen Gespräche herum passiert auch in der analogen Welt das Leben in seiner ganzen Fülle, was Martina Hefter mit einem Gespür für Gleichzeitigkeit und das Nebeneinander von großen und kleinen Themen schildert.

Jupiter gewinnt einen Literaturpreis (kaum verhüllt liest man hier von der tatsächlich stattgefundenen Preisverleihung des Alfred Döblin-Literaturpreises an Jan Kuhlbrodt im Literarischen Colloquium Berlin im vergangenen Jahr), nachts schleicht sich Juno durch die Wohnung, um mit Benu zu skypen und sich in Chats zu verlieren. Dann stehen plötzlich wieder Performance-Texte beziehungsweise Performance-Anweisungen im Text.

Es ist eine große Vielfalt, die Hey guten Morgen, wie geht es dir? sowohl in der äußeren Form mit der Mischung aus Dialogen, Anweisungen und Erzähltexten kennzeichnet, als auch inhaltlich, wie eben schon dargestellt.

Themen umkreisen sich wie Planeten

Eine wahllose Aneinanderreihung von Beliebigkeiten ist das Ganze allerdings keineswegs. Denn obschon das Buch ohne größeren erzählerischen Bogen angelegt ist, gibt es doch Bewegungen, die sich in Hefters Text ausmachen lassen. So ist es die nonchalante Maskierung der biographischen Folie dieses Künstlerromans, die mit einer De-Maskierung des falschen Love-Scammers einhergeht. Dergleichen mehr an Bewegung findet sich in diesem Text, kreist umeinander und berührt sich mal, bleibt sich dann wieder fern, eben wie die Planeten oder die vier Tänzerinnen im Pas de Quatre.

Mit Dialogen aus der Digitalen Welt einem Aufbrechen herkömmlicher narrativer Strukturen ist dieses postmoderne Werk ganz zeitgemäß, schwingt auch die Autofiktion stets in diesem Text mit. Lesbar ist Hey guten Morgen, wie geht es dir? als Künstlerroman, als Briefroman, als Blick auf den Kunstbetrieb im Allgemeinen und den Literaturbetrieb im Speziellen oder als das Porträt einer Frau, die sich mit ihrer künstlerischen und privaten Identität auseinandersetzt. Als Buch am (ästhetischen) Puls der Zeit verwundert die Nominierung für die Longlist des Deutschen Buchpreises 2024 nicht.

Weitere Meinungen zu Martina Hefters Buch gibt es unter anderem bei Kulturgeschwätz, Bookster HRO und Deutschlandfunk Kultur.


  • Martina Hefter – Hey guten Morgen, wie geht es dir?
  • ISBN 978-3-608-98826-0 (Klett-Cotta)
  • 224 Seiten. Preis: 22,00 €
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Vigdis Hjorth – Die Wahrheiten meiner Mutter

Bücher, die das Spannungsverhältnis von Müttern und Töchtern beschreiben, gibt es wie Sand am Meer. Vigdis Hjorth hat nun auch noch eines geschrieben. Und trotz der bekannten Konfliktlinien und dem überschaubaren Handlungsrahmen gelingt ihr mit Die Wahrheiten meiner Mutter ein Buch, das von Beginn an vibriert und mit seiner geradezu schmerzhaft bohrenden Introspektive überzeugt.


Eines Abends habe ich Mutter angerufen. Es war Frühling, das weiß ich, denn am nächsten Tag machte ich mit Fred einen Spaziergang um Borøya herum, und es war warm genug für ein Picknick auf der Bank am Osesund.

Wegen des Anrufs hatte ich in der Nacht davor fast nicht geschlafen, und ich war froh, am Morgen jemanden zu sehen, und dass dieser Jemand Fred war, ich zitterte noch immer. Ich schämte mich, weil ich Mutter angerufen hatte. Es war gegen die Regeln, aber ich hatte es trotzdem getan. Ich hatte gegen ein Verbot, das ich mir selbst auferlegt hatte, und gegen ein Verbot, das mir auferlegt worden war, verstoßen. Mutter ging nicht ans Telefon. Ich hörte, wie sie mich sofort wegdrückte. Und trotzdem rief ich wieder an. Warum? Ich weiß es nicht. Worauf hoffte ich? Ich weiß es nicht. Und warum schämte ich mich?

Vigdis Hjorth – Die Wahrheiten meiner Mutter, S. 7

So hebt Vigdis Hjorths erster bei S. Fischer erscheinende Roman an, der von Gabriele Haefs aus dem Norwegischen ins Deutsche übersetzte wurde. Es sind schmerzliche Zeilen, die den ganzen Grundkonflikt des Folgenden schon in sich tragen. Denn die Ich-Erzählerin Johanna hat sich von ihrer Familie entfremdet und diese auch von ihr.

Sie, die als Künstlerin international für Aufsehen sorgte, mit ihrer Kunst aber auch die Beziehung zu ihrer Familie beschädigt, sie ist nun zurückgekehrt in ihre norwegische Heimat. Dort versucht die inzwischen 60-Jährige nun nach Jahren des Schweigens, nach dem Tod ihres Vaters und ihres Ehemannes in einem zunehmend verzweifelter werdenden Akt wieder Kontakt mit ihrer Mutter aufzunehmen und an Vergangenes anzuknüpfen.

Viele Fragen, keine Antworten

Was für die Künstlerin zunächst noch ein großer Akt der Selbstüberwindung war, führt durch die Weigerung ihrer Mutter und ihrer Schwester, die Kontaktversuche zu beantworten, ebenso zu Verbitterung wie auch einer gnadenlosen Selbstbefragung.

Vigdis Hjorth - Die Wahrheiten meiner Mutter (Cover)

Als Leser*innen sind wir ganz nah an Johannas Gedanken dran und erleben mit, wie sie im Versuch einer Kontaktaufnahme zu ihrer Mutter schon fast obsessive Stalkerqualitäten entwickelt. Zudem nimmt uns die Künstlerin mit weit zurück in ihre eigene Biografie, in der sie immer wieder die Schmerzpunkte und Bruchlinien betastet in dem Versuch, das aktuelle Verhalten ihrer eigenen Familie zu verstehen und den Prozess der Entfremdung aufzuarbeiten.

Dabei sind es auch manchmal nur einzelne Gedankensplitter, die auf einer Seite aufblitzen, dann wieder Bohrungen in der Vergangenheit und Reflexionen über das eigene innerfamiliäre Verhältnisse, Ibsen-, Faulkner- und Handke-Zitate inklusive.

Alle Kinder sind abhängig von ihrer Mutter und sind ihr gegenüber deshalb immer verletzlich, körperlich und seelisch, aus diesem Grund haben wir Müttern gegenüber ambivalente Gefühle, und aus diesem Grund tauchen in Wohlfühlfilmen auch so selten Mütter auf. Die Mutterfigur weckt zu komplizierte Gefühle, um sich wohl zu fühlen.

Vigdis Hjorth – Die Wahrheiten meiner Mutter, S. 326

Von großer introspektivischer Wucht

Mag auch vordergründig wenig auf den vierhundert Seiten dieses Romans passieren, so hat das Ganze doch eine enorme introspektivische Wucht und Gnadenlosigkeit, mit der Johanna in ihr Seelenleben blickt und sich auch nicht davor scheut, in ihrem Willen zu einem neuen Miteinander Grenzen zu überschreiten – und dies auch zu zeigen. Alles hier vibriert vor Anspannung, zeigt Vigdis Hjorth doch ungeschönt eine Frau voller Verzweiflung, nervöser Energie und Wucht.

Dies verleiht dem Roman seine überzeugende Qualität und sorgt für ein stetes Spannungsfeld, das den Text trägt. Zu bemängeln ist in dieser Hinsicht nur, das die deutsche Version von Hjorths Buch mit dem unscheinbaren Titel weit weg ist von der Drastik des norwegischen Originals. Er mor død, zu Deutsch Ist Mutter tot, das trifft den Charakter von Vigdis Hjorths Buch doch weitaus besser, ist ihm doch das Fragende, das hier alles prägt, eindrücklich eingeschrieben.

Fazit

So oder so, dieses Buch ist eine Wucht, bohrt nach, zeigt die Verzweiflung einer heimgekehrten Tochter, die erst lernen muss, mit einem Verlust umzugehen, dabei Grenzen überschreitet, vor allem aber sich selbst erforscht und ergründet und damit überzeugt. Die Qualität, sie liegt in diesem Text offen und ist eine im Gegensatz zu den Einsichten dieses Buchs eine Wahrheit, die nicht schmerzt, sondern beglückt!


  • Vigdis Hjorth – Die Wahrheiten meienr Mutter
  • Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs
  • ISBN 978-3-10-397512-3 (S. Fischer)
  • 400 Seiten. Preis: 24,00 €
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