Tag Archives: Musik

Zadie Smith – Swing Time

Step up

Wenn man als junges Mädchen wenig Chancen und Perspektiven hat – dann gibt es nur eins, das einen retten kann: der Swing. Davon erzählt die englische Autorin Zadie Smith in ihrem neuesten Roman Swing Time (Deutsch von Tanja Handels).

Ausgangspunkt ist die Freundschaft zwischen der Ich-Erzählerin und Tracey, die in London beginnt. Während die Ich-Erzählerin aus einem intakten Elternhaus stammt (ein etwas liederlicher Vater und eine nach Bildung strebende Mutter sind die Koordinaten in ihrem Leben), ist der Hintergrund ihrer Freundin Tracey ganz anders. Mit ihrer alleinerziehenden Mutter lebt sie in einer kleinen Wohnung, ihr Vater ist laut Legende ein fantastischer Tänzer und im Hintergrund von Michael Jacksons Video des Hits Thriller zu sehen. Was die beiden Mädchen neben ihrer Hautfarbe verbindet, ist die Leidenschaft zum Swing und Steptanz.

Während die Ich-Erzählerin eher im Gesang alter Standards ihre Erfüllung findet, ist Tracey im Steptanz zu Hause und übt unermüdlich Figuren und Choreografien. Auch wenn sich im Laufe der folgenden 640 Seiten die Leben der beiden Freundinnen immer wieder entfernen und annähern werden, so ist doch der Swing die Nabelschnur, der sie miteinander verbindet. Während die Ich-Erzählerin zur Assistentin eines berühmten australischen Popstars avanciert, wird es Tracey immer ernster mit ihrer Karriere als Tänzerin. In Episoden springt Smith dabei durch die Entwicklungsschritte der beiden Frauen und blickt auf ihr Leben.

Immer wieder schossen mir bei der Lektüre viele Analogien zu einer im Moment ähnlich populären Schriftstellerin durch den Kopf. Swing Time liest sich wie Elena Ferrante auf Swing. Beide Werke weisen für mich signifikante Parallelen (und leider auch Schwächen) auf. Während Ferrante ihre beiden Heldinnen Lila und Lenu über vier Bände hinweg in Neapel reifen lässt, braucht Zadie Smith hierfür nur einen (wenn auch mit 640 Seiten reichlich voluminösen) Roman. Mögen sich doch die Schauplätze und Epochen unterscheiden – die Grundthemen sind dabei doch die gleichen: Bildung, Herkunft, soziales Milieu und die Anstrengungen aus den determinierten Bahnen auszubrechen – das ist in meinen Augen der Kern, um denen sich die Geschichten bei Ferrante und Smith drehen. Auch der feministische Gesichtspunkt ist ein elementarer. In beiden Welten ist es ein steter Kampf der Erzählerinnen, um sich in ihrer Welt zu behaupten und Anerkennung für ihr Tun zu bekommen.

Doch diese wichtigen Themen werden in meinen Augen sowohl bei Ferrante als auch bei Smith mangelhaft umgesetzt. Der Spannungsbogen und damit der Sützpfeiler jeder Erzählung, fällt im Laufe von Swing Time mehrmals zusammen. Sobald sich Smith von der konzisen Schilderung der Jugend und des Aufwachsens im London der 70er verabschiedet, erhält ihr Roman eine ausufernde Breite, die trotz der Sprünge durch die Chronologie nicht mehr eingegrenzt wird und damit versandet. Je länger ihre Erzählung wird, umso mehr verliert die Autorin den Fokus und erzeugt damit leider mehr Monotonie denn Abwechslung und Spannung. Es ist wie mit einem famosen Jazz-Stück, das präzise und vielstimmig beginnt, sich dann allerdings in Solos und Instrumentalteilen verliert und damit auch schlussendlich seine Hörer beziehungsweise in diesem Falle die Leser vergisst.

Neben dem ausufernden Erzählen und der phasenweise Ödnis im Leben der Protagonistinnen sind es leider diese auch selbst, die wenig Esprit versprühen. Nach der Kindheit und den damit verbundenen Erziehungsmethoden und Werten, die Tracey und die Ich-Erzählerin auf ihren Weg mitbekommen, werden sie dem Leser immer ferner. Zu distanziert und blass bleiben die Charaktere trotz allen Raums, den sich Smith für ihre Figuren nimmt. Selbst die wenigen eingesetzten Brüche in den Biographien sind nicht dazu angetan, tiefere Bindung zu ihnen zu schaffen. So bleibt eine tiefergehende Identifikation mit Tracey und der Ich-Erzählerin und ihren Leben in Swing Time leider aus.

Das ist schade, da meiner Meinung nach immer noch fiktive Geschichten am besten geeignet sind, um unserer Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten und zu Reflektionen anzuregen. Das in Swing Time steckende Potential ruft Zadie Smith leider nicht ab – und Swing Time gerät dadurch etwas ins Straucheln und aus dem Takt.

 

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Bruce Springsteen – Born to Run

Die Boss-Biographie

Bruce The Boss Springsteen – eine Musiklegende, zu der ich noch nie eine besondere Beziehung hatte. Natürlich kennt man seine Stadion-Konzerte, die E-Street-Band ist auch Menschen, die weniger in Sachen Musik bewandert sind ein Begriff und seine Hits hat man im Ohr. Egal ob Dancing in the dark, The ghost of Tom Joad oder sein Überhit Born in the USA – seine Hits erfreuen sich im Radio immer noch großer Beliebtheit, auch wenn sie schon einige Jahre auf dem Buckel haben. Hits, die mich eher kalt ließen, allen voran Born in the USA. Zu einfach, zu patriotisch, zu nervig, als dass mich das Oeuvre Springsteens wirklich hätte begeistern können (Fans mögen an dieser Stelle jetzt die Hände über dem Kopf zusammenschlagen).

Um es abzukürzen – der Start mit dem Boss und mir war also eher verhalten denn von wirklicher Begeisterung getragen. Doch der 1949 geborene Rocker aus New Jersey hat es geschafft, mich im Laufe seiner 672 Seiten starken Autobiographie für sich einzunehmen und mir neu Lust auf sein vielfältiges Schaffen zu machen. Wie das kam?

Born to Run von Bruce Springsteen

Springsteen baut seine Born to run übertitelte Autobiographie chronologisch auf. Beginnend mit seiner Kindheit im ländlichen New Jersey zeichnet er seinen Lebensweg bis in die Gegenwart nach und gibt Einblicke in seinen Werdegang. Dabei braucht er viel Zeit, um seinen irisch-italienischen Hintergrund zu erklären und die ersten Laufversuche als Musiker zu schildern. Ehrlich berichtet er von Scheitern und Unerfahrenheit, zeigt welche musikalischen Einflüsse ihn prägten und wie er schließlich zu seine ersten musikalischen Wurzeln mit Soloalben und Touren schlug. Seine schlagkräftig betitelten Kapitel geben Einblicke in die Schöpfung seiner Alben, zeigen seine Intention beim Songwriting einzelner Titel und beleuchten auch den Werdegang hin zur legendären Kombo Bruce Springsteen and his E-Street-Band. Dabei ist sein Buch von einer großen Ehrlichkeit und Rauheit durchzogen und weiß sogar mit Humor an vielen Stellen zu überzeugen.

Dieses über sieben Jahre entstandene Buch ist nicht nur eine Autobiographie über einen Musiker, der in den Rock-Olymp aufstieg und zu den wichtigsten amerikanischen Künstlern der Gegenwart zählt. Er ist auch ein Einblick in das Geheimnis, wie Musik entstehen kann und was es bedeutet, vor zehntausenden Menschen auf der Bühne zu stehen. Springsteen räumt auch den Kehrseiten viel Platz ein, wenn er von Depression und Zweifeln berichtet. Er zeigt, wie im Leben Konstanz auch durch unabänderliche Veränderungen erzeugt werden kann. Und nicht zuletzt ist Born to run auch ein Einblick ins wahre Amerika, das bei allen Hochglanzberichten von der Ost- und Westküste gerne einmal vergessen wird. Eine Autobiographie, die jedem Musikfan ans Herz gelegt werden kann – Springsteen-Fan muss man dafür nicht zwingend sein!

[Rechte Titelbild: By Craig ONeal – The Boss~Live!, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4994575]

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Viv Albertine – A typical girl

A typical girl ist Viviane Albertine, genannt Viv, keineswegs. Vielmehr heißt einer der Songs so, den die Künstlerin im Laufe ihrer Karriere geschrieben hat. Denn Viv Albertine war die Mitbegründerin der Band The Slits, einer der ersten feministischen Punkbands im Vereinigten Königreich Ende der 70er Jahre.  Von ihrem Werdegang und noch viel mehr zeugt ihre Autobiografie, die kraftvoll übersetzt von Conny Lösch nun im Deutschen vorliegt.

Viv Albertine - A typical girl

Aufgeteilt in eine A- und B-Seite (und im Übrigen als Buch ganz hervorragend gestaltet) erzählt Viv Albertine chronologisch von ihrem Aufwachsen in England der 60er bis hin zum Jahr 2013, in dem ihre Memoiren enden. Dabei streift sie Themen wie die englische Punk-Bewegung, Femininismus, Krebserkrankung, künstlerische Verwirklichung und das unglamouröse Leben, das zwischen all diesen Dingen liegt.

Den Bogen, den Viv Albertine in ihrem Memoir spannt, geht ungefähr so: Aufwachsen in einem schwierigen Haushalt, zielloses Herumtreiben zur Jugendzeit, Entdeckung der Musik, Gründung der Band The Slits, anschließende Erfolge, bürgerliches Leben und dann Ringen um erneute künstlerische Selbstverwirklichung im fortgeschrittenen Alter. Dieser Bogen wird durch die meist etwa 3 Seiten dicken Kapitel flüssig strukturiert und ist gut zu lesen, auch wenn Viv Albertine sprachlich ihre Herkunft nicht verhehlt. Doch der Sound, den sie im Buch anschlägt, ist kraftvoll und ungeschönt – Punk in Buchform quasi.

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Petra Morsbach – Opernroman

Neustadt – eine Stadt in der Provinz wie jede andere auch: man wäre gerne größer als man ist. Folglich übt man sich in der Disziplin „Mehr Schein als Sein“. Das macht auch vor dem städtischen Theater nicht halt, in dem sich der größte Teil dieses Opernromans abspielt. Und Opern gibt es mehrfach in diesem Buch, auch im übertragenen Sinn: das Grundgerüst für den Roman bilden die Opern einer Spielzeit, die im Neustädter Theater auf dem Spielplan stehen. Diese sind die Klassiker Tristan und Isolde, Figaros Hochzeit, Fidelio, Die Fledermaus und das Requiem.

Um diese Einstudierungen herum gruppiert Petra Morsbach ihre Charaktere vor und hinter die Bühne und lässt sie nicht nur musikalische Dramen spielen und erleben. Egal ob Inspizienten, Orchestermusiker oder Heldentenöre – die Opern machen vor niemandem Halt. Gerne würde man glamouröser erscheinen oder den Sprung zu den großen Bühnen der Welt schaffen, doch dann heißt das Endergebnis aller Bemühungen doch nur Neustadt.

Das Leben hinter den Kulissen

Eine wirklich durchgängige Romanhandlung weist der Opernroman nicht auf, dafür tauchen viele der unzähligen Charakteren immer einmal wieder im Laufe der Spielzeit auf. In den verschiedenen Produktionen haben sie  ihre Auftritte, kämpfen um Anerkennung oder mit ihren Leistungen und wecken mal mehr und mal weniger die Sympathien des Lesers. Dies ist klug gemacht und hat den Charakter eines Episodenromans und nimmt auch Anleihen bei der Operette (deren Charakter Petra Morsbach in dem Abschnitt Die Fledermaus ja auch seziert). Immer wieder kommt es zu Auf- und Abtritten, während GMD und Intendant um ihren Ruf fürchten und das Orchester auch gerne mehr als nur einmal intrigiert.

Der Opernroman ist ein bunter Reigen an Musik, Liebe, Begehren, Neid und Schein, der sich allerdings auch an einigen Stellen ein wenig akademisch ausnimmt.  Auch ist das Buch nicht frei von Längen und überschreitet mit aller Akribie und Sachkenntnis (die Morsbach unbestritten besitzt) von Zeit zu Zeit auch die Grenze zum Sachbuch. Abgesehen davon aber ein mehr als abwechslungsreicher Roman, der die Leser mit hinter die Kulissen der Theater und damit auf die Bretter, die die Welt bedeuten, nimmt. Genau das richtige Buch für Musik- und Opernliebhaber!

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Eyre Price – Roadkill

Blutige Musik-Schnitzeljagd

Wenn man die Orte betrachtet, durch die Daniel Erickson hetzt, wird sich selbst musikalisch eher unbewanderten Zeitgenossen klar, woher in Road Kill der Wind weht: New Orleans, Nashville, Detroit, Memphis sind Stationen, die der Protagonist in Eyre Price´ Roman im Laufe seiner Schnitzeljagd besucht. Und das kommt so:

Nachdem er sich in der Glücksspielstadt Las Vegas verzockt hat, hat sich Daniel bei einem russischen Gangster Geld geliehen. Eine schlechte Idee, wie sich herausstellt, denn der Russe will wieder an sein Geld und deshalb schickt er ihm ein ungleiches Killer-Duo auf den Hals. Und zu allem Übermaß muss Daniel Erickson feststellen, dass sein ganzes Vermögen aus seinem privaten Tresor verschwunden ist. Keine gute Sache, wenn man einen gereizten russischen Gangster auszahlen möchte. Das einzige, was ihm geblieben ist, ist eine CD mit Bluessongs, die offenbar die Hinweise zu einer Schnitzeljagd darstellen.

Durchgeknallt, durchgeknallter – Road Kill

Eyre Price ist ein Roman gelungen, der als Thriller zwar nicht sonderlich gut funktioniert, als niedergeschriebenes Stück Musikhistorie aber erstaunlich gut klappt. Mit deftigen Splatterelementen und überzogenen Figuren versetzt serviert er dem Leser eine blutige Musik-Schnitzeljagd, bei der er niemanden schont. Das psychotische Gangsterpärchen metzelt sich fröhlich durch die USA, während Daniel von Hinweis zu Hinweis hetzt und versucht, die Songs, die ihm an den einzelnen Stationen hinterlassen werden, zu entschlüsseln.

Die Gestalten, die den Roman von Price bevölkern, sind zwar durchgängig Pappkameraden, aber als Hommage an den Blues und seine Spielarten ist Road Kill durchaus lesens- bzw. hörenswert.

Denn per QR-Code lassen sich die Songs, die Daniel im Buch den Weg weisen, zusätzlich anhören und sind somit die Bonustracks des Buches.

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