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Sefi Atta – Die amerikanische Freundin

Wie lebt man eigentlich, wenn im eigenen Land plötzlich geputscht wird? Sefi Atta beschreibt es in ihrem Roman Die amerikanische Freundin, die von Lewi erzählt, deren Heimat Lagos in politischen Wirren versinkt. Hat sie vielleicht sogar selbst etwas Schuld daran?


Ikoyi ist ein Stadtviertel der nigerianischen Millionenstadt Lagos. Hier lebt die Oberschicht des Landes – und auch Lewi Lawal ist hier mit ihrer Familie zuhause. Zwei Kinder, ein Hund, Dienstpersonal – die Lebensverhältnisse der Familie könnten eigentlich nicht schlechter sein.

Auch eine Entlassung aus dem Staatsdienst hat Lewis Mann Tunde gut verwunden. Obschon kurzzeitig das Stadtgespräch, hat er inzwischen wieder in einer Gemeinschaftsbank Anstellung gefunden und wird sogar per Chauffeur zur Arbeit gebracht. Lewi selbst betreibt einen kleinen Laden für Grußkarten und andere Karten, die Kinder gehen auf gute Schulen, man hat sich also gut eingerichtet im Leben.

Die Oberschicht von Lagos

Das Sozialleben der Familie erschöpft sich mit Empfängen und Einladungen anderer Bewohner*innen von Ikoyi, die schon einmal eine Party geben, um einen eigenen Pool einzuweihen oder mit Expats zu feiern. Es ist ein Partyleben, das sich nicht nennenswert von der Sinnlosigkeit westlicher Dekadenz unterscheidet.

Nicht, dass mir nur edle Gedanken durch den Kopf gegangen wären, aber falls es einen interessierte, warum der Wohlstand in Nigeria so ungleich verteilt war, brauchte man sich nur die Gäste auf der Party anzusehen, die lachten und scherzten, während sie sich von den Kellnern servierte Cocktails gönnten, nur um sich später mit Essen vollzustopfen. Ich verhielt mich allerdings, obwohl ich mir dessen bewusst war, auch nicht anders als sie. Einen Moment lang machte ich Small Talk, im nächsten nippte ich an einem Cocktail.

Sefi Atta – Die amerikanische Freundin, S. 116

Bei einer solchen Party der Oberschicht trifft Lewi auf Frances. Sie ist so ganz anders, schon alleine, weil sie aus den USA stammt. In ihrer Blase aus Bekannten ist die Amerikanerin eine faszinierende Ausnahme, deren Nähe Lewi zusehends sucht.

Für ihren Mann Tunde hingegen steht fest, dass Lewis amerikanische Freundin eine Spionin der CIA sein muss. Denn wir schreiben das Jahr 1976 und hinter dem Land liegen katastrophale Jahre. So hat der Biafrakrieg Nigeria erschüttert, nun herrscht eine Phase der Ruhe. Dass diese aber nicht dauerhaft ist, das zeigen aber auch die Prozesse der politischen Findung, die das Land durchläuft. Ethnisch vielfältig mit höchst unterschiedlichen Landesteilen versehen bildet sich die politische Landschaft und die Verwaltung gerade aus. Eine interessante Einflusssphäre also auch für die USA, die sich zu der Zeit im Clinch mit den Sowjetstaaten befinden.

Die amerikanische Freundin – oder die amerikanische Spionin?

Sefi Atta - Die amerikanische Freundin (Cover)

Doch ist Frances wirklich eine Spionin oder einfach eine interessierte Amerikanerin, die um Zugang zu den Kreisen der Oberschicht bemüht ist? Sefi Atta zeigt in ihren Beschreibungen und den Dialogen, die zwischen die einzelnen Kapitel geschnitten sind, zwei Frauen, die viel gemeinsam haben, die aber auch aufeinander angewiesen sind. In Erklärdialogen, die sich an einigen Stellen im Buch finden, führt Lewi Frances in die wechselvolle Geschichte Nigerias ein.

Während Die amerikanische Freundin in der ersten Hälfte noch vor sich herdümpelt, entfaltet das Buch im zweiten Teil dann aber einen Drive. Denn die Phase der Stabilität, in der sich das Land aktuell unter der Regierung des General Muhammed befindet, sie ist nur kurzzeitig. Um Lewi und ihre Familie herum bricht plötzlich ein Putsch los, der das Land in eine neue Phase der Unsicherheit stürzt. Und auch bei Lewi selbst herrscht Unsicherheit: hat sie vielleicht Frances mit ihren Erklärungen und Kontakten dabei unterstützt, diesen Putsch vonseiten der CIA aus zu forcieren?

Diese Entwicklung macht aus Sefi Attas Roman im Großen und Ganzen dann doch eine reizvolle Lektüre, während gerade Lewi und den Menschen, mit denen sie sich umgibt, zunächst noch etwas Reiz fehlt. Denn die überprivilegierte Oberschicht dort in Lagos ist nicht unbedingt das, was ich gemeinhin unter spannendem Romanpersonal verstehen, dessen Charaktere einen Roman tragen könnten. Auch werden größere Konflikte ausgespart, eher erschöpft man sich in den Partys, die weit weg sind von der übrigen Bevölkerung Nigerias und deren Problemen. Große Brüche oder charakterliche Tiefenschärfe oder Charaktertiefe sind somit erst einmal Mangelware. Erst durch die Ereignisse des Putsches, den die Figuren auch nicht unmittelbar selbst erfahren, bekommt das Buch dann Drive und Dringlichkeit.

Fazit

So bietet Die amerikanische Freundin doch viel Einsichten in die wechselvolle Geschichte eines Landes, das Sefi Atta manchmal in etwas zu dozierenden Erklärdialogen ausbreitet. Auf der Zielgerade kann Attas Buch aber doch noch Meter gutmachen und gewinnt mit der Innensicht aus einem Land, das gerade wieder einmal in politischer Orientierungslosigkeit versinkt. Gerade da Nigeria ebenso wie Afrika im Ganzen auf dem deutschen Buchmarkt ein Schattendasein führen, sei auf dieses von Simone Jakob übersetzte und im Peter Hammer-Verlag erschienene Buch gerne besonders hingewiesen!


  • Sefi Atta – Die amerikanische Freundin
  • Aus dem Englischen von Simone Jakob
  • ISBN 978-3-7795-0623-2 (Peter Hammer-Verlag)
  • 400 Seiten. Preis: 26,00 €
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Andrew O’Hagan – Caledonian Road

In seinem dickleibigen Gesellschaftsroman Caledonian Road wartet Andrew O’Hagan mit einer tröstlichen Nachricht auf. Mag manch einer auch über englische Adelstitel verfügen, in elitären Clubs verkehren oder ein gefragter Public Intellectual sein – das alles schützt auch nicht vor Unglück und sozialem Abstieg. Alles bröckelt und zerbröselt in diesem Roman . Das alles liest sich aber höchst unterhaltsam, bisweilen sogar vergnüglich.


Die Caledonian Road, sie ist eine im zentralen Londoner Stadtteil Islington gelegene Straße, die sich über eine Länge von circa 3 Kilometern erstreckt. Im Süden beginnt sie nahe des Bahnhofs King’s Cross und führt dann, von typischen mittelhohen Gebäuden und Geschäften gesäumt, in den Norden. Sogar ein Gefängnis findet sich entlang der Straße, ebenso wie der sogenannte Thornhill Square. Bei diesem handelt es sich um eine von Häusern umgebene Grünfläche, die einst im Zuge der Krönung Königin Elisabeth II. aufbereitet wurde und die der Öffentlichkeit zur Verfügung steht.

Einer der Anwohner an diesem schon längst von der Gentrifizierung erfassten Platz ist Campbell Flynn, Kunstprofessor und gefragter Autor und Redner, einer der prägenden Public Intellectuals des Vereinigten Königreichs.

Campbell Flynn, groß und elegant und zweiundfünfzig, war eine Sprengladung im Savile-Row-Anzug, ein Mann, der glaubte, seine Kindheit läge längst hinter ihm und er habe von ihr nichts mehr zu befürchten. Er hatte Geheimnisse, Sorgen, doch wenn er nun auf seiner Taxifahrt zum Fenster hinausschaute, sah er St Paul’s im strahlenden Sonnenlicht oben auf Ludgate Hill, und die Engel von London standen an seiner Seite.

Andrew O’Hagan – Caledonian Road, S. 15

Der Zerfall eines Public Intellectual

Eine Eigentumswohnung am Thornhill Square, ein Wochenendhaus auf dem Land in Suffolk, eine beglückende Ehe mit seiner Frau Elizabeth und zwei Kindern, Verbindungen in die besten Kreise der Oberschicht bis hinein zum Hochadel, Podcasts, eine aufsehenerregende Vermeer-Biografie in seiner Publikationsliste. Was kann einen solchen Mann noch schrecken? Doch einiges, wie sich im Lauf von Andrew O’Hagans fast achthundert Seiten starken Romans zeigt.

Andrew O'Hagan - Caledonian Road (Cover)

Denn im Laufe eines Jahres zerbröckelt und zerbröselt so ziemlich alles, was sich Campbell Flynn aufgebaut hat, beziehungsweise das, was er sicher glaubte. Denn nicht nur das Vereinigte Königreich ist nach dem Brexit ein Schatten seiner selbst und liegt nun im Zuge der Corona-Pandemie danieder, auch seine obersten Repräsentanten haben schon bessere Zeiten gesehen. So irrlichtert nicht nur der englische Premier herum, auch die gesamt Oberschicht in Campbells Umfeld scheint ihren Fokus verloren zu haben.

Russische Oligarchen, die sich mitsamt ihrem Nachwuchs in die Oberschicht eingekauft haben, Industrielle, die nicht nur beruflich danebengreifen oder der alte Adel, der sich mal auf ein schwimmendes Boot flüchtet, mal auf riskante Deals einlässt: Andrew O’Hagan webt im Laufe seines Romans einen ganzen Kosmos aus Figuren, die so anders sind, als es die Klischee der britischen Oberschicht wollen. Nicht nur, dass die Figuren so ziemlich alles konterkarieren, wofür die althergebrachte Britishness steht. Auch im Abwärtsstrudel sind O’Hagan Figuren vereint.

Ein klug verzahnter Gesellschaftsroman

Doch konzentriert sich Caledonian Road dabei nicht nur auf die Oberschicht im Verfall – auch die Mittelschicht bis hin zum Gangsta-Nachwuchs porträtiert O’Hagan in seinem klug verzahnten Gesellschaftsroman. Mittendrin findet sich Campbell, der von Geldsorgen geplant unter Pseudonym ein Männlichkeitsbuch namens Männer, die in Autos weinen verfasst hat. All die Interviews, Vorworten für Ausstellungskataloge oder Podcast-Staffeln bringen keine große Besserung seines Zustandes. Allerdings hat er im Studenten Milo einen Ausweg für seine aktuelle Misere gefunden, schließlich bringt diese ihm mit seinem Furor als Schwarzer auf die weiße Mehrheitsgesellschaft auf neue Ideen, wenn sich schon die die finanziellen und häuslichen Probleme samt Untermieterin nicht so wirklich verdrängen lassen.

Campbell starrte das alles an, er war gefangen in dem riesigen Netz der Verwicklungen, sein Verstand konnte diesen Wust an Ereignissen nicht mehr verarbeiten.

Andrew O’Hagan – Caledonian Road, S. 702

Doch je mehr er sich von Milo in dessen Theorien einspinnen lässt, umso weiter entfernt er sich auch von seiner eigenen Familie. Das Buchprojekt hat sich sowieso schon verselbstständigt und ist kaum mehr einzufangen – zur Freude der Leserinnen und Leser. Sie dürfen in O’Hagans Buch die zugegeben nicht sonderlich neue, aber enorm unterhaltsame und tröstliche Binse verfolgen, dass auch andere Menschen Probleme haben, selbst wenn sie sich weit vor einem auf der gesellschaftlichen Leiter befinden.

Diese Gemengelage an Verwicklungen und Entwicklungen trägt den erzählerischen Bogen über die 800 Seiten locker. Andrew O’Hagan, der als Editor-at-Large bei der London Review of Books arbeitet, zeigt eindrücklich, dass seine Beschäftigung mit anderen Literaten reichlich Früchte getragen hat.

Fazit

Leicht, beschwingt, dann auch wieder traurig und fatal fesselt Caledonian Road über seine gesamte Lauflänge. Andrew O’Hagan gelingt ein faszinierender Gesellschaftsroman, der das ganze Panorama der britischen Gesellschaft von Möchtegern-Gangstern bis hinauf in die adelige Oberschicht einfängt und mit Campbell Flynn einen Starintellektuellen in den Mittelpunkt stellt, dessen Fall und Fatalismus man gerne nachverfolgt. Selten war ein Taumeln durchs eigene Leben in diesem Bücherherbst so unterhaltsam wie hier!


  • Andrew O’Hagan – Caledonian Road
  • Aus dem Englischen von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié
  • ISBN 978-3-9881600-3-4 (Park x Ullstein)
  • 784 Seiten. Preis: 30,00 €
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