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Maarten ´t Hart – Der Nachtstimmer

Langweilig hatte sie mich genannt, langweilig und unauffällig. Sie hatte recht, ich war langweilig. Ich hatte einen langweiligen Beruf, ich beschäftigte mich mit Kirchenorgeln. Es gab da ein Programm im Klassikradio – dort spielten prominente Menschen ihre Lieblingsplatten. Vorab sagte man ihnen: Bitte, keine Kirchenorgeln, sonst schalten die Leute sofort auf einen anderen Sender um. Wenn Orgeln und Organisten schon nicht besonders beleibt waren, wie verhielt es sich dann mit Orgelstimmern? Die kamen nicht im Radio, vom Fernsehen ganz zu schweigen. Über sie wurden keine Romane oder Erzählungen geschrieben – wobei allerdings erwähnt werden muss, dass der Isländer Halldór Laxness zumindest einen Roman verfasst hat, in dem ein Organist vorkommt. Und natürlich, nicht zu vergessen: 20 000 Meilen unter dem Meer von Jules Verne. Darin steht eine Kirchenorgel an Bord eines U-Boots! Doch nie spricht Verne davon, dass das Instrument hin und wieder gestimmt werden muss.

Maarten ´t Hart – Der Nachtstimmer, S. 137

Mit diesem Umstand, den Maarten ´t Harts Protagonist Gabriel Pottjewiid hier beklagt, macht der niederländische Autor nun endgültig Schluss. Hier ist er, der Roman, der einen Orgelstimmer in den Mittelpunkt stellt, und der dem Handwerk und der Orgel selbst ein Denkmal setzt. Passend zur Wahl der Orgel als Instrument des Jahres lässt sich bei Maarten ´t Hart der Reiz dieses Instruments und die Kunst des Orgelbaus entdecken. Darüber hinaus ist der Roman aber auch die Geschichte einer Befreiung aus der Vereinzelung und die Beschreibung eines skurrilen Dorfs in den Niederlanden.

Wie in einem Wes Anderson-Film

Maarten 't Hart - Der Nachtstimmer

Man fühlt sich zunächst wie in einem Film von Wes Anderson, beginnt man in Der Nachtstimmer zu lesen. Da reist der Klavierstimmer Gabriel Pottjewiid per Zug in ein kleines Dörfchen an der niederländischen Küste, wo er im Auftrag der Firma Auerbach&Wüste eine Orgel stimmen soll. Er kommt im Seemannheim unter und erlebt eine Gemeinschaft voller skurriler Rituale und Verhaltensweisen. So tagt im Seemannheim ein Bibelkreis, der sich der Auslegung der heiligen Schrift gewidmet hat und etwa über den sprechenden Esel Bileams streitet. Zu essen gibt es stets FGK – Fleisch, Gemüse, Kartoffeln. Eine große Werft sorgt für steten Krach, das Dorf scheint von Käuzen und Originalen bevölkert zu sein.

Inmitten dieser eigenwilligen Welt soll Pottjewiid eine Garrels-Orgel stimmen – ein Auftrag, der ihn über mehrere Tage beschäftigen wird. Sein Aufenthalt verlängert sich, als ihn die andere Gemeinde im Dorf ebenfalls noch für die Stimmung ihrer Orgel akquirieren möchte. Für die monotone Arbeit erhält er aber schon bald Unterstützung in Form eines jungen Mädchens. Lanna fasziniert die Welt der Orgeln ebenfalls, das Mädchen stellt sich als geschickte und gelehrige Schülerin heraus, die für die Arbeit an der Orgel wie gemacht scheint. Im Gefolge der von den Dorfbewohner*innen als leicht zurückgeblieben stigmatisierten Lanna bekommt es Pottjewiid dann auch mit Lannas Mutter Gracinha zu tun, die im Dorf von Argwohn bis Begehren ebenso viele Emotionen auslöst. Diese drei werden während der Wochen dort an der Küste zu einer besonderen Einheit.

Das Porträt eines Eigenbrötlers und einer Annäherung

Der Nachtstimmer ist ein Roman über einen Eigenbrötler, der sich langsam aus seiner Vereinzelung heraus löst. Langsam baut er eine Bande zu Lanna und ihrer Mutter Gracinha auf. Inmitten der skurrilen Dorfwelt fassen die Figuren langsam Zutrauen zueinander und verlassen allmählich ihre Komfortzonen. Das schildert Maarten ´t Hart mit viel Wärme und Sympathie für seine Figuren. Ebenso ist das Buch aber auch ein großer Roman über Orgeln und das Stimmen ebenjener. Was eine Garrels-Orgel von einer Schnitger-Orgel unterscheidet, welche besonderen Pfeifen in welchen Orgeln verbaut wurden, wie die Stimmung dieser Instrumente funktioniert und welcher Reiz von der „Königin der Instrumente“ ausgeht, das lässt sich in Der Nachtstimmer ebenfalls nacherleben.

Dieser Roman verweigert sich allen Konventionen, mischt einen kleinen Kriminalplot mit dem Handwerk des Orgelstimmens, vermengt eine Liebesgeschichte mit der Beschreibung eines Dorfs, das wie aus der Zeit gefallen wirkt. So wohnt Der Nachtstimmer etwas Zeitloses inne, das aber dennoch ganz hervorragend genau in dieses Jahr passt, in dem die Orgel mit all ihren Facetten gefeiert wird. Es ist ein skurriler, warmherziger Roman, den Maarten ´t Hart hier geschaffen hat. Ein Buch mit dem Blick für das Besondere im Alltag.

Und nicht zuletzt muss auch dem Übersetzer Gregor Seferens ein großes Lob ausgesprochen werden, der den Roman aus dem Niederländischen ins Deutsche übertrug. Ihm gelingt es – eine Orgelmetapher in dieser Rezension sei erlaubt- die vielen Register und Stimmungen dieses Textes toll ins Deutsch zu retten. So erfindet er für Maarten ´t Harts skurrile Sprache und das Idiom der Dorfbevölkerung tolle Übertragungen wie beispielsweise die Redewendung „Jemanden hinter die Fichte führen“, die sich allesamt stimmig in den Gesamtkontext des Buchs einfügen.

Fazit

Der Nachtstimmer ist ein Roman über Einsamkeit und über den Weg aus dieser heraus. Genauso ist dieses Buch aber auch ein großer Roman über Orgeln und die Kunst, diese zu stimmen. Hier lässt sich nacherleben, was es bedeutet, der „Königin der Instrumente“ zu einem Wohlklang zu verhelfen. Und damit ist nun auch endgültig Schluss mit dem von Gabriel Pottjewiid eingangs beklagten Umstand, dass es keinen Roman über Orgelstimmer gäbe. Hier ist er!

Maarten ´t Hart zeigt, dass man aus der eigentlich unspektakulären Kunst auch tolle Literatur zaubern kann!


  • Maarten ´t Hart – Der Nachtstimmer
  • Aus dem Niederländischen von Gregor Seferens
  • ISBN 978-3-492-07043-0 (Piper)
  • 320 Seiten. Preis: 24,00 €
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