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Jenifer Becker – Zeiten der Langeweile

Wie sieht es aus, wenn man die Forderung der Münchner Kapelle Moop Mama ernst nimmt, die einst forderte: Lösch das Internet? Jenifer Becker exerziert es in ihrem Roman Zeiten der Langeweile durch, in dem sie ihre Protagonisten immer mehr Abschied von der (digitalen) Welt nehmen lässt. Ein Roman, der die Frage nach dem „echten“ Raum stellt und der davon erzählt, was passiert, wenn man nicht passiv sondern ganz bewusst durch die gesellschaftlichen Raster fällt. Und nicht zuletzt gelingt Becker eine präzise Kartierung unserer digitalen Gegenwart.


Fast jeder von uns pflegt ein zweites Ich in Form einer digitalen Repräsentanz im Internet. Das kann man in ausgeprägterer Form auf diversen Plattformen in aktiver Form stattfinden, ebenso kann man sich aber auch dem digitalen Raum kaum entziehen, wenn man passiv bleiben möchte. Wohl jeder von uns hat eine eigene Mailadresse, taucht in Sucheinträgen oder Online-Artikeln auf und ist damit irgendwie auffindbar. Gar nicht vorhanden ist wohl kaum jemand von uns – schon alleine, wer diese Zeilen hier liest, hat irgendwo Spuren im Netz hinterlassen. Und doch versucht Jenifer Beckers Protagonistin Mila Meyring eben das – sich so gut es geht elbst aus dem Internet zu löschen. Sämtliche Spuren im Internet zu beseitigen und so der digitalen Welt abhanden zu kommen, das ist ihr Ziel.

Während ihr Bruder zur Hochphase der Corona-Pandemie, zu der dieser Roman spielt, das Zuhause seiner Großmutter mit Maschendraht gesichert und seine Großmutter und sich so in einer Art Festung eingesperrt hat, lebt Mila zunächst noch das gegensätzliche Leben. Sie trifft sich mit Freunden, lässt sich impfen und bewegt sich in ihrem Neuköllner Kiez. Die Zeit an der Universität geht für sie zu Ende, angesichts des baldigen Ausscheidens aus dem akademischen Betrieb hält sich ihr Engagement in nunmehr digitalen Besprechungen in sehr überschaubarem Rahmen.

Von Digitalverweigerinnen und Querdenkern

Jenifer Becker - Zeiten der Langeweile (Cover)

Mit ihrem Bruder streitet sie über dessen Impfskepsis und das Querdenkertum, in das sich dieser sukzessive verabschiedet hat. Aber auch Mila wird gleich zu Beginn des Romans einen eigenen Weg in die Isolation und die Verabschiedung aus der Gesellschaft antreten. Zunächst ist es die Computerkamera, die sie bei Meetings deaktiviert, bald folgen Apps und soziale Plattformen. Immer mehr löscht sich Mila aus dem Internet und entwickelt eine an Paranoia grenzende innere Notwendigkeit, nicht mehr auffindbar zu sein. Das geht soweit, dass sie sich sogar aus einem verwaisten Literaturblog löschen lassen will, in dem sie früher einmal Textbeiträge veröffentlicht hatte.

Immer mehr kapselt sie sich von der Welt ab, löscht App um App, schränkt ihre Kontakte mit Freund*innen immer weiter ein, geht vermehrt nurmehr nachts aus dem Haus, sucht die analoge Selbstbestimmung.

War der Zusammenbruch nicht schon gewesen? Ich hatte Instagram, Facebook, TikTok gelöscht. Ich hatte beschlossen, keinen Content mehr zu posten. Meine Vergangenheit aus dem Netz zu löschen. Aus der Wissenschaft auszusteigen. Erst mal keine Dates zu haben oder keine schädlichen Kurzzeitbeziehungen zu priorisieren, die mich immer wieder aus meinem Alltag rauswarfen, weil sie entweder zu euphorisch waren oder ich regelmäßig anfing, needy zu werden, und dann früher oder später abserviert wurde.

Jenifer Becker – Zeiten der Langeweile, S. 70

Verloren im Tunnel

Während sie sich im Tunnel der digitalen und zunehmend auch weltlichen Isolation verliert, sind es andere Aussteiger, Asketen und Ermit*innen, denen sie bei ihrer Beschäftigung begegnet, angefangen bei Emily Dickinson über Hildegard von Bingen bis hin zu Christopher McCandless, dessen Rückzug aus der „Normalität“ auch der Philosoph Jürgen Goldstein in seinem Buch Die Entdeckung der Natur beleuchtete.

Jenifer Becker beobachtet ihre Heldin auf ihrer Reise in die Isolation, die sie folgerichtig bis in die Einsamkeit Norwegens führt. Doch ist es wirklich Freiheit, die sie durch ihre Digital-Diät erlangt? Und was macht uns überhaupt aus, wenn wir auf das Internet und die damit verbundenen Darstellungsformen und Möglichkeiten verzichten? Diese Fragen thematisiert Zeiten der Langeweile en passant, während Becker Milas sukzessiven Ausstieg aus der Gesellschaftsordnung beschreibt und ihr bewusstes Schlüpfen durch das gesellschaftliche Raster intensiv verfolgt.

Dabei gelingt der am Literaturinstitut Hildesheim lehrenden Autorin durch die Beschreibung der Wegnahme der digitalen Möglichkeiten eine Art des Negativ-Drucks, der durch die Skizzierung des Wegfalls der Dinge eben auch zeigt, was vorher vorhanden war. Sie entwirft auf diese Art ein Panorama der Vielfalt des Digitalen, das von der Frühform Sozialer Medien wie etwa StudiVZ bis hin zu den neuesten süchtig machenden Entwicklungen wie TikTok oder Beziehungsapps wie Tinder reicht.

Es sind auch die scheinbar unentrinnbaren Verflechtungen von analogem Leben mit digitaler Welt, die Beckers Buch offenlegt, sei es auch nur bei der Buchung eines Coronatest-Termins der ohne eigene Mailadresse so gut wie nicht möglich ist. Immer wieder scheint die Frage auf, was überhaupt noch real ist und was man an Mechanismen und Entwicklungen auch hinterfragen könnte, wenn es etwa auf einer Party realer scheint, mithilfe einer regulatorischen App namens BeReal das Feiern auf der Party im Digitalen zu inszenieren, denn die Party im Realen zu feiern.

Fazit

Das macht aus Zeiten der Langeweile einen sehr zeitgemäßen Roman in dem Sinne, dass er unser digitales Leben in all seiner Fülle und Ausprägungen zeigt, die Welt der Apps und Plattformen in die Literatur holt und darüber hinaus die Frage nach dem Entzug dieser Möglichkeiten aufwirft. Die Lebenswelt der Generation Y zwischen Neukölln und Frankfurt fängt Jenifer Becker ebenso gut ein, wie sie auch den Geist der Corona-Pandemiejahre mit all seinen Ausformungen treffend in Worte gießt. Von daher ein wirklich spannender und sehr heutiger Roman, zu dem auch Katharina Herrmann auf ihrem Blog Kulturgeschwätz bemerkenswerte Lektüreeindrücke notiert hat.


  • Jenifer Becker – Zeiten der Langeweile
  • ISBN 978-3-446-27804-2 (Hanser Berlin)
  • 240 Seiten. Preis: 23,00 €
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Claire-Louise Bennett – Teich

Es gibt Bücher, die nimmt man in die Hand, gerät von der ersten Seite an in einen Lesesog und wird erst ganz am Ende des Buches wieder ausgespuckt. Und dann gibt es Bücher wie Teich von Claire-Louise Bennett. Man kommt nicht in den Fluss, es ruckelt, es zieht sich, es will sich kein Rhythmus einstellen. Der Motor des Textes stottert und qualmt – und dabei wollte ich dieses Buch wirklich mögen. Wirklich!

Teich von Claire-Louise Bennett

Es klingt auch alles gar nicht schlecht – eine Frau, die in einem einsamen Cottage an der Westküste Irlands lebt, Rückzug vom stressigen Leben, Entschleunigungsliteratur deluxe. Das darf es ja gerne auch einmal sein, noch dazu war das Buch verlockend dünn, gerade einmal 224 Seiten stark ist das Buch (Übersetzung von Eva Bonné). Ich ging mit der Erwartung einer Art weiblichen Robert Seethalers in diese Lektüre, vielleicht auch ein bisschen Zero-Waste-Literatur: nachhaltig, ökologisch, gut abbaubar. Welche Wegscheiden im Leben haben die Erzählerin zu ihrem Leben in dem Cottage geführt? Wie nimmt sie ihre (Um)Welt wahr? Was bedeutet diese Art von Leben?

Alles Fragen, die mich im Vorfeld von Teich interessiert hätten. Eine zufriedenstellende Beantwortung dieser Fragen blieb mir Claire-Louise Bennett schuldig. In mal ultrakurzen Kapiteln, dann wieder längeren Passagen, lässt sie ihre Erzählerin räsonieren. Mal reflektiert sie die Lektüre von Marlen Haushofers „Die Wand“, mal überlegt sie, welche Vorbereitungen sie für eine eventuelle Party treffen muss. Diese sprunghaften Assoziationsketten und wild mäandernden Gedankenströme brachten mich immer wieder aus dem Tritt. Überspitzt gesagt: mich interessiert weniger, ob die Erzählerin ihren Petersilienstrauch am Hauseinang selbst in einen Kübel getopft hat – doch das ist es, was für mich bei diesem Buch mehr hängen bleibt, als alle introspektivischen Versuche. Auch nach über 100 Seiten stellte sich für mich kein erkennbarerer roter Faden heraus. Die stilistischen Wechsel in der Erzählstruktur überzeugten mich nicht, für mein Empfinden fehlt es hier an Klarheit beziehungsweise einem durchgehenden Konzept.

So gerät dieses Buch aus dem Takt und konnte mich nicht überzeugen. Vielleicht lag es natürlich auch an mir – zu wenig aufnahmebereit? Zu überlesen? Zu unaufmerksam? Vielleicht ist die Schuld aber auch wirklich beim Buch zu suchen, denn bei dessen Leser. Meine These: am Ende ist Teich überhypt und überschätzt.

Im Konzert der naturgesättigten Gegenwartsromane (Emily Fridlunds Eine Geschichte der Wölfe oder Emily Ruskovichs Idaho)  ist dies leider eine schwache Stimme, die für ihren nächsten Einsatz noch kräftig an Volumen und Klarheit gewinnen muss.

 

 

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