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Flynn Berry – Northern Spy

Zwei Schwestern im Nordirlandkonflikt, verstrickt in ein Geflecht aus Spionage, Angst und Gewalt. Davon erzählt die Amerikanerin Flynn Berry in ihrem Thriller Northern Spy. Leider nur so halbwegs überzeugend.


Das Thema des Nordirland-Konflikts ist eines, das auch über das Karfreitagsabkommen von 1998 hinaus die Menschen in Irland und Nordirland beschäftigt. Jüngst wurde im Rahmen des Brexit-Abkommens das Nordirland-Protokoll verhandelt, das dem besonderen Status der Insel Rechnung trägt. Ein Teil dem Vereinigten Königreich zugehörig, der andere unabhängig. Der eine Teil katholisch, der andere protestantisch. Diese Demarkationslinie ist bis heute auf der Landkarte sichtbar und in den Köpfen der Menschen tief eingegraben.

Mag die Hochzeit der Troubles zwar vorbei sein – zur Ruhe gefunden hat Irland allerdings noch lange nicht. Das zeigt auch die Amerikanerin Flynn Berry in ihrem Roman Northern Spy, der in Belfast angesiedelt ist.

Eine Schwester auf Abwegen

Dort arbeitet Tessa als Polit-Redakteurin für die BBC, für die sie Politiker*innen für Interviews anfragt und diese dann vorbereitet und ihren Kolleg*innen zuarbeitet. Privat ist sie vor allem mit der Betreuung und Erziehung ihres Sohnes Finn befasst, den sie so gut wie alleinerziehend versorgt.

Flynn Berry - Northern Spy (Cover)

Ihr überschaubares Leben gerät durch eine Fernsehmeldung allerdings schon bald gehörig aus dem Takt. Denn darin taucht ihre Schwester Marian auf, die sie eigentlich beim Schwimmen glaubte. Zusammen mit anderen Angehörigen der IRA soll sie eine Tankstelle überfallen haben.

Tessa kann diese Radikalisierung ihrer Schwester nicht wirklich glauben, schließlich ist diese in Belfast als Rettungssanitäterin aktiv und hat nie Anzeichen für politisches Engagement erkennen lassen. Warum also soll sie plötzlich in einen Überfall der Irischen Unabhängigkeitsbewegung verwickelt sein?

Bei ihrer Suche nach der Wahrheit hinter der IRA-Nähe ihrer Schwester gerät Tessa in ein verhängnisvolles Gespinst aus Spionage, Angst und Gewalt, scheint die nordirische Provinz doch nach wie vor nicht zur Ruhe zu kommen.

Etwas aus der Zeit gefallen

Wenn man Flynn Berrys Roman so liest, dann könnte man wirklich glauben, dass seit dem Bloody Sunday zur Hochzeit des Terrorismus kein Tag in Nordirland verstrichen ist. Hier werden Tankstellen überfallen, fliegen Häuser in die Luft, werden Waffendepots ausgegraben und leben alle dermaßen in Angst, dass der IRA-Terror immer noch auf dem Höhepunkt scheint.

Dass die Lage aktuell weitaus entspannter ist, man Belfast und Nordirland sehr gut besuchen kann und es zwar von Zeit zu Zeit zu punktueller Gewalt kommt, aber keinesfalls so flächendeckend, wie dies Flynn Berry glauben machen will, das sorgte bei mir Befremden. Auch die vielen eigenwilligen Fiktionen wie Soldaten an der nordirischen Grenze und ein Übertritt ebendieser, gegen den die Einreise in die DDR zur Zeit des Kalten Kriegs wie ein Spaziergang wirkt, das wirkt doch, als sei die Fantasie am heimischen Schreibtisch etwas mit ihr durchgegangen.

Generell würde ich in Abrede stellen, dass sich Flynn Berry als Amerikanerin abseits von Allgemeinplätzen und der Lektüre ein paar alter Artikel besonders eingehend mit der Situation vor Ort in Nordirland beschäftigt hat. Das fällt insbesondere auf, wenn man die Literatur von „echten“ nordirischen Schriftsteller*innen zum Vergleich heranzieht, gegen die Flynn Berry haushoch verliert.

So schrieb Anna Burns mit Milchmann eine eindringliche Parabel über weibliches Aufwachsen in einer von Gewalt dominierten Welt, das auch aufgrund von Burns eigenem Hintergrund als wenig chiffrierte Erzählung über das Aufwachsen in Nordirland während des Bürgerkriegs gelesen wurde. Adrian McKinty zeichnet in seiner Reihe um den katholischen Bullen Sean Duffy ein ebenso eindringliches Bild von Polizeiarbeit, Popkultur und Alltag in Belfast ab dem Höhepunkt der IRA-Gewalt 1981. Während sich Kenneth Branagh im vergangenen Jahr in Belfast filmisch seiner eigenen Kindheit näherte (in der auch die Gewalt und Angst immer präsent war), sind auch in Werken anderer Schriftsteller*innen wie Claire Keegan oder Sebastian Barry diese Erfahrungen immer eingeschrieben, selbst wenn sie nicht explizit erwähnt werden.

Allenfalls literarisches Mittelmaß

Nicht nur in Sachen schriftstellerischer Raffinesse fällt Flynn Berry im Vergleich wirklich deutlich ab. Auch ist diese Gesamtkomposition reichlich flach, die eine der Pointen um die Wahrheit hinter Marians Treiben bei der IRA schon im Titel verrät. Alles hier wirkt eher wie eine nicht wirklich aktuelle Kulisse, vor der zwei nicht wirklich tiefenscharf gezeichnete Frauen um ihr nicht wirklich plausibel geschildertes Seelenheil ringen und dabei Dialoge wie aus einem mittelmäßigen Fernsehkrimi sprechen:

Ich starre meine Schwester an. Ihr Gesicht ist blass und trocken, ihre Lippen sind rissig. „Hast du eine Bombe in St. George’s Market deponiert?“

„Ja.“

„Du hast dabei meinen Sohn im Arm gehalten.“

Marian zieht die Oberlippe zwischen die Zähne. „Ja.“

„Du wirst Finn nie wieder sehen“, sage ich scharf. „Du kommst nicht mal in seine Nähe.“

„Er war nicht in Gefahr. Es…“

„Halt die Klappe.“ Ich bedecke meine Augen mit der Hand und schüttle den Kopf. „Also gut, gehen wir. Wir gehen zur Polizei.“

„Das kann ich nicht, Tessa.“

„Schade.“

Flynn Berry – Northern Spy, S. 128

Von der Nuanciertheit echter, autochthoner nordirischer Krimiliteratur ist das Ganze leider so weit entfernt wie Amerika von der Grünen Insel.

Fazit

Ähnlich wie zuletzt die Naomi Krupitsky zeigt auf Flynn Berry hier zwei Frauen verstrickt in ein System der Gewalt und gefährlichen Loyalitäten. Was bei Krupitsky die Geschichte zweier Freundinnen im Umfeld der amerikanischen Mafia war, ist bei Flynn Berry nun die Welt der IRA, in der sich zwei Schwestern wiederfinden. Und ähnlich wie bei Krupitsky ist auch hier das Ergebnis leider bestenfalls Mittelmaß, wirken beide Bücher doch, als hätten sich die amerikanischen Autorinnen reizvolle Themenfelder ausgesucht, die sie dann aber statt sie in aller Tiefe zu durchdringen lieber vom Schreibtisch mithilfe von etwas oberflächlichen Infos und ohne gesteigerte Milieu- und Ortskenntnis ganz nach ihrer Fantasie ausgestaltet haben.

Für den amerikanischen Massenmarkt mag das genügen (die Washington Post nannte den Roman laut Verlagswerbung einen der besten Spannungsromane des Jahres), für jede*n, der oder die sich auch nur etwas eingehender mit der Geschichte der Troubles und der irischen Literatur selbst befasst, den dürfte dieses Machwerk aber enttäuschen.

Deshalb ist Northern Spy bestenfalls Mittelmaß, in meinen Augen liegt es sogar deutlich darunter. Lieber sollte man zu irischen Originalen greifen, statt mit diesem oberflächlichen Werk seine Zeit zu vertun.


  • Flynn Berry – Northern Spy – Die Jagd
  • Aus dem Amerikanischen von Wolfgang Thon
  • ISBN 978-3-7466-3988-8 (Aufbau)
  • 362 Seiten. Preis: 13,00 €
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Alix Ohlin – Robin und Lark

Zwei völlig unterschiedliche Schwestern stehen im Mittelpunkt des neuen Romans von Alix Ohlin. Ebenso unterschiedlich wie die Anlagen und Temperamente der beiden Schwestern sind auch ihre Namen. Die eine Schwester, die als Erzählerin fungiert, heißt Lark, also Lerche. Ihr Widerpart trägt das Rotkehlchen im Namen, nämlich Robin. Doch was ist es, das Menschen bei allen vorhandenen Unterschieden zusammenhält? In ihrem Roman versucht sich Alix Ohlin an einer Antwort.


Alix Ohlin - Robin und Lark (Cover)

Dabei ist zunächst der Begriff der Schwestern etwas unpräzise. Eigentlich handelt es sich bei Robin und Lark um Halbschwestern, die durch ihre Mutter Marianne verbunden sind. Die Mutter erweist sich in ihrer Mutterrolle allerdings als ziemlich unfähig. Völlig überfordert mit den beiden Kindern obliegt es schon bald Lark, so etwas wie eine Mutter für die jüngere Robin zu sein. Dieser Rolle nimmt sie auch an und wird bis ins Erwachsenenalter immer eine Beschützerin von Robin sein.

Während Lark von Montreal in die USA zum Studium zieht, bleibt Robin daheim in der Nähe ihrer Mutter. Sie entpuppt sich schon bald als großes Talent am Klavier und investiert viel Zeit in die Perfektionierung ihres Spiels. Lark hingegen fühlt sich eher im visuellen Bereich zuhause. Mit großer Hingabe filmt und schneidet sie Material und wird bald zur rechten Hand eines Regisseurs. Immer mal wieder nähern sich die beiden Schwestern an, stoßen sich dann aber auch wieder gegenseitig ab. Stets ist aber da ein Band zwischen ihnen, das sie zusammenhält.

Eine konventionelle Herangehensweise

Alix Ohlin wählt für ihre Erzählung über die beiden Schwestern eine konventionelle Herangehensweise. Von der Geburt an wird aus der Sicht Robins der Werdegang der beiden so gegensätzlichen Frauen geschildert. Geschmeidig erzählt (und sehr gut von Judith Schwaab übersetzt) gibt es einen Bilderbogen dieser beiden Frauen.

Etwas Irritation löste bei mir die Bewerbung durch den Klappentext aus. Dieser rückt dramatisch das Verschwinden Robins auf einer Konzerttournee in den Mittelpunkt, bei dem Robin den Wunsch äußert, man möge nicht nach ihr suchen. Diese Begebenheit entpuppt sich im Buch dann allerdings als recht unspektakuläre Episode in der Buchmitte, der noch einige ähnliche Ereignisse folgen. Wer also auf eine dramatische Schnitzeljagd der einen Schwester nach der anderen gehofft hat, der sieht sich hier enttäuscht. In dem Falle würde ich zum ebenfalls dieser Tage ebenfalls bei C.H. Beck erschienenen Roman Long Bright River von Liz Moore raten. Alix Ohlins Erzählung erinnerte mich mit ihrem ruhigen Fluss und dem genauen Blick auf ihre Protagonistinnen eher an Donna Tartts Der Distelfink.

Persönlich hätte ich mir noch eine etwas aufregendere Gestaltung dieses erzählerischen Bogens gewünscht. Wenn die Erzählerin schon so eine begnadete Cutterin und Virtuosin in Sachen Filmschnitt ist, warum dieses Stilmittel nicht auch auf die Erzählung selbst übertragen? So bleibt die chronologische Erzählung etwas brav.

Fazit

Generell gesprochen lässt sich festhalten: Robin und Lark ist die Geschichte zweier gegensätzlicher Frauen, das neben den Fragen von familiären Zusammenhalt und Selbstbestimmung auch die Kunst der Musik und des Filmschnitts beleuchtet. Souverän erzählt gelingt Alix Ohlin in diesem Buch ein rundes und stimmiges Porträt eines unsichtbaren Beziehungsbandes, das Ohlin von der Kindheit bis ins mittlere Lebensstadium hinein beschreibt.

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