Es gibt Bücher, die haben eine ebenso einfache wie bestechende Grundidee. Durch Manhattan von Niklas Maak und Leanne Shapton zählt zu dieser Kategorie. Denn hier treffen sich eine Künstlerin (Shapton) sowie ein Architektur- und Kunstkritiker (Maak), um gemeinsam Manhattan zu durchqueren, von der Südspitze auf einer annähernd geraden Linie bis in den Norden zum Ende der Halbinsel. Auf ihrem Weg begegnen ihnen Menschen, Bauten und kleine Momente, die sie in Schrift und Bild einfangen. Ein schön gestaltetes Werk und das Zeitdokument eines New York kurz nach dem Umbruch, den die Präsidentschaft Donald Trumps bedeuten sollte.
STATEN ISLAND FERRY TERMINAL I
Wir fingen ganz unten an. Wir trafen uns am Staten Island Ferry Terminal. Wir hatten keinen genauen Plan, nur die Idee, das zu tun, was alle, die nach Manhattan kamen, seit Jahrhunderten taten: an der Südspitze ankommen und dann nach Norden gehen.
Wie erzählt man von einer Stadt – und was erzählt die Stadt, wenn man sie nicht nur nach Punkten absucht, an denen sich etwas Bedeutendes oder Bekanntes befinden soll; was findet man, wenn man nicht einfach Orte aufsucht, von denen man gehört hat, und so einen vorgezeichneten Weg folgt – sondern wenn man einfach losgeht, vom südlichsten Punkt der Insel bis zu ihrem nördlichen Ende, wenn man eine Linie zieht vom Staten Island Ferry Terminal nach oben und dann hinaufwandert entlang dieser Linie bis zur 220th Street, wo der Harlem River Manhattan von der Bronx trennt, entlang einer Linie, die keiner Regel, aber auch nicht dem Zufall folgt, sondern die Bewegung der Besiedlung Manhattans nachzeichnet?
Niklas Maak, Leanne Shapton – Durch Manhattan, S. 6
Von Süd nach Nord durch Manhattan
So beschreibt Maak das gedankliche Konzept, das Durch Manhattan zugrunde liegt. Ein Stadtplan, der zur groben Orientierung dient, ist mit im Gepäck, und schon geht es los mit den ersten Metern Manhattan, die Maak und Shapton in nuce den rasanten Wandel zeigen, den New York und insbesondere Manhattan seit den ersten Einwanderern erfuhr, die hier an der Südspitze Manhattans ankamen, nachdem sie auf Ellis Island die Erlaubnis zum Aufenthalt im Land of the free erhielten.
Telefonzellen, die dort am Hafen in Zeiten von WhatsApp und Smartphones schon wieder reichlich anachronistisch wirken. Hausnummer, die auf den Türen der Häuser anstelle einer dauerhaften Montage nur geklebt werden und so einen Eindruck der Schnelllebigkeit geben. Schaukelnde Ampeln im Wind. Es sind kleine Beobachtungen, die Durch Manhattan ausmachen.
Aber auch bekannte Landmarken wie die Wall Street oder der Trump Tower werden von den beiden Flanierenden besucht. Während Maak über die Einsamkeit der Familienmitglieder Donald Trumps sinniert (der zum Zeitpunkt des Erscheinens gerade sein erstes Jahr der Präsidentschaft begann), lässt sich auch vor allem an der Wall Street die unglaubliche Schnelllebigkeit beobachten, wenn Maak noch einmal der Occupy Wall Street-Bewegung nachspürt, die heute schon wieder so ziemlich in Vergessenheit geraten ist.
Immer wieder gibt es neben den kleinen und größeren Beobachtungen auch biographische Skizzen, die Maak in den Spaziergang einflicht. Diese erzählen Einwandererschicksale oder bisweilen auch skurrile Begebenheiten, etwa die eines möglichen Seitensprungs, der durch Google Maps bezeugt wurde.
Ein vielstimmiges Portraits Manhattans
Wenn es ein Wort gibt, mit dem sich dem sich Stil und Inhalt von Durch Manhattan charakterisieren lassen, dann ist es das Wort Polyphon. Denn Maak und Shapton gelingt es, die ganze Vielstimmigkeit New Yorks in diesem Buch einzufangen. So finden alle Bevölkerungsschichten und Ethnien Widerhall in diesem Buch, neben den bekannten Sehenswürdigkeiten sind es auch Orte wie Hancock Place oder der Bryant Park, die die Popkultur Manhattans sonst eher ausspart.
Und auch thematisch offenbart Maaks und Shaptons Kollaboration eine unglaubliche Bandbreite, die von Überlegungen zum Reiz der Hamptons über die Bildwelten Edward Hoppers bis hin zur Beschreibung der Funktionsweise amerikanischer Fenster reicht. Hinter all dem scheint immer wieder die Herkunft Niklas Maaks als Gastprofessor für Architekturgeschichte und Architekturliebhaber durch, der mit seinem Wissen unangestrengt die ebenso eleganten wie präzisen Schilderungen von Gebäuden und deren Bewohner*innen grundiert.
Und auch in den von Leanne Shapton aquarellierten Bildwelten drückt sich diese Vielstimmigkeit aus. Ihre Skizzen und Sketches treten mit Maaks Schilderungen in einen Dialog und ergänzen und umspielen die meist zweispaltigen Textkörper. Sie zeigen Shaptons Blick für die Besonderheiten abseits des Offensichtlichen und bieten Bildwelten, die von konkret bis abstrakt reichen und denen stets eine Erklärung des Dargestellten beigegeben ist.
Fazit
So entstanden ist ein Buch, der dem Flanieren huldigt, ähnlich wie das auch Teju Cole in seinem ebenso empfehlenswerten Roman Open City tat. Niklas Maaks und Leanne Shaptons zweitägige Tour mündet in einem Buch, das die Widersprüche und unterschiedlichen Facetten Manhattans gelungen porträtiert. Das Buch verbindet ein Auge für Architektur und stilistische Varianz. Kleine biographische und künstlerische Skizzen ergeben ein Buch, das dem Geist Manhattans nachspürt und diesen Geist Anfang des Jahres 2017 auch tatsächlich treffend einfängt. Mit viel Beobachtungsgabe und dem Auge für die Details abseits des Weges wissen die beiden über das Große im Kleinen viel über diese Halbinsel zu erzählen, die ebenso Sehnsuchtsort wie Albtraum sein kann.
Dieser Dialog von Stadt und Kunst ist ein großartiges Geschenkbuch, von dem man freilich keine tiefschürfende Analyse zu den Zuständen der USA erwarten soll. Aber als will Durch Manhattan auch gar nicht. Vielmehr ist es eine gelungene Lehntstuhlreise, die eine*n mitnimmt in die Häuserschluchten dort und ein Gefühl für den Puls dieses Stadtteils vermittelt und in dem man sich immer wieder festlesen kann!
Wie sich die Fuggerstadt literarisch entdecken lässt.
Für ein bibliothekarisches Fortbildungsangebot durfte ich einen garantiert virenfreien da digitalen literarischen Spaziergang durch Augsburg konzipieren. Warum aber das Angebot nicht allen Interessierten zur Verfügung stellen? Deshalb hier ein paar Fundstellen zu Augsburg in der Literatur.
Willkommen zu meiner kleinen literarischen Stadtführung durch die Fugger-Puppenkisten-Brecht-Mozartstadt Augsburg, die höchstens ein kursorischer Einstieg in die vielfältige literarische Abbildung und Bespielung der Stadt bleiben muss. Man kann die verschiedenen Stationen des Spaziergangs gerne nachlaufen – oder sich einfach mit der Bereisung der Ort im Kopf begnügen. Alles ist möglich!
Mit Tanja Kinkel in der Annastraße
Wir beginnen unseren Spaziergang in der Annastraße vor einem großen Kaufhaus, das sich auf Outletartikel spezialisiert hat. Von seiner einstigen Bedeutung zeugt nur noch das Eingangsportal. Dieses wird nämlich von einem verschnörkelten Lilienwappen gekrönt, das sich im typischen Stil der Gotik präsentiert. Wohl kaum jemand der hier vorbeieilenden Passant*innen düfte dieser Tür einen zweiten Blick widmen – wobei es sich wirklich lohnt. Denn die Tür weist auf die früheren Besitzer des Hauses hin. Diese haben einen klingenden Namen, dem man an keinem Ort in Augsburg wirklich entkommt: die Familie Fugger.
Diese nutzte das Gebäude am früheren Kitzenmarkt als Verwaltungsgebäude, in dem sich die legendäre goldene Schreibstube befand, von der aus besonders Jakob Fugger den kontinuierlichen Ausbau seines Weltkonzerns betrieb. Den Aufstieg der Fugger und ihre Verbindung mit der Augsburger Stadtgesellschaft thematisiert Tanja Kinkel in einem der größten Historienbestseller in deutscher Spache. Die Rede ist von ihrem Millionenerfolg Die Puppenspieler.
Mit diesem Buch gelang Tanja Kinkel zu Beginn der 90er Jahre einer der ganz großen deutschen historischen Bestsellern. Umberto Eco hatte mit Der Name der Rose den Boden bereitet, Noah Gordon zog mit seinem Medicus nach, ehe Tanja Kinkel im Jahr 1993 bewies, dass Millionenseller mit historischen Stoffen auch in Deutschland möglich sind.
Mit Die Puppenspieler legte sie einen Roman vor, der zur Zeit der oberitalienischen Renaissance spielt und der zu Augsburg nicht nur aufgrund seines Titels hervorragend passt. Der Roman kreist um den Waisenjungen Richard, der im Haus von Jakob Fugger aufgenommen wird und dessen Konzern und dessen Aufstiegsstreben aus unmittelbarer Nähe erleben darf. So durchstreift er im Buch auch die Augsburger Gassen und erlebt das Tun und Treiben in diesem Haus mit, an das heute abgesehen vom Eingangsportal und einer Tafel kaum mehr etwas erinnert. Wer Die Puppenspieler liest, betritt die Annastraße und das angrenzende Mettlochgässchen danach mit anderen Augen.
Schade nur, dass das Buch im Moment nur noch antiquarisch erhältlich ist und nicht mehr aufgelegt wird. Beziehbar hingegen ist nach wie vor die E-Book-Ausgabe von Kinkels Bestseller.
Sophie von La Roche am Elias Holl-Platz
Apropos Verschwinden von großen Bestsellern aus weiblicher Feder:
Schreitet man die Annastraße ein paar Meter weiter, landet man gleich auf dem Rathausplatz. Es eröffnet sich der Blick auf den Perlachturm und das prächtige Rathaus mit seinem Goldenen Saal.
Passiert man das Rathaus an dessen rechter Seite, steigt man die Stufen zum nach dem Stadtbaumeister benannten Platz hinunter. Bevor man dies tut, sollte man die rechte Hauswand eines Blickes würdigen. Denn hier lässt sich ein Andenken an eine Augsburger Persönlichkeit entdecken, die schon wieder in Vergessenheit geraten ist. Eine leicht zu übersehende Gedenktafel an die Autorin Sophie von La Roche ziert die Hauswand dort, wo jene Frau lebte, die man heute als Erfinderin des „Frauenromans“ bezeichnen könnte.
1730 in Kaufbeuren geboren lebte Sophie von La Roche von 1743 bis 1750 mit ihrer Familie im Haus, das die Adresse Maximilianstraße Nummer 3 trägt.
„Sie war die wunderbarste Frau, und ich wüsste ihr keine andre zu vergleichen. Schlank und zart gebaut, eher groß als klein, hatte sie bis in ihre höheren Jahre eine gewisse Eleganz […] zu erhalten gewusst, die zwischen dem Benehmen einer Edeldame und einer würdigen bürgerlichen Frau gar anmutig schwebte.“
Johann Wolfgang von Goethe, Dichtung und Wahrheit
So urteilte Johann Wolfgang von Goethe mit einer gehörigen Portion Male Gaze über Sophe von La Roche, die ihm durchaus ebenbürtig war. Auch sie war der intellektuelle Mittelpunkt von Gesellschaften, stand mit anderen Künstler*innen in Austausch und schrieb mit Das Fräulein von Sternheim einen Briefroman, der das Pendant zu Goethes Werther bildet und der damals ein großer Bestsellererfolg war. Das änderte allerdings nichts an der Tatsache, dass das weibliche Schreiben auch hier wieder abgewertet wurde, indem das Buch nicht für sich alleine erschien, sondern von La Roches Freund Christoph Martin Wieland ein Geleitwort vorangestellt bekam, in dem er erläuterte, dass das Buch für ein Werk aus weiblicher Feder durchaus annehmbar sei.
Diese Abwertung des Schreibens von La Roche setzt sich leider bis heute fort, ist doch Goethes Briefroman Werther längst in den Kanon eingegangen, La Roches Fräulein von Sternheim hingegen kennt kaum jemand mehr.
Grund genug an das Wirken dieser Augsburger Autorin zu erinnern und für die vertiefende Lektüre Katharina Hermanns Dichterinnen und Denkerinnen noch einmal zu empfehlen.
Axel Gora und der Bau des Augsburger Rathauses
Wenn wir nun schon am Elias Holl-Platz stehen, ist es auch an der Zeit, an den Erbauer des Augsburger Rathauses und vieler weiterer stilprägender Bauten in Augsburg zu erinnern.
Dass das Rathaus diese imposante Form hat, die heute noch beeindruckt, vor allem wenn man die hochaufragende Fassade des Rathauses vom Holl-Platz aus betrachtet, ist gar keine Selbstverständlichkeit. Die städtischen Kunstsammlungen verfügen neben dem sogenannten Dreigiebel-Modell, das der heutigen Form des Rathauses weitgehend entspricht, über weitere Modelle, darunter das sogenannte Loggia-Modell, das – nach italienischem Vorbild entworfen – eher an die Bauten des Markusplatzes erinnert und das im Falle einer Realisierung einen Hauch Venedig nach Augsburg gebracht hätte.
Sind die Hintergründe dieser unterschiedlichen Rathausmodelle auch weitestgehend ungeklärt, so liefern sie doch weiten Raum für Spekulationen. Einen Raum, den der Augsburger Axel Gora mit seinem Roman Die Versuchung des Elias Holl betreten hat und der in diesem Roman eine mögliche These um die Modelle und den Wettkampf zweier Männer erzählt.
Bei ihm ist es der Augsburger Rat um die mächtigen Männer der Fugger, Welser und Co., der im Jahr 1614 Holl mit dem Entwurf zu einem Neubau des Rathauses beauftragt. Neben Holl vergeben sie den Auftrag allerdings auch an seinen Konkurrenten Matthias Kager, seines Zeichens Stadtmaler und Erschaffer der berühmten Fresken am Augsburger Weberhaus.
Aus diesem Wettkampf strickt Gora einen süffig zu lesenden historischen Roman über das Augsburg in der Renaissancezeit, in dem nicht nur die Männer, sondern auch bald Elias Holls Gefühle in Widerstreit geraten.
Den Elias Holl-Platz, (dessen Namenspate auch bereits in Romanen gewürdigt wurde, beispielsweise diesem) verlassen wir nun in Richtung Metzgplatz, auf dem wir uns rechts halten. Vorbei an Kleinkunstbühnen, Geschäften und der Barfüßerkirche führt uns der Spaziergang zu einer weiteren bekannten Institution in der Stadt, die jüngst mit viel Pomp und etwas Verspätung ihren 500. Geburtstag feierte. Die Rede ist von der Fuggerei, die der derzeit wohl fleißigste Schreiber der Region zum Thema machte.
Peter Dempf in der Fuggerei
Der Name des fleißen Schreibers ist Peter Dempf, der im Jahrestakt historische Romane, Kinderbücher, Krimis und mehr vorlegt. Eigentlich arbeitet er als Lehrer in der Augsburger Nachbarstadt Neusäss, findet aber dennoch die Zeit, jedes Jahr einen neuen Roman zu veröffentlichen. In diesen Büchern beschäftigt er sich mit der Augsburger Geschichte, erzählt von Sagen aus der Stadt oder thematisiert häufig auch mittelalterliche Geschichten rund um die Familie Fugger. Eines seiner letzten Bücher stammt aus dem Februar des vergangenen Jahres und trägt den Titel Das Haus der Fugger. Und es entführt eben dorthin: die Fuggerei, die einst Jakob Fugger stiftete, um sich die Chance aufs Himmelreich zu wahren.
Dort, wo das Wohnen bis heute nur nur 88 Cent im Jahr kostet (plus drei Gebete für Jakob Fugger), kommen im 16. Jahrhundert Eva und Joss mit ihrer Familie unter. Vor Ort geraten in ein Komplott, das sich hinter den ockergetünchten Mauern abspielt und das mit dem Gujak-Trank zusammenhängt, der dort eigentlich zur Heilung ausgeschenkt wird.
Hier zeigt sich, dass es vor allem die Geschichte Augsburgs ist, die Schriftststeller*innen Material liefert und inspiriert. Egal ob Tanja Kinkel, Wolfang Kammer oder Peter Dempf. Meist dominiert der Blick zurück – und auch bei den bekannten literarischen Größen der Stadt ist das nicht anders.
So vermaß der preisgekrönte Auto Georg Klein in Roman unserer Kindheit sein eigenes, stark fiktionalisiertes Aufwachsen im Augsburger Stadtteil Oberhausen, wofür er 2010 den Preis der Leipziger Buchmesse erhielt. Und auch Thomas von Steinäcker, der andere große literarische Name schweift mit seinem Blick durchaus gerne in die Vergangenheit.
Und auch beim nächsten Autor ist das nicht anders, wenngleich dieser kein Augsburger ist, sich aber mit einer der bekanntesten Marken der Stadt eingehend auseinandergesetzt hat. Hierfür verlassen wir die Gassen und Häuser der Fuggerei und schlagen uns über den Oberen Graben und den Verlauf der Stadtmauer etwa eineinhalb Kilometer in Richtung Süden der Stadt. Dort sehen wir auf ein Gebäude, dessen Name schon mannigfaltige Assoziationen wachrufen dürfte, die vom Urmel bis hin zu „Eine Insel mit zwei Bergen“ reichen.
Mit Thomas Hettche in die Puppenkiste
Populäre gehobene Literatur über Augsburg gab es schon länger nicht mehr zu lesen, geschweige denn auf der Bestsellerliste zu finden (es sei denn, man zählte Anne Jacobs‚ Tuchvilla-Saga zu diesem Kreis, was ich nicht tun würde). Thomas Hettche gelang vor zwei Jahren allerdings doch dieses Kunststück, künstlerischen Anspruch und ökomischen Erfolg zu vereinen.
Der in Treis geborene Schriftsteller wandte sich nach der Pfaueninsel in Berlin nun Oehmichens Puppentheater zu und erzählt in Herzfaden die Geschichte der Augsburger Puppenkiste.
Damit begnügt sich der der preisgekrönte Romancier allerdings nicht, sondern erzählt darüber hinaus auch „eine Mentalitätsgeschichte der Bundesrepublik“, wie es der Kritiker Christoph Schröder nannte. Im Kern geht es um die Lebensgeschichte von Hannelore, genannt Hatü Oehmichen, die zusammen mit ihrem Vater nach dem Krieg die legendäre Augsburger Puppenkiste gründete. Anfangs noch mehr als provisorisch gestaltet, wuchs sich das Unternehmen schnell zu einem Anziehungspunkt für Kinder und Erwachsene aus. Gastspiele und Fernsehproduktionen sollten folgen, darunter Produktionen um solch legendäre Figuren wie den kleinen Prinz oder Jim Knopf und Lukas den Lokomotivführer.
Um diese Geschichte herum baut Thomas Hettche die Erzählung eines Mädchens, das nach einer Vorführung auf den Speicher des Puppentheaters gerät und dort den Marionettenfiguren gegenübertritt, die dort oben auf dem Speicher zum Leben erwachen. Daneben erzählt er von Kriegswunden in der Stadtlandschaft und in den Köpfen der Menschen, vom Neubeginn und der unerschöpflichen Kraft der Fantasie.
Hettches Roman rief unisono Lob im Feuilleton und bei den Leser*innen hervor und schaffte es sogar in die Endauswahl des Deutschen Buchpreises 2021. Und auch wenn er schlussendlich nicht gewann – Augsburg hatte es endlich mal wieder auf die große Bühne der Literatur geschafft.
Was gäbe es noch alles zu sagen, über die Lyrikszene, über kulturelle Institutionen und Festivals, über Regionalkrimis oder andere historische Bücher. Doch jeder Spaziergang muss einmal zum Ende kommen, so auch dieser. Und womit könnte dieser Spaziergang besser enden als mit dem, der Lyrik und Prosa geschrieben hat, Stücke für Freunde und das Theater verfasst hat, der den literarischen Ruf der Stadt nachhaltig geprägt hat, der sich an ihr gerieben hat und die Stadt auch an ihm? Die Rede ist natürlich von Bertolt Brecht.
Bertolt Brecht besucht den Plärrer
Vieles ist über ihn geschrieben und geforscht worden (verwiesen sei an dieser Stelle nur auf die monumentale, aber sehr bereichernde und gut geschriebene Biographie von Stephen Parker). An manchen Orten im Stadtbild finden sich die roten Stelen mit Brechts Silhouette und ab und an finden im Brechthaus sogar Lesungen oder Veranstaltungen statt, wenngleich das Haus noch immer in einem Dornröschenschlaf daliegt.
Ob an der Kahnfart, im Bleichviertel oder an anderen Stellen in Lechhausen. Immer wieder lassen sich Spuren der Stadt in Brechts Wirken entdecken – und auch dem zweimal im Jahr stattfindenden Plärrer, einem Volksfest, das die Massen anzieht, hat sich Brecht gewidmet.
Wo sich am Fuße des Stadtbergs normalerweise eine große Ödnis in Form eines Pendlerparkplatzes darbietet, werden zweimal im Jahr große Festzelte und Buden aufgebaut, und zwar immer im Frühling und Winter. Autoscooter, Riesenrad oder Essensstände warten dann dort auf die Besucher und locken die Massen an. Dass das zu Brechts Zeiten nicht anders war, das zeigt sein Plärrerlied, mit dem er das Volksfest in ein Gedicht gebannt hat, das am Ende dieses Spaziergangs stehen soll.
Die vorgestellten Bücher:
Tanja Kinkel – Die Puppenspieler
ISBN 978-3-96655-618-7 (E Book)
719 Seiten. Preis: 6,99 €
Sophie von La Roche – Geschichte des Fräuleins von Sternheim
ISBN 978-3-15-007934-8 (Reclam)
400 Seiten. Preis: 9,80 €
Axel Gora – Die Versuchung des Elias Holl
ISBN 978-3-8392-1276-9 (Gmeiner)
422 Seiten. Preis: 14,00 €
Peter Dempf – Das Haus der Fugger
ISBN 978-3-404-18312-8 (Bastei Lübbe)
495 Seiten. Preis: 11,00 €
Georg Klein – Roman unserer Kindheit
ISBN 978-3-499-24487-2 (Rowohlt)
448 Seiten. Preis: 9,99 €
Thomas Hettche – Herzfaden
ISBN 978-3-462-05256-5 (Kiepenheuer – Witsch)
288 Seiten. Preis: 24,00 €
Stephen Parker – Brecht
ISBN 978-3-518-42812-2 (Suhrkamp)
1030 Seiten. Preis: 58,00 €
Zur Bestellung empfehle ich nachdrücklich den lokalen Buchhandel oder digitale Alternativen, bevor man es in seelenlosen Ketten oder gar Jeff Bezos selbst unterstützt. Überall dort bekommt man Bücher genauso schnell, das Geld bleibt vor Ort und sichert die literarische Versorgung.
Die Bilder, die im Text Anwendung gefunden haben, stammen von Pixabay.de und Unsplash.de. Das Bild des Augsburger Rathauses stammt von to.wi