Spukt Dracula noch immer in Rumänien herum? Diesen Verdacht könnte man hegen, wenn man Dana Grigorceas neuen Roman Die nicht sterben liest. Sie erzählt von einer in ihre Heimat zurückkehrenden Malerin, dem Mythos von Vlad dem Pfähler und dem modernen Rumänien.
Als Orientierung für diejenigen unter Ihnen, die von der Sache nichts mitbekommen haben, muss ich anführen, dass B. eine kleine Ortschaft in der Walachei ist, südlich von Transsilvanien gelegen, am Fuß der der Karpaten. Die Bukarester und die Kronstädter, die hier Ferienhäuser besaßen, bezeichneten die Ortschaft schlicht als Dorf, die Einheimischen allerdings sprachen trotzig von einer Stadt, weil am Fluss früher eine große Weberei stand, in der viele Bauern zu Arbeitern umfunktioniert wurden; für die Meinen war B., ganz versöhnlich, ein wundervoller Kurort. Dieser Ort also – darüber ist man sich einig -wurde bis zu den Ereignissen, über die hier zu berichten sein wird, weder mit Dracula noch mit anderen Vampirgeschichten in Verbindung gebracht.
Dana Grigorcea – Die nicht sterben, S. 9 f.
In diesen Ort B. kehrt die namenlose Protagonistin also zurück. In Frankreich verdingt sie sich als Malerin und findet bei ihrer Großtante Margot, genannt Mamargot, Aufnahme. Schon bald erschüttert eine unerhörte Begebenheit das Dorf. In einer Gruft findet die Protagonistin eine teilweise schon verweste Leiche. Es handelt sich um einen früheren Dorfbewohner von B.. Ein entscheidendes Detail an dem Fund erregt dann aber Aufmerksamkeit weit über das Dorf hinaus. Bei dem Grab, auf dem der Tote gefunden wurde, handelt es sich der Legende nach um das Grab von Vlad, dem Pfähler, alias Dracula. Spukt der Vampir immer noch durch die Landschaft Rumäniens? Und hat er sich in B. ein Opfer gesucht?
Ein unsterblicher Mythos
Der Mythos von Dracula ist im wahrsten Sinne nicht totzukriegen. Das muss auch die Protagonistin in Dana Grigorceas Buch feststellen. Der findige Bürgermeister kreiert nach dem Fund des Toten in B. schnell einen Dracula-Tourismus. Auch in der Familie der Protagonistin ist der Blutsauger-Mythos noch sehr gegenwärtig. Dieser speist er sich aber eher aus der Erfahrung des Lebens unter der Knute von Ceaușescu. Der Diktator, der Rumänien systematisch ausblutete und hartherzig regierte, trug im Volk auch den Beinamen „Dracula“.
Die Nachwehen dieser Erfahrung zeigen sich in Die nicht sterben vielfach. So regiert die Politik noch immer nach Gutdünken und auch die Natur wird ausgebeutet, so ist etwa die Abholzung der letzten Urwälder in Rumänien ein Thema, das Dana Grigorcea indirekt beleuchtet.
Wohin soll die Reise gehen?
All das sind vielversprechende Ansätze, über die das Buch leider zu keinem Zeitpunkt hinwegkommt. Mir drängte sich leider der Eindruck auf, als wüsste Dana Grigorcea nicht, was sie in ihrem Buch eigentlich erzählen wollte. Eine essayistische Betrachtung über das Fortwirken des Dracula- und Ceaușescu-Mythos im Rumänien der Gegenwart? Eine moderner Schauerroman? Eine Satire? Ein Krimi aus der rumänischen Provinz? Eine Update von Bram Stokers Vampirklassiker?
Ein moderner Blick auf den von Erzählungen und Legenden geprägte Leben in den Karpaten? Eine Betrachtung über die Auswirkungen des Kommunismus in der heutigen Zeit? Irgendwie steckt all das in Die nicht sterben, zu Ende geführt wird leider nichts. Auch gelingt es Dana Grigorcea nicht, einen wirklichen Lesefluss zu erzeugen. Bis die Geschichte etwas Fahrt aufnimmt, vergeht viel zu viel Zeit.
Stattdessen zoomt Grigorcea auf einzelne erzählerische Bilder, schweift in der Erzählung ab, hinterfragt mehrmals die Chronologie der Ereignisse und die Zuverlässigkeit des eigenen Erzählens. Was durchaus ein spannendes Erzählungsunterfangen hätte werden können gerät hier leider zu einem konfusen und wenig überzeugenden Themenallerlei, das keinen überzeugenden literarischen Ton findet und wild hin- und hermäandert. Schade drum!
Ich rate statt dieser Dracula-Annäherung weiterhin entschieden zu Bram Stokers epochemachenden Klassiker.
- Dana Grigorcea – Die nicht sterben
- 978-3-328-60153-1 (Penguin)
- 272 Seiten. Preis: 22,00 €