Winnie M Li – Komplizin

Das richtige Buch zur richtigen Zeit. Mitten hinein in die Rammstein-Debatte und ihre ganze diskursiven Entgleisungen erscheint nun Winnie M Lis Roman Komplizin, der sich um Machtmissbrauch im Filmbusiness dreht, der aber darüber hinaus auch universell gültige Strukturen aufdeckt und benennt. Lektüre, die man gerne einigen Lautsprechern in der aktuellen Debatte an die Hand geben möchte.


Die Causa Brüderle, der MeToo-Skandal nebst der hiesigen Diskussion auch hierzulande oder ganz aktuell die Debatte um Rammstein-Sänger Till Lindemann und der ihm vorgeworfene Missbrauch junger Frauen. Es sind immer die gleichen Mechanismen, die sich in den Diskussionen beobachten lassen. Schnell nach dem Bekanntwerden der Beschuldigungen folgt eine Relativierung der Vorwürfe meist durch Männer mit folgendem Grundtenor. Alles nicht so schlimm, die Frauen sollten sich nicht so haben, da würde etwas hochgejazzt, was eigentlich doch normal sei und eben den Spielregeln im jeweiligen Business folge. Die Frauen hätten wissen müssen, worauf sie sich einlassen, und so weiter, und so fort.

Ebenso ermüdend wie das Verharren in den gleichen Argumentationsmustern ist auch die Trägheit der Öffentlichkeit, die nach anfänglicher Sensationslust schnell das Interesse verliert – und vor allem die Unsichtbarmachung der Opfer. Die Täter sind prominent, von Till Lindemann bis Dieter Wedel – die Stimmen der Opfer aber haben kein großes Gewicht und fallen schnell hinten über. Auch in Winnie M Lis Roman ist das der Fall.

Eine Interviewanfrage mit Sprengkraft

Winnie M Li - Komplizin (Cover)

Hier ist es die Sarah Lai, die sich in ihrem Job als Hochschuldozentin durchschlägt. In ihrem Seminar bespricht sie mit Studierenden deren Drehbücher und versucht ihnen etwas filmtheoretisches Wissen zu vermitteln. Doch den Film kennt sie nicht nur aus der Theorie. Früher war sie einmal Produzentin und arbeitete mit dem britischen Multimilliardäre Hugo North zusammen. Sogar bis zu den Golden Globes hat sie es geschafft. Doch nun, im Jahr 2017, ist der frühere Ruhm einer kargen Monotonie gewichen. Nur noch ein paar dürre Zeilen in der Internet-Filmdatenbank IMDB zeugen von Sarahs früherem Erfolg.

Doch nun werden Anschuldigungen gegen Hugo North publik und so erhält auch Sarah von einem Starreporter der New York Times namens Thom Gallagher eine Interviewanfrage. Nach anfänglichem Zögern überwindet Sarah ihre Vorbehalte und beginnt dem Reporter ihre Lebensgeschichte zu erzählen, die viel Sprengkraft bereithält. Die Geschichte, die sich in den Interviews zeigt, wird zu einer #MeToo-Geschichte, wie sie sie jüngst auch Maria Schrader in der filmischen Adaption des Sachbuchs She said der Journalistinnen Jodi Kantor und Megan Twohey zeigte, die 2017 den Weinstein-Skandal enthüllten.

Manche Dinge lassen sich nicht aus der Welt schaffen, auch wenn wir sie noch so sehr hinter Geschenktaschen, Presseerklärungen und Fotos mit lächelnden Gesichtern zu verbergen suchen. Die Wahrheit lebt weiter, auch wenn wir manchmal sehr genau hinsehen müssen, um sie zu entdecken: in zensierten Kommentaren, auf unveröffentlichten Fotos, im irritierenden Schweigen, das auf hinter verschlossenen Türen abgehaltene Meetings folgt. In E-Mails, auf die wir nie eine Antwort bekommen haben.

Heute sehen wir alles

Winnie M Li – Komplizin, S. 7 f.

Rückblenden auf eine ehrgeizige Karriere

Drei große Gespräche sind es, zu denen sich Gallagher und Sarah Lai treffen und die zurückführen bis ins Jahr 2006, als Sarah ihre Karriere im Filmbusiness begann. Zwischen die einzelnen Passagen fügt Winnie M Li Interviewabschriften, die Gallagher für seine Reportage mit anderen Beteiligten führte. Allmählich zeigt sich so das Bild eines Hollywood, in dem Frauen nur Objekte zweiter Klasse sind.

Dabei beginnt alles eigentlich mit toughen Frauen, die es den männlichen Konkurrenten zeigen wollen. Obwohl sich ihre Eltern für Sarah eine solide Karriere, gerne auch im familieneigenen Chinarestaurant in New York vorstellen, will sich Sarah nicht mit dieser festgefügten Ordnung begnügen. Sie will in die Filmwelt eintauchen und wird nach einem unbezahlten Praktikum zur rechten Hand der Filmproduzentin Sylvia Zimmerman. Arbeit gibt es viel, Anerkennung nur wenig und Geld noch weniger. Zusammen feiern sie aber mit einem Independent-Film einen ersten Erfolg, der zum Türöffner für weitere Arbeiten wird.

Die Selbstausbeutung in der Firma scheint dem Ende nah, als der britische Multimilliardär Hugo North an Bord kommt und die Arbeit mit seinem Geld maßgeblich unterstützt. Er krempelt den Laden der beiden Frauen gehörig um und sorgt dafür, dass die zweite Produktion dann ins Herz der Filmindustrie verlagert wird – nach Hollywood. Doch die Dreharbeiten sind für Sarah mehr als anstrengend. Nachdem sie in der Anfangszeit schon maßgeblich am Skript und der Steuerung der Finanzen mitgearbeitet hat, muss sie jetzt ihre Chefin vertreten und steigt zum Associate Producer auf. Doch nicht nur die Dreharbeiten fordern Sarah heraus. Auch Hugo wird immer launischer und macht Sarah das Leben zur Tortur, bis dann eine private Party im Chateau Marmont einen verheerenden Ausgang nimmt.

Komplizin eines verhängnisvollen Systems

In vielen Rückblenden nimmt uns Winnie M Li mit in Sarahs Leben und zeigt eine junge Frau, deren Arbeitsethos und Ehrgeiz sie weit – aber auch in Gefahr gebracht haben. Sie erzählt vom Arbeitsalltag an einem Filmset, der aufreibenden Arbeit zwischen Stars, Drehplan, Geldgebern und Öffentlichkeitsarbeit und von gefährlichen Abhängigkeiten. Sie beleuchtet in Komplizin den Machtmissbrauch, der aufgrund vielschichtiger Abhängigkeiten an einem solchen Set besteht und der Missbrauch, wie ihn auch Harvey Weinstein dutzendfach betrieb, Vorschub leistet.

Doch für eine platte Opfererzählung ist Winnie M Li zu klug. Sie erzählt, wie sich auch Sarah selbst mitschuldig macht und selber die Kultur des Wegschauens und Verdrängens pflegt, um den Film nicht in Gefahr zu bringen. Wie man sich durch Schweigen zur Komplizin dieses verhängnisvollen Systems macht, das einem seine Dienste im seltensten Fall ehrt, das zeigt Li sehr deutlich.

Damit knüpft Komplizin auch an die heutigen Debatten an, die ja meist eine ähnliche Ausgangslage wie der hier fiktiv geschilderte und an Harvey Weinstein erinnernde Fall aufweisen. Das Machtgefälle zwischen junger Frau und arriviertem Künstler (oder Geldgeber), ein System, das am Laufen gehalten werden muss, um für alle Beteiligten erträglich zu sein – und die unbarmherzige Ausgrenzung aller, die bei diesen Spielregeln nicht mehr mitmachen möchten. Das arbeitet die Aktivistin und Autorin in diesem Buch deutlich heraus.

Ob dieser analytischen Schärfe und dem detaillierten Blick ins Betriebssystem Hollywood verzeiht man da die ein oder andere erzählerische Zeitlupe und Übergenauigkeit, die die Rückblenden kennzeichnet, gerne. Ein Buch, das auch über den #MeToo-Skandal oder die Causa Lindemann leider weiter Aktualität und Relevanz besitzen wird. Das macht es zu einer empfehlenswerten und augenöffnenden Lektüre, selbst wenn man mit Hollywood und dem Produzentengeschäft nicht viel anfangen kann.


  • Winnie M Li – Komplizin
  • Aus dem amerikanischen Englisch von Stefan Lux
  • Herausgegeben von Thomas Wörtche
  • ISBN 978-3-518-47326-9 (Suhrkamp)
  • 475 Seiten. Preis: 18,00 €
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