Adriano Sack – Noto

Sizilien als Sehnsuchts- und Trauerort. Adriano Sack erkundet in seinem Roman Noto die Landschaften der italienischen Insel und zugleich die Seelenlandschaften seines Helden, der einen Todesfall verwinden muss. Es entsteht so ein durchaus stimmiger Roman, dem man die oftmals exaltierten und prätentiösen Figuren am Ende gerne nachsieht.


Italien, altes Sehnsuchtsland. Seit jeher zieht es die Menschen in das Land, in dem die Zitronen blühen und in dem la dolce vita alle anderen Aspekte von organisierter Gewalt bis hin zum politischen Rechtsruck locker in den Schatten stellt. Adriano Sack fügt dieser Facette an Italiensehnsucht einen weiteren Roman hinzu und erzählt zugleich von zwei Figuren, die dieser Italiensehnsucht ebenfalls erlegen sind. Sie haben sich Sizilien als Hort ihrer Träume auserkoren.

Doch mit dem Traum von Italien ist es nicht weit her. Denn Adriano, der sich zusammen mit seinem Mann, dem Ich-Erzähler Konrad, ein Haus dort im Süden des Landes gekauft hat, ist verstorben. Und so bricht der Konrad trauerüberwältigt von seiner Wohnung nahe des Tiber in Rom nach Noto auf, um noch einmal zu jenem Haus zurückzukehren, das für seinen Mann und ihn Fluchtpunkt, Zuhause und Verwirklichung all ihrer Sehnsüchte war. Mit im Gepäck hat er einen Teil der Asche seines verstorbenen Partners, irgendwo auf der italienischen Insel will er diese noch verstreuen, um so Abschied zu nehmen.

Trauer in Sizilien

Während er zurückreist, mit der Autofähre nach Palermo übersetzt und sich auch mit dem Gedanken trägt, das gemeinsame Zuhause zu veräußern, drängen immer wieder die Gedanken an das Leben mit Adriano in seine momentane Trauer. Patenkinder, Bekannte und andere Expats, die dem Traum von Sizilien ebenfalls erlegen sind, besuchen Adriano und langsam entfaltet sich ein Bild des Lebens dort auf jener Insel, die an guten Tagen wie dem berühmten Roman Giuseppe Tomasi di Lampedusas nachempfunden zu sein scheint, wie Konrad einmal bemerkt. Ebenso wird auch die tiefe Liebe zwischen den beiden Männern offenbar, die in ihrer Gegensätzlichkeit zueinander gefunden haben.

So gelingt dem Journalisten und Autor Adriano Sack ein Doppelporträt einer großen, queeren Liebe, und einer Hommage an Sizilien, das bei aller Faszination auch seine Schattenseiten hat. Waldbrände und Müllverbrennung im eigenen Garten, Korruption und Einfluss der Mafia sind nur einige Faktoren, die das Leben dort am Fuße des Ätna trüben.

Zu den Verdiensten von Noto zählt, dass der Roman all das in den Blick nimmt und so ein vielschichtiges Bild der Italiensehnsucht und den Kosten dieser Sehnsucht zeichnet. Auch den Prozess der Trauer und die Verarbeitung des Todes seiner großen Liebe Adriano zeigt Adriano Sack nachvollziehbar und glaubwürdig, indem er auch immer wieder einzelne Erinnerungen oder gegenläufige Stimmen des verstorbenen Partners einflicht und sich Konrad in seinen Erinnerungen verlieren lässt.

Katikatureske Figuren und Gwyneth Paltrow im Bärenkostüm

Diese Stärken wiegen die manchmal schon karikatureske Zeichnung vieler Figuren auf, die von skurrilen Auftritten wie Gwyneth Paltrow im Bärenkostüm am Ätna bis zur queeren CDU-Politikerin Annabelle von Gumppenberg reichen, auf deren reichlich dekadenter Hochzeit nicht nur Pasta mit wildem Fenchel und gehobelter Seeschnecke gereicht werden, sondern sogar ein Double von Mick Jagger auftreten darf.

Der belgische Starkoch hat es sich scheinbar einfach gemacht. Laut dem dem handgeschriebenen Hochzeitsmenü, das an jedem Platz liegt, gibt es Crudo di frutti di mare, als rohe Meeresfrüchte. Diese hier sind allderdings so frisch, dass Donatella dramatisch die Hand vor den Mund hält und ruft: „Oh my god. This is pure sex. I want to eat the chef! Grab him, wash him an bring him in my tent!“

Adriano Sack – Noto, S. 310 f.

Derartig überspannte Ausbrüche, Exaltierheit und prätentiöse Figuren und Gehabe gibt es in Noto reichlich. Sie alle werden aber auch immer wieder gebrochen und treffen auf durchaus amüsante Karikaturen wie etwa den an sich berauschten Großfeuilletonisten, der in seiner Hochzeitsrede während der schon erwähnten sizilianischen Vermählung seine eigene Belesenheit und Weltgewandtheit trefflich ausstellt, dafür aber den Anlass seiner Rede ebenso wie den Namen der Braut völlig aus dem Blick verliert.

Fazit

Komik und Tragik, Präzision und Überschwang, Sehnsucht und Flucht liegen in diesem Roman eng beieinander. Dem Journalisten Adriano Sack gelingt das Bild einer großen queeren Liebe und eine Hommage an das vielschichtige Sizilien. Und diesem Bild verzeiht man da die eine oder andere Karikatur auch gerne, besonders, da der Roman von Lizzo über Beyoncé bis zu den Pure Shores zudem einen exzellenten Soundtrack wachruft.


  • Adriano Sack – Noto
  • ISBN 978-3-312-01314-2 (Nagel & Kimche)
  • 336 Seiten. Preis: 24,00 €
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