Brian Selfon – Nachtarbeiter

Goya? Diesen Namen kannte man bislang wohl nur von Hörbüchern, die unter dem Dach der JUMBO Neue Medien & Verlag GmbH erschienen. Doch nun hat man sich zur Expansion entschlossen und betritt nun im Frühling 2022 erstmals den Markt des gedruckten Wortes. Einer der ersten Titel aus dem Verlag ist der Titel Nachtarbeiter von Brian Selfon. Darin widmet er sich den dunklen Seiten Brooklyns und erzählt vom florierenden Geldwäscheunternehmen von Shecky Keenan, das plötzlich unter erheblichen Druck gerät.


Henry, Kerasha, Shecky. Sie sind die Nachtarbeiter. Shecky Keenan hat ein ausgeklügeltes System aus Boten, Konten und falschen Spuren geschaffen, mithilfe dessen er Schwarzgeld wäscht. Im Brooklyn zwischen Kunstgalerien, Bars, Armut und Szenekneipen hat er sich damit seine eigene berufliche Lücke geschaffen. Seine Ziehkinder Henry und Kerasha unterstützen Shecky bei seinem Tun und Treiben.

Henry hat ein Problem, seine Gewalttätigkeit zu kontrollieren. Kerasha ist heroinabhängig beziehungsweise gerade auf Entzug. Höchst widerwillig befindet sie sich in Therapie, um die Traumata ihrer Vergangenheit und Herkunft aufzuarbeiten. Und dann ist da noch Emil, ein aufstrebender Künstler, den Henry auf einer Vernissage kennenlernt und der etwas in Henry anrührt. Er will ihn als Boten in das Geldwäschesystem seines Ziehonkels einführen – doch schon nach kurzer Zeit ist Emil tot.

Nachtarbeiter unter Druck

Brian Selfon - Nachtarbeiter (Cover)

Von dieser Tat ausgehend beginnt Brian Selfon seinen Roman, der immer wieder in Zeitsprüngen vor oder zurück von den Hintergründen zum Tod Emils erzählt. Die Nachtarbeit von Shecky steht eh schon unter keinem guten Stern, da immer wieder Konten gesperrt sind und stets das gleiche Auto vor seinem Haus parkt. Es scheint, als hätte jemand das florierende System ins Visier genommen – und jetzt ist auch noch ein Bote tot. Da stellt sich die Frage, wer Shecky ans Leder möchte.

Brian Selfon hat einen Roman geschrieben, der sich auch aus dessen eigener beruflicher Vergangenheit speist. So ist er selbst in der Strafjustiz tätig und war als Ermittlungsanalytiker für das Büro des Bezirksstaatsanwalts in Brooklyn tätig. Dass er sich mit den dunklen Seiten des New Yorker Stadtteils auskennt, das zeigt Nachtarbeiter eindrücklich. Denn ihm gelingt ein Krimi Noir, der sowohl durch sein vielschichtiges Bild der Halbwelt als auch durch den Blick auf seine Figuren überzeugen kann.

Sprünge in der Zeit und der Perspektive

Immer wieder wechselt Selfon die Perspektive, erzählt aus Sicht von Shecky, Kerasha oder Henry, zeichnet ihre Abhängigkeiten und Abgründe nach. Er springt zeitlich hin- und her, zeigt die Verstrickungen der Figuren in ihre eigene Vergangenheit und schildert das alles in einer derben, direkten und schnörkellosen Sprache (Übersetzung durch Sabine Längsfeld).

Man muss genau am Ball bleiben, um die Hintergründe zum Mord an Emil und die mannigfaltigen Probleme der Nachtarbeiter*innen geordnet zu bekommen. Denn neben den drei flirrenden und ambivalenten Figuren gibt es auch noch eine Ermittlerin namens Zera Montenegro, die noch einmal ganz eigene Verbindungen zu dem Fall hat und die langsam in die Handlung eingebunden wird.

Fazit

Wer klassisch erzählte Krimis mit übersichtlichem Personaltableau, klarem Fall und Motiv sowie eine wohlstrukturierte Tätersuche schätzt, der sollte die Finger von Nachtarbeiter lassen. Vielmehr ist das Buch die komplexe Schilderung einer schwierigen Familie, in der das Misstrauen mindestens ebenso groß ist wie der Zusammenhalt. Das Buch ist in manchen Passagen geradezu ein Wimmelbild des nächtlichen Brooklyns, erzählt von halbseidenen Gestalten, Psychotherapiesitzungen und problembeladenen Hauptfiguren. Das ist manchmal unübersichtlich, dann wieder mitreißend und erinnert in seinen besten Momenten an die Erzählungen von Peter Temple oder James Ellroy.

Es ist ein spannender Debütant, den uns Goya hier im ersten Belletristikprogramm präsentiert. Neben dem Noir von Brian Selfon gibt es ansonsten hier noch Erzählungen aus Kanada, Irland oder der deutschen Provinz zu entdecken. Man darf gespannt sein, was hier noch so alles zu erwarten ist!


  • Brian Selfon – Nachtarbeiter
  • Aus dem amerikanischen Englisch von Sabine Längsfeld
  • ISBN 978-3-8337-4425-9 (Goya)
  • 368 Seiten. Preis: 22,00 €

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sören
2 Jahre zuvor

Fand ich auch größtenteils sehr stark. Die Zeitsprünge sind hart an der Grenze zwischen erzählerisch sinnvoll & Gymmick, aber es passt grad noch. Was mich etwas gestört hat: Wenn gesellschaftliche Themen außerhalb des Noir-/Krimithemas angeschnitten werden, dann aber nicht verfolgt. Besonders zB als Shecky relativ zu Beginn über seine Familie nachdenkt: “Zwei Vollwaisen, Cousin und Cousine, und obwohl alle gemischter Abstammung sind, gelten Henry und Shecky als weiß und Kerasha als schwarz.” Da das so prominent erklärt wird, hätte ich schon erwartet, dass die Folgen dessen noch häufiger thematisiert werden. Also Fragen des „passing“ (vgl. etwa die Romane von Nella… Weiterlesen »