C. E. Morgan – Der Sport der Könige

Zucht und (Familien)Ordnung

Es gibt Bücher, die machen es dem Leser (respektive mir) nicht leicht. Man muss sich durch so manche Seiten kämpfen, bleibt immer wieder hängen. Das Ende des Buchs scheint in weiter Ferne – lohnt sich da das Durchhalten? Oder sollte man nicht lieber abbrechen und die Zeit besser investieren?

In vielen Fällen würde ich energisch für Letzteres werben, im Falle von Der Sport der Könige bin ich ich froh, dies nicht getan zu haben. Warum?

Viele Leser*innen werden schon die äußeren Werte des Buchs abschrecken. Über 960 Seiten umfasst das von Thomas Gunkel übersetzte Werk. Und dann ist das Thema noch dazu auf den ersten Blick eines, das jetzt auch keine Jubelstürme auslösen dürfte. Pferdezucht im Süden der USA, und das über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten hinweg. Das dürfte so einige Leser*innen zurückschrecken lassen.

Und tatsächlich gab es auch bei mir immer wieder Phasen, in denen ich das Buch zuklappen und beiseite legen wollte. Denn Morgans Roman bietet dazu reichlich Gelegenheit. Oftmals fehlt gerade im zweiten und dritten Fünftel des Romans die Spannkraft und der Fokus. Immer wieder wechselt die Autorin Erzählperspektive und Figuren (und das teilweise auch ohne wirkliche Not). Springt in der Zeit hin und her, ist mal bei den Siedlern und Sklaven, die das Land von Kentucky prägten. Dann nimmt sie von einem Absatz auf den anderen neue Figuren in den Fokus, erzählt mal im Präteritum, dann wieder im Präsens. Logisch ist das nicht immer und hätte deutliche Straffungen durch ein Lektorat verdient. Doch das Ganze belohnt auch, schließlich ist die Geschichte hinter Der Sport der Könige eine durchaus spannende. Aber worum geht es überhaupt in diesem sehr amerikanischen Roman und was kennzeichnet das Buch?

Eine Familiengeschichte aus Kentucky

Die Folie des Opus Magnum bietet die Familiengeschichte der Forges. Einst gelangte ein Vorfahr von Henry Forge mit einem Sklaven nach Kentucky, wo er sich niederließ und den Grundstein für die erfolgreiche Dynastie legte. Generation folgte auf Generation und machte sich das fruchtbare Land untertan. Erst Henry Forge schert aus der agrikulturellen Erblinie der Familie aus. Er hegt schon als Kind den Traum, Pferde zu züchten. Und für diesen Traum kämpft er und infiziert mit seinen Visionen auch seine Tochter. Zusammen versuchen sie, ein Rennpferd zu züchten, das die Konkurrenz bei Rennen weit hinter sich lässt.

Doch Konkurrenz und Rivalität gibt es nicht nur zwischen den Pferden und zwischen den jeweiligen Ställen. Auch die Familiengeschichte der Forges ist vermintes Terrain. Immer wieder prallen die Lebenswelten von Henry und seiner Tochter Henrietta aufeinander. Die Widersprüche zwischen altem (zutiefst rassistischen) Denken in der Tradition des Südens und einer weiblichen, von Fortschritt geprägten Sicht auf das Leben bilden eine explosive Gemengelage.

Den zündenden Funken an der Lunte jenes Forge’schen Pulverfasses bildet der Pferdepfleger Allmon. Er kommt zur Farm, nachdem er zuvor jahrelang im Gefängnis gesessen hatte (wofür, das erklärt C. E. Morgan wohldosiert im Laufe des Buchs). Er übernimmt durchaus talentiert die Aufzucht und Betreuung der Pferde in den Ställen von Henry und Henrietta. Doch bei einem normalen Dienstherr-Angestellten-Verhältnis bleibt es nicht.

Henrys Tochter fühlt sich stark zu dem schwarzen Ex-Häftling hingezogen, was auch bei Henry nicht unbemerkt bleibt. Für ihn als einen Rassisten reinsten Wassers ist dies natürlich ein einziger Affront, den er mit allen Mitteln verhindern will. Doch die drei Parteien verstricken sich durch ihr Begehren, ihr Taktieren und ihre Intrigen in ein Netz, dass sie unauflöslich umspinnt.

Das Menschliche im Tier, das Tierische im Menschen

Das Spannende an Morgans Roman ist, dass sie die Grenzen zwischen Mensch und Tier verschwimmen lässt. So sind für sie die Pferderennen und die damit einhergehende zirkusähnlichen Events nur Stellvertreterkriege. Die wahren Rivalitäten spielen sich zwischen den Pferdezüchtern, Rennstallbesitzern und Jockeys ab. Sie bringen die echten Rivalitäten ans Tageslicht und enthüllen das animalische Erbe, das sich in den Konkurrenzkämpfen Bahn bricht. Besonders eindringlich sind dementsprechend auch die Szenen mit den großen Schauwerten geraten. Die Beschreibungen der Pferderennen rufen Erinnerungen an andere große Pferderennklassiker wach, allen voran Ben Hur oder die Krimis von Dick Francis.

Aber auch in anderen Szenen gelingt es C. E. Morgan hervorragend, sowohl höchst mitreißend, als auch metaphernsatt zu erzählen. So schildert sie höchst anschaulich den Alltag von Pferdezüchtern, unter anderem eben auch die Besamung einer Pferdestute. Von der Mechanik dieser Szene weiß sie dann geschickt auf die menschliche Sexualität überzuleiten – auch hier kommt sie wieder vom Tierischen zum Menschlichen. Dass sich beides kaum unterscheidet, das wird in der Der Sport der Könige immer wieder klar.

Die Anziehung und Hassliebe zwischen Henrietta und Allmon, die sich immer wieder explosiv Bahn bricht, wird von ihr nuanciert gezeichnet. Aber auch hier ist Henry ein unausweichlicher Teil, dem die Affäre zwischen seiner Tochter und dem Ex-Häflting nicht verborgen bleibt. Soll er dieses Begehren seines einfach akzeptieren, oder muss er versuchen, die Bande auch im Sinne seines dem Rassismus verhafteten Denkens zu kappen?

Diesen erfolgreichen Tiertrainer in die Wüste schicken und seine Tochter dabei vielleicht verliere – oder dem potentiellen Erfolg mit seinem Pferd alles unterordnen? Es ist auch diese Schwanken zwischen Kalkül und Gefühl, aus dem Morgans Buch seinen Reiz zieht. Die Amerikanerin lässt die Leser*innen selbst abwägen und vermeidet dadurch den Fehler, alles selbst allzu genau zu bewerten und damit dem Buch die moralische Spannung zu entziehen.

Großer Stilwillen – mit Problemen

Wie ich eingangs schon schrieb, machte es mir dieses Buch alles andere als leicht. Lässt man das Thema und die amerikanische Zentrierung auf die Familie als Kernzelle des Romans beiseite bleibt immer noch die Frage: wie ist der Stoff erzählt?

Hier zeigt sich der große Formwillen von C. E. Morgan, die mit dem Buch fast an der magischen 1000-Seiten-Grenze kratzt. Dies ist erlaubt, da das Buch von der erzählten Zeit her eine riesige Spanne umfasst. Mehrere Generationen werden in Der Sport der Könige betrachtet und sogar bis zurück in die Sklavenzeit springt die Autorin. Jene für Amerika identitätsstiftende Periode ruft sie mit immer wieder zwischengeschalteten Binnenepisoden wach. Diese schildern anschaulich das Schicksal von Sklaven. Das ist gut gedacht und gemacht, da ja der Rassismus DAS große Subthema des Buchs ist und dementsprechend einer umspannenden Betrachtung mit historischem Blick bedarf.

Nun schrieb ich oben, dass die 960 Seiten auf alle Fälle erlaubt sind. Doch die andere Frage lautet, ob diese Fülle an Seiten wirklich alle notwendig ist – versteht die Autorin alle 960 Seiten konzise mit Inhalt zu füllen und sind diese für die Handlung alle unerlässlich? Da sieht die Sache in meinen Augen schon wieder ganz anders aus.

Oftmals hängen die Erzählbögen nämlich ordentlich durch, lassen Dynamik und Esprit vermissen. Dies sorgte bei mir dann für jenes Durchhänger-Gefühl, das mich nach dem Start bis zur Mitte des Buches hin (immerhin über 300 Seiten) befiel. Wo will die Autorin hin und warum kommt sie damit nicht eher auf den Punkt? Diesem Gefühl meiner Lesefrustration hätte durch das stärkere Einwirken einer Lektorin oder eines Lektors sicherlich Abhilfe verschafft werden können.

So muss nicht jeder Verästelung des Familienstammbaums nachgegangen werden, um bestimmt Ansichten oder Ereignisse zu belegen. Ein Fokus auf wenige entscheidende Momente in den Generationengeschichten und Schlaglichter auf Momente, die für die Charakterprägung der Protagonisten entscheidend waren, dies wäre für mich die bessere erzählerischen Entscheidung gewesen. So ist doch vieles ausgewalzt oder manchmal auch überflüssig – um nicht von den so manches Mal störenden oder überflüssigen stilistischen Flachsen, die dieser Text besitzt.

Gerade aber zum Ende des Buchs hin rundet sich dann aber auch vieles, die erzählerischen Bögen hinter ihren erzählerischen Finten werden manifest. Gerade das Ende und der wirklich starke Abschluss versöhnen dann doch mit dem ziellosen (manchmal auch nur so erscheinenden) Mäandern im Mittelteil. Doch auf diesem Weg bis hin zum Erkenntnisgewinn riskiert es C. E. Morgan mit ihren erzählerischen Kapriolen und Ausschweifungen, so manche Leser’in zu verlieren. Das ist schade, denn wie bei jedem guten Pferderennen ist doch der Zieleinlauf das Spannende und Entscheidende.

So braucht es aber jede Menge Puste und Geduld, um mit C. E. Morgan den Sport der Könige zu betreiben und mit ihr auf die Strecke zu gehen. Doch es lohnt sich!

Henry trat vom Zaun zurück und begriff plötzlich: Wenn man alle Rennbahnen auf der Welt schloss , jedes Zaumzeug weghängte und jedes Koppeltor aufstieß, würden Pferde immer noch in der offenen Prärie hintereinander herjagen. Es war unausweichlich, unbezweifelbar, denn ihr Wettstreit war angeboren. Neben dem natürlichen Ehrgeiz von Tieren waren die größten Träume der Menschen nichts als plumpe Machenschaften.

Morgan, C. E.: Der Sport der Könige, S. 904

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