Category Archives: Kriminalroman

Eyre Price – Roadkill

Blutige Musik-Schnitzeljagd

Wenn man die Orte betrachtet, durch die Daniel Erickson hetzt, wird sich selbst musikalisch eher unbewanderten Zeitgenossen klar, woher in Road Kill der Wind weht: New Orleans, Nashville, Detroit, Memphis sind Stationen, die der Protagonist in Eyre Price´ Roman im Laufe seiner Schnitzeljagd besucht. Und das kommt so:

Nachdem er sich in der Glücksspielstadt Las Vegas verzockt hat, hat sich Daniel bei einem russischen Gangster Geld geliehen. Eine schlechte Idee, wie sich herausstellt, denn der Russe will wieder an sein Geld und deshalb schickt er ihm ein ungleiches Killer-Duo auf den Hals. Und zu allem Übermaß muss Daniel Erickson feststellen, dass sein ganzes Vermögen aus seinem privaten Tresor verschwunden ist. Keine gute Sache, wenn man einen gereizten russischen Gangster auszahlen möchte. Das einzige, was ihm geblieben ist, ist eine CD mit Bluessongs, die offenbar die Hinweise zu einer Schnitzeljagd darstellen.

Durchgeknallt, durchgeknallter – Road Kill

Eyre Price ist ein Roman gelungen, der als Thriller zwar nicht sonderlich gut funktioniert, als niedergeschriebenes Stück Musikhistorie aber erstaunlich gut klappt. Mit deftigen Splatterelementen und überzogenen Figuren versetzt serviert er dem Leser eine blutige Musik-Schnitzeljagd, bei der er niemanden schont. Das psychotische Gangsterpärchen metzelt sich fröhlich durch die USA, während Daniel von Hinweis zu Hinweis hetzt und versucht, die Songs, die ihm an den einzelnen Stationen hinterlassen werden, zu entschlüsseln.

Die Gestalten, die den Roman von Price bevölkern, sind zwar durchgängig Pappkameraden, aber als Hommage an den Blues und seine Spielarten ist Road Kill durchaus lesens- bzw. hörenswert.

Denn per QR-Code lassen sich die Songs, die Daniel im Buch den Weg weisen, zusätzlich anhören und sind somit die Bonustracks des Buches.

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Reginald Hill – Rache verjährt nicht

Wolf ha(c)kt die Sache ab

Es ist einer der menschlichen Grundtriebe und das Grundthema dieses großartigen Romans: Rache.

Ähnlich wie im weltberühmten Roman Der Graf von Monte Christo von Alexandre Dumas – auf den auch Reginald Hill anspielt – wurde auch in Rache verjährt nicht ein Mann hereingelegt und um seinen Ruf gebracht.

Wilfred Hadda, genannt Wolf, stieg mit seiner Firma Woodcutter Enterprises in die höchsten finanziellen Sphären auf, um anschließend tief zu fallen. Nach einer Razzia auf seinem Grundstück wird er mit einem ungeheuerlichen Vorwurf konfrontiert: er soll der Konsument von Kinderpornographie sein. Der anschließende Leidensweg des Mann hätte von Kafka nicht besser ersonnen werden können. Verurteilt und nach einer vergeblichen Flucht körperlich entstellt harrt Hadda seiner Entlassung um anschließend Rache zu nehmen.

Ein Mann will Rache

Was sich nach der Beschreibung des Klappentextes wie ein unbarmherziger und blutiger Rachefeldzug anliest, ist in Wahrheit etwas anders. Der elegante Stilist Reginald Hill erzählt eine aus mehreren Teilen bestehende Geschichte. Diese ist die Biographie eines gefallenen Mannes , eine Ode an Hills Heimat Cumbria im Norden Englands und eine Studie über Rache.

Wer ein Metzelmassaker mit der Axt im Stile eines Charles-Bronson-Films erwartet, dürfte sich schnell enttäuscht sehen. Anstelle von Gewalt dominiert die Auseinandersetzung zwischen dem einsitzenden Wolf und seiner Psychiaterin Alva Ozigbo. Dies mag nicht spektakulär sein, doch packend ist es auf jeden Fall.

Reginald Hill - Rache verjährt nicht (Cover)

Die Geschichte ist voller Esprit, witzig, mit sensationell ausbalancierten Dialogen und Bonmots versehen und nicht zuletzt auch gut ins Deutsche übertragen (übersetzt von Ulrike Wassel und Klaus Timmermann). Das macht aus Rache verjährt nicht ein besonderes Buch, das britisch im besten Sinne ist und zugleich über die ganze beachtliche Länge von knapp 700 Seiten. Ein geistreicher Roman bei dem ich sehr darüber geärgert habe, Reginald Hill erst jetzt entdeckt zu haben, obwohl er wahrlich schon einige Bücher veröffentlicht hat.

Über die ganze Lektüre hinweg hatte ich nur einen traurigen Gedanken im Hinterkopf. Dieser großartige Roman wird der letzte von Reginald Hill gewesen sein. Leider verstarb Hill im Jahr 2012. Ich hätte mir noch zahlreiche weitere Bücher von diesem eleganten Romancier gewünscht!


  • Reginald Hill – Rache verjährt nicht
  • Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
  • ISBN: 978-3-518-46473-1 (Suhrkamp)
  • 683 Seiten, Preis: 9,99 €
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Anna Grue – Die guten Frauen von Christianssund

Der kahlköpfige Detektiv

Der dänische Krimi scheint in diesem Herbst Hochkonjunktur zu haben: Das neue Werk von Jussi Adler-Olsen erschien, Jesper Stein startete mit seinem Ermittler eine neue Krimireihe und auch Anna Grue lässt einen Ermittler auf das kleine Land los (übersetzt von Ulrich Sonnenberg).

In der von ihr ersonnenen Stadt Christianssund lebt und arbeitet der kahlköpfige Kreative Dan in einer Werbefirma. In eine depressiven Phase, die er gerade durchlebt, platzt die Info eines Leichenfundes just in Dans Firma. Als Insider hilft er seinem guten Freund, dem Kommissar Flemming Torp, bei den Ermittlungen und wird so zum Detektiv wider Willen.

Obwohl die Erzählung von Anna Grue nicht mit unangenehmen Details geizt, gelingt es der Autorin, das Flair einer hellen und typisch skandinavischen IKEA/Midsommmer-Atmosphäre über ihren Roman zu legen. In Die guten Frauen von Christianssund erzählt sie in der Tradition der skandinavischen Krimiliteratur nicht nur vom Verbrechen, sondern verknüpft das Ganze mit einer großen Prise Sozialkritik.

Mit Dan Sommerdahl steht ein Ermittler im Mittelpunkt, der trotz seiner Depression eigentlich durch das Raster des typischen skandinavischen Ermittlers rasselt: intaktes Sozialleben, attraktives Aussehen und eine Portion Humor – eher ungewöhnlich in einer Welt voller geschiedener und alkoholabhängiger Ermittler. Und so ist Die guten Frauen von Christianssund der Auftakt einer mehrbändigen Reihe (der zweite Band Der Judaskuss erscheint schon bald), der auch für Leser von Donna Leon oder Martin Walker geeignet sein dürfte!

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Marisha Pessl – Die amerikanische Nacht

Gefangen im Dunkel der Nacht

Zugegeben – vor diesem phantastischen Roman war mir der Begriff Marisha Pessl noch nicht untergekommen. Nach der Lektüre dieses Romans hat sich der Name der jungen Autorin aber nachhaltig in mein Gedächtnis eingeprägt.

Mit Die amerikanische Nacht ist ihr ein vielschichtiger, spannender und unheimlicher Roman gelungen, der den Leser erst nach über 780 Seiten freigibt und ihn stellenweise an seinem eigenen Verstand zweifeln lässt. Geschickt vermengt die Autorin fiktionale Dokumente, die sie in den Text einbaut, mit einer Handlung, die sich liest, als hätten sich Hitchcock, Luis Bunuel, Jorge Luis Borges und E.T.A. Hoffmann zusammengetan, um Pessls Ich-Erzähler, den Reporter Scott McGrath, in den Wahnsinn zu treiben.
Dieser war einst ein gefeierter Reporter mit einem legendären Gespür, ehe er über einen Bericht über den legendären Filmemacher Stanislas Cordova stolperte und nach einem Prozess seine Reputation verlor. Offenbar wurde er damals auf eine falsche Fährte gelockt, damit er nicht weiter im Umfeld des geheimnisumwitterten Starregisseurs schnüffeln konnte.
Doch als Cordovas junge Tochter Ashley tot im Aufzugsschacht eines verlassenen Gebäudes gefunden wird, erwacht der Spürsinn des Reporters erneut. Diesmal will er sich nicht von seinen Nachforschungen über Ashley und ihren berühmten Vater abbringen lassen und beginnt den Spuren des Cordova-Clans nachzuspüren. Doch McGraths Suche wird zu einem Trip, bei dem die Grenzen zwischen Fiktion und Realität verschwimmen und an deren Ende nicht nur McGrath an seinem Verstand zweifeln wird.

Selten hat mich in letzter Zeit ein Buch so in seinen Bann gezogen und förmlich in die Geschichte hineinstürzen lassen. Wer einen simplen Krimi erwartet, in dem der Tod der jungen Tochter Cordovas aufgeklärt wird, sieht sich schon bald heillos überfordert. Blogeinträge, erfundene Filme, diverse Metaebenen und noch viel mehr mixt Marisha Pessl zu einem Cocktail in den düstersten Farben. Wie der Titel des Originals Night Films bereits suggeriert, widmet sich der Roman mit Vorliebe dem düsteren Schaffen des legendären (und sehr überzeugend erfundenen) Stanislas Cordova und schafft es, ein wild wucherndes Referenzgeflecht zu kreieren, in dem man sich heillos verfangen kann. Was stimmt nun, was ist Einbildung?
Für mich liegt genau darin die große Stärke des Romans, da man am Ende nicht definitiv sagen kann, was nun erträumt und was real gewesen ist. Pessl zieht den Leser in einen Strudel des Ungewissen, der zumindest mich auch noch über das Ende der Lektüre hinaus beschäftigte.

Auf jeden Fall eines der stärksten, faszinierendsten und dunkelsten Bücher dieses Jahres – wenn nicht das Beste 2013!

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Cilla und Rolf Börjlind – Die Springflut

Guter Schwedenkrimi

Die Springflut ist der erste gemeinsame Roman des erfahrenen Drehbuchschreiberpärchens Cilla und Rolf Börjlind, die zusammen für 26 Kommissar-Beck-Filme das Drehbuch verfasst haben. Diese Routine merkt man den Buch auch an – wer Schwedenkrimis liebt wird an diesem Roman nicht vorbeikommen.
Ausgangspunkt ist der Tod einer jungen Frau 1987, die auf grausame Art und Weise umgebracht wird – eingegraben in Sand wird sie durch die hereinkommende Springflut ertränkt. Der Fall muss ungelöst zu den Akten gelegt werden um dreiundzwanzig Jahre später wieder ans Tageslicht geholt zu werden. Die junge Polizeischülerin Olivia Rönning macht sich im Rahmen ihrer Ausbildung an das Aufrollen dieses Cold Cases aus der schwedischen Provinz und muss rasch erkenne, dass der damals zuständige Kommissar Tom Stilton Einiges über den Fall zu wissen scheint – doch dieser ist wie vom Erdboden verschluckt. So muss sich Olivia alleine auf die Suche nach den Mördern der jungen Frau machen und die Aufklärung des Verbrechens vorantreiben.
Cilla und Rolf Börjlind folgen mit ihrem ersten Roman dem Patentrezept eines jeden Schwedenkrimis: Ein brutaler Mord – am besten in der Vergangenheit, Ermittler mit schwerwiegenden Problemen (hier sind auch Analogien zur Sebastian-Bergmann-Reihe von Hjorth und Rosenfeld erkennbar) und die Kritik an sozialen Entwicklungen. Wer sich daran nicht stört erhält einen routiniert geschriebenen Krimi, der die vielen Handlungsstränge meist sauber auflöst und der einen vielversprechenden Auftakt zu der kommenden Serie bildet.
Was Die Springflut so gut lesbar macht, in meinen Augen allerdings auch ein kleiner Makel ist, ist das bunte gemischte Personentableau.
Dabei beschränken die beiden Schweden ihren Roman auf eine überschaubare Anzahl von Charakteren, die alle miteinander in Beziehungen stehen. Das macht das Buch übersichtlich, erweckt aber auch den Anschein von zuviel Konstruktion und Unglaubwürdigkeit, insbesondere was die Arbeit der Polizei angeht. So lösen die wenigen Figuren eigentlich im Alleingang einen alten Fall und verständigen sich nur untereinander. Am Ende scheint bei den beiden Autoren der Wunsch vorgeherrscht zu haben, alle Charaktere zusammenzuführen und eine Auflösung zu erzeugen, in der alle Mitwirkenden involviert sind. Ohne hier zu viel verraten zu wollen, scheint mir gerade das etwas überzogen.
Ansonsten machen Cilla und Rolf Börjlind wenig falsch und liefern ein fast stimmiges Gesamtwerk ab, das dank der originellen Charaktere noch viel Entwicklungspotenzial bietet und einen vielversprechenden Auftakt zu der neuen Reihe darstellt.

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