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Dennis Lehane – Kalt wie dein Herz

Ob der dritte Format- und Gestaltungswechsel innerhalb von fünf Bänden den verdienten Ruhm bringt? Angesichts der bisherigen Rezeption der Diogenes-Neuausgabe der Krimis von Dennis Lehane bezweifle ich. Obgleich Kalt wie dein Herz einmal mehr ein absoluter Ausnahmekrimi ist.


Dabei sieht es zu Beginn des Krimis gar nicht nach einem Fall von Kenzie & Gennaro aus, wie der fünfte Band der Reihe analog zu den anderen Krimis untertitelt ist. Denn die erfolgreiche (Arbeits-)Beziehung des Bostoner Detektivpaars ist nach den dramatischen Ereignissen aus Gone baby gone zu ihrem abrupten Ende gekommen. Angie Gennaro ist aus der Wohnung ausgezogen und man lebt getrennt.

Die junge Frau und der Stalker

Während sie für ein Sicherheitsunternehmen arbeitet und Männer datet, hält sich Patrick Kenzie weiterhin mit Detektivjobs über Wasser. In dieser Funktion sucht ihn Karen Nichols auf die sich von einem Stalker bedroht fühlt. Dieser stellt ihr nach und überschreitet dabei alle Grenzen.

Um das Problem zu lösen, setzt Patrick auf seine alte Freundschaft zu Bubba Rogowski, mit dem er den Stalker zuhause aufsucht und mit schlagkräftigen Argumenten auf ein sofortiges Ende der Annäherungen dringt.

Damit könnte das Buch natürlich zu Ende sein, doch wie das immer bei Dennis Lehane der Fall ist, liegt der Fall auch hier deutlich komplizierter, als es zunächst den Anschein hat. Denn auch Patrick Kenzie lässt nach der Trennung von Angelia Gennaro nichts anbrennen und fliegt mit einer attraktiven Strafverteidigerin in den Urlaub, statt sich vor dem Abflug noch einmal mit Karen Nichols in Verbindung zu setzen, die ihn unbedingt kontaktieren wollte.

Ein Suizid mit Folgen

Dennis Lehane - Kalt wie dein Herz (Cover)

Zurück aus dem Urlaub erwischt ihn die Nachricht vom Suizid Karens mit voller Wucht. Hat der Stalker nach der Abschreckung durch Bubba und Patrick doch noch einmal eine fatale Annäherung an Karen gewagt? Oder steckt etwas ganz anderes hinter dem Tod der jungen Frau?

Nichts ist hier, wie es scheint. Weder bei der Familie von Karen Nichols, noch im Umfeld der jungen Frau. Dass muss Patrick Kenzie erkennen, als er tiefer in die Ermittlungen einsteigt, nachdem ihm der Suizid von Karen alle Ruhe kostet. Wie konnte es zu dieser Tat kommen und warum hat er sich damals nur so wenig für das weitere Schicksal Karen interessiert und sich lieber dem Hedonismus hingegeben? Und wie konnte die Frau innerhalb weniger Monate so tief sinken, wie es alle Zeuginnen und Zeugen um sie herum beschreiben?

Das schlechte Gewissen quält Patrick und lässt ihn trotz der vielen Sackgassen, in die er sich manövriert, immer wieder weiterforschen. Seine Suche nach den Gründen für den Suizid bringt ihn schließlich auf die Spur eines wirklich gefährlichen Mannes.

Nach wie vor aktuell und von bestechender Qualität

Die Reihe um Patrick Kenzie und Angela Gennaro ist wirklich ein Phänomen. Schon seit Lehanes Debüt Dunkelheit, nimm meine Hand gelingt ihm eine Reihe auf erstaunlich hohem Niveau, die abseits von Zeitkolorit (wie antiquierter Überwachungstechnik etc.) auch über zwanzig Jahre nach ihrem ursprünglichen Erscheinen ganz hervorragend funktioniert. Jeder der Bände weist eine andere Erzählstruktur und Herangehensweise auf, Themen und Setzungen variieren, wobei sich die Romane am ehesten in Sachen Auftreten eines bestimmten gefährlichen Typs von Mann ähneln. Das ist bei Kalt wie dein Herz auch nicht anders, hier ist es ein eiskalter Psychopath, in dessen Plan der Selbstmord von Karen Nichols nur ein Baustein ist.

Wie Lehane diesen Plan langsam enthüllt und bis ins Finale dieses über 500 Seiten starken Krimis immer wieder neu zu überraschen weiß, das ist großartig gemacht. Der Heißsporn Patrick Kenzie, das Duell mit dem Psychopathen, die Annäherung an Angela Gennaro, das Einbinden von Architektur und Stadtgeschichte Bostons, das macht Lehane so in dieser Qualität keiner nach.

Zu wenig Interesse – und editorischer Wankelmut

Der einzige Wermutstropfen bei der Sache ist und bleibt das mangelnde öffentliche Interesse – und der Wankelmut des Diogenes-Verlags, der bei jedem Buch eine neue Gestaltungsidee zu verfolgen scheint (nach einem schwarzen Cover bei Band 2 ein weißer Rücken, dann wieder zurück zur schwarzen Gestaltung bei Band 3, dann ein weißes Paperbackformat mit Kinomotiv für Band 4, Band 5 dann als Taschenbuch mit Klappenbroschur). So darf man gespannt sein, ob und wie uns der finale Band der Reihe Moonlight Mile noch erwartet. Im Buchregal herrscht bei dieser Reihe auf alle Fälle optisch das, was in Lehanes Neo-Noir Boston die Erfahrungswelt der beiden Detektive dominiert: nämlich Chaos.

Davon abgesehen ist jeder Band eine Entdeckung wert, besonders durch die zeitgemäße Neuübersetzung durch Peter Torberg.


  • Dennis Lehane – Kalt wie dein Herz
  • Aus dem Englischen von Peter Torberg
  • ISBN 978-3-257-30046-8 (Diogenes)
  • 510 Seiten. Preis: 18,00 €
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Yonatan Sagiv – Der letzte Schrei

Die Wühlmaus ermittelt. Yonatan Sagiv schickt mit Der letzte Schrei einen neuen Ermittler mit nicht ganz klarer geschlechtlicher Identität und einem Gespür für Fährten, Flirts und Fettnäpfchen auf die Straßen Israels. Auf der Suche nach einem vielversprechenden Teenagerstar blickt er in verschiedene Milieus und lernt die Schattenseiten des Popbusiness kennen.


Prince Connan ist tot. Die größte Gelegenheit meines Lebens rinnt mir durch die Finger, mein Vater betrügt nach siebenundvierzig Ehejahren meine Mutter, überall im Land brennt es, als müsste sich das Erdreich in einem fort erbrechen. Und ich bin hier auf dieser sklerosen Party mit einem Haufen Provinznudeln, die darauf bestehen, Fashion zu sagen statt Mode, und bete wie die allerletzte Miserable, ein Prinz mit flachen Witzen möge kommen und mich aus diesem Elend erretten, in das er mich selbst geworfen hat.

Yonatan Sagiv – Der letzte Schrei, S. 205

Ja, es sind wirklich einige Fronten, an denen Oded Chefer gefordert ist. Die Wühlmaus lebt gerade in der Wohnung eines Freundes, hat sein eigentliches Apartment untervermietet. Für den PR-Spindoctor Binyamin Direktor soll er dem Verschwinden eines Mädchens klären, das im Begriff steht, der neue Star Israels zu werden. Privat ist sein Familienleben auch recht turbulent – und zudem lässt er sich von Männern sehr schnell den Kopf verdrehen. Eine Tatsache, die seiner Objektivität in Sachen Ermittlungen der verschwundenen Teenagerin nicht unbedingt zuträglich ist.

Und so ermittelt sich Oded mal erfolgreicher, mal reichlich unelegant und tappend durch die Welt der Teenagerin und trifft neben all den Ablenkungen auch durchaus auf Spuren, die ihn auf die Fährte ermordeter Transsexueller, viel falschem Schein und vielversprechender Dates bringen.

Ein Krimi mit LGBTIQA+-Hintergrund

Yonatan Sagiv - Der letzte Schrei (Cover)

Immer wieder wird aus verschiedenen Richtungen die Forderung vorgebracht, die Literatur solle diverser werden und die Pluralität der unterschiedlichsten Lebensformen in den Blick nehmen. Der letzte Schrei trägt diesen Forderungen Rechnung und zeigt ein Israel, das so ganz anders ist als das Bild des religiös geprägten Lands, das in unserem Denken noch vorherrscht. Transsexuelle, Diskussionen über gendergerechte Sprache, die Vielfalt von LGBTIQA+-Leben und dessen Repräsentation in der Öffentlichkeit, all das bildet dieser Krimi ab, was Verfechter*innen konservativer Geschlechterlehre verschrecken dürfte.

So referiert ein Charakter über die Fülle der Identitäten und wirft Oded Dinosaurier-Cisgenderbewusstsein vor, da er die Fülle an agender, non-binären, genderfluiden, queeren, bigender, pangender oder non-conforming-Identitäten ignorieren würde (S. 82).

Was in seiner ganzen Theoriehaftigkeit und dem Demühen um Diversität in literarischen Texten schnell dröge oder überfordernd werden kann, wird von Yonatan Sagiv durchaus unterhaltsam und ironisch in seinen Krimi eingebracht und eingebunden.

Zu den spannendsten Aspekten dieses Buchs gehört auch die geschlechtliche Identität ihrer Hauptfigur Oded Chefer. In seinen Zuschreibungen lässt sich die Wühlmaus nicht ganz eindeutig festlegen und entzieht sich mit seinem Verhalten und seinen Schilderungen einer eindeutigen Zuordnung.

Mein Herz fängt heftig an zu schlagen. Jetzt bin ich geliefert. Jetzt hat er mich. Jetzt werde ich die ganze Wahrheit gestehen müssen. Unmöglich, dass, wenn er meine Angaben noch einmal durchgeht, dieser Polizeioffizier nicht über den Namen stolpert. Oded Chefer – der bekannte und gefeierte Privatdetektiv, der die beiden Mordfälle gelöst hat, die in den letzten zwei Jahren das ganze Land in Atem gehalten hatten. Die brillante Ermittlerin, die Schulter an Schulter mit Oberinspektor Yaron Malka dafür kämpft, die die Kriminalität einzudämmen, die auf den Straßen unseres Landes tobt. Und nicht zuletzt die Spürnase de jour der Reichen und Prominenten. Der Mann und der der Mythos. Die Frau und das Mysterium.

Yonatan Sagiv – Der letzte Schrei, S. 157

Geschlechtliche Ambiguität im Krimi

Diese Ambiguität zählt zu den interessantesten Aspekten des Buchs und entwickelt den Gedanken fort, den so schon etwa Tom Hillenbrand in Qube oder Stuart Turton in Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle mit ihren Krimis präsentieren, in denen sie geschlechtlich vielfältige Erzähler*innen wählten und ermitteln ließen. Der entscheide Unterschied ist, dass in diesen Titeln ein Erzähler in mehrere Figuren und Körper schlüpfte, ohne selbst die geschlechtliche Vielfalt mitzubringen, sondern diese nur für einen bestimmten Zeitraum anzunehmen und zu erfahren. Hier geht Yonatan Sagiv nun weiter und vereint das Weibliche und Männliche mit schwankenden Ausprägungen in der Figur des Oded Chefer.

Generell ist festzustellen, dass sich der zeitgenössische Krimi auch hier in Deutschland langsam öffnet und auch Figuren jenseits des binären Denkens zeigt, so auch jüngst der Suhrkamp-Verlag mit Candas Jane Dorseys Drag Cop, der eine ambisexuelle Ermittlerfigur in den Mittelpunkt stellt.

Diesbezüglich ist Der letzte Schrei wirklich modern und innovativ. Ansonsten bietet Yonatan Sagivs Krimi eher konventionelle Genreunterhaltung, die über die übliche Variation der Ermittlungstropen und Erzählansätze nicht hinauskommt. Oded Chefer sammelt Spuren, entdeckt die Hintergründe des Verbrechens, ermittelt in Zusammenarbeit mit der Polizei den Täter und überstellt diesen anschließend der Justiz. Das ist nicht schlecht, aber eben auch nicht viel mehr als Krimiunterhaltung von der Stange – eben aber mit einem ungewöhnlichen Protagonisten. Und mit Israel besitzt dieser Krimi einen Handlungsort, der abseits der populären Krimis von Dror Mishani gegenwärtig auch nicht allzu häufig vertreten ist.

Fazit

Der Verlage Kein & Aber weist mit Ayelet Gundar-Goshen, Yishai Sarid oder Noa Yedlin ja ein eh schon spannendes Literaturprogramm aus dem israelisch-palästinensischen Kulturraum auf. Zu diese Stimmen gesellt sich nun auch Yonatan Sagiv, der einen zwar recht konventionellen Krimi vorlegt, dafür aber mit einem originellen Ermittler überzeugen kann, dem man noch weitere Einsätze gönnt.


  • Yonatan Sagiv – Der letzte Schrei
  • Aus dem Hebräischen von Markus Lemke
  • ISBN 978-3-0369-5865-1 (Kein & Aber)
  • 400 Seiten. Preis: 25,00 €
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Louisa Luna – Tote ohne Namen

Eine neue Ermittlerin hat den deutschen Buchmarkt betreten – und das mit einem gehörigen Knall. Alice Vega ist ihr Name. In Tote ohne Namen verschlägt es sie nach San Diego. Dort wird sie angeheuert – die Morde an zwei Minderjährigen aufzuklären. Und entdeckt bei ihren Recherchen ein gefährliches Geflecht von Menschenhändlern, staatlichen Behörden und mexikanischen Kartellen.


Immer wenn man in einem Fall besonderer Expertise bedarf, ist Alice Vega das Mittel der Wahl. Denn die Ermittlerin hat ein Auge für Details und schreckt auch vor robustem körperlichen Einsatz zurück. Zusammen mit ihrem Kollegen Max Caplan, einem ehemaligen Polizisten, begibt sie sich nach San Diego. Dort soll sie im Auftrag der Polizei als externe Beraterin einen besonderen Fall bearbeiten. Zwei minderjährige Mädchen wurden tot und misshandelt aufgefunden. Ihre Identität ist unklar, allerdings fällt der gewieften Rechtsmedizinerin ein besonderes Detail ins Auge. Die beiden Mädchen haben ein Intrauterinpessar mit ähnlicher Chargennummer in ihrem Körper. Aufgrund der Nummerierung dieser Pessare liegt der Verdacht nach, dass es irgendwo da draußen noch weitere Mädchen gibt, die als Prostituierte missbraucht werden. Die Ermittlungen der Polizei laufen ins Leere, und so kommen Vega und Caplan ins Spiel.

Und sie liefern tatsächlich schon bald erste Ergebnisse. Sie stoßen auf die Spur eines Drogendealers und kommen langsam, aber sicher einer Bande von Menschenhändlern auf die Spur. Allerdings mischt sich auch die DEA in Form zweier Agenten in ihre Ermittlungen ein. Und diese geben den beiden recht schnell zu verstehen, ihre Ermittlungen einzustellen. Doch obrigkeitshörig ist keine hervorstechende Charaktereigenschaft von Vega. Und so folgt sie unbeirrt den Spuren, die sie noch in große Bedrängnis bringen werden.

Auf den Spuren von Menschenhändlern

Louisa Lunas erster auf Deutsch vorliegender Roman ist ein Buch, das durch Rasanz, eine sympathische Ermittlerin und eine gnadenlos gute Taktung besticht. Die Handlung des 443 Seiten starken Romans erstreckt sich nur über wenige Tage, die Haupthandlung findet an gerade einmal zwei Tagen statt. Das verleiht dem Buch einen Drive, der nur so durch die Seiten fliegen lässt. Je weiter sich Vega durch San Diego ermittelt, umso mehr Feinde macht sie sich und umso größer wird das kriminelle Geflecht, das sie aufdeckt.

Louisa Luna - Tote ohne Namen (Cover)

Tote ohne Namen ist ein Buch auf der Höhe der Zeit. Sie erzählt vom unbändigen Leid, das unter dem Deckmantel von „Law and Order“ im Grenzland zwischen Mexiko und den USA stattfindet. Kinder, von denen niemand weiß, wo sie abgeblieben sind. Ermittlungsbehörden, die sich selber die Finger schmutzig machen. Kartelle, die auch durch Mauerbau nicht aufgehalten werden. Und einer Politik, die eher auf markige Gesten denn auf konkrete Lösungsansätze setzt. All das beschreibt Louisa Luna in Tote ohne Namen genau

Dabei fungiert Alice Vega auch ein Stück weit als Katalysator für das eigene Unrechtsbewusstsein und die eigene Hilflosigkeit. Denn obschon wir von dem Unrecht wissen, von Kindern, die in Käfigen gehalten werden, von Familien, die getrennt werden und von Kriminellen, die die Notlage der mexikanischen Bevölkerung für ihre Zwecke ausnutzen, passiert ja wenig. Hier kommt Vega ins Spiel, die mit unorthodoxen Mitteln selbst aktiv wird und dem Unrecht so entgegentritt. So fungiert diese Privatermittlerin nicht nur als Spurensucherin, sondern auch ein Stück weit als Katharsis.

Der gesellschaftliche Anspruch, die erzählerische Taktung, der klug ausbalancierte Plot machen aus Tote ohne Namen ein wirkliches Leseerlebnis und einen unbedingten Krimitipp.

Eine fragwürdige Veröffentlichungspolitik

Fragwürdig allerdings einmal mehr die Veröffentlichungspolitik des Suhrkampverlags und von Herausgeber Thomas Wörtche. Denn bei Tote ohne Namen handelt es sich mitnichten um den Beginn der Reihe um Alice Vega. „The Janes“, so der Originaltitel (übersetzt von Andrea O’Brien) ist der zweite Band der Reihe. 2018 erschien mit „Two Girls Down“ der erste Band der Reihe, in dem sich Alice Vega und Max Caplan zum ersten Mal begegnen. Warum man diesen ersten Band nicht einfach zuerst veröffentlicht hat, will sich mir nicht wirklich erschließen. Schließlich nimmt Tote ohne Namen an zahlreichen Stellen Bezug auf die Geschichte des ersten Bandes, die im zweiten Band der Reihe immer wieder aufgegriffen wird.

Hier hätte man sich in meinen Augen wirklich einen Gefallen getan, hätte man schon allein der erzählerischen Logik wegen die Reihe chronologisch beginnen lassen. Es bleibt zu hoffen, dass uns der erste Band auch noch zeitnah zugänglich gemacht wird, schließlich ist der zweite Band derart verheißungsvoll, dass auch der erste Band nicht enttäuschen sollte (was auch die amerikanischen Kritiken nahelegen).

Insofern bleibe bei mir neben der unbedingten Empfehlung für den Roman Louisa Lunas der Wunsch, das man eine derartig unlogische und unchronologische Reihenentwicklung künftig sein lässt und Serien wieder den Raum gibt, sich von Beginn an zu entwickeln. Schließlich rühmt sich der veröffentlichende Verlag, nicht Bücher sondern Autor*innen verlegen zu wollen. Ich als Leser würde es sehr honorieren!


  • Louisa Luna – Tote ohne Namen
  • Aus dem Englischen von Andrea O’Brien
  • ISBN 978-3-518-47135-7 (Suhrkamp)
  • 444 Seiten. Preis: 15,95 €
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Tom Hillenbrand – Montecrypto

Immer wieder melden sich in Mithu Sanyals Roman Identitti Personen zu Wort, die für ihr Debüt Tweets über einen fiktiven Skandal gespendet haben. Einer dieser Spender ist der Zeit-Redakteur Lars Weisbrod, der sämtliche Twitter-Diskussionen im Buch mit dem Hinweis crasht, er möchte jetzt über Geldtheorie diskutieren. Damit findet er im Falle des Identitti-Skandals sein Glück nicht. Ganz anders aber bei Tom Hillenbrands neuem Roman Montecrypto. Dieses Werk dürfe den Zeit-Redakteur und Power-Twitterer zufrieden stellen. Denn Tom Hillenbrand erzählt nicht nur von einer Schatzsuche, sondern reichert diese mit zahlreichen Informationen über Geldsysteme, neue Formen des Bezahlens und den Megatrend Bitcoin an.


Auslöser des Ganzen ist der Tod des Bitcoin-Nestors und Millardärs Greg Hollister. Dieser kam bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Seine Schwester beauftragt den Finanzermittler – Dumas lässt grüßen – Ed Dante. Dieser soll den Tode des Milliardärs genauer untersuchen soll. Denn obwohl sich Hollister aus der von ihm gegründeten Bitcoin-Firma zurückgezogen hat, könnte er einen unbekannten Geldbetrag zur Seite geschafft haben. Bei seinen Recherchen stößt Dante auch tatsächlich auf Hinweise, dass der Schatz des exzentrischen Milliardärs existiert. Schnell sorgt die Kunde für einen Schatzsucher-Boom, zumal Hollister aus dem Grab heraus mit postum veröffentlichten Videos die Schatzsuche anheizt. Die Medien taufen den sagenumwobenen Schatz schnell Montecrypto und Date muss feststellen, dass mit dem Bitcoin-Universum eine Welt entstanden ist, die nach ganz anderen Regeln funktioniert, als er es gewohnt ist.

Auf der Jagd nach dem Bitcoinschatz

Mit Montecrypto hat Tom Hillenbrand ein Buch geschrieben, das den klassischen Hardboiled-Detektivroman mit der Welt digitaler Währungen zusammenbringt. Eine Idee, die zunächst widersprüchlich klingt, im Buch allerdings gut funktioniert. So reichert Hillenbrand die bekannten Genremotive (einsamer und trinkender Ermittler, Teamarbeit mit einer externen Expertin, klassische Ermittlungsarbeit für die Suche nach Hinweise etc.) durch die Welt der Bitcoins, Blockchains und Bytes an. Stellvertretend für den unbedarften Leser stößt Dante langsam in die Welt der digitalen Finanzen vor, die so anders ist, als man das aus dem Wirtschaftsunterricht kennt. Denn mit Sparbuch und dem herkömmlichen Fiat-Geld hat die neue Welt des Geldes nur mehr wenig gemeinsam.

In einigen Erklärdialogen und -szenen wird Dante in diese Welt eingeführt und lernt langsam die Möglichkeiten, aber auch Abgründe kennen, die dieser Art digitalen Geldes innewohnen. Warum befeuerte Hollister mit seinem Eintreten für eine unregulierte Währung die Hoffnung der Ultraliberalen? War er mit seinen Visionen eher Held oder der Totengräber unserer Währungssysteme? Und wo zum Teufel ist dieser digitale Schatz von Montecrypto versteckt?

Fazit

Montecrypto besitzt ein gutes Pacing, treibt immer wieder voran und lässt so etwas wie Langeweile nicht aufkommen. Auch wenn man bei den ganzen im Buch verarbeiteten Themen eine arge Theorielastigkeit und viele Erklärdialoge befürchten könnte, stellt sich das Ganze realiter dann allerdings weitaus spannender dar. Hillenbrand schickt Dante auf eine turbulente Schnitzeljagd, die von Kalifornien über New York und Frankfurt bis in die Schweiz führt. Eine Schnitzeljagd, deren wahre Natur lange im Dunkeln bleibt, auch für Ed Dante.

Mag auch die Pointe des Buchs etwas arg vorhersehbar sein, so überzeugt das Buch durch seine Rasanz und sein innovatives Thema. Hillenbrand gelingt es zu zeigen, dass die Welt der Geldtheorie und der Kryptowährung tatsächlich viel Spannungspotenzial bietet. Einmal mehr stellt Tom Hillenbrand hier seine Wandlungsfähigkeit unter Beweis. Nach Sci-Fi, Kulinarikkrimis und historischem Roman nun eben eine Schnitzeljagd auf den Spuren Dumas‘ (wenngleich ohne Chateau d’If). Ein guter und aktueller Thriller, reich an Schauplätzen und Themen.


  • Tom Hillenbrand – Montecrypto
  • ISBN 978-3-462-00157-0 (Kiepenheuer-Witsch)
  • 448 Seiten. Preis: 16,00 €
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Dennis Lehane – Gone, Baby Gone

Es ist wirklich ein Jammer. Da publiziert der Diogenes-Verlag nun seit geraumer Zeit die Werke eines der besten Krimischriftsteller dieser Tage – und kaum jemanden interessiert es. Mit Gone, Baby Gone ist nun eine weitere Perle aus der Backlist des umfangreichen Schaffens von Dennis Lehane zu entdecken. Nach den ersten drei Bänden der Kenzie/Gennaro-Reihe liegt nun Band 4 der Krimiserie in einer neuen Optik vor.


Ursprünglich bei Ullstein in der Übersetzung von Andrea Fischer erschienen, erfuhr das Buch 2007 einige Popularität. Der Grund war die Verfilmung des Buchs durch Ben Affleck mit Morgan Freeman, Ed Harris und Michelle Monaghan in den Hauptrollen. Es sollte nicht die einzige Verfilmung eines Buchs von Dennis Lehane durch Ben Affleck bleiben. Neun Jahre später nahm er sich mit In der Nacht erneut ein Werk des Bostoner Krimiautors vor.

22 Jahre nach dem Erscheinen des Buchs und 13 Jahre nach der Kinoverfilmung ist das Buch etwas in Vergessenheit geraten. Im Zuge der kontinuierlichen Publikation der Backlist des Lehane’schen Oeuvres gibt es das Buch nun in einer Neuübersetzung von Peter Torberg zu lesen. Und man kann wirklich von einer Wiederentdeckung sprechen. Denn das Buch ist, wie eigentlich fast alle Bücher Dennis Lehanes, große Klasse. Zwar beschreibt Lehane eine Welt, in der Handys noch eine rare Erscheinung sind und die Kommunikation erfolgt noch etwas altmodisch – die Geschichte selbst aber ist von solchem Zeitkolorit unberührt.

Ein verschwundenes Kind in Dorchester

Einmal mehr macht Lehane sein Bostoner Kindheitsviertel Dorchester zum Schauplatz einer Erzählung. Dort wird das Detektivpaar Angela Gennaro und der Ich-Erzähler Patrick Kenzie von einem Ehepaar aufgesucht. Diese wollen, dass die beiden im Falle ihrer vermissten Nichte Amanda McCready ermitteln. Diese ist seit mehreren Tagen ohne ein Lebenszeichen verschwunden. Widerwillig übernehmen die beiden den Fall und stoßen auf eine überforderte Mutter, engagierte Cops und zahlreiche falsche Spuren.

So führen die Spuren im Fall des verschwundenen Kindes ins Drogenmilieu. Scheinbar ist Amandas Mutter in das Geschäft von Drogendealer geraten, die ihre Reviere neu unter sich aufteilen möchten. Doch je tiefer Patrick Kenzie und Angie Gennaro in das Geflecht eindringen, umso dünner werden die Spuren. Kann es sein, dass jemand ein falsches Spiel mit den beiden spielt?

Gone Baby gone ist ein hervorragend komponiertes Stück Kriminalliteratur. Das hat zum Einen mit dem Plot zu tun, der sowohl Patrick und Angie als auch uns als Leser lange Zeit über im Dunkeln tappen lässt. Lehane hat einen echten Krimiknoten entworfen, der sich nur zögerlich entwirrt. Hierbei kommt aber auch der andere Faktor des Buchs zum Tragen. Das ist sein Tempo und sein Timing.

Dennis Lehanes erzählerische Souveränität

Von den Pointen in den Dialogen bis hin zum übergreifenden Rhythmus dieses Buch ist hier alles wohlgesetzt. Obschon die Thematik des Buchs keine leichte ist, schafft es Lehane, die Komplexität, die dieses Thema bedingt, sehr gut im Buch einzubauen. Ohne allzu viel verraten zu wollen – aber einige Aspekte gehen auch ob ihrer Drastik doch erheblich an die Nieren. Lehane schafft es allerdings, die Entscheidungen, die einigen der Protagonist*innen hierbei abverlangt werden, angemessen ambivalent und realistisch zu schildern.

Das ist gut gemacht und zeigt, dass Lehane seinen Themen gewachsen ist. Und mit knapp 580 Seiten Länge ist das Buch das bisher dickste der Reihe. So etwas wie Langeweile kommt trotz zäher Ermittlungen und widersprüchlicher Spuren aber zu keinem Zeitpunkt auf. Erzählerische Klasse paart sich hier mit einem originellen Fall, dem wie eigentlich dem gesamten Werk Dennis Lehanes ein großes Publikum zu gönnen wäre. Vielleicht ist ja wenigstens mit den Besprechungen hier in der Buch-Haltung ein Anfang gemacht.

Der Übersichtlichkeit halber hier die richtige Reihenfolge der Kenzie/Gennaro-Reihe:


  • Dennis Lehane – Gone Baby Gone
  • Aus dem Englischen von Peter Torberg
  • ISBN 978-3-257-30045-1 (Diogenes)
  • 576 Seiten. Preis: 17,00 €
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