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Louisa Luna – Tote ohne Namen

Eine neue Ermittlerin hat den deutschen Buchmarkt betreten – und das mit einem gehörigen Knall. Alice Vega ist ihr Name. In Tote ohne Namen verschlägt es sie nach San Diego. Dort wird sie angeheuert – die Morde an zwei Minderjährigen aufzuklären. Und entdeckt bei ihren Recherchen ein gefährliches Geflecht von Menschenhändlern, staatlichen Behörden und mexikanischen Kartellen.


Immer wenn man in einem Fall besonderer Expertise bedarf, ist Alice Vega das Mittel der Wahl. Denn die Ermittlerin hat ein Auge für Details und schreckt auch vor robustem körperlichen Einsatz zurück. Zusammen mit ihrem Kollegen Max Caplan, einem ehemaligen Polizisten, begibt sie sich nach San Diego. Dort soll sie im Auftrag der Polizei als externe Beraterin einen besonderen Fall bearbeiten. Zwei minderjährige Mädchen wurden tot und misshandelt aufgefunden. Ihre Identität ist unklar, allerdings fällt der gewieften Rechtsmedizinerin ein besonderes Detail ins Auge. Die beiden Mädchen haben ein Intrauterinpessar mit ähnlicher Chargennummer in ihrem Körper. Aufgrund der Nummerierung dieser Pessare liegt der Verdacht nach, dass es irgendwo da draußen noch weitere Mädchen gibt, die als Prostituierte missbraucht werden. Die Ermittlungen der Polizei laufen ins Leere, und so kommen Vega und Caplan ins Spiel.

Und sie liefern tatsächlich schon bald erste Ergebnisse. Sie stoßen auf die Spur eines Drogendealers und kommen langsam, aber sicher einer Bande von Menschenhändlern auf die Spur. Allerdings mischt sich auch die DEA in Form zweier Agenten in ihre Ermittlungen ein. Und diese geben den beiden recht schnell zu verstehen, ihre Ermittlungen einzustellen. Doch obrigkeitshörig ist keine hervorstechende Charaktereigenschaft von Vega. Und so folgt sie unbeirrt den Spuren, die sie noch in große Bedrängnis bringen werden.

Auf den Spuren von Menschenhändlern

Louisa Lunas erster auf Deutsch vorliegender Roman ist ein Buch, das durch Rasanz, eine sympathische Ermittlerin und eine gnadenlos gute Taktung besticht. Die Handlung des 443 Seiten starken Romans erstreckt sich nur über wenige Tage, die Haupthandlung findet an gerade einmal zwei Tagen statt. Das verleiht dem Buch einen Drive, der nur so durch die Seiten fliegen lässt. Je weiter sich Vega durch San Diego ermittelt, umso mehr Feinde macht sie sich und umso größer wird das kriminelle Geflecht, das sie aufdeckt.

Louisa Luna - Tote ohne Namen (Cover)

Tote ohne Namen ist ein Buch auf der Höhe der Zeit. Sie erzählt vom unbändigen Leid, das unter dem Deckmantel von „Law and Order“ im Grenzland zwischen Mexiko und den USA stattfindet. Kinder, von denen niemand weiß, wo sie abgeblieben sind. Ermittlungsbehörden, die sich selber die Finger schmutzig machen. Kartelle, die auch durch Mauerbau nicht aufgehalten werden. Und einer Politik, die eher auf markige Gesten denn auf konkrete Lösungsansätze setzt. All das beschreibt Louisa Luna in Tote ohne Namen genau

Dabei fungiert Alice Vega auch ein Stück weit als Katalysator für das eigene Unrechtsbewusstsein und die eigene Hilflosigkeit. Denn obschon wir von dem Unrecht wissen, von Kindern, die in Käfigen gehalten werden, von Familien, die getrennt werden und von Kriminellen, die die Notlage der mexikanischen Bevölkerung für ihre Zwecke ausnutzen, passiert ja wenig. Hier kommt Vega ins Spiel, die mit unorthodoxen Mitteln selbst aktiv wird und dem Unrecht so entgegentritt. So fungiert diese Privatermittlerin nicht nur als Spurensucherin, sondern auch ein Stück weit als Katharsis.

Der gesellschaftliche Anspruch, die erzählerische Taktung, der klug ausbalancierte Plot machen aus Tote ohne Namen ein wirkliches Leseerlebnis und einen unbedingten Krimitipp.

Eine fragwürdige Veröffentlichungspolitik

Fragwürdig allerdings einmal mehr die Veröffentlichungspolitik des Suhrkampverlags und von Herausgeber Thomas Wörtche. Denn bei Tote ohne Namen handelt es sich mitnichten um den Beginn der Reihe um Alice Vega. „The Janes“, so der Originaltitel (übersetzt von Andrea O’Brien) ist der zweite Band der Reihe. 2018 erschien mit „Two Girls Down“ der erste Band der Reihe, in dem sich Alice Vega und Max Caplan zum ersten Mal begegnen. Warum man diesen ersten Band nicht einfach zuerst veröffentlicht hat, will sich mir nicht wirklich erschließen. Schließlich nimmt Tote ohne Namen an zahlreichen Stellen Bezug auf die Geschichte des ersten Bandes, die im zweiten Band der Reihe immer wieder aufgegriffen wird.

Hier hätte man sich in meinen Augen wirklich einen Gefallen getan, hätte man schon allein der erzählerischen Logik wegen die Reihe chronologisch beginnen lassen. Es bleibt zu hoffen, dass uns der erste Band auch noch zeitnah zugänglich gemacht wird, schließlich ist der zweite Band derart verheißungsvoll, dass auch der erste Band nicht enttäuschen sollte (was auch die amerikanischen Kritiken nahelegen).

Insofern bleibe bei mir neben der unbedingten Empfehlung für den Roman Louisa Lunas der Wunsch, das man eine derartig unlogische und unchronologische Reihenentwicklung künftig sein lässt und Serien wieder den Raum gibt, sich von Beginn an zu entwickeln. Schließlich rühmt sich der veröffentlichende Verlag, nicht Bücher sondern Autor*innen verlegen zu wollen. Ich als Leser würde es sehr honorieren!


  • Louisa Luna – Tote ohne Namen
  • Aus dem Englischen von Andrea O’Brien
  • ISBN 978-3-518-47135-7 (Suhrkamp)
  • 444 Seiten. Preis: 15,95 €
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