Tag Archives: Ermittlung

Femi Kayode – Lightseekers

Die Suche nach Licht, dem Enlightment, sie ist der Epoche der Aufklärung eingeschrieben und ebenso der Ermittlungsfigur Dr. Philipp Taiwo, die in Femi Kayodes Krimidebüt Lightseekers Licht ins Dunkel bringen soll. Er soll nämlich auf dem Land in Nigeria den Fall der Okriki Three auflären, ein Lynchmord, der drei jungen Studenten das Leben kostete.


Etwa eine Stunde fliegt man von der nigerianischen Großstadt Lagos nach Port Harcourt, immer entlang der Küste des Atlantischen Ozeans. Der Psychologe Dr. Philip Taiwo tritt diesen Flug an, da er einen Auftrag erhalten hat, der ihn nach Okriki ins Umland von Port Harcourt (oder PH, wie Einheimische sagen) führt. Dort wurden drei junge Studenten von einem Mob auf der Straße zu Tode gehetzt und anschließend per Necklacing umgebracht.

Nachdem sie geschlagen wurden, legte ihnen der Mob Reifen um den Hals, um diese dann anzuzünden. Eine unfassliche Tat, die auch Emeka Nwamadi nicht ruhen lässt. Der einflussreiche Mann engagiert Taiwo, um im Fall zu ermitteln – denn eines der drei Opfer ist sein eigener Sohn. Es ist ein Autrag, den der forensische Psychologe, der bis vor acht Monaten die Polizeibehörde in San Francisco unterstützt hat, eigentlich ablehnen möchte.

Solche Anfragen waren nichts Neues für mich, darum hatte ich meine Standardantwort parat. „Sie dürfen mich nicht mit einem Privatdetektiv verwechseln, Mr. Nawamadi. Ich bin Psychologe mit speziellen Kenntnissen auf dem Gebiet der Motive von Verbrechen und der Vorgehensweise der Täter. Beim Großteil meiner Forschung handelt es sich um rein akademische Untersuchungen.“

Femi Kayode – Lightseekers, S. 22 f.

Ermittlungen in Okriki

Und dennoch begibt er sich auf Druck von Nwamadi und seines eigenen Vaters nach Okriki, um im Fall der drei Studenten zu ermitteln. Unterstützung erhält er durch Chika, den persönlichen Assistenten von Emeka Nwamadi, der ihm vor Ort beistehen soll, um Licht ins Dunkel dieser massengesteuerten Tat zu bringen. Er tut sich auf dem Campus um, muss sich mit einer wenig kooperationswilligen Polizei vor Ort herumschlagen und erlebt eine Stadt, in der sich die religiösen Gruppen unversöhnlich gegenüberstehen. Und auch privat steht der Psychologe unter Druck, hat er doch seine Frau in den Armen eines jungen Studenten gesehen und hat auf dem Flug die Bekanntschaft mit einer schönen Anwältin gemacht, die über jeden seiner Schritte erstaunlich gut informiert scheint.

Femi Kayode - Lightseekers (Cover)
Lightseekers von Femi Kayode

Es ist ein passables Krimidebüt, welches uns Femi Kayode durch den Übersetzer Andreas Jäger mit Lightseekers präsentiert. Dabei tut für meinen Geschmack die äußere Aufmachung des Buchs dem Inhalt keinen Gefallen. Denn ein Thriller, wie das Buch vom Verlag gelabelt wird, ist Lightseekers mitnichten. Und auch die Spannung, die in den Kurzkritiken der Financial Times und des Guardian auf der Rückseite mehrfach hervorgehoben wird, gibt es im Großteil dieses Buchs so nicht. Vielmehr ist das Buch über weite Strecken ganz konventionell die beschauliche Ermittlung in einem Cold Case, der schon einige Monate zurückliegt.

Zusammen mit Chika muss sich der Ich-Erzähler auf dem Campus umtun, versucht gegen den Widerstand der lokalen Behörden und Einheimischen die Geschehnisse noch einmal wachzurufen und stößt dabei natürlich ein ums andere Mal an Grenzen. Zwischen lügenden Studenten, Spuren im digitalen Raum und einflussreichen in Kulten organisierten Männern muss sich Taiwo seinen Weg suchen, um zur Wahrheit zu gelangen.

Ein Krimidebüt mit etwas Steigerungspotential

Lightseekers ist ein Debüt, das durchaus noch Steigerungspotential erkennen lässt. So ist der Registerwechsel von der hauptsächlichen und sehr zähen Ermittlungsarbeit hin zu einem eskalierenden Finale mit viel Wumms noch nicht ganz ausbalanciert. Rumpelnd und mit einigem Knirschen schaltet dieses Buch vom trägen Ermittlungsgang plötzlich in ein hochtouriges und hochexplosives Finale, das mit all seinen Schauplätzen und Handlungsvolten dann sehr abrupt erscheint. Auch die eingeschobenen kursiven Reflektionen einer Figur erscheinen noch nicht ganz organisch in das Ganze eingebunden, das am Ende dann einfach zu hektisch wirkt.

Auch dürfte die Ermittlerfigur Dr. Philip Taiwo in den kommenden Fällen noch etwas mehr Profil bekommen, um sich gegen andere ermittelnde Psychologen wie etwa Michael Robothams Joe O’Loughlin abzuheben. Aber insgesamt lässt Femi Kayode doch viel Potential erkennen, das er in den kommenden Bänden der Krimireihe hoffentlich weiter entfalten und entwickeln wird. Schön ist es auf alle Fälle, dass hier mit Nigeria ein Schauplatz gewählt wird, der in der zeitgenössischen Krimiliteratur mit einzelnen Ausnahmen sowieso unterrepräsentiert ist.

Fazit

So ist Lightseekers ein Krimi um einen Cold Case, der in den ermittelnden Händen des Psychologen Dr. Philip Taiwo schlussendlich doch noch einmal gefährlicher wird, als es zuvor den Anschein hatte. Femi Kayode gelingt mit seinem Krimi ein passables Debüt, das Steigerungspotential erkennen lässt, sich aber auch durch die Wahl des Schauplatzes wohltuend vom sonstigen Krimi-Einerlei abhebt.


  • Femi Kayode – Lightseekers
  • Aus dem Englischen von Andreas Jäger
  • ISBN 978-3442-77011-3
  • 463 Seiten. Preis: 16,00 €
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Yonatan Sagiv – Der letzte Schrei

Die Wühlmaus ermittelt. Yonatan Sagiv schickt mit Der letzte Schrei einen neuen Ermittler mit nicht ganz klarer geschlechtlicher Identität und einem Gespür für Fährten, Flirts und Fettnäpfchen auf die Straßen Israels. Auf der Suche nach einem vielversprechenden Teenagerstar blickt er in verschiedene Milieus und lernt die Schattenseiten des Popbusiness kennen.


Prince Connan ist tot. Die größte Gelegenheit meines Lebens rinnt mir durch die Finger, mein Vater betrügt nach siebenundvierzig Ehejahren meine Mutter, überall im Land brennt es, als müsste sich das Erdreich in einem fort erbrechen. Und ich bin hier auf dieser sklerosen Party mit einem Haufen Provinznudeln, die darauf bestehen, Fashion zu sagen statt Mode, und bete wie die allerletzte Miserable, ein Prinz mit flachen Witzen möge kommen und mich aus diesem Elend erretten, in das er mich selbst geworfen hat.

Yonatan Sagiv – Der letzte Schrei, S. 205

Ja, es sind wirklich einige Fronten, an denen Oded Chefer gefordert ist. Die Wühlmaus lebt gerade in der Wohnung eines Freundes, hat sein eigentliches Apartment untervermietet. Für den PR-Spindoctor Binyamin Direktor soll er dem Verschwinden eines Mädchens klären, das im Begriff steht, der neue Star Israels zu werden. Privat ist sein Familienleben auch recht turbulent – und zudem lässt er sich von Männern sehr schnell den Kopf verdrehen. Eine Tatsache, die seiner Objektivität in Sachen Ermittlungen der verschwundenen Teenagerin nicht unbedingt zuträglich ist.

Und so ermittelt sich Oded mal erfolgreicher, mal reichlich unelegant und tappend durch die Welt der Teenagerin und trifft neben all den Ablenkungen auch durchaus auf Spuren, die ihn auf die Fährte ermordeter Transsexueller, viel falschem Schein und vielversprechender Dates bringen.

Ein Krimi mit LGBTIQA+-Hintergrund

Yonatan Sagiv - Der letzte Schrei (Cover)

Immer wieder wird aus verschiedenen Richtungen die Forderung vorgebracht, die Literatur solle diverser werden und die Pluralität der unterschiedlichsten Lebensformen in den Blick nehmen. Der letzte Schrei trägt diesen Forderungen Rechnung und zeigt ein Israel, das so ganz anders ist als das Bild des religiös geprägten Lands, das in unserem Denken noch vorherrscht. Transsexuelle, Diskussionen über gendergerechte Sprache, die Vielfalt von LGBTIQA+-Leben und dessen Repräsentation in der Öffentlichkeit, all das bildet dieser Krimi ab, was Verfechter*innen konservativer Geschlechterlehre verschrecken dürfte.

So referiert ein Charakter über die Fülle der Identitäten und wirft Oded Dinosaurier-Cisgenderbewusstsein vor, da er die Fülle an agender, non-binären, genderfluiden, queeren, bigender, pangender oder non-conforming-Identitäten ignorieren würde (S. 82).

Was in seiner ganzen Theoriehaftigkeit und dem Demühen um Diversität in literarischen Texten schnell dröge oder überfordernd werden kann, wird von Yonatan Sagiv durchaus unterhaltsam und ironisch in seinen Krimi eingebracht und eingebunden.

Zu den spannendsten Aspekten dieses Buchs gehört auch die geschlechtliche Identität ihrer Hauptfigur Oded Chefer. In seinen Zuschreibungen lässt sich die Wühlmaus nicht ganz eindeutig festlegen und entzieht sich mit seinem Verhalten und seinen Schilderungen einer eindeutigen Zuordnung.

Mein Herz fängt heftig an zu schlagen. Jetzt bin ich geliefert. Jetzt hat er mich. Jetzt werde ich die ganze Wahrheit gestehen müssen. Unmöglich, dass, wenn er meine Angaben noch einmal durchgeht, dieser Polizeioffizier nicht über den Namen stolpert. Oded Chefer – der bekannte und gefeierte Privatdetektiv, der die beiden Mordfälle gelöst hat, die in den letzten zwei Jahren das ganze Land in Atem gehalten hatten. Die brillante Ermittlerin, die Schulter an Schulter mit Oberinspektor Yaron Malka dafür kämpft, die die Kriminalität einzudämmen, die auf den Straßen unseres Landes tobt. Und nicht zuletzt die Spürnase de jour der Reichen und Prominenten. Der Mann und der der Mythos. Die Frau und das Mysterium.

Yonatan Sagiv – Der letzte Schrei, S. 157

Geschlechtliche Ambiguität im Krimi

Diese Ambiguität zählt zu den interessantesten Aspekten des Buchs und entwickelt den Gedanken fort, den so schon etwa Tom Hillenbrand in Qube oder Stuart Turton in Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle mit ihren Krimis präsentieren, in denen sie geschlechtlich vielfältige Erzähler*innen wählten und ermitteln ließen. Der entscheide Unterschied ist, dass in diesen Titeln ein Erzähler in mehrere Figuren und Körper schlüpfte, ohne selbst die geschlechtliche Vielfalt mitzubringen, sondern diese nur für einen bestimmten Zeitraum anzunehmen und zu erfahren. Hier geht Yonatan Sagiv nun weiter und vereint das Weibliche und Männliche mit schwankenden Ausprägungen in der Figur des Oded Chefer.

Generell ist festzustellen, dass sich der zeitgenössische Krimi auch hier in Deutschland langsam öffnet und auch Figuren jenseits des binären Denkens zeigt, so auch jüngst der Suhrkamp-Verlag mit Candas Jane Dorseys Drag Cop, der eine ambisexuelle Ermittlerfigur in den Mittelpunkt stellt.

Diesbezüglich ist Der letzte Schrei wirklich modern und innovativ. Ansonsten bietet Yonatan Sagivs Krimi eher konventionelle Genreunterhaltung, die über die übliche Variation der Ermittlungstropen und Erzählansätze nicht hinauskommt. Oded Chefer sammelt Spuren, entdeckt die Hintergründe des Verbrechens, ermittelt in Zusammenarbeit mit der Polizei den Täter und überstellt diesen anschließend der Justiz. Das ist nicht schlecht, aber eben auch nicht viel mehr als Krimiunterhaltung von der Stange – eben aber mit einem ungewöhnlichen Protagonisten. Und mit Israel besitzt dieser Krimi einen Handlungsort, der abseits der populären Krimis von Dror Mishani gegenwärtig auch nicht allzu häufig vertreten ist.

Fazit

Der Verlage Kein & Aber weist mit Ayelet Gundar-Goshen, Yishai Sarid oder Noa Yedlin ja ein eh schon spannendes Literaturprogramm aus dem israelisch-palästinensischen Kulturraum auf. Zu diese Stimmen gesellt sich nun auch Yonatan Sagiv, der einen zwar recht konventionellen Krimi vorlegt, dafür aber mit einem originellen Ermittler überzeugen kann, dem man noch weitere Einsätze gönnt.


  • Yonatan Sagiv – Der letzte Schrei
  • Aus dem Hebräischen von Markus Lemke
  • ISBN 978-3-0369-5865-1 (Kein & Aber)
  • 400 Seiten. Preis: 25,00 €
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Belfast revisited

„Ich werde mich zur Rückseite dieser verlassenen Häuser dort schleichen, mich in einem davon verstecken und darauf warten, dass unser Bursche auftaucht.“

„Billy?“

„Nein, Billys kleiner Freund Shane. Ich glaube, er weiß etwas, das er uns nicht sagt.“

„Jeder in Belfast weiß etwas, das er uns nicht sagt.“

Adrian McKinty – Der katholische Bulle, S. 222

Acht Jahre nach der Erstlektüre war es für mich mal wieder an der Zeit, mich ins Irland der 80er Jahre zu begeben. Nachdem die Irland-Sehnsucht in letzter Zeit doch zu groß wurde, konnte ich Adrians McKinty Der katholische Bulle in meinem Regal nicht länger ignorieren. Eine Reise zurück in eine der wohl explosivsten Phasen irischer Geschichte stand an. Belfast revisited quasi.


Die grüne Insel, ein cooler Ermittler, viel Zeitkolorit und Popkultur, das waren die Landmarken, die ich im Bezug auf Der katholische Bulle noch im Kopf hatte. Ebenso im Kopf war dabei aber auch stets die Frage, ob die Zweitlektüre meiner Begeisterung vor acht Jahren noch Stand halten würden. Hatte sich mein Geschmack entscheidend weiterentwickelt, ist das Buch durch neue Kriminalliteratur inzwischen ästhetisch überholt worden, kurz: vermag das Buch nicht mehr zu begeistern?

Adrian McKinty - Der katholische Bulle (Cover)

All diese Fragen konnte ich nach wenigen Seiten schon mit einem klaren Nein beantworten. Denn obschon nun einige Zeit seit dem Erscheinenen des ersten Bandes der Reihe vergangen ist, besitzt es eine zeitlose Qualität, die das Buch der breiten Masse an Kriminalliteratur deutlich enthebt.

Da ist zum einen der Entschluss, sich nicht mit dem Zeitgeist auseinanderzusetzen, sondern zurückzublicken. Der katholische Bulle spielt zur Hochzeit der Troubles im Jahr 1981. Die Hohzeit von Charles und Diana steht kurz bevor, im Gefängnis sterben IRA-Mitglieder im Hungerstreik. Margaret Thatcher regiert mit eiserner Hand und Sean McDuffy ist in eine eine heruntergekommene Sozialwohnung in der Coronation Road in Carrickferrgus gezogen. Als katholischer Bulle in protestantischem Land hat er es schwer. Von seinen IRA-Nachbarn auch als Fenier geschmäht bekommt er es mit aufdringlichen Strohwitwen, komplizierten Liebschaften und einem echten Serienkiller zu tun.

Nach dem Fund eines ermordeten Homosexuellen bekommt Duffy Post vom Täter, der weitere Morde ankündigt. Besonders dringlich wird der Fall, als man herausfindet, dass die eine Hand des Ermordeten zu einem weiteren Toten führt. Dieser wurde ebenfalls hingerichtet, eine Spur aus Notenblättern verbindet die beiden. Doch nicht nur Duffys Kollegen sind skeptisch, auch sein Vorgesetzter ist sich sicher: so etwas wie einen Serienkiller hat es noch nie auf irischem Boden gegeben. Sämtliche mörderische Psychopathen stehen im Dienst der IRA oder anderen Terrororganisationen und benutzen den Mantel des Politischen, um ihr Treiben zu verbrämen. Aber Duffy lässt nicht locker und verbeißt sich in den Fall.

Bestechendes erzählerisches Handwerkszeug

Neben dem Thema, das erzählt wird, ist es vor allem die Art, wie es erzählt wird, die die Güte dieses Buchs ausmacht. Atemlos hetzt Duffy zwischen Carrickferrgus und Belfast hinterher, findet sich in Angriffen der IRA wieder, ermittelt ertrag- und orientierungslos im Fall des Serientäters und kippt Wodka Gimlet um Wodka Gimlet.

Der katholische Bulle ist superb rhythmisiert und zeigt einen Adrian McKinty auf der Höhe seiner Kreativität und literarischen Schaffenskraft. Er stellt einen umfassend gebildeten Erzähler mit klaren Schwächen in den Mittelpunkt, bricht die Männlichkeit in allen Facetten und hat keine Scheu vor Ironie und Uneindeutigkeit. Der Ire kann Action und Liebesszenen, er kann langsam und schnell erzählen und er vermag ein Gefühl dafür zu wecken, wie es sich damals angefühlt haben muss zwischen allen Fronten. Das Handwerkszeug, das er in Der katholische Bulle zeigt, ist in seiner Vielfalt und Güte beeindruckend (und ebenso großartig und souverän von Peter Torberg ins Deutsche übertragen).

Randvoll mit Popkultur, vertrackten Fährten und Zeitkolorit ist Der katholische Bulle nichts anderes als ein Meisterwerk, das Adrian McKinty da gelungen ist. Auch Jahre nach seinem Erscheinen hat es nicht einen Gran an Qualität eingebüßt. Bestechende Kriminalliteratur, weit weg von dem Quatsch, den Adrian McKinty Jahre später unter dem Titel The Chain publizieren sollte. Auch nach acht Jahren immer noch von zeitloser Qualität und Güte. Ein erneuter Besuch, der sich mehr als gelohnt hat. Oder um es in der Sprache des katholischen Bullen zu sagen: ein stróc ádh!


  • Adrian McKinty – Der katholische Buller
  • Aus dem Englischen von Peter Torberg
  • ISBN 978-3-518-46523-3 (Suhrkamp)
  • 384 Seiten. Preis: 10,00 €
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Chan Ho-Kei – Das Auge von Hongkong

War in den letzten Wochen von Hongkong die Rede, waren es alles andere als positive Schlagzeilen, die uns von dort erreichten. Die Sanktionen gegen die Demokratiebewegung. Die Verhaftungen bekannter Politaktivisten wie Jimmy Lei oder Joshua Wong. Die Besetzung der Polytechnischen Universität. Das Vorgehen der chinesischen Regierung, allen voran der Regierungschefin Carrie Lam, das die Proteste auslöste. Und die Erkenntnis, dass die Tage der Freiheit und Exklusivrechte für alle Hongkongchines*innen schon gezählt sind.

Diese aktuelle Episode ist allerdings nur ein Beispiel für die wechselvolle Geschichte Hongkongs. Chan Ho-Kei beleuchtet diese in in seinem Kriminalroman Das Auge von Hongkong auf formal ungewöhnliche Art und Weise.


Denn statt sich für eine durchgängige Geschichte zu entscheiden, erzählt Chan-ho Kei gleich sechs Fälle. Fälle, die in unterschiedlichen Jahrzehnten angesiedelt sind und sich von der Gegenwart in die Vergangenheit bewegen. Dreh- und Angelpunkt der Geschichten ist der Ermittler Inspector Kwan, auch genannt Das Auge von Hongkong. Seine deduktorischen Fähigkeiten sind legendär, schon in jungen Jahren erwarb sich der Ermittler einen Ruf wie Donnerhall. Wie es dazu kam, das erzählt uns der chinesische Autor Stück für Stück. Löst Kwan seinen letzten Fall rund um einen Harpunenmord noch auf dem Sterbebett, bekommt er es dann in jüngeren Jahren mit einem genau orchestrierten Überfall, verdächtigen Kollegen oder einer Erpressung zu tun.

Der Sherlock aus Hongkong

Der Vergleich zu Sherlock Holmes ist insofern gerechtfertigt, da wir als Leser oft mit den Polizeikollegen lange im Dunkeln tappen, ehe Kwan dann zur Verblüffung aller Beteiligten die Indizien zu einem schlüssigen und oftmals sehr überraschenden Schluss bringt. Doch nicht nur Kwan glänzt in diesem über 570 Seiten starken Episodenkrimi. Es gibt auch einen heimlichen Hauptdarsteller, nämlich Hongkong.

Chan-ho Kei siedelt seine Erzählungen in verschiedenen Distrikten an (die man dank der Karte im Vorsatz gut zuordnen kann); er erzählt vom kolonialen Erbe und den rasanten Veränderungen, denen die Stadt unterlag. So bekommt man einen guten Eindruck von der wechselvollen Historie Hongkongs, die sich in der Gegewart nur konsequent fortsetzt. Wer Das Auge von Hongkong gelesen hat, versteht auch aus der Distanz diese Stadt und ihre Bedeutung besser.

Die Verbindung aus Stadtgeschichte und Kriminalerzählungen gelingt Chan-ho Kei überzeugen. Und wenngleich die Übersetzung wie schon bei 64 von Hideo Yokoyama einen Umweg geht und statt aus der Originalsprache aus der englischen Übersetzung von Sabine Längsfeld ins Deutsche übertragen wurde, ist das Ergebnis durchaus stimmungsvoll.

Fazit

Möchte man die Geschichte Hongkongs etwas besser verstehen, ist man mit diesem Krimi gut beraten. Sucht man ein formal ungewöhnlichen Krimi, dann ist man mit diesem Buch ebenfalls gut beraten. Und möchte man mal wieder in guter alter Arthur Conan Doyle-Manier über Verbrechen und Verbrecher rätseln, auch dann ist dieses Buch eine wirkliche Empfehlung. Drei gute Gründe, um sich Das Auge von Hongkong von Chan Ho-Kei einmal näher anzusehen!


  • Chan Ho-Kei – Das Auge von Hongkong
  • Aus dem Englischen von Sabine Längsfeld
  • ISBN 978-3-85535-028-5 (Atrium)
  • 576 Seiten. Preis: 24,00 €
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Slumdog Detectives

Deepa Anappara – Die Detektive vom Bhoot-Basar

Von den sozialen Unterschieden im modernen Indien, von verschwundenen Kindern und einer Bande Kinder-Detektive erzählt die Inderin Deepa Anappara in ihrem Debüt Die Detektive vom Bhoot-Basar. Ein Buch, das aus kindlicher Perspektive ein zutiefst widersprüchliches Land porträtiert (übersetzt von pociao und Roberto de Hollanda).


Zugegeben: Indien ist ein Thema, das in unserer westlichen orientierten Kultur eine eher untergeordnete Rolle spielt. In der Literatur könnte man Vikas Swarup, Arundhati Roy oder Aravind Adiga als prominenteste Vertreter nennen. Und auch Jhumpa Lahiri zähle ich als zumindest indisch-stämmige Autorin mit. Damit hat es sich aber schon. Auch auf diesem Blog hier habe ich das Land literarisch wenig auf dem Schirm.

Ebenso wie in der Literatur ist auch im Kino – abgesehen von Bollywood – Indien Mangelware. Am ehesten wäre hier noch Danny Boyles Film Slumdog Millionaire aus dem Jahr 2008 zu nennen, der immerhin oscarprämiert wurde.

Tatsächlich war auch jene filmische Referenz die Erste, die mir während der Lektüre von Die Detektive vom Bhoot-Basar in den Sinn kam. Ebenso wie im Film ist es auch hier bei Deepa Anappara ein Kind, aus dessen Warte wir seine Welt und die gesellschaftlichen Verhältnisse geschildert bekommen. Im Falle von Deepa Anapparas Buch heißt ihr Ich-Erzähler Jai. Zusammen mit Pari und Faiz bildet er jenes titelgebende detektische Triumvirat vom Bhoot-Basar. Der Hintergrund dazu ist ein trauriger (und leider höchst aktueller, wie die Autorin im Nachwort ihres Buchs schildert). Täglich verschwinden in Indien Kinder – was aber niemanden wirklich groß interessiert. Schließlich ist Indien sehr bevölkerungsreich und die verschwundenen Kindern stammen meist aus niedrigen Kasten ohne entsprechende soziale Bedeutung. Und auch im Bhoot-Basar ist dies nicht anders.

Die indischen Drei ???

Ein Schulkamerad Jais ist verschwunden. Die Polizei glänzt allerdings durch Abwesenheit, lässt sich lediglich bestechen um den Fall dann ad acta zu legen. Die fragenden Verwandten des Jungens speist man ab und droht bei weiterem Nachhaken einfach das Basti, also das slum-ähnliche Stadtviertel in dem Jai und seine Freunde leben, kurzerhand per Bulldozer einzuebnen. Das will Jai allerdings nicht so hinnehmen. Als glühender Fan indischer und amerikanischer Krimiserien beschließt er, mit seinen beiden besten Freunden die Spur des Verschwundenen aufzunehmen.

Deepa Anappara - Die Detektive vom Bhoot-Basar (Cover)

Als eine Art indischer Drei ??? machen sich die Kinder auf und ermitteln in ihrem Basti und darüberhinaus. Findig wird kurzerhand ein Straßenhund eingespannt, um die Fährte ihres Freundes aufzunehmen. Doch dann verschwindet wieder ein Kind. Und noch eins. Ist es wirklich ein böser Dschinn, der im Viertel umgeht und sich die Kinder holt?

Es ist eine aktuelle Thematik, die dem Buch zugrundeliegt. Aus ihrer Empörung über die sozialen Zustände und aus ihrem Versuch heraus, die Aufmerksamkeit auf dieses schreiende Unrecht zu lenken, ist dieser Roman entstanden, wie Deepa Anappara im Nachwort des Buchs erklärt. Aus einem moralischen Impetus heraus geschriebene Literatur läuft meistens Gefahr, unter ihrer guten Absicht in die Knie zu gehen. Stilistisch überzeugt das Ganze oftmals nicht. Hier ist das dankenswerterweise anders.

Ein kleiner Indisch-Crashkurs von Deepa Anappara

Denn sowohl die Perspektive, aus der sie die Geschichte schildert, als auch die Sprache sind stimmig. Gleichzeitig könnte diese Authentizität auch viele Leser*innen abschrecken. Denn das Buch birst schier vor indischen Termini. Verwandschaftsbezeichnungen, Kosenamen, Örtlichkeiten – alles hat seine eigenen Namen, die in einem beigefügten Glossar erklärt werden. Dennoch fühlt sich das alles auch ein wenig nach Indisch-Sprachkurs für Anfänger an.

Aber sei’s drum – das Buch ist nicht nur ein guter Roman mit kriminalliterarischen Elementen. Auch die Widersprüche des Landes und die krassen Gegensätze zwischen Arm und Reich thematisiert das Buch auf ansprechende Weise. Völlig neu ist die Erkenntnis der sozialen Unterschiede und der schreienden Armut nicht. Aber wie Deepa Anaparra dieses Nebeneinander von armen Basti und den Reichen-Hochäusern, genannt HiFi-Hochhäuser inszeniert, das ist wirklich gut gemacht. Das Leben dort im Slum, bei dem man für einen normalen Toilettengang anstehen und bezahlen muss, während nebenan auf der Müllkippe andere Kinder den Unrat auch aus den Hochhäusern durchwühlen; es sind diese Gegensätze, die berühren. Und auch der Schluss des Buchs ist in der Logik des Romans stimmig und lässt nachdenklich zurück. Dass da die klischierte Covergestaltung völlig am Charakter des Buchs vorbeigeht, darüber will ich hier eingedenk des tollen Inhalts hinwegsehen.

Fazit

Ein Buch mit Botschaft, ein kindliches Detektivtrio, ein Blick auf die Widersprüche des modernen Indiens: Die Detektive vom Bhoot-Basar bietet all das. Engagierte Literatur, die dankenswerterweise von Rowohlt als Spitzentitel des Frühjahrsprogramms prominent platziert wurde. Denn das Buch und sein Thema verdienen Aufmerksamkeit.


  • Deepa Anappara – Die Detektive vom Bhoot-Basar
  • Aus dem Englischen von pociao und Roberto von Holland
  • ISBN: 978-3-498-00118-6 (Rowohlt)
  • 400 Seiten, Preis: 24,00 €
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