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Dennis Lehane – Gone, Baby Gone

Es ist wirklich ein Jammer. Da publiziert der Diogenes-Verlag nun seit geraumer Zeit die Werke eines der besten Krimischriftsteller dieser Tage – und kaum jemanden interessiert es. Mit Gone, Baby Gone ist nun eine weitere Perle aus der Backlist des umfangreichen Schaffens von Dennis Lehane zu entdecken. Nach den ersten drei Bänden der Kenzie/Gennaro-Reihe liegt nun Band 4 der Krimiserie in einer neuen Optik vor.


Ursprünglich bei Ullstein in der Übersetzung von Andrea Fischer erschienen, erfuhr das Buch 2007 einige Popularität. Der Grund war die Verfilmung des Buchs durch Ben Affleck mit Morgan Freeman, Ed Harris und Michelle Monaghan in den Hauptrollen. Es sollte nicht die einzige Verfilmung eines Buchs von Dennis Lehane durch Ben Affleck bleiben. Neun Jahre später nahm er sich mit In der Nacht erneut ein Werk des Bostoner Krimiautors vor.

22 Jahre nach dem Erscheinen des Buchs und 13 Jahre nach der Kinoverfilmung ist das Buch etwas in Vergessenheit geraten. Im Zuge der kontinuierlichen Publikation der Backlist des Lehane’schen Oeuvres gibt es das Buch nun in einer Neuübersetzung von Peter Torberg zu lesen. Und man kann wirklich von einer Wiederentdeckung sprechen. Denn das Buch ist, wie eigentlich fast alle Bücher Dennis Lehanes, große Klasse. Zwar beschreibt Lehane eine Welt, in der Handys noch eine rare Erscheinung sind und die Kommunikation erfolgt noch etwas altmodisch – die Geschichte selbst aber ist von solchem Zeitkolorit unberührt.

Ein verschwundenes Kind in Dorchester

Einmal mehr macht Lehane sein Bostoner Kindheitsviertel Dorchester zum Schauplatz einer Erzählung. Dort wird das Detektivpaar Angela Gennaro und der Ich-Erzähler Patrick Kenzie von einem Ehepaar aufgesucht. Diese wollen, dass die beiden im Falle ihrer vermissten Nichte Amanda McCready ermitteln. Diese ist seit mehreren Tagen ohne ein Lebenszeichen verschwunden. Widerwillig übernehmen die beiden den Fall und stoßen auf eine überforderte Mutter, engagierte Cops und zahlreiche falsche Spuren.

So führen die Spuren im Fall des verschwundenen Kindes ins Drogenmilieu. Scheinbar ist Amandas Mutter in das Geschäft von Drogendealer geraten, die ihre Reviere neu unter sich aufteilen möchten. Doch je tiefer Patrick Kenzie und Angie Gennaro in das Geflecht eindringen, umso dünner werden die Spuren. Kann es sein, dass jemand ein falsches Spiel mit den beiden spielt?

Gone Baby gone ist ein hervorragend komponiertes Stück Kriminalliteratur. Das hat zum Einen mit dem Plot zu tun, der sowohl Patrick und Angie als auch uns als Leser lange Zeit über im Dunkeln tappen lässt. Lehane hat einen echten Krimiknoten entworfen, der sich nur zögerlich entwirrt. Hierbei kommt aber auch der andere Faktor des Buchs zum Tragen. Das ist sein Tempo und sein Timing.

Dennis Lehanes erzählerische Souveränität

Von den Pointen in den Dialogen bis hin zum übergreifenden Rhythmus dieses Buch ist hier alles wohlgesetzt. Obschon die Thematik des Buchs keine leichte ist, schafft es Lehane, die Komplexität, die dieses Thema bedingt, sehr gut im Buch einzubauen. Ohne allzu viel verraten zu wollen – aber einige Aspekte gehen auch ob ihrer Drastik doch erheblich an die Nieren. Lehane schafft es allerdings, die Entscheidungen, die einigen der Protagonist*innen hierbei abverlangt werden, angemessen ambivalent und realistisch zu schildern.

Das ist gut gemacht und zeigt, dass Lehane seinen Themen gewachsen ist. Und mit knapp 580 Seiten Länge ist das Buch das bisher dickste der Reihe. So etwas wie Langeweile kommt trotz zäher Ermittlungen und widersprüchlicher Spuren aber zu keinem Zeitpunkt auf. Erzählerische Klasse paart sich hier mit einem originellen Fall, dem wie eigentlich dem gesamten Werk Dennis Lehanes ein großes Publikum zu gönnen wäre. Vielleicht ist ja wenigstens mit den Besprechungen hier in der Buch-Haltung ein Anfang gemacht.

Der Übersichtlichkeit halber hier die richtige Reihenfolge der Kenzie/Gennaro-Reihe:


  • Dennis Lehane – Gone Baby Gone
  • Aus dem Englischen von Peter Torberg
  • ISBN 978-3-257-30045-1 (Diogenes)
  • 576 Seiten. Preis: 17,00 €
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Dennis Lehane – Der Abgrund in dir

Also erste Sätze kann Dennis Lehane. Und wie:

An einem Dienstag im Mai, im Alter von sechsunddreißig Jahren, erschoss Rachel ihren Mann. (Lehane, Dennis: Der Abgrund in dir, S.7)

Zack, bumm. Da ist er wieder, jener Dennis Lehane, der mit seinen Büchern unzähligen Hollywoodfilmen ihre Grundlage geliefert hat, darunter Mystic River, Shutter Island oder In der Nacht. Nach einer Pause von drei Jahren seit Am Ende einer Welt gibt es nun Nachschub vom Meister des Thrillers und zwar in der Übersetzung von Steffen Jacobs und Peter Torberg.

Wobei ich mich über zweihundert Seiten nach dem oben zitierten Paukenschlag-Prolog fragte, ob ich hier wirklich ein Buch von Dennis Lehane lese. Denn in jenen grob zweihundert Seiten schildert Dennis Lehane zunächst einmal die Lebens- und Liebesgeschichte seiner Heldin Rachel Child vom Jahr 1977 an. Wie sie ohne Vater aufwuchs, ihr Glück in Beziehungen suchte und von Angstattacken gequält wurde, all das steht im ersten Drittel von Der Abgrund in dir im Mittelpunkt.

Natürlich will seine Heldin entwickelt werden, damit der Stoff auf einem festen Fundament steht und damit über die ganze Handlung trägt. Allerdings fehlten mir hierbei die typischen Lehane-Zutaten wie Tempo, unvorhersehbare Wendungen und vor allem das Wichtigste – die Spannung. Zunächst ist das Buch ein klassischer Roman, der von der Suche einer Frau nach Liebe handelt. Erst nach und nach zieht Lehane eine untergründige Ebene ein, die sich darum dreht, was man in der Partnerschaft wirklich von seinem Gegenüber weiß.

Nach den Enthüllungen, auf die hier natürlich nicht näher eingegangen werden soll, um die Lesefreude nicht zu schmälern, kommt dann doch plötzlich nach der Hälfte des Buchs Drive in die Handlung. Und zwar dann, als der Roman von der Liebesgeschichte langsam in Richtung Thriller kippt. Wie bei einem talentierten Fußballer merkt man hier auch klar, wenn ein Linksfuß zunächst vorher immer mit seinem schwachen Fuß geschossen hat, und sich jetzt auf seinen starken Fuß besinnt und damit einen ganz anderen Zugriff erhält.

Doch apropos Füße – betrachtet man den Roman als Ganzes, so steht Der Abgrund in dir für mich auf sehr wackligen Füßen. Dies bedingt sich durch die Kernidee, die hinter der ganzen Erzählung und dem Mord von Rachel an ihrem Mann steht. Wer schon bei Gillian Flynns Gone Girl über hanebüchene Ideen und realitätsferne Schilderungen hinwegsehen konnte, den dürften jene ähnlichen Baumängel hier auch nicht stören. In puncto Glaubwürdigkeit und Realismus würde ich Dennis Lehane hier allerdings dicke Punkte abziehen. Dies ist auch insofern schade, da er ja schon so oft bewiesen hat, dass er großartige und durchdachte Geschichten erzählen kann.

Hier konnte ich ihm das alles leider nicht so ganz abnehmen. Insofern für mich ein schwächeres Werk in einem ansonsten wirklich herausragenden Oeuvre.

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Dennis Lehane – Dunkelheit, nimm meine Hand

Kenzie & Gennaro Nr. 2

Um es gleich einmal vorweg zu nehmen – auch nach 21 Jahren seit dem ersten Erscheinen hat dieses Buch nichts von seiner Klasse eingebüßt – mein Spannungshighlight dieses Monats bislang!

Dankenswerterweise legt der Diogenes-Verlag nun nach und nach die vergriffenen Titel der Kenzie/Gennaro-Reihe wieder auf und spendiert den Büchern eine Neuübersetzung. Diesmal war der Routinier Peter Torberg für die Neuübertragung ins Deutsche verantwortlich – und hat seinen Job gut gemacht.

Dunkelheit, nimm meine Hand ist nach Ein letzter Drink der zweite Teil der Reihe, der die beiden Ermittler Patrick Kenzie und Angie Gennaro dem Leser noch näher bringt. Die beiden werden bei ihrem neuesten Auftrag wieder einmal persönlich in ein undurchdringliches Geflecht verstrickt. Denn diesmal gerät der Ich-Erzähler Patrick Kenzie in den Fokus eines Mörders, der ihn mit den Sünden seines Vaters konfrontiert.

Die Psychologin Diandra Warren erhält eine beunruhigende Nachricht, die ihren Sohn zeigt. Die Arbeitshypothese von Kenzie und Gennaro zerschlägt sich dann doch recht schnell, nachdem sie davon ausgingen, dass die Bostoner Mafia noch eine Rechnung mit Diandra oder ihrem Sohn offen hat. Als dann plötzlich der Sohn der Psychologin tot aufgefunden wird und zudem eine alte Bekannte von Patrick brutal gekreuzigt auf den Straßen Bostons gefunden wird, sitzt das Detektivpärchen in der Patsche. Denn diese beiden Morde sind nur Teil eines weitaus größeren mörderischen Geflechts, das das FBI schon seit unter Beobachtung hat. Jemand möchte Sünden aus der Vergangenheit rächen – und Patricks eigene Weste ist dabei nicht ganz blütenrein.

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Dennis Lehane – Ein letzter Drink

Um die Ecke ist eine Kneipe. Lasst uns einen trinken gehen, ehe der Krieg beginnt. (S. 189)

Dieses Zitat bringt die Stimmung in Dennis Lehanes Ein letzter Drink sehr gut auf den Punkt. Der Krieg, auf den der Ich-Erzähler Patrick Kenzie anspielt, überrascht dann die beiden Ermittler allerdings doch. Denn eigentlich beginnt alles wie immer ganz einfach und überschaubar, in diesem Auftaktband zur Reihe um das Detektivduo Kenzie & Gennaro.

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Honorige Politiker und Senatoren beauftragen Patrick mit einem leichten Fall. Eine schwarze Putzfrau hat ihren Job plötzlich quittiert und ist mit brisanten Unterlagen aus dem Büro eines Senators verschwunden. Die Politiker wollen diese Dokumente um jeden Preis wieder zurückhaben und setzen Patrick und seine Partnerin Angie Gennaro auf die Fährte der Verschwundenen.

Doch auch in diesem Falle bestätigt sich einmal mehr der Schmetterlingseffekt aus der Chaostheorie. Denn der Fall liegt ganz anders, als eingangs angenommen. Und plötzlich finden sich die beiden Bostoner Detektive in einem Krieg

wieder, den zwei rivalisierende Banden in ganz Boston blutig ausfechten – mit Patrick Kenzie und Angie Gennaro zwischen den Fronten. Noch ein letzter Drink wird an der Bar getrunken, und dann beginnt der Krieg …

Eine tolle Wiederentdeckung

Dem Verlagswechsel hin zum Schweizer Diogenesverlag verdanken wir es, dass das Frühwerk Dennis Lehanes nun noch einmal neu aufgelegt wird – allen voran der hier besprochene Auftaktband zur famosen Reihe um Kenzie & Gennaro. Auch 22 Jahre nach seinem Erscheinen liest sich der Roman noch frisch und lässt einen ganz eigenen Sound erklingen – was natürlich auch mit an der Neuübersetzung durch Steffen Jacobs liegt. Beängstigend ist geradezu die Aktualiät von Gewalt auf den Straßen und den Rivalitäten zwischen weißer und schwarzer Bevölkerung, die im Buch immer wieder thematisiert wird und auch nach mehr als zwei Jahrzehnten nach dem Erscheinen dieses Buchs ein großes Thema in der amerikanischen Gesellschaft ist.

Lehanes Prosa ist schnörkellos, der Ich-Erzähler Patrick Kenzie ein Typ, mit dem man auch abends am Bartresen noch einen letzten Drink nehmen würde. Ein toller Auftaktband einer Reihe, deren nächsten Band man nun schon sehnlich erwartet, nachdem man dieses Buch verschlungen hat!

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Dennis Lehane – Shutter Island

Die Insel des Wahnsinns

Inseln haben schon immer die Fantasie von (Krimi-)Autoren beflügelt – abgeschieden, keine Fluchtmöglichkeiten und viel Verwirrung und Ablenkung. Prototyp des Insel-Krimis ist wohl Agatha Christie mit ihrem Klassiker Zehn kleine Negerlein (bzw. nun dem politisch korrekten Titel Und dann gabs keines mehr), aber auch ansonsten haben Autoren das Setting der Insel schon häufig verwendet.

Keine Ausnahme davon stellt Dennis Lehanes Krimi Shutter Island dar. Er hat für diesen Roman eine mehr als gruselig zu nennende Insel ersonnen, die vor der Küste Bostons ein zweites Alcatraz beheimatet.

Gefangene sind auf dieser Insel zahlreich vorhanden, jedoch ist Shutter Island eine Psychatrieanstalt für die gefährlichsten aller Straftäter.

Auf diese Insel verschlägt es nun Edward „Teddy“ Daniels zusammen mit seinem Partner Chuck. Als U.S.-Marshalls sollen sie das mysteriöse Verschwinden einer Patienten aus einer abgeschlossenen Zelle aufklären. Doch je länger sich die beiden auf Shutter Island aufhalten, umso verworrener wird der Fall.

Unermüdlich geht Teddy den Spuren nach, um Licht ins Dunkel zu bringen. Stimmen die Zahlen über die Straftäter in der Anstalt wirklich? Was geht im mysteriösen Leuchtturm vor sich? Mehr als einer der Insassen und Aufpasser auf der Insel spielt wohl ein doppeltes Spiel mit Teddy …

Perfekte Konstruktion mit Schlusspointe

Shutter Island ist ein perfekt konstruierter Thriller, der den Leser ab der ersten Seite immer tiefer in seine Welt hineinzieht und versinken lässt.

Die Konstruktion des Plots und die Schlusspointe sind mehr als meisterlich geraten. Shutter Island wartet nämlich mit einem mehr als ungewöhnlichen Kniff auf, an dem man sich (sofern man den Film noch nicht gesehen hat) lange zurückerinnern wird. Die erste Lektüre des Buchs lag bei mir noch vor der Scorsese’schen Verfilmung und  bis heute erinnere ich mich eher an den Twist im Buch und meine Überraschung denn die Verfilmung.

Wie es Lehane schafft, den Leser und Teddy immer stärker an dem zweifeln zu lassen, was eigentlich auf der Hand liegt, das ist stark gemacht. Das große Finale lässt dann noch einmal alles in einem anderen Licht erscheinen und man möchte die Lektüre noch einmal von vorne beginnen.

Alleine schon diese Schlusspointe macht das Buch zu einer Pflichtlektüre jedes Fans von guter und spannender Literatur.

Der Vorteil dieses Buchs liegt zweifelsohne in der Popularität des Kinofilms, der ja von der Größe Martin Scorsese mit Stars wie Leonardo DiCaprio und Ben Kingsley verfilmt wurde. Vielleicht greift der ein oder andere Cineast nun neugierig geworden noch zu diesem Titel und entdeckt so einen der besten amerikanischen Krimiautoren der heutigen Zeit für sich. Dennis Lehane ist es auf jeden Fall zu wünschen!


Gute Neuigkeiten für 2016

Eine gute Nachricht gibt es nun nach der Neuübersetzung dieses Klassikers durch Steffen Jacobs auch noch. Die teilweise verfilmte Reihe um das Privatdetektivpärchen Kenzie und Gennaro (siehe auch den Film Gone, Baby gone) kommt nun im Diogenes-Verlag im Lauf der nächsten Jahre wieder auf den Markt. Der erste Titel Streng vertraulich ist für Juli 2016 geplant. Bei mir herrscht auf jeden Fall schon Vorfreude!

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