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Torrey Peters – Detransition, Baby

Niemand sagt mehr irgendwas. Reese ist diese Unsicherheit in Sachen Mutterschaft vertraut, aber es kommt ihr komisch vor, wenn eine cis Frau zugibt, darunter zu leiden. Eine Gruppe von Frauen von der Gala schwebt in Meerjungfrauenkleidern vorbei. „Tja, jetzt sitzen wir hier“, sagt Reese schließlich. „Drei gescheiterte Möchtegern-Mamas.“

Torrey Peters – Detransition, Baby

Die Frage von Mutterschaft kann bisweilen äußerst kompliziert sein. Noch komplizierter wird es, wenn das Elternschaftsmodell nicht zwischen zwei, sondern drei Erwachsenen ausgehandelt wird. Und noch komplizierter wird es, wenn die herkömmlichen Geschlechterzuschreibungen nicht mehr so wirklich passen wollen. Das zeigt Torrey Peters in ihrem Debütroman Detransition, Baby.


Und tatsächlich ist es eine Babynachricht, die das Karussell aus Zankerei, Verwechslung und Identitätsdebatten auslöst. Katrina pflegt seit einiger Zeit mit ihrem Mitarbeiter Ames eine Affäre. Dieser war einst ein Mann, entschied sich dann als Amy zu einem Leben als Frau und hat nun eine Detransition hinter sich. In Folge dieser Detransition wähnte er seine Zeugungsfähigkeit als nicht mehr existent, doch die überraschende Babynachricht wirbelt das Leben der beiden Kolleg*innen gehörig durcheinander.

Familie zu Dritt

Torrey Peters - Detransition, Baby (Cover)

Noch deutlich komplizierter wird es, als Ames seine ehemalige Partnerin Reese ins Boot holt, auch sie ist trans, möchte aber unbedingt Mutter werden und verfügt über einen ausgeprägten Mutterinstinkt.

Obwohl sich Katrina zunächst gegen die Idee einer Mutterschaft zu dritt sträubt, gelingt es Ames und Reese, dieses ungewöhnliche Modell langsam zur Realität werden zu lassen. Dabei springt Torrey Peters immer wieder in der Chronologie vor und nach der Zeugung hin und her, um die drei Menschen in ihrer Komplexität zu zeigen, ihre jeweiligen Lebenswege nachzuzeichnen und die Probleme zu beschreiben, vor denen sie immer wieder stehen.

Geschildert wird all dies in einer wenig kunstvollen, nah an der Mündlichkeit orientierten und manchmal sogar knapp an der Gosse vorbeischrammenden Sprache (Übersetzung ins Deutsche von Nicole Seifert und Frank Sievers):

„Reese“, sagt Thalia, „ist schon okay“. Dann zu dem Mädchen: „Sorry“.

Die nickt knapp, zieht die Augenbrauen hoch und sieht Reese erwartungsvoll an. Aber Reese weigert sich, sich ebenfalls zu entschuldigen. Sie ist aus Granit und wird das Mädchen einfach vergraulen. Scheiß auf sie. Soll sie erst mal selbst zu so vielen Veranstaltungen hier gehen wie Reese, dann werden wir sehen, ob sie nicht auch einen Sinn für Humor entwickelt. Irgendwann zieht das Mädchen ab, und fast sofort bereut Reese ihre Feindseligkeit bei diesem unnötigen Aufeinandertreffen. Sie hat die Geduld mit diesen trans Babys verloren – was bei einer Älteren nie gut ankommt.

Torrey Peters – Detransition, Baby

Das ist leider eher der leichte und bisweilen leicht-dramatische Sound einer der Soap als eine anspruchsvolle Schilderung, die mit Niveau überzeugt. Und genauso oberflächlich wie diese Sprache ist auch die Verhandlung der Konflikte und Gemütslagen. So ist vielerlei Drama in diesem Buch mehr im Stile von amerikanischen Serie wie Sex and the city gehalten, anstelle wirkliche Tiefenbohrungen in die Seelen der Figuren zu unternehmen. Mir fehlt in diesem Buch der Mut, über die eigenen Befindlichkeiten hinaus auf die ganze Gesellschaft zu zielen.

Man hat Affären, zahllosen Sex, shoppt Kinderwägen und Klamotten, trifft sich mit der Frauenclique in Parks und bei absurden New Age-Meditationstreffen, sitzt am Strand oder in Cafés und debattiert. Und ja, natürlich spielt dabei immer die eigene trans Identität im Gefüge anderer Menschen eine Rolle. Aber dieses Buch verharrt für meinen Geschmack im Ganzen dann doch viel zu sehr in der überzeichneten und überformten Dialogen und Konfliktführungen á la Meet the Kardashians, als mir profunde und emotionale Einblicke in die Welt von trans Menschen zu liefern. Man kreischt und prügelt sich vor Affären, beleidigt, streitet und versöhnt sich. Nur berühren, das tut es leider nicht.

Einblicke, aber doch auch viel Oberfläche

Es stellt sich der rätselhafte Lektüreeindruck ein, dass Torrey Peters als trans Autorin tief in die Lebenswelt ihrer Figuren eintaucht, dann bei allem aber doch in allen Belangen bedauerlicherweise nur an der Oberfläche bleibt, was auch ein Kunststück für sich ist.

Die ganze Nomenklatur aktueller Gender- und Identitätsdebatten rund um LGBTIQA+ findet sich in Detransition, Baby von von cis bis trans wieder. Das Buch liefert auch Einblicke in die entsprechenden Communitys, geht dabei allerdings nicht weit genug und ist so trotz vieler eigentlich guter Anlagen für meinen Geschmack leider deutlich zu seicht und belanglos, als dass ich hier Werbung für den Titel betreiben könnte.

Statt dieses Buchs empfiehlt sich immer noch eher ein gutes Sachbuch oder ein Erfahrungsbericht, um die Situation von trans Menschen und die Debatten rund um deren Repräsentation besser zu verstehen.

Fazit

Jeder oder jede, der oder die Soaps amerikanische Serien der Marke Sex and the city mit viel Oberflächlichkeit und Drama goutiert, wird bei Detransition, Baby sicherlich fündig. Wirkliche Einsichten in die Lebenswelten von trans Menschen und Verständnis aktueller Debatten hat mir die Lektüre von Torrey Peters Buch leider nicht vermittelt, obwohl die Anlagen dafür tatsächlich da wären. Vielleicht bin ich aber auch nur ein zu wenig aufgeschlossener, mittelalter cis Mann mit zu wenig Empathie, als dass sich mir der Roman in seiner vielleicht vorhandenen Wucht erschlossen hätte. Wer weiß. So oder so habe ich mir leider mehr erwartet, als ich schlussendlich dann bekam.

Verwiesen sei an dieser Stelle noch auf das Blog Nacht und Tag, das die beteiligte Übersetzerin Nicole Seifert betreibt und auf dem sie ihre Sicht auf Torrey Peters Buch darlegt.


  • Torrey Peters – Detransition, Baby
  • Aus dem Englischen von Nicole Seifert und Frank Sievers
  • ISBN 978-3-550-20204-9 (Ullstein)
  • 464 Seiten. Preis: 24,00 €

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Yonatan Sagiv – Der letzte Schrei

Die Wühlmaus ermittelt. Yonatan Sagiv schickt mit Der letzte Schrei einen neuen Ermittler mit nicht ganz klarer geschlechtlicher Identität und einem Gespür für Fährten, Flirts und Fettnäpfchen auf die Straßen Israels. Auf der Suche nach einem vielversprechenden Teenagerstar blickt er in verschiedene Milieus und lernt die Schattenseiten des Popbusiness kennen.


Prince Connan ist tot. Die größte Gelegenheit meines Lebens rinnt mir durch die Finger, mein Vater betrügt nach siebenundvierzig Ehejahren meine Mutter, überall im Land brennt es, als müsste sich das Erdreich in einem fort erbrechen. Und ich bin hier auf dieser sklerosen Party mit einem Haufen Provinznudeln, die darauf bestehen, Fashion zu sagen statt Mode, und bete wie die allerletzte Miserable, ein Prinz mit flachen Witzen möge kommen und mich aus diesem Elend erretten, in das er mich selbst geworfen hat.

Yonatan Sagiv – Der letzte Schrei, S. 205

Ja, es sind wirklich einige Fronten, an denen Oded Chefer gefordert ist. Die Wühlmaus lebt gerade in der Wohnung eines Freundes, hat sein eigentliches Apartment untervermietet. Für den PR-Spindoctor Binyamin Direktor soll er dem Verschwinden eines Mädchens klären, das im Begriff steht, der neue Star Israels zu werden. Privat ist sein Familienleben auch recht turbulent – und zudem lässt er sich von Männern sehr schnell den Kopf verdrehen. Eine Tatsache, die seiner Objektivität in Sachen Ermittlungen der verschwundenen Teenagerin nicht unbedingt zuträglich ist.

Und so ermittelt sich Oded mal erfolgreicher, mal reichlich unelegant und tappend durch die Welt der Teenagerin und trifft neben all den Ablenkungen auch durchaus auf Spuren, die ihn auf die Fährte ermordeter Transsexueller, viel falschem Schein und vielversprechender Dates bringen.

Ein Krimi mit LGBTIQA+-Hintergrund

Yonatan Sagiv - Der letzte Schrei (Cover)

Immer wieder wird aus verschiedenen Richtungen die Forderung vorgebracht, die Literatur solle diverser werden und die Pluralität der unterschiedlichsten Lebensformen in den Blick nehmen. Der letzte Schrei trägt diesen Forderungen Rechnung und zeigt ein Israel, das so ganz anders ist als das Bild des religiös geprägten Lands, das in unserem Denken noch vorherrscht. Transsexuelle, Diskussionen über gendergerechte Sprache, die Vielfalt von LGBTIQA+-Leben und dessen Repräsentation in der Öffentlichkeit, all das bildet dieser Krimi ab, was Verfechter*innen konservativer Geschlechterlehre verschrecken dürfte.

So referiert ein Charakter über die Fülle der Identitäten und wirft Oded Dinosaurier-Cisgenderbewusstsein vor, da er die Fülle an agender, non-binären, genderfluiden, queeren, bigender, pangender oder non-conforming-Identitäten ignorieren würde (S. 82).

Was in seiner ganzen Theoriehaftigkeit und dem Demühen um Diversität in literarischen Texten schnell dröge oder überfordernd werden kann, wird von Yonatan Sagiv durchaus unterhaltsam und ironisch in seinen Krimi eingebracht und eingebunden.

Zu den spannendsten Aspekten dieses Buchs gehört auch die geschlechtliche Identität ihrer Hauptfigur Oded Chefer. In seinen Zuschreibungen lässt sich die Wühlmaus nicht ganz eindeutig festlegen und entzieht sich mit seinem Verhalten und seinen Schilderungen einer eindeutigen Zuordnung.

Mein Herz fängt heftig an zu schlagen. Jetzt bin ich geliefert. Jetzt hat er mich. Jetzt werde ich die ganze Wahrheit gestehen müssen. Unmöglich, dass, wenn er meine Angaben noch einmal durchgeht, dieser Polizeioffizier nicht über den Namen stolpert. Oded Chefer – der bekannte und gefeierte Privatdetektiv, der die beiden Mordfälle gelöst hat, die in den letzten zwei Jahren das ganze Land in Atem gehalten hatten. Die brillante Ermittlerin, die Schulter an Schulter mit Oberinspektor Yaron Malka dafür kämpft, die die Kriminalität einzudämmen, die auf den Straßen unseres Landes tobt. Und nicht zuletzt die Spürnase de jour der Reichen und Prominenten. Der Mann und der der Mythos. Die Frau und das Mysterium.

Yonatan Sagiv – Der letzte Schrei, S. 157

Geschlechtliche Ambiguität im Krimi

Diese Ambiguität zählt zu den interessantesten Aspekten des Buchs und entwickelt den Gedanken fort, den so schon etwa Tom Hillenbrand in Qube oder Stuart Turton in Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle mit ihren Krimis präsentieren, in denen sie geschlechtlich vielfältige Erzähler*innen wählten und ermitteln ließen. Der entscheide Unterschied ist, dass in diesen Titeln ein Erzähler in mehrere Figuren und Körper schlüpfte, ohne selbst die geschlechtliche Vielfalt mitzubringen, sondern diese nur für einen bestimmten Zeitraum anzunehmen und zu erfahren. Hier geht Yonatan Sagiv nun weiter und vereint das Weibliche und Männliche mit schwankenden Ausprägungen in der Figur des Oded Chefer.

Generell ist festzustellen, dass sich der zeitgenössische Krimi auch hier in Deutschland langsam öffnet und auch Figuren jenseits des binären Denkens zeigt, so auch jüngst der Suhrkamp-Verlag mit Candas Jane Dorseys Drag Cop, der eine ambisexuelle Ermittlerfigur in den Mittelpunkt stellt.

Diesbezüglich ist Der letzte Schrei wirklich modern und innovativ. Ansonsten bietet Yonatan Sagivs Krimi eher konventionelle Genreunterhaltung, die über die übliche Variation der Ermittlungstropen und Erzählansätze nicht hinauskommt. Oded Chefer sammelt Spuren, entdeckt die Hintergründe des Verbrechens, ermittelt in Zusammenarbeit mit der Polizei den Täter und überstellt diesen anschließend der Justiz. Das ist nicht schlecht, aber eben auch nicht viel mehr als Krimiunterhaltung von der Stange – eben aber mit einem ungewöhnlichen Protagonisten. Und mit Israel besitzt dieser Krimi einen Handlungsort, der abseits der populären Krimis von Dror Mishani gegenwärtig auch nicht allzu häufig vertreten ist.

Fazit

Der Verlage Kein & Aber weist mit Ayelet Gundar-Goshen, Yishai Sarid oder Noa Yedlin ja ein eh schon spannendes Literaturprogramm aus dem israelisch-palästinensischen Kulturraum auf. Zu diese Stimmen gesellt sich nun auch Yonatan Sagiv, der einen zwar recht konventionellen Krimi vorlegt, dafür aber mit einem originellen Ermittler überzeugen kann, dem man noch weitere Einsätze gönnt.


  • Yonatan Sagiv – Der letzte Schrei
  • Aus dem Hebräischen von Markus Lemke
  • ISBN 978-3-0369-5865-1 (Kein & Aber)
  • 400 Seiten. Preis: 25,00 €
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