Lawrence Osborne – Welch schöne Tiere wir sind

Jeunesse dorée: zu dieser Klasse könnte man unzweifelhaft Naomi und ihre Freundin Samantha zählen. Als Tochter eines Millionärs kennt die junge Britin Naomi so etwas wie Sorgen eigentlich nicht. Zusammen mit ihrem Vater und der Stiefmutter verbringen sie die Sommer auf der griechischen Insel Hydra. Dort besitzt ihr Vater eine luxuriöse Immobilie, zu deren Vorbesitzern Leonard Cohen gehörte.

Auf der Insel Hydra schließt sie mit Samantha Freundschaft, die aus den Vereinigten Staaten stammt und deren Vater zur Rekonvaleszenz auf Hydra weilt. Schließlich gibt es auf der Insel weder Fahrräder noch Autos – und somit wenig Ablenkung und potentielle Gefahrenquellen, die einer Gesundung entgegenstehen.

Sommer auf Griechenland, das bedeutet Sonne, weißer Strand, Drogen, Schwimmausflüge – aber damit hat es sich dann aber auch schon wieder. Die Tage tropfen so zähflüssig wie der autochthone Honig vom Löffel, der im Buch immer wieder konsumiert wird. Ein schönes Symbolbild für den Stillstand, der auf der autofreien Insel herrscht. Zwar mangelt es an nichts, aber es entwickelt sich eben auch eine Langweile inmitten der ewigen Routine.

In dieses Einerlei aus Müßiggang platzt schon bald eine Begegnung, die für willkommene Abwechslung im Leben der beiden jungen Frauen sorgt. Sie entdecken auf der Insel Faoud, einen Geflüchteten, dessen Herkunft und Geschichte etwas unklar sind. Als Projekt gegen die Langeweile beschließen die beiden Frauen, sich des Mannes anzunehmen. Sie versorgen ihn mit Kleidung, organisieren eine Unterkunft für den Flüchtling – und schmieden schon bald einen verhängnisvollen Plan, der tödliche Konsequenzen nach sich zieht. Mehr sollte an dieser Stelle nicht verraten werden.

Sommerhelle und tiefe Finsternis

Lawrence Osborne gelingt es in seinem zweiten Roman (zuletzt Denen man vergibt, erschienen bei Wagenbach) eine faszinierende Mischung aus Sommerhelle und dunkelster Finsternis zu kreieren. So fängt er die Stimmung auf der Insel Hydra mit tollen Bildern und großen Sprachgirlanden ein. Beispiel gefällig?

Vom Bootssteg des kleinen Örtchens Palamidas stiegen sie eine Stunde lang nach Episkopi auf, bis sie Schluchten und unebene Felder umgaben, auf denen Alpenveilchen überdauerten. Sie setzten sich auf eine Steinmauer und blickten aufs Meer hinunter, auf die massiven, kahlen Inseln, den Schatten von Dokos und die bleiche Masse der Peleponnes dahinter. Berghänge fielen zu einer zerklüfteten Küste ab, die auf kupfergrünes Wasser traf, die steil aufgerichteten Oberflächen mit grauen Felsen und zitterndem Salbei befleckt. Einsame, gotisch geformte Agaven schossen unerwartet auf, die Häupter vom Wind zur Seite gefegt, und um sie herum lagen alte Eselzäune aus Draht wie angespültes Wrackgut, verknotet mit fortgeworfenen Bettgestellen und alten Haustüren. Es sah aus wie ein Land, das sich Zeit ließ mit dem Sterben, mit der Rückkehr ins Prähistorische.

Osborne, Lawrence: Welch schöne Tiere wir sind, S. 76

Die Landschaftsbeschreibungen und die Settings, die Osborne geradezu altmodisch schildert, gefielen mir richtig gut; vor allem, da in ihnen auch stets das Morbide als Prophetie mitschwingt. An dieser Stelle muss auch der Übersetzer Stephan Kleiner erwähnt werden. Dieser überträgt ansonsten unter anderem auch Hanya Yanagihara und Michel Houllebecq ins Deutsche. Ihm gelingt es, die bildsatte Sprache und die manchmal geradezu klinisch kalten Dialoge gut ins Deutsche zu übertragen.

Kammerspiel, Shakespeare, Sommer, Insel – alles drin!

Auch wenn der Anfang des Buchs noch gemächlich sein mag, so ändert sich das Tempo und der Tonfall des Buchs dann in der zweiten Hälfte enorm. Vieles im Buch erinnerte mich zu Beginn manchmal an Tennesse Williams Die Katze auf dem heißen Blechdach. Auch habe ich deutliche Anleihen bei den Dramen William Shakespeares ausgemacht. Der zweite Teil kippt dann in einen waschechten Thriller (bei dem man die ein oder andere Unwahrscheinlichkeit in Kauf nehmen sollte). Die Registerwechsel im Buch werden von Osborne aber gut vollzogen. Ihm gelingt es immer, die sonnendurchflutete aber sehr untergründige Stimmung beizubehalten.

Dafür nimmt man es dann auch in Kauf, dass Osborne die Oberflächlichkeit im Buch eben auch an Klischees bzw. abgenutzten Erzählfiguren aufhängt. Denn die Oberflächlichkeit der Jeunesse dorée wird dadurch besonders transparent. Mag der Kontostand auch nie Thema von bangen Überlegungen sein – am Ende des Buchs werden auch Samantha oder Naomi nicht glücklicher sein. Im Gegenteil. Und diese Erkenntnis ist zwar nicht neu, in Welch schöne Tiere wir sind liest sich das Ganze aber wirklich weg wie ein ein Eiswürfel, der unter der griechischen Sonne schmilzt.

Und so fällt dann auch mein Fazit aus. Man erhält mit Welch schöne Tiere wir sind ein vielfältiges Buch. Ein Blick ins Leben der Oberen Zehntausend (wenngleich nicht ganz klischeefrei). Ein Buch über die Frage, wie wir mit Geflüchteten umgehen. Eine spannenden griechischen (und italienischen) Thriller. Ein Kammerspiel. Oder um es kurz zu machen: sehr gute und stilsichere Literatur!


Auch andere Blogger haben das Buch gelesen und besprochen – mit teils unterschiedlichen Endergebnissen. Eine Rezension findet sich unter anderem bei Alexandra im Bücherkaffee und eine andere Besprechung hat Petra vom Blog LiteraturReich verfasst.

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