Maria Leitner – Hotel Amerika

Ihr Roman Hotel Amerika zählte zu einem der ersten Werke, das die Nationalsozialisten 1933 im Zuge ihrer Bücherverbrennung in die Flammen warfen. In einer Neuausgabe lässt sich nun der einst verfemte Roman Maria Leitners aus dem Jahr 1930 wiederentdecken und zeigt eine scharfsichtige Autorin, die vom Klassenkampf in einem megalomanischen Luxushotel im New York der Roaring Twenties erzählt.


Das Hotel steht jetzt vor ihnen wie eine riesenhafte, ungeheuere, hellerleuchtete Schachtel, in die unzählige Menschen, unzählige Schicksale gepfercht sind, Menschen aus allen Klassen und aus allen Teilen der Welt, Reiche und Arme, Glückliche und Elende. Hier ist alles angehäuft, Hölle und Himmel, Trauer und Glück, Krankheit und Übermut.

Maria Leitner – Hotel Amerika, S. 218

Das Hotel als Schmelztiegel der Klassen, Schicksale und Hoffnungen, Maria Leitner erzählt in ihrem 1930 erschienenen Debütroman davon, indem sie verschiedene Figuren als erzählerische Ankerpunkte in ihre Geschichte setzt. Sie alle eint, dass ihr Romanpersonal tatsächlich fast durch die Bank weg eben das ist: Personal. Ihre Figuren sind Menschen, die man in den Zimmern des luxuriösen Hotels allerhöchstens antrifft, wenn sie dieses putzen. Menschen, die hinter den Kulissen für den reibungslosen Ablauf des Betriebs im Hotel Amerika schuften müssen.

Menschen im Hotel, die arbeiten

Da ist die irische Waschfrau Shirley, die zusammen mit ihrer Mutter Celestina unter elenden Bedingungen im Hotelkomplex haust und selbst nur die löchrigsten abgelegten Textilien erhält, die aus dem Bestand des Hotels ausgesondert wurden. Das schwedische Zimmermädchen Ingrid, das unter den strengen Augen der Etagendame putzt und feudelt und Badewannen scheuert. Da ist der deutsche Küchenjunge Fritz, der überwältigt die gigantische Küchenmaschinerie im Bauch des Hotels kennenlernt. Schwarze Spüler*innen, hocheffiziente Arbeitsteilung, Schränke für das stets wohltemperierte Geschirr und inmitten des Ganzen der stellvertretende Küchenchef, der per Rohrpostanlage und Rundumblick die Maschinerie antreibt.

Maria Leitner - Hotel Amerika (Cover)

Pagen, Aufzugführer, Nachtwächter, Kellner, sie alle stehen im Mittelpunkt dieses Romans, der sich damit grundlegend von anderen Romanen aus dieser Zeit wie etwa Menschen im Hotel von Vicki Baum oder Joseph Roths Leben im Hotel unterscheidet, was angesichts des Lebens und der Beschäftigung von Maria Leitners nicht verwundert, wie es Katharina Prager in ihrem Nachwort zu Hotel Amerika herausarbeitet.

Denn Maria Leitner war eine unermüdlich reisende Beobachterin und Journalistin, die sich aus einer dezidiert linken Perspektive heraus für den Klassenkampf interessierte. Durch ihre Brüder erlebte sie den Versuch einer sozialistischen Räterepublik in Ungarn hautnah mit, ehe sie nach der blutigen Niederschlagung dieser Republik nach nur vier Monaten aus Ungarn fliehen musste.

Das engagierte Leben einer weitgereisten Journalistin

Als Tochter jüdischer Eltern im heutigen Kroatien in Varaždin geboren, berichtete Leitner als Korrespondentin für eine ungarische Zeitung als Stockholm. Für den KPD-Politiker und Verleger Willi Münzenberg schrieb sie, im Auftrag des Ullstein-Verlages reiste sie jahrelang durch die USA.

Stets vom großen Interesse für die Arbeiterfrage geleitet lernte sie New York ebenso wie Haiti, Aruba oder das Leben im Mittleren Westen kennen. Mit ihren investigativen Sozialreportage wurde sie zu einer Vorreiterin dieser Disziplin, reiste gar inkognito fünfmal nach Hitlerdeutschland, um direkt vor Ort von den Veränderungen unter den neuen Machthabern zu berichten.

Es war ein wirkliches spektakuläres Leben, das Maria Leitner lebte und das mit nur 50 Jahren sein Ende fand, als Maria Leitner auf ihrer Flucht nach Marseille trotz der Bemühungen ihres Bekannten Theodore Dreisers und Varian Frys vom ERC keine Ausreisegenehmigung erhielt. Völlig verausgabt, mittellos und verzweifelt starb die weitgereiste Journalistin und Autorin den Hungertod.

Katharina Prager kommt in ihrem umfangreichen und kenntnisreichen Nachworts in Bezug auf das Leben und das Schreiben Maria Leitners zu folgendem Schluss:

Zwischen Ullstein und Münzenberg, zwischen Neuer Sachlichkeit und proletarischer Linkskultur, zwischen Arbeiterbewegung und Feminismus überschritt Maria Leitner durchgehen institutionelle, literarische und politische Grenzen und fand dabei ganz neue Perspektiven.

Katharina Prager in ihrem Nachwort zu Maria Leitner – Hotel Amerika, S. 246

Der Klassenkampf wird geprobt

Hotel Amerika zeigt die linken Lebensthemen Maria Leitners ganz deutlich. Neben der Fokussierung auf das Proletariat in Form des in unwürdigen Zuständen hausende Hotelpersonal ist auch das Wagnis eines Arbeitskampfs eines der zentralen Themen in ihrem Roman.

Abseits einer etwas umständlich erzählten Erpressungsgeschichte einer reichen Erbin, deren bevorstehende Hochzeit den erzählerischen Rahmen des Romans bildet, sind es vor allem die Schilderungen der krassen Ausbeutung der Arbeiterschicht, der die Lektüre von Hotel Amerika so eindrücklich machen (und die die Antipathie der Nationalsozialisten gegen Leitners dezidiert linkes Erzählen anschaulich belegt).

Denn während die Hotelgäste in Luxus schwelgen, das Personal nach Lust und Laune malträtieren und den Takt der Arbeit vorgeben, hausen die Arbeitenden in engen Verschlägen und müssen zeitlich eng getaktet ihr Essen einnehmen, gegen das sogar Gefängniskantinen in Sachen Qualität und Ambiente beneidenswert erscheinen. Die Ausbeutung von Persons of Color, Frauen und den anderen Bediensteten ist das Fundament, auf dem dieses Hotel gegründet ist. Bis es den Arbeiter*innen reicht und sie mit ihrem Arbeitskampf die etablierte Ordnung und den Ablauf des Tages fast ins Wanken bringen, folgt man diesen Erkundungen des Hotelbetriebs von unten doch sehr gerne.

Fazit

Mit Hotel Amerika bringt der Reclam-Verlag ein erzählerisch interessantes Buch einer ebenso interessanten Autorin wieder zurück auf den deutschen Buchmarkt. Wie Maria Leitner von der Ausbeutung des einfachen Hotelpersonals berichtet und den Arbeitskampf im Luxushotel proben lässt, das ist eindrücklich gelungen. Gerade in Verbindung mit dem informativen Nachwort Katharina Pragers ist diesem Buch zu wünschen, dass es mitsamt seiner einst verfemten Autorin wieder ins öffentliche Bewusstsein rückt!


  • Katharina Prager – Hotel Amerika
  • Mit einem Nachwort von Katharina Prager
  • ISBN 978-3-15-011476-6 (Reclam)
  • 255 Seiten. Preis: 25,00 €
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