Nicolás Ferraro – Ambar

Roadtrip, Coming of Age und Gangsterballade. Das alles mischt der Argentinier Nicolás Ferraro in seinem Thriller Ambar zusammen, in dem er eine junge Teenagerin zusammen mit ihrem Vater, einem Auftragsmörder, quer durch Argentinien schickt. Nun liegt das Buch in der Übersetzung von Kirsten Brandt im Pendragon-Verlag vor.


Meine Kindheit ist ein unvollendetes Tattoo, weil irgendjemand beim Stechen ständig das Design verändert hat. Oder ich habe beschlossen, es nicht weiter stechen zu lassen, weil ich den Schmerz nicht mehr ertrage.

Nicolás Ferraro – Ambar, S. 230

Das Tattoo, es ist ein Leitmotiv, das sich durch den ganzen Roman des argentinischen Autors und Bibliothekars Nicolás Ferraro zieht. So ziert ein Tattoo mit der Inschrift ÁMBAR den Unterarm von Ambars Vater, der sich die Erinnerung an seine Tochter unter Schmerzen auf seinen Körper hat schreiben lassen. Im Gegensatz zu anderen tätowierten Männer sind es aber auch zahlreiche Narben, die seine Haut zieren, denn Ámbars ist nicht wie andere Väter. Ámbars Vater ist ein Killer.

Die Tochter eines Killers

Ruhe, ein stabiles Zuhause oder Schule, das alles gibt es für seine Tochter nicht, denn mit seiner Tochter an seiner Seite ist ihr Vater unterwegs durch ganz Argentinien. Für seine Aufträge reist er in Autos umher, bringt Menschen um und ist auf der Flucht. Seit Kindesbeinen an sind so die Erinnerungen von Ámbar an ihren Vater von Wunden und der damit verbundenen Gewalt geprägt.

Als ich zwölf war, hat Papá mir beigebracht, Kugeln zu entfernen und Wunden zu nähen. Mit dreizehn habe ich schießen gelernt und ein paar Monate später, wie man ein Auto kurzschließt.

Nicolás Ferraro – Ámbar, S. 8

Doch auch Ámbar hat Ziele, die sich in Form eines Tattoos ausdrücken. Denn darauf spart das Mädchen schon seit langer Zeit, während es mit seinem Vater durch Argentinien zieht und immer wieder die Identität wechselt, mal Alejandra heißt oder auf den Tarnnamen Delfina hört und ihren Vater bei seiner Arbeit unterstützt, indem sie Orte und Menschen ausspioniert oder seine erlittenen Wunden versorgt.

Unterwegs durch Argentinien

Nicolás Ferraro - Ámbar (Cover)

Doch nun ist alles anders. Denn jemand möchte Ámbars Vater tot sehen. Dieser dreht allerdings den Spieß um und macht Jagd auf die Menschen, die seinen Tod wollen. Und so beginnt ein Roadtrip, der von Gewalt. immer neuen Identitäten und Schauplätzen geprägt ist, während das Mädchen und ihr Vater auf der Reise über ihren Musikgeschmack streiten und eigentlich nur aus der Geschichte herauswollen, in die sie geraten sind. Doch dabei rückt eine Frage immer weiter in Ámbars Fokus: kann sie ihrem Vater überhaupt trauen?

Ámbar kennzeichnet eine Mischung aus Elementen eines klassischen Road Novels, die manchmal schon fast spaltterhaften Gewalt vor allem im letzten Teil des Buchs sowie dem Grundmotiv eines Coming of Age-Romans, in dem sich Ámbar zum ersten Mal verliebt und eigentlich andere Ziele hat, als das Überleben ihres Vaters zu sichern. Es ist ein Roman, der an seiner disparaten Motivlage scheitern könnte, es aber nicht tut. Denn all diese Elemente fügen sich sehr gut zusammen und lassen den Roman immer weiter vorantreiben, während Ámbars Vater nacheinander alle Verdächtigen auf seiner Liste abklappert, um seinen Gegnern näher zu kommen.

Und auch wenn sich die Schauplätze Argentinien und Chile nicht ganz die gleichen sind, so ist doch auch die Ähnlich zu María José Ferradas Roman Kramp unübersehbar. War es bei ihr ein Handelsvertreter, der zur Zeit der Pinochet-Diktatur mit seiner Tochter auf Reisen durch das Land ging, ist Ámbar gewissermaßen die große Schwester zu diesem Roman. Auch hier dominiert die Reise eines Vaters mit seiner Tochter und deren Erwachsenwerden den Roman, wenngleich Nicolás Ferraros Erzählung genrebedingt deutlich gewalthaltiger und ohne große politische Bezüge daherkommt.

Fazit

Ein dunkler Roadtrip und das spannungsgeladene Verhältnis einer Tochter zu ihrem Vater stehen im Mittelpunkt dieses Romans, der sich aus ganz verschiedenen Genres und Stilistiken speist und doch zu einem wohlgetakteten und pulsierenden Noir findet. Mit Nicolás Ferraros mit dem Premio Hammett ausgezeichneten Kriminalroman ist dem Pendragon-Verlag eine interessante Entdeckung gelungen, deren eher an ein Jugendbuch erinnernde Aufmachung fast ein wenig am Charakter des Buchs vorbeigeht. Das Erscheinen von Ámbar auf der Krimizeit-Bestenliste des Jahres würde mich nicht verblüffen.


  • Nicolás Ferraro – Ámbar
  • Aus dem Spanischen von Kirsten Brandt
  • ISBN 978-3-86532-901-1
  • 312 Seiten. Preis: 22,00 €
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