Eudora Welty – Der Räuberbräutigam

Ein Südstaaten-Märchen

Eine Sensation: Die Gebrüder Grimm sind gar nicht gestorben, sondern sind aus Kassel nach New Orleans emigriert und haben unter dem Pseudonym Eudora Welty einen Roman verfasst. Das könnte man zumindest annehmen, wenn man Der Räuberbräutigam liest.

Dieser Roman erschien im Original bereits 1942 und wurde nun über siebzig Jahre später von Hans J. Schütz ins Deutsche übertragen. Tatsächlich herrscht im ganzen 155-Seiten-dünnen Roman ein solcher Tonfall und eine solche Magie, dass man hier nur von einem Märchen, und zwar einem Südstaaten-Märchen sprechen kann.

Eudora Welty  Der Räuberbräutigam (Cover)

Das Buch dreht sich um den Räuber Jamie Lockhart, der im finsteren Tann des Missisippi-Deltas sein Unwesen treibt, und der jungen und unschuldigen Rosamond, die von ihrer fiesen Stiefmutter Salome geknechtet wird. Eines Tages https://www.klett-cotta.de/buch/Weitere_Autoren/Der_Raeuberbraeutigam/61792entführt ein Räuber diese, als sie gerade Kräuter sammeln ist. Doch Rosamonds Vater fällt eine Lösung für dieses Problem ein, schließlich hat er die Bekanntschaft mit Jamie Lockhart gemacht – der quasi zugleich Entführer und Retter seiner Tochter werden wird. Doch damit beginnt die Volten-schlagende Handlung eigentlich erst so richtig. Es treten auf: fiese Stiefmütter, dunkle Wälder, Räuberbanden, kluge und gewitzte Charaktere sowie nicht so helle Gestalten – willkommen in einem Südstaaten-Amerika, das man so noch nicht gelesen hat.

Der Räuberbräutigam ist wahrlich aus der Zeit gefallen. Hätten Joe R. Lansdale, die Gebrüder Grimm, William Faulkner und E. T. A. Hoffmann zusammengesessen, dieses Stück Literatur wäre wohl so ähnlich herausgekommen.

Das Buch ist ein Fest der Magie, der Sprache und des schon längst vergangen geglaubten Gefühls, das Märchen in einem Menschen auslösen können. Stark erinnert das Märchen auch an dadaistische Erzählungen – Lewis Carrolls Alice im Wunderland könnte für diese Erzählung auch Pate gestanden haben. Genau das richtige für Leser, für die die Geschichten auch mal etwas fantastischer und abgedrehter sein dürfen!

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Michael Robotham – Der Schlafmacher

Der große Schlaf

Ein Genreklassiker: Der große Schlaf

Ein Genreklassiker: Der große Schlaf

Der Schlaf und die Kriminalliteratur – ein weites Feld.Schon in der griechischen Mythologie ist Thanatos, also der Bruder von Hypnos, dem Gott des Schlafes, für den Tod zuständig. Wo geschlafen wird, da ist der Tod nicht fern.

Schriftsteller jeglicher Couleur haben sich von dieser Symbolik inspirieren lassen, egal ob Robert Schneider (Schlafes Bruder), Haruki Murakami (Schlaf) oder auch Raymond Chandler.

Dessen stilbildender Roman Der große Schlaf gilt als die Geburtsstunde des Hardboiled-Krimis und hat seither viele Nachahmer gefunden. Mit dem Privatdetektiv Philip Marlowe führt er einen Typus des rastlosen Privatdetektivs ein, der seine Nase in Dinge hineinsteckt, die unter Umständen tödlich enden können. So mancher, der sich fortan im Krimi zur Ruhe legte, wachte aus dem Schlaf nicht mehr auf – dieser war zum ewigen Schlaf geworden.

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Vorschau – Highlights I

Frische Bücher für 2016

Mit dem Erscheinen der Vorschauen für das literarische Frühjahr beginnt für mich immer die beste Zeit, bei der man vor lauter Blättern und Vormerken der Titel fast ganz vergisst, dass man auch dieses Jahr gar nicht zum Lesen all dieser spannenden und vielversprechenden Geschichten kommen wird. Dennoch habe ich mir vorgenommen, möglichst vielen Büchern meine Aufmerksamkeit zukommen zu lassen und Neues zu entdecken.
Hier deshalb ein paar Highlights, auf deren Erscheinen ich mich schon wirklich freue und die vielleicht auch bald hier auf diesem Blog noch genauer vorgestellt werden:

David Mitchell – Die Knochenuhren

Klappentext des Verlags:

978-3-498-04530-2An einem verschlafenen Sommertag des Jahres 1984 begegnet die junge Holly Sykes einer alten Frau, die ihr im Tausch für „Asyl“ einen kleinen Gefallen tut. Jahrzehnte werden vergehen, bis Holly Sykes genau versteht, welche Bedeutung die alte Frau dadurch für ihre Existenz bekommen hat.
Die Knochenuhren folgt den Wendungen von Holly Sykes‘ Leben von einer tristen Kindheit am Unterlauf der Themse bis zum hohen Alter an Irlands Atlantikküste, in einer Zeit, da Europa das Öl ausgeht. Ein Leben, das gar nicht so ungewöhnlich ist und doch punktiert durch seltsame Vorahnungen, Besuche von Leuten, die sich aus dem Nichts materialisieren, Zeitlöcher und andere kurze Aussetzer der Gesetze der Wirklichkeit. Denn Holly – Tochter, Schwester, Mutter, Hüterin – ist zugleich die unwissende Protagonistin einer mörderischen Fehde, die sich in den Schatten und dunklen Winkeln unserer Welt abspielt – ja, sie wird sich vielleicht sogar als deren entscheidende Waffe erweisen.

Darum freue ich mich:

Der Wolkenatlas ist mir nicht nur aufgrund der Verfilmung, sondern auch aufgrund seiner literarischen Brillanz noch immer gut in Erinnerung. Momentan lese ich gerade den nicht minder originellen Schmöker Die tausend Herbste des Jacob de Zoet und giere nach mehr. Umso schöner dass dieses Buch nun abermals in der Übersetzung von Volker Oldenburg erscheint und schon der Klappentext wieder eine überbordende Mischung verschiedenster Themen verspricht.

 


 

William Boyd – Die Fotografin: die vielen Leben der Amroy Clay

Klappentext des Verlags:

FotografinEin Klick, die Blende schließt – der Startschuss zu einem neuen Leben. Mit sieben hält Amory Clay ihre erste Kamera in Händen, eine Kodak Brownie Nummer 2, und mit ihr sind alle Weichen gestellt. Amory Clay, Fotografin, Reisende, Kriegsberichterstatterin. Statt als Gesellschaftsfotografin in London zu reüssieren, lässt Amory alles Vertraute hinter sich und beginnt 1931 ein Leben voller Unwägbarkeiten in Berlin. Ein Berlin der Nachtclubs, des Jazz, der Extravaganz und Freizügigkeit – und der ersten Anzeichen von Bedrohung und Willkür.
Amory Clay, eine Frau, die ihrer Zeit weit voraus ist, die unerschrocken ihren Weg geht, ihre Lieben lebt, ihre Geschicke selbst in die Hand nimmt. Tief fühlt sich William Boyd in sie ein und versteht es glänzend, Fiktion und Geschichte miteinander zu verschränken: das ausschweifende Berlin der frühen dreißiger Jahre, New York, wo sie den Mann trifft, der alles verändert, Paris im Zweiten Weltkrieg. Nach »Ruhelos« hat Boyd erneut eine unvergessliche Heldin geschaffen, eine verwegene, verblüffend moderne Frau, einen Künstlerroman, der das Porträt einer ganzen Epoche zeichnet.

Darum freue ich mich:

Egal ob RuhelosEines Menschen HerzArmadillo, Einfache Gewitter oder Eine große Zeit. Noch nie ist mir bislang ein schlechter Roman William Boyds untergekommen. Schon lang habe ich mir vorgenommen, diese tollen Bücher abermals zu lesen. Vielleicht bietet mir Die Fotografin genau diese Chance, wieder tief in den Boyd-Kosmos einzutauchen und wieder ein paar ältere Titel zur Hand zu nehmen?

 

Anthony Marra – Letztes Lied einer vergangenen Welt

 

Klappentext des Verlages:

MarraKeiner versteht es so wie Roman Markin, Menschen einfach verschwinden zu lassen. Wer im Leningrad der 1930er-Jahre staatlich liquidiert wird, dessen Foto landet auf dem Tisch des Retuscheurs. Nicht ein einziges Bild soll bezeugen, dass diese Person je existiert hat. Doch eines Tages will Roman nicht dem Vergessen dienen, sondern sich erinnern: an seinen Bruder – und bringt sich damit in große Gefahr …
Anthony Marra erzählt von Menschen zu ganz unterschiedlichen Zeiten: von der Primaballerina, die im Gulag Schwanensee tanzen muss; von ihrer Enkelin Galina, die sich an das Einzige klammert, was ihr von ihrer Jugendliebe bleibt: ein Gemälde des idyllischen Ortes, an dem er starb; von Kolya und seinem Bruder, die sich in der Trostlosigkeit einer sibirischen Bergbaustadt an den einzigen Traum klammern, der ihnen bleibt: die Weite des Weltalls, im Ohr die Nussknacker-Suite.

Darum freue ich mich:

Anthony Marras erster Roman Die niedrigen Himmel begeisterte mich schon über die Maßen (deshalb auch ein verdienter erster Platz in meinen Jahrescharts 2015). Umso erfreuter war ich, als ich in den Ankündigungen nun diese neuen Stories des Amerikaners über sein Leib-und-Magen-Thema Russland entdeckte.
Nachdem ich auch mit meinem letzten Kurzgeschichtenband aus dem Hause Suhrkamp mehr als gute Erfahrungen gemacht habe, freue ich mich auch auf diese Geschichtensammlung sehr. Und außerdem ist das Cover ein echter Blickfang!

Joel Dicker – Die Geschichte der Baltimores

Klappentext des Verlags:

DickerBis zum Tag der Katastrophe gab es zwei Goldman-Familien. Die Baltimore-Goldmans und die Montclair-Goldmans. Die »Montclairs« sind eine typische Mittelstandsfamilie, kleines Haus im unschicken New Jersey, staatliche Schule für Marcus, den einzigen Sohn. Ganz anders die Goldmans aus Baltimore: Man ist wohlhabend und erfolgreich, der Sohn Hillel hochbegabt, der Adoptivsohn Woody ein Sportass erster Güte. Als Kind ist Marcus hin- und hergerissen zwischen Bewunderung für diese »besseren« Verwandten und Eifersucht auf ihr perfektes Leben. Doch Hillel und Woody sind seine besten Freunde, zu dritt sind sie unschlagbar, zu dritt schwärmen sie für das Nachbarsmädchen Alexandra – bis ihre heile Welt eines Tages für immer zerbricht. Acht Jahre danach beschließt Marcus, inzwischen längst berühmter Schriftsteller, dass es Zeit ist, die Geschichte der Baltimores aufzuschreiben. Aber das Leben ist komplizierter als geahnt, und die »Wahrheit« über ihre Familie scheint viele Gesichter zu haben.

Darum freue ich mich:

Joel Dicker – dieser Name bürgt für mich für Qualität. Seinen Roman Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert halte ich für mehr als gelungen, ein Schmöker, der mich eine Woche im August 2013 gefangen genommen hat. Wie der Schweizer seine erfundene amerikanische Kleinstadt schildert, das war für mich großes Kino. Hoffentlich kann Die Geschichte der Baltimores da wieder anknüpfen! 
 

Anthony Doerr – Memory Wall

Klappentext des Verlags:

DoerrUnser Leben, unsere Welt werden durch unsere Erinnerungen zusammengehalten. Was geschieht mit uns, wenn wir sie verlieren, und welche Möglichkeiten tun sich auf, wenn andere unsere Erinnerungen wiederbeleben können? Der 74-jährigen Alma Konachek, die in einem Vorort von Kapstadt lebt, widerfährt genau dies. Sie verliert ihr Gedächtnis. Unbekannte brechen mehrfach in ihr Haus ein, auf der Suche nach Hinweisen zu einem spektakulären Fossilienfund ihres plötzlich verstorbenen Mannes. Denn Alma hat eine Wand voller Fotos, Gedächtnisstützen, Speichermedien, in der sich irgendwo der fehlende Hinweis zu dem gesuchten Fossil befindet.
In dieser lichten, wunderschönen Novelle gelangt schließlich ein Junge in den Besitz des Geheimnisses dieser alten Frau und ihres Mannes, einer Episode aus ihrer Vergangenheit mit der Macht, ein Leben zum Guten zu wenden. Der Junge reist dazu in die Karoo-Wüste und setzt sich dieser wilden Landschaft aus. Wie alle Werke Doerrs zeugt auch dieses von der Größe des Lebens – von der geheimnisvollen Schönheit der Fossilien, Wolken, Blätter – vom atemberaubenden Glück, in diesem Universum zu leben. Die Vorstellungskraft und Sprachmacht, das Einfühlungsvermögen und die Erzählkunst Anthony Doerrs sind unvergleichlich.

Darum freue ich mich:

Platz 2 in meinem Ranking der besten Bücher des Jahres 2015 und nun eine Novelle? Ist gekauft! Wenn er er schafft, die erzählerische Magie seines Buchs Alles Licht, das wir nicht sehen erneut zu entfachen, wird dieses Buch hoffentlich auch im Jahresranking 2016 weit oben stehen. Der Klappentext klingt auf jeden Fall auch schon einmal verheißungsvoll!

Diese persönlichen Highlights sind nur ein kleiner Ausschnitt des breiten Spektrums, mit dem die Verlage uns schon bald beehren. Worauf freut ihr euch? Welche Titel muss man im Auge behalten?

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Paul Finch – Schattenschläfer

Der Nebel des Grauens

 

Cumbria – im Grenzland zwischen England und Schottland. Unwegsame Täler, nur abgeschiedene Weiler und viel, viel Nebel. Hierhin hat es DS Mark „Heck“ Heckenburg nach den turbulenten Geschehnissen im Vorgänger Spurensammler verschlagen.
SchattenschläferEin verschlafener Landstrich, der nur von wenigen Menschen bevölkert wird und dessen raue Natur eher etwas für Naturfreunde und Wanderer ist. Hier kann eigentlich nichts schiefgehen denkt sich Heck und sieht einer ruhigen Zeit entgegen, als von jetzt auf gleich alles anders wird.
Der nicht enden wollende Nebel nimmt den Landstrich in die Zange und plötzlich macht ein mysteriöser Fremder Jagd auf Menschen. Zwei junge Wanderinnen sehen sich dem tödlichen Fremden gegenüber wie schon bald die komplette Bevölkerung des Lake District.
Da der Mörder stets den Frank-Sinatra-Hit Strangers in the night als Erkennungszeichen pfeift, kommt Heck ein beunruhigender Gedanke – vor zehn Jahren gab es nämlich schon einmal einen Mörder, der sich dieses Liedes bediente.

Damals glaubte man allerdings den Täter tot, nachdem Gemma Piper, Hecks künftige Chefin, als Lockvogel den Täter eigentlich tödlich verwundete. Kann es sein, dass der Fremde, so sein Name damals, zurückgekehrt ist?

Heck schlägt sich durch

Der Vorgängerband - Spurensammler

Der Vorgängerband – Spurensammler

Fein nuancierte Sprache, Figuren mit Tiefe und Widersprüchen oder langwierige Ermittlungsarbeit – das ist alles Paul Finchs Sache nicht. Mit der Dezenz eines Schaufelradbaggers rackert sich Heck stets durch die Bücher von Paul Finch. Egal ob John McClane, Nick Tschiller oder Frank Martin – Heck kann sich in der Reihe der Raubeine und Ein-Mann-Armeen durchaus einreihen.

Selbstverständlich ist im ländlichen Setting das Verbrechen nicht fern, wenn Heck in einem Polizei-Cottage sitzt. Auch wenn es ein wenig unglaubwürdig wirkt, dass der omnipräsente Nebel und ein einziger Mörder ausreichen, um ein komplettes Dorf nebst Polizei in Schach zu halten, so nimmt man es in Schattenschläfer doch hin, da Finch das Tempo hoch hält. Quasi ab der Mitte des Buchs steht die Handlung nicht mehr still, als der Mörder Finch, Gemma und das ganze Dorf unter Beschuss nimmt.
Paul Finch schafft es, mit Cliffhangern, geschickten Perspektivwechseln und viel Atmosphäre für Grusel beim Leser zu sorgen.

Ein typischer Paul Finch

Schattenschläfer reiht sich mit allen Stärken und Schwächen nahtlos in die Heckenburg-Reihe ein.
Die Figuren hätten ruhig etwas mehr Tiefe bekommen dürfen, so agieren sie oftmals sehr stereotyp (Heck als Draufgänger muss natürlich die Frauen und Dorfbewohner schützen und schreckt vor keinem Alleingang zurück). Die Komplexität des Plots ist nicht hoch, dies ist aber auch nicht Ziel Finchs. Das Buch weiß zu unterhalten, Spannung zu erzeugen und den Leser gruseln zu lassen. Mehr bietet das Buch nicht, weniger aber auch nicht. Ein fixer Thriller für Zwischendurch, dessen erneut eingefärbter Buchschnitt sicher ein Hingucker im Buchregal ist!

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Rückblick – Die Besten 2015

Die 10 besten Bücher des Jahres

Zugegeben, so ganz hab ich das mit dieser Liste bis zum Jahresende nicht ganz hinbekommen, dafür waren einfach noch zu viele Bücher zu lesen. Nun ist aber die Zeit gekommen, Rückschau zu halten und ein paar Titel hier nochmals aufzulisten, die mir dieses Jahr besonders viel Freude bereitet haben, mich besonders zum Nachdenken gebracht haben oder einfach gut unterhalten haben.
Einsteigen, Anschnallen, hier kommt meine Top Ten Liste: Nicht alle Titel sind frisch dieses Jahr erschienen, für eine Top 20 wären auch mehr als genug Bücher da gewesen, bei ungefähr 120 gelesenen Titeln hatte ich auch eine breite Auswahl. Hier jedenfalls die streng auf 10 Titel limitierte Liste (mit dem Klick aufs Cover kommt ihr zu den entsprechenden Rezensionen in Langform):

Platz 10
Richard Ford – Frank

Altherrenprosa eines grumpy, white old man, so dachte ich zunächst nach dem Studium des Klappentextes von Richard Fords Frank. Interessiert es mich wirklich, was ein amerikanischer Grummler im Ruhestand zu sagen hat? Absolut, wie ich nach der Lektüre dieses Buchs feststellen durfte. Vier etwa gleichlange Erzählungen bilden den Rahmen der Reflektionen von Frank Bascombe. Dieser muss sich mit dem Zerfall und der Endlichkeit auseinandersetzen, vanitas und memento mori in den Vereinigten Staaten. Ob er Veteranen am Flughafen begrüßt oder ob der Hurrikan Sandy nicht nur Franks ehemaliges Zuhause vernichtet – Franks Erlebnisse sagen viel über den momentanen Zustand Amerikas aus und sind darüber hinaus wirklich exzellent zu lesen.

Platz 9
Michael Robotham – Um Leben und Tod 

Was bringt einen Menschen dazu, ein paar Tage vor seiner finalen Haftentlassung zu fliehen und alles aufs Spiel zu setzen, was er hat?
Diesen Gedanken spinnt Michael Robotham in seinem Thriller Um Leben und Tod durch und serviert uns mit Audie Palmer einen grundsympathischen Helden, den man trotz Ausbruch und Himmelfahrtsmission unterstützen möchte.
Michael Robotham kann einfach schreiben. Geschmeidig greift ein Rädchen ins andere, die eine Enthüllung führt zur nächsten. Mit hoher Präzision führt er den Leser durch den Plot und vermag das ein ums andere mal mit einem Hakenschlag zu überraschen und dabei die Figurentiefe nicht zu vergessen.
Zu Recht wurde dieser Roman auch mit dem Dagger-Award als bester Krimi des Jahres ausgezeichnet!

Platz 8
Adam Johnson – Nirvana

Kurzgeschichten sind immer ein Thema für sich. Oftmals hat man das Gefühl, der Autor sei mit dem Besen durch die Schreibstube gefegt und hätte alle Überreste, Manuskriptschnipsel und Ideenfragmente zusammengekehrt und in Form eines Kurzgeschichtenbandes Reibach machen wollen. Bei Adam Johnson hatte ich dieses Gefühl zu keiner Zeit. Souverän, originell und toll geschrieben sind seine Kurzgeschichten, die lange im Gedächtnis bleiben.
Johnson erzählt von einer Flucht aus Südkorea, von einem uneinsichtigen Aufseher eines Stasi-Gefängnisses oder von der Krebserkrankung einer Frau, die mit einem Schriftsteller verheiratet ist (das alter ego des Autoren ist nicht von der Hand zu weisen).
Intensive, originelle und erinnerungswürdige Kurzgeschichten!

Platz 7
Adrian McKinty – Die verlorenen Schwestern

Adrian McKinty ist einer meiner absoluten Lieblingsautoren, der im Krimisegment einfach Maßstäbe setzt. So leicht wie er kann kaum ein Autor mit Form und Struktur spielen, pokulturelle Bezüge einflechten und die Leser auf gleichbleibendem Niveau unterhalten. Mit Die verlorenen Schwestern beweist er das erneut, der Roman ist ein verzwickter Krimi im Krimi. Erst wenn der katholische Bulle Sean Duffy ein altes Rätsel um einen Mord in einem von innen verschlossenen Pub löst, kann er in seinem aktuellen Fall einem Bombenleger das Handwerk legen. Große Krimikunst und dazu noch unglaublich unterhaltsam und auch in Sachen Anspielungen auf die Kunst und Kultur der wilden 80er sehr unterhaltsam.
Der für mich bislang beste Buch der vier Titel der Reihe bislang.

Platz 6
Karl-Ove Knausgård – Lieben

Selten hat mich ein Buch zuletzt so aufgewühlt und die Vorlage dafür gegeben, meine eigenen Gedanken und Vorstellungen zu hinterfragen. Schuld daran ist der Norweger Karl-Ove Knausgård und seinen autobiographischen Erinnerungen. Mit seinem ersten Buch Sterben kriegte er mich noch nicht so wie mit diesem Titel. Die Lektüre dieses über 750 Seiten starken Titels zog sich bei mir über mehrere Wochen. Aber immer wieder wenn ich zu diesem Titel griff hatte ich schon nach einigen Seiten und geschilderten Szenen den Eindruck – das kenne ich, hier finde ich mich wieder. Knausgårds Reflektionen sind teils banal, teils philosophisch, auch beschreibt er ungeschönt das Leben und wie sich die Liebe bei ihm äußert. Eine großartige Reflektionsvorlage und ein Dokument der Liebe und ihrer Bedeutung für ein Individuum.

Platz 5
Steffen Kopetzky – Risiko

Dieses Buch war meine erste Begegnung mit Steffen Kopetzky, und auch einer Lesung mit dem Pfaffenhofener Autoren durfte ich in diesem Jahr beiwohnen. Sein Risiko ist ein episches Breitwandabenteuer, ein Roman für Karl-May- und Spionage-Fans und so faszinierend wie facettenreich.
Er erzählt von einer ebenso verzweifelten wie mutigen Expedition, die den Schiffsmaat und Funker Sebastian Stichnote von den Schiffen Breslau und Göben über Istanbul durch die Wüste bis Afghanistan führen wird.
Liebe, Verschwörung, Kämpfe, Verfolgungen – in diesem Roman gibt es alles. Übergreifendes Motiv ist das Spiel Risiko oder wie es damals hieß Das große Spiel. Ein toller Schmöker, in dem man nächtelang versinken kann und sich an der Sprache delektiert. So muss ein historischer Roman sein!

Platz 4
John Williams – Butcher’s Crossing

Auf der Nummer 4 kurz vor dem finalen Treppchen findet sich ein Roman, der 2015 nach einem langen Dornröschenschlaf von Bernhard Robben neu ins Deutsche übertragen wurde und nach dem großartigen Stoner als zweite Perle von John Williams jetzt neu entdeckt wurde. Nach dem Lebensweg in Stoner (Farmerjunge wird Universitätsdozent) geht es jetzt für Andrews den umgekehrten weg. Von der Uni aus bricht er auf, um sich als Mann zu beweisen und Büffel zu jagen.
Doch sein Trip in die große Wildnis und sein Plan zur Büffeljagd werden schnell zu einem existenzialistischen Kampf ums Überleben, als seine Mannschaft vom Schnee in den Bergen überrascht wird und die Natur unbarmherzig zurückschlägt. Meine Wiederentdeckung des Jahres!

Platz 2
Joachim Meyerhoff – Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke

Bei diesem dritten Band von Meyerhoffs Erinnerungen stimmt alles: Timing, Pointen und Nostalgie. Sein Buch ist eine warmherzige Hommage an seine Großeltern und zugleich seine Zeit an der Otto-Falckenberg-Schauspielschule in München.
Selten musste ich in letzter Zeit bei einem Buch so viel lachen und dann wieder wehmütig an die Zeit mit den Großeltern zurückdenken. 
Meyerhoff gelingt der Spagat zwischen Erinnerung, Pointengewitter und nüchterner Betrachtung anstelle von verklärtem Kitsch.
Das Beste seiner bislang drei erschienenen Bücher. Dieses Buch sollte verschenkt, gelesen und dann wieder verschenkt und gelesen werden. Großartig!

Platz 2
Anthony Doerr – Alles Licht, das wir nicht sehen

Ich weiß nicht, wann mich ein Buch zuletzt derart beeindruckt hat, mich mitzittern ließ, mich in seine Welt zog und heftig schlucken ließ. Bei Alles Licht, das wir nicht sehen ist genau dies im Sommer 2015 der Fall gewesen. Obwohl man natürlich einwenden könnte – schon wieder ein Buch über den Zweiten Weltkrieg, ist das wirklich noch notwendig und lohnend? Ja, wenn es so toll erzählt ist, wie Anthony Doerr es tut. Wie meisterhaft er die zwei Erzählstränge von Werner Hausner und Marie-Laure gegeneinander verschneidet und sie vom Ruhrgebiet und Paris nach Saint-Malo gelangen lässt, das ist große Literatur und absolut mitreißend. 
Neben Ralf Rothmanns Im Frühling sterben dieses Jahr der beste Titel über ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte!

Platz 1
Anthony Marra – Die niedrigen Himmel 

Ein Buch, so gut, dass ich es in der Mitte abbrach um noch einmal von vorne beginnen zu können. Eine Sprachmacht, die seinesgleichen sucht. Der für mich best-konstruierte Roman, den ich dieses Jahr lesen durfte, dessen Faszination mit dem Voranschreiten jeder Seite steigt. Virtuos springt Marra zwischen den Zeiten hin und her, reißt einzelne Schicksale an, lässt Verknüpfungen langsam entstehen und zeigt mehr als eindrücklich, dass Heldenmut, Nächstenliebe und Courage auch in schwersten Zeiten Bestand haben können. Sein eindringliches Portrait des Tschetschenienkriegs und des Lebens der Menschen unter schwierigsten Bedingungen ist so eindrücklich wie fesselnd, es ergeben sich Querverbindungen und man hat den Eindruck, dass alles mit allem zusammenhängt. Mein Lieblingstitel des Jahres – dieses Buch werde ich auch definitiv noch das ein ums andere Mal in die Hand nehmen!

Welche Bücher haben euch dieses Jahr über die Maßen begeistert? Welche Titel vermisst ihr auf der Liste? Ich freue mich auf eure Anregungen!

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