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Jan Schomburg – Das Licht und die Geräusche

Ausgerechnet nach Island verschlägt es die Protagonisten in Jan Schomburgs Schriftstellerdebüt Das Licht und die Geräusche. Jenes Land, das klischeemäßig mit Elfen, Trollen, Geysiren und eigenwilligen Menschen besetzt ist, wird in Schomburgs Debüt zum Dreh- und Angelpunkt für drei Protagonisten, deren Schicksal er in Das Licht und die Geräusche erzählt.

Schomburg, der bislang eher als Drehbuchautor und Regisseur in Erscheinung trat (z.B. bei den Filmen Vergiss Mein Ich oder Vor der Morgenröte) hat sich getraut und unternimmt eine Forschungsreise in die wohl spannendste Zeit des Lebens – die Teenagerzeit. Er erzählt aus Sicht von Johanna eine Dreiecksgeschichte, die sich im Koordinatennetz zwischen Parties, Liebe, Klassenfahrt und Freiheitsdrang entfaltet. Der Rhythmus, der von der Schule vorgegeben wird kontrastiert mit dem immer spannender werdenden sozialen Leben und der bevorstehende Sommer bringt viele Verheißungen mit sich. Diese Zeit elektrisiert nicht nur Johanna – die Erzählung kreist auch um ihren besten Freund Boris und dessen portugiesische Freundin Ana-Clara, deren Schicksale eng aneinander gekettet sind.

Schomburg erzählt flirrend und zerrissen von der Zeit der Pubertät, eine Zeit, mit der sich wohl jeder Leser identifizieren kann. Parties in Hobbykellern mit Alkoholexzessen, nächtliche Ausflüge zu Freunden, Nacktbaden im See. Er verdichtet diese Zeit auf Schlaglichter, ehe dann im zweiten Teil des Romans immer mehr Struktur zutage tritt. Denn Boris scheint sich plötzlich nach Island abgesetzt zu haben, um dort seinem Leben ein Ende zu setzen. Die überforderten Eltern setzen sich mit Johanna und Ana-Clara ins Flugzeug, um Boris vielleicht noch rechtzeitig zu finden. Vor Ort entspinnt sich dann eine ganz eigene und auch überraschende Dynamik, der man als Leser dann beiwohnt und die auch Wiedererkennen birgt.

Jan Schomburg ((c) Gunter Glücklich)

Jan Schomburg gelingt das, woran Arno Frank in So und jetzt kommst du brachial gescheitert ist – eine glaubhafte Stimme für seine jugendlichen Protagonisten zu finden. Die Sprache ist nicht anbiedernd, sondern authentisch und genau passend für die Geschichte, die Schomburg erzählen will. Man erkennt sich und seine Jugend im Handeln und in den Gedanken wieder- ein Flashback in vergangene Zeiten.

Ich bin geneigt Das Licht und die Geräusche in die Reihe gelungener Adoleszenzromane zu stellen, in denen für mich  Auerhaus, Der Fänger im Roggen und Tschick stehen!

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Robert Seethaler – Der Trafikant

Verlust der Unschuld

Den Jungen, dem der Leser zu Beginn des Romans Der Trafikant von Robert Seethaler begegnet, wird es am Ende des Buches so nicht mehr geben. Selten war die Entwicklung eines Charakters in letzter Zeit spannender zu lesen.

Aus der Provinz nach Wien

Der siebzehnjährige Franz Huchel wird von seiner alleinerziehenden Mutter im Jahr 1937 aus dem beschaulichen Nußdorf im Salzkammergut nach Wien geschickt. Dort in der brummenden und brodelnden Hauptstadt soll er zum Mann werden und als Trafikantenlehrling einen Beruf ergreifen.

Doch nicht nur die Hauptstadt beschäftigt den Jungen, auch die Bekanntschaft mit Sigmund Freud und die Liebe in Form der Böhmin Anezka wirbeln sein Leben gehörig durcheinander. Und als dann auch noch die politische Wetterlage umschlägt, muss Franz schneller erwachsen werden, als ihm lieb ist.

Erlebbar gemachte Zeitgeschichte

Mit Der Trafikant gelingt Robert Seethaler zugleich ein beeindruckendes Porträt eines Landes im Umbruch und ein Entwicklungsroman, der zu den stärksten und eindringlichsten der letzten Zeit zählt. Er erzählt vom Verlust der Unschuld, denn sowohl Franz als auch das ganze Land Österreich müssen erkennen, dass die „gute alte Zeit“ wohl unwiederbringlich vorbei ist.

Seethaler zeigt, wie die Stimmung in den österreichischen Gassen kippt, wie das Volk die Ablösung Schuschniggs und die Machtergreifung Hitlers erlebt und wie das Leben der kleinen Leute beeinflusst wird. Dies geschieht angenehm beiläufig, immer wieder baut Seethaler kleine Passagen ein, die besser als viele Dokumentationen ein Gefühl des damaligen Zeitgeists vermitteln.

Auch die Entwicklung Franz‘ vom verträumten und unschuldigen Dorfkind hin zu einem Jungen, der gezwungen ist, auf eigenen Beinen zu stehen, ist eindrücklich geraten und mehr als gelungen. Man fühlt mit diesem Jungen mit und sehnt sich auch ein klein wenig nach diesem unschuldigen Gefühl der Kindheit, das in Der Trafikant allmählich verloren geht.

Ein Buch mit mannigfaltigen Themen

Spielend bedient sich Robert Seethaler verschiedenster stilistischer Erzählformen  und vermengt das Ganze traumwandlerisch sicher zu einem beeindruckenden Roman, der aufgrund seiner Qualität besticht.

Es ist ein stilles und kleines Büchlein, das doch so viel mehr zu sagen hat und größer ist als viele andere Romane der letzten Zeit.

Der Trafikant lässt den Leser wehmütig und mit einem nostalgischen Gefühl zurück und schafft ein Miniatur-Universum, das so komprimiert in der deutschen Literatur länger nicht zu lesen war.

Mit diesem Buch etabliert sich Seethaler als einer der interessantesten jungen Autoren Österreichs und lässt auf weitere große – nicht unbedingt dicke – Bücher hoffen!


Eine kleine Anmerkung zum Schluss. Nun gibt es auch eine (in meinen Augen sehr gelungene) Verfilmung von Seethalers Trafikanten von Nikolaus Leytner. Hier der Trailer zum Film:

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