Tag Archives: Deutscher Buchpreis

Das Deutscher-Buchpreis-Lotto 2019

Jedes Jahr, so auch dieses Jahr wieder mein Lotto in Sachen Deutscher Buchpreis. Dieses Jahr bin ich besonders gespannt, da ich als einer von zwanzig Blogger*innen für den Preis ein Buch besprechen darf. Welches es werden wird? Ich bin gespannt.

Nun aber meine wilden Tipps, vielleicht findet sich ja tatsächlich der eine oder andere Titel auf der Longlist des Preises? In genau einer Woche, ab dem 20.08.2019 wissen wir mehr!

Welche Titel seht eigentlich ihr auf der Longlist? Auf welche Bücher tippt ihr so? Ich freue mich über weitere Anregungen und Spekulationen!

Diesen Beitrag teilen

Stefan Thome – Gott der Barbaren

Zurück auf Null. Mit seinem aktuellen Roman Gott der Barbaren betritt Stefan Thome neues Gelände – sowohl formal als auch inhaltlich. Denn sein Buch ist eine Abkehr von den in der Gegenwart angesiedelten Charakterauslotungen Gegenspiel oder Grenzgang. Stattdessen widmet  sich der gebürtige Hesse nun dem historischen Roman, Marke Monumentalepos.

Unbekanntes China

Er betritt hierfür ein (zumindest in der deutschen Literatur) fast vollständiges Terra incognita – nämlich China zur Zeit um 1860. Um dieses Land und seine Menschen herum baut er seinen Roman, der den ganz großen Bogen aufspannt. Er erzählt von deutschen Missionaren, englischen Kriegsherren, chinesischen Rebellen und zeigt ein zerrissenes Land, dem Wunden beigebracht wurden, an denen China noch heute laboriert.

Stellenweise erinnert das an den Reisebericht von Victor Segalen, der Anfang des 19. Jahrhunderts ebenfalls China mit europäischem Blick bereiste und seine Eindrücke unter dem Titel Ziegel &Schindeln publizierte. Dann ist man wieder in einer mit viel Pathos und Pulverdampf inszenierten Schlacht um Nanking dabei, an der auch ein Ridley Scott seine Freude hätten.

Mangelnde Abwechslung kann man Thome wirklich nicht vorwerfen. Seine Ambitionen sind wirklich enorm – nur überspannte er für meinen Geschmack seinen Bogen das ein oder andere Mal deutlich.

Dies beginnt damit, dass er eine fast unübersichtliche Zahl an Akteuren auffährt. Er entscheidet sich für keine Seite, sondern ist permanent in allen Lagern mit dabei, seien es die feindlichen chinesischen Seiten oder auch die englischen Invasoren.

Eine Fülle an Figuren

So ist eine seiner Hauptfiguren ein deutscher Missionar namens Philipp Johann Neumann, von den Chinesen auch Fei Lipu getauft. Enttäuscht vom Verlauf der Revolution 1848 sucht er sein Glück in China. Dort soll er den Chinesen im Rahmen des Basler Mission den christlichen Glauben näherbringen, um die Seelen der Barbaren durch Bekehrung zu retten. Ihn lässt Thome in der Ich-Perspektive von seinen Erfahrungen berichten und macht ihn so zunächst zum Orientierungspunkt in seiner Geschichte. Neumann macht die Bekanntschaft von Hong Jin, der dann mit anderen Chinesen eine wichtige Rolle in der sogenannten Taiping-Revolution einnehmen wird (die nebenbei bemerkt mit 20 bis 30 Millionen Opfer zum größten Bürgerkrieg der Geschichte zählt).

Der Rebellenführer Hong Xiuquan (Quelle: Wikipedia)

Jene Revolution bedroht die Stabilität des chinesischen Kaiserreichs, da sie eine Form des christlichen Glaubens etablieren und den Kaiser stürzen will. Schon bald verlor ich in den chinesischen und europäischen Strategien und Kämpfen den Überblick. Da gibt es den Himmlischen Kaiser, die Hunan-Armee, den Ostkönig oder den Schildkönig auf Seiten der Aufständigen. Ständig wechselt Thome die Seiten, zeigt die Kämpfe um Einfluss und die Herrschaft im Reich.

Wenn das alles gut inszeniert wäre, dann wäre das kein Problem. Allerdings sehe ich bei Gott der Barbaren deutliche Inszenierungsschwächen bzw. eine mangelnde Regie in seinem Werk. Oftmals hätte ich mir eine Hand gewünscht, die mich gekonnt durch das Geschehen leitet. Diese fehlt dem Buch aber größtenteils (bestes Symbol hierfür: Philipp Johann Neumann dem passenderweise eine Pratze abgängig ist). Diesen Eindruck vom Fehlen einer ordnenden Hand hatte ich an vielen Stellen im Werk, das durch die Fülle von Personen und Schauplätzen an Übersichtlichkeit einbüßt.

Das angehängte Personenregister hilft nur bedingt, da Thome seine Figuren nicht kontinuierlich begleitet, sondern immer mal wieder im Geschehen zurücklässt. So kann es sein, dass man über hunderte Seiten nichts von den Figuren hört, ehe diese dann plötzlich wieder auftauchen. Auch ändert Thome von Zeit zu Zeit die Erzählperspektive seiner Figuren; so wechselt er von der Ich-Erzählinstanz zur 3. Person und umgekehrt. Dies sorgte bei mir für zeitweilige Konsternierung. Bei den vielen Schlachten und strategischen Gesprächen fühlte ich mich überfordert, da nicht immer ersichtlich wurde, wer nun gegen wen aus welchen Motiven kämpft.

Zudem schneidet er zwischen seine Kapitel immer wieder fiktive Tagebucheinträge, Briefe oder Berichte, die die Handlung immer noch aus anderen Blickwinkeln beleuchten. Nachdem dieses aber auch nur spärlich erscheinen, braucht man hier wirklich ein gutes Gedächtnis, um diese auch noch in die Handlung integriert zu bekommen.

Chinesische Dörfer

Da wird es dann schon schwierig, auch da die Handlungsorte munter wechseln, von Peking nach England, von Hongkong bis nach Tibet. Auch bin ich einfach nicht firm, was chinesische Handlungsorte angeht. Ganzhou, Hangzhou, Hankou, Suzhou oder Fuzhou – das sind für mich alles chinesische Döfer. Es klingt alles gleich und bekommt für mein Empfinden nicht genug Kontur, um eine klare Unterscheidung hinsichtlich der vielen Schauplätze beim Lesen zu erzielen.

Dankenswerterweise sind die Vorsatzpapiere des Buchs einmal mit einer Karte vom Handlungsort Peking und zum anderen mit einer Karte des damaligen Chinas versehen, um hier wenigstens die Chance einer groben Einordnung des Geschehens zu ermöglichen.

Fazit

Ohne intellektuelle Wachheit und Wendigkeit wird man diesem Buch nur unzureichend beikommen. Diese Erkenntnis steht für mich am Ende dieses monumentalen Buchs. Sein Anspruch und der ambitionierte Plot lassen das Buch zu Recht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2018 stehen. Zur Entspannung allerdings empfiehlt sich Gott der Barbaren keineswegs.

Ich persönlich bin mehrmals mit dem Buch gescheitert, da es mich einfach mit seiner überbordenden Struktur und seinen verwirrenden Handlungsfäden in die Irre führte. Es sind für mein Empfinden zu viele Charaktere, Themen und Stile und Schlachten, die der gebürtige Hesse aufs Tapet bringt.

Aber man muss Stefan Thome auch Respekt zollen für seinen Willen und die Akribie, ein solches Opus Magnum zu verfassen. In Zeiten von unterambitionierten Plots und der Beschreibung von Milieus, die man selber teilweise besser kennt als die Autoren höchstselbst, ist Gott der Barbaren eine rühmliche Ausnahme, die die Leser fordert.

Das findet im Großen und Ganzen auch Stefan vom Blog Poesierausch, der sich ebenfalls des Titels angenommen hat.

[Stefan Thome: Gott der Barbaren, erschienen im Suhrkamp Verlag. ISBN 978-3-518-42825-2 . 719 Seiten, 25,00 €]

 

Diesen Beitrag teilen

Bei den Besten nichts Neues

Heute wurde die Longlist des Deutschen Buchpreises 2018 bekanntgegeben. Ziel ist es, den besten deutschsprachigen Roman des Jahres zu ermitteln. Ein Unternehmen, das natürlich nur zum Scheitern verurteilt sein kann.

DEN besten Roman gibt es ebenso wenig wie objektive Urteile einer Jury über Bücher, die letzten Endes immer hinsichtlich von Geschmacks- und Stilistikfragen beurteilt werden und subjektiven Eindrücken unterliegen. Dennoch ist das Unternehmen aller Ehren wert, bringt es doch 20 Büchern die gebündelte Aufmerksamkeit des Feuilletons und der interessierten Öffentlichkeit. Dank des wochenlangenen Prozederes und der Verleihung des Deutschen Buchpreises im Vorfeld der Frankfurter Buchmesse ist der Siegerin oder dem Sieger viel Interesse gewiss. Auch für das Weihnachtsgeschäft der Buchhändler spielt der Preis eine gewichtige Rolle. Dabei ist es kein Geheimnis, das sich einige Bücher, die bestimmte Fragestellungen oder einen bestimmten Aufbau besitzen, besser verkaufen, als ein formal und inhaltlich ambitionierter Sieger, wie es beispielsweise Frank Witzels Roman Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969 war.

Nun also die Longlist 2018, die ich auf den ersten Blick mehr als gelungen finde. Erfreulich viele Frauen (12 Frauen vs. 8 Männer), viele Independent-Verlag dabei, stilistische Vielfalt – doch dann kam ich langsam ins Grübeln.

Beim Anlesen der Synopsen ein immer stärker werdender Eindruck: bei den 20 Besten nichts Neues. Der Krieg und die Diktaturen sind omnipräsent. Egal ob der Klassiker Zweiter Weltkrieg (Geiger, Hauser, Fritz) oder Kalter Krieg (Biller, Senkel, Haratischwili) oder der ewige Klassiker DDR (Loschütz) – fast könnte man meinen, es gäbe eine Blaupause, die Büchern einen Platz auf der Longlist verschafft.

Wenig Innovation auch in Sachen neuer AutorInnen. Mit Gianna Molinari steht eine klassische und mit Anja Kampmann immerhin eine Roman-Debütantin auf der Longlist, ansonsten stolpert man bei vielen Titeln auf der Liste über bekannte Gesichter. Mit Stephan Thome, Angelika Klüssendorf und Gert Loschütz sowie Inger Maria Mahlke und Arno Geiger gibt es auch fünf AutorInnen, die schon einmal auf der Shortlist vertreten waren (bzw. einmal im Falle Arno Geigers sogar einen Gewinner). Zwei Bücher wurden gleich vom Preis der Leipziger Buchmesse aus dem Frühjahr mit übernommen (Senkel und Kampmann). Das ist natürlich Jammern auf hohem Niveau – denn offen gestanden enthält die Liste auch einige bereits erschienene Titel, die ich zuvor überhaupt nicht wahrgenommen hatte und die mir neu waren. Somit bietet die Liste auch noch einmal Chancen, auf Übersehenes zurückzukommen.

Eine Frage, die sich aber aus den Diskussionen auf Facebook in puncto Longlist für mich entwickelt hat, ist diese: je weiter wir uns von den Ereignissen wie etwa dem Zweiten Weltkrieg entfernen, umso präsenter scheinen diese Themen im deutschsprachigen Buchmarkt zu werden. Warum ist das so? Gibt es Faktoren, die diese Entwicklung begünstigen?

Und warum sind die Bücher Mangelware, die sich mit aktuell(er)en Problemen befassen? Abgesehen von Helene Hegemanns Bungalow und meinetwegen vielleicht auch Muschgs Rückkehr nach Fukushima finde ich bei einem ersten Überblick wenig Aktuelles, sondern eher dezidiert Apolitisches fernab vom täglichen Leben. Themen wie Überalterung, prekäre Lebensverhältnisse, Wohnungsnot, Chancengerechtigkeit oder ähnliche gesellschaftliche Entwicklungen finden wenig Eingang in die Gegenwartsliteratur. Es dominiert der Blick zurück statt der nach vorne – warum aber ist das so?

Habt ihr Erklärungen? Seht ihr die Entwicklung anders? Oder habt eine völlig andere Meinung? Habt ihr Antworten für mich? Mir fehlen sie nämlich …

Ein kleiner Nachtrag: Auf Deutschlandfunk Kultur haben sich Kolja Mensing, Wiebke Porombka und Frank Meyer ebenfalls über die Longlist des Deutschen Buchpreises ausgetauscht. Das Gespräch findet man an dieser Stelle.

Diesen Beitrag teilen

Das Deutsche-Buchpreis-Lotto 2018

Auch dieses Jahr wieder gewohnt diskutabel und vernachlässigbar in Sachen Trefferwahrscheinlichkeit – mein großes Lotto zum Deutschen Buchpreis 2018. Welche Bücher haben es auf die Longlist geschafft? Hier meine Tipps – ab 14.08 wissen wir mehr:

Und hier noch einmal meine Tipps in schriftlicher Form mit den Links zu den entsprechenden Titeln:

Was sind eure Tipps? Welches Buch darf bei der Nominierung nicht vergessen werden?

Diesen Beitrag teilen

Mein Shortlist-Lotto 2017

Auch dieses Jahr will ich mich mal wieder an einem kleinen Shortlist-Lotto versuchen. Nachdem meine Trefferquote aus dem letzten Jahr mit 33% eher bescheiden war (aber hey- immerhin hatte ich mit Bodo Kirchhoff den späteren Buchpreisgewinner auf meinem Zettel) gibt es dieses Jahr einen neuen Versuch. Hierfür habe ich das Leseprobenheftchen des Buchpreises gewälzt und zahlreiche der 2017 nominierten Bücher gelesen.

 

Zu Feridun Zaimoglu habe ich schon einmal eine Kurzkritik verfasst, in den kommenden Tagen werden noch die Langkritiken zu den Büchern Lichter als der Tag von Mirko Bonné, Außer sich von Sasha Marianna Salzmann und Die Hauptstadt von Robert Menasse erscheinen. Jonas Lüschers Kraft und Julia Wolfs Walter Nowak sind ebenfalls gelesen, allerdings ohne hier vorliegende Rezensionen. Dafür verweise ich auf die tollen Besprechungen von Peter liest zu Kraft und Sounds & Books zu Walter Nowak bleibt liegen, die kongruent mit meinen Eindrücken sind.

Nun aber frisch ans Werk, hier meine sechs Tipps für die morgen erscheinende Shortlist des Deutschen Buchpreises 2017 – ohne Gewähr:

Jonas Lüscher mit Kraft muss mit drauf, einfach weil er das beste Buch dieses Fühjahrs geschrieben hat. Ein lustiger, ein böser, ein sprachlicher Hochgenuss – ein Buch, das auf so vielen Ebenen glänzt und schillert, das man nicht daran vorbeigehen kann. Das Floß der Medusa hatte einen sehr schweren Start bis es in die Gänge kam (schließlich erschien es schon im Januar) – aber wenn sich so ein massives Floß erst einmal in Bewegung gesetzt hat, dann kann man es schwerlich aufhalten.

Das beste Buch dieses noch sehr jungen Bücherherbstes hat bislang der Österreicher Robert Menasse mit Die Hauptstadt geschrieben, das nicht nur für den Deutschen, sondern auch für den Österreichischen Buchpreis nominiert ist (genauso wie das neue Buch seiner Halbschwester Eva Menasse). Um die Frauenquote nicht zu vergessen – auch für Marion Poschmann rechne ich mir Chancen aus, dass sie es auf die Liste schafft.

Die letzten beiden Starterplätze gehen zuletzt an den bisher Buchpreis-ungekrönten Ingo Schulze und an Julia Wolf. Ersterer wird getippt, weil die Leseprobe gut gelungen ist und nach neun Jahren dem vielfach ausgezeichneten Schriftsteller auch mal wieder ein Platz auf der Shortlist gebührt , zweite, weil ihr Walter Nowak in den Feuilletondebatten meist gut wegkam und trotz meiner Schwierigkeiten mit dem Titel doch auch das gewisse Etwas besitzt.

 

Wie seht ihr das? Welche Titel kommen in den Recall? Welches Buch hat euch enttäuscht?

Diesen Beitrag teilen