Tag Archives: Gesellschaft

Edan Lepucki – California

Stephen Colbert war schuld. In seiner Latenight-Show hypte er Edan Lepuckis Roman California als Gegenentwurf zu Amazon. In der Folge avancierte das Buch zu einem Verkaufsschlager bei den stationären amerikanischen Buchhändlern und wurde zur Erfolgsgeschichte. Nun hat sich der Blumenbar-Verlag die Rechte an der deutschen Version des Buchs gesichtert und bringt den Titel in der Übersetzung von Gesine Schröder für den deutschen Markt heraus.

Die Geschichte, die Edan Lepucki in ihrem Buch erzählt, ist die einer klassischen Dystopie. Die Sozialverbände und bisherigen gesellschaftlichen Strukturen haben sich aufgelöst, Amerika liegt am Boden und die Bevölkerung lebt verstreut in der Wildnis.

Auch Cal und Frida, ein junges Paar, haben den Rückzug in die Natur angetreten und leben ein einfaches, aber autarkes Leben. Anderen Menschen begegnen sie fast nicht und es könnte alles in Ordnung sein – wenn Frida nicht schwanger wäre.

Zwei Menschen schlagen sich durch

Edan Lepucki - California (Cover)

So ist das Paar gezwungen, den Weg aus der Wildnis anzutreten, um sich einer Kommune anzuschließen. Denn in den größeren und abgeschotteten Verbänden gibt es eine bessere Versorgung und höhere  Doch Cal und Frida ahnen nicht, wem sie hinter den Mauern der Community begegnen.

California ist ein Buch, das die momentane amerikanische Gesellschaft in Frage stellt. Lepucki sensiblisiert dafür, wie fragil unsere Gesellschaftsordnung doch ist.

Sie zeichnet ein eindrückliches Bild einer Gesellschaft am Boden. Der alte Spruch Homo homini lupus est des römischen Dichters Plautus erhält im Buch der Amerikanerin neue Bedeutung.

Sie zeigt, wozu Menschen in Extremsituationen fähig sein können. Obwohl California nicht zu explizit ist, schafft es die Autorin eine finster dräuende Atmosphäre im Buch heraufzubeschwören. Das Buch ist eine Dystopie und ein Weiterdenken amerikanischer Zustände zu einem beängstigenden Bild, von dem man sich wünscht, es würde nicht wahr werden.

Fazit

Für einen Debütroman ist dieses Buch doch ganz rund und überzeugend gelungen. Gerade inmitten all der aktuellen Wohlfühlliteratur eine wohltuende Gegenstimme, die mahnt und erinnert, wie brüchig doch alle Idylle ist.


  • Edan Lepucki – California
  • Übersetzt von Gesinde Schröder
  • ISBN: 978-3-351-05019-1 (Blumenbar)
  • 415 Seiten. Preis: 20,00 €

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Karine Tuil – Die Gierigen

Die Lügen der Anderen

Das Debüt der Französin Karine Tuil ist ein famoses Stück über Täuschung, Identität, Verrat, Begehren und gesellschaftliche Normen. Die Gierigen entführt den Leser von Frankreich nach New York. Dorthin hat sich Samir aufgemacht, um ein geachteter und reicher Staranwalt zu werden. Früher waren er, der Jude Samuel und Nina, die die Begehrlichkeiten der beiden Jungen auf sich zog, ein befreundetes Triumvirat.

Karine Tuil - Die Gierigen (Cover)

Nina und Samuel leben nun in Paris in bescheidenen Verhältnissen, während es Samir Jay Gatsby gleich getan hat und sich selbst neu erfunden hat. Eines Tages erfährt das Pariser Ehepaar vom Aufstieg Samirs und muss feststellen, dass sich Samir Teile von Samuels Identität zu eigen gemacht hat, um seinen Aufstieg zu begründen. Geschockt fordert Samuel eine Aussprache zwischen den Dreien, infolge der sich alle Verhältnisse umkehren und Geheimnisse ans Tageslicht gezerrt werden, die ebendieses besser nicht mehr erblickt hätten. Eine große Katastrophe für alle Beteiligten nimmt ihren Lauf.

Karine Tuil hat einen Roman geschrieben, der deutlich mehr enthält, als der Klappentext verraten mag. Neben den Feldern der Identität und Herkunft behandelt sie auch Themen wie das Judentum und den Islamismus und die gesellschaftliche Stellung der Religion in verschiedenen Gesellschaften. Sie kreist permanent um die Lebensentwürfe der drei Hauptprotagonisten und wechselt die Perspektiven. Selbst jeder Nebencharakter wird von ihr noch mit einer Fußnote bedacht.

Sprachlich ansprechende Gesellschaftsanalysen

Neben dem klug komponierten Inhalt auffällt, ist die Art, mit der Karine Tuil ihre Erzählung über 400 Seiten vorantreibt. Die Autorin schaut unbarmherzig auf die Lebensentwürfe und leuchtet diese mit ihrem geschärften Sprachsensorium aus. So besticht Die Gierigen durch einen kraftvollen Sound (Übersetzung Maja Ueberle-Pfaff), der die Erzählung nicht nur trägt sondern auch vorwärts treibt.

Das Buch erinnert in manchen Passagen an die Theaterstücke Yasmina Rezas oder Der Vorname, da hier ähnlich unbarmherzig Lebensentwürfe seziert werden. Insgesamt ein kluges Buch, das mit den unterschiedlichsten Themen prall gefüllt daherkommt und dem viele Leser zu wünschen sind!

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Daniel Clay – Die Bewohner von Drummond Square

Die Asozialen

Wehe dem, der solche Nachbarn hat. Gegen die Oswalds, die eine tragende Rolle in Daniel Clays Debütroman Die Bewohner von Drummond Square verblassen alle Nachbarschaftstreite, die vorzugsweise im Privatfernsehen ausgetragen werden.

Daniel Clay wirft einen Blick in den Mikrokosmos des Drummond Square, einer trostlosen englischen Vorstadt in Southhampton. Dort leben die Oswalds, eine typische Familie der Gattung White Trash. Die Familie besteht aus dem kriminellen Vater Bob Oswald und seinen fünf Töchter, die von der Sozialhilfe leben und ihr Umwelt terrorisieren. Die anderen Kinder und deren Eltern fürchten die asozialen Nachbarn, aber niemand wagt es gegen die verhassten Nachbarn aufzubegehren. Das Recht des Stärkeren regiert und was mit Schlägen gegen ein Kind durch Bob Oswald beginnt wird am Ende des Buches in einer großen Katastrophe enden.

Vorab: Der Originaltitel „Broken“ wäre deutlich besser als der in der deutschen Übersetzung gewählte Titel „Die Bewohner von Drummond Square“. „Broken“ ist nicht nur der Name eines Charakters, dem große Bedeutung zukommt, sondern zeigt auch den Verlust von Stabilität und Verlässlichkeit.

Dysfunktionale Familien, Gewalt und keine Hoffnung

Mag das Cover auch noch relative Ordnung symbolisieren, im Buch ist nichts mehr davon übrig. Tristesse dominiert und manchmal erwischte ich mich als ich das selbe Ohnmachtsgefühl während der Lektüre verspürte, wie es die Akteure in „Die Bewohner von Drummond Square“ verspüren. Es ist kein Buch, das gute Laune macht oder dem Leser eine gute Zeit beschert – dafür ist es zu realistisch und schon nahezu naturalistisch.

Insgesamt ein Debüt, das noch Ecken und Kanten und offenbart und Steigerungspotential aufweist. Für einen ersten Wurf allerdings schon erstaunlich weit und mit einem Willen zum Realismus, den man nur bewundern kann. Ins Deutsche übertragen wurde dieses Buch von Rudolf Hermstein.

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