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Franzobel – Die Eroberung Amerikas

Diese Nominierung hat mich wirklich überrascht. Auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2021 findet sich Franzobel mit seinem Roman Die Eroberung Amerikas. Eigentlich keine so wirkliche Überraschung, schließlich war der Österreicher bereits 2005 mit seinem Roman Das Fest der Steine für den Preis nominiert. 2017 schaffte er es mit Das Floß der Medusa eine Runde weiter auf die Shortlist. Der Sieg damals ging zwar an Robert Menasses Roman Die Hauptstadt – ganz leer ging aber auch Franzobel nicht aus. Er erhielt einen Monat später den Bayerischen Buchpreis in der Kategorie Belletristik. Eine durchaus nachvollziehbare Entscheidung, denn Franzobel gelingt es in diesem Roman fabelhaft, die Geschehnisse rund um den Schiffbruch der Fregatte Medusa zu erzählen, garniert mit postmodernen Brechungen und Ironie.

Eine überraschende Nominierung

Franzobel - Die Eroberung Amerikas (Cover)

Dieses Erzählkonzept recycelt er nun auch für seinen neuen Roman – erleidet diesmal aber wirklich erzählerischen Schiffbruch. Nach dem Erscheinen von Die Eroberung Amerikas im Januar nahm ich mir den Roman gespannt zur Hand, schließlich war sein letztes Werk einer der überzeugendsten historischen Romane, der mir seit langem untergekommen war. Die Spannung wich aber schnell einer Enttäuschung. Denn der Auftakt geriet zu arabesk und unkonzentriert, als dass mich das Buch hätte überzeugen können. Ausschweifende Plaudereien, Sprünge durch die Zeit und maue Gags vermiesten mir den Lesegenuss.

Alles Islamische hatte man unsichtbar gemacht ,aber es gab noch türkischen Honig, ein Dampfbad, Zisternen und hunderte Wörter, deren Ursprung arabisch war: Alkohol, Alchemie, Algebra, Almanach, Algorithmus, Alraune, Allianz Versicherung, Alka Seltzer, Alleluja…

Franzobel – Die Eroberung Amerikas, S. 36

Ich stellte das Buch erst einmal zurück, um jetzt dann im August bei der Verkündung der Longlist überrascht zu werden. Dieses Buch, das zum Erscheinen nur durchwachsenes Kritikerlob erhielt, hatte es tatsächlich auf die Longlist geschafft? Unmittelbar nach der Bekanntgabe griff ich also erneut zu dem Buch. Würde es sich auf den zweiten Blick bewähren können?

Leider nein, wie ich nun nach vielen durchgehaltenen Seiten später feststellen muss. Denn mein Eindruck der ersten hundert Seiten setzt sich im Inneren dieses immerhin 544 Seiten umfassenden Buchs fort. Alles beginnt mit einer Sammelklage, die das Zeug hat, die Grundfesten Amerikas zu erschüttern. Die indigenen Stämme klagen vereint auf die Herausgabe des besetzten Landes, das doch eigentlich ihnen gehört. Der zweite Erzählstrang führt zu einem Mann, der die heutigen Zustände begründet hat. Ferdinand Desoto war ein Eroberer, der 1538 eine Expedition gen Florida unternahm, keifendes Weib, Missionare und tumbe Soldaten inklusive. Der dritte Erzählstrang ist dann der von Elias Plim, der auf einer Tür treibend von einem Piratenboot aus dem Meer aufgelesen wird. Dann gibt es noch die Erzählung eines widerstandsfähigen Anwalts mit Ben Kingsley-Gesicht, der auf der Suche nach einem Erbe halb Spanien durchquert und diesen Erben dann im Gefolge der Desoto-Expedition aufspürt. Und so weiter, und so fort.

Das Erzählkonzept geht nicht auf

Das könnte alles ein funkelndes Erzählwerk sein, doch das ist es leider nicht. Zwar ist Franzobels Erzählkonzept der postmodernen Brechungen, das immer wieder Bezüge in die Gegenwart herstellt, innovativ und tut dem historischen Stoff gut. Doch hier vermag er aus seinem Erzählkonzept einfach keine Funken zu schlagen. Die Erzähltricks kennt man, etwa wenn Franzobel im Floß der Medusa seine Figur des Schiffsarztes Savigny mit dem gleichnamigen Platz in Verbindung brachte. Hier ist es nun eben Desoto, der zum Namensgeber der Automarke von Chrysler wird oder dessen Frau, deren Antlitz sich heute noch auf den Rumflaschen der Marke Havana Club findet. So etwas ist amüsant, bleibt aber das ganze Buch über aber sehr an der Oberfläche. Viel Neues über die Konquistadoren und das Leid, das sie über Amerika brachten, erfährt man hier nicht.

Wo Das Floß der Medusa zur packenden Parabel auf Hybris und Untertanengeist wurde und eine spannende Variante des alten Themas des Narrenschiffs darstellte, fehlte mir in Die Eroberung Amerikas diese zweite Ebene weitestgehend. Das Buch begnügt sich mit der Schilderung von Brutalität und expliziten Schilderungen von Leid, Gräuel und Genozid, ohne dabei das Buch wirklich voranzubringen oder erhellende Funken aus dem Aufeinanderprall von Historie und Gegenwart zu erzeugen. Auch die Figuren sind nicht wirklich interessant gestaltet. Widersprüche oder Ambivalenzen, gar nuancierte Ausdeutungen der Figuren vermisste ich. Der widerstandsfähige Anwalt lässt sich nicht beirren und bereist die halbe Welt auf der Suche nach dem Erben, Desoto will seiner keifenden Frau entkommen, die er nicht liebt, das spanische Volk liebt Hinrichtungen und Gewalt. Ja mei – Entwicklungen bei Figuren sehen anders aus.

Fazit

Trotz vieler erzählerischer Spielereien und auktorialer Erzählkniffe bleibt das Buch doch erstaunlich zäh und langweilig und fällt gegen den Vorgängerroman deutlich ab. Insofern überraschte mich diese Nominierung dieses Buchs wirklich – und ich würde nach wie vor klar zum Floß der Medusa raten, möchten man einen ungewöhnlich erzählten und packenden historischen Stoff erleben. Hier ist alles doch recht mau – und auch die Gags waren schon einmal besser und die Seiten ziehen sich.

Eine echte Überraschung auf der Nominierungsliste, wenngleich für mich keine positive. Auf der Shortlist sehe ich diesen Roman ganz klar nicht. Detaillierter auf die stilistischen Eigenwilligkeiten (die mich so manches Mal zum Verzweifeln brachten), geht Matthias Fischli in seiner Besprechung auf Aufklappen ein. Eine weitere Stimme zum Roman gibt es bei Sounds&Books.


  • Franzobel – Die Eroberung Amerikas
  • ISBN 978-3-552-07227-5 (Hanser)
  • 544 Seiten. Preis: 26,00 €
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Burkhard Spinnen – Rückwind

Eine moderne Variante des Hans im Glück erzählt Burkhard Spinnen in seinem Roman Rückwind. Er erzählt von Hartmut Trössner, dem der Erfolg unversehens vor die Füße fällt. Wie geht es einem, der zunächst alles gewinnt, um es dann wieder zu verlieren? Rückwind versucht darauf eine Antwort zu geben.


Die Energiewende: seit dem Reaktorunfall in Fukushima ein großes Schlagwort, das mit ebenso vielen Debatten einhergeht. Wie kann es gelingen, dass sich unser Strom aus erneuerbaren Energien speist? Dass fossile Brennstoffe wie Gas oder Erdöl obsolet werden?

Eine große Rolle spielt(e) in dieser Debatte die Windkraft. Doch während dank der bayerischen 10H-Regel der Ausbau der Windenergie gerade zu versanden droht (siehe hier), beschwört Burkhard Spinnen in seinem Buch die Glanzzeiten dieser Energiesparte noch einmal herauf.

Sein Held heißt Hartmut Trössner. Vom Vater als logischer Erbe der im Familienbesitz befindlichen Firma vorgesehen, hat er eigentlich keine Lust auf den Job. Lieber möchte er mit Freundin durch die USA reisen und sich in der Mimikry des American Way of Life versuchen. Doch die Nachricht vom Tod seines Vaters zwingt ihn zurück in die Heimat. Dort verkündet er in einem Moment kühner Selbstermächtigung, das Erbe seines Vaters antreten zu wollen.

Wider alle Vernunft setzt er auf das Thema Windenergie und Windräder, bei dem sich – Verzeihung – schon bald der Wind drehen soll. Der immer lauter werdende Ruf der Ökologie befeuert den Run auf regenerative Energie. Und so beginnt ganz unverhofft. der Aufstieg Hartmut Trössners in die unternehmerische Elite der Bundesrepublik. Eine bezaubernde Frau, politischer Einfluss, Eigenheim autark dank eigenes eingespeister Windenergie. Es scheint, als hätte dieser Mann den Rückenwind gepachtet. Wie ein Wiedergänger Utz Classens wirkt dieser Trössner zu seinen Bestzeiten. Doch dann Katastrophe, Absturz, Konfusion.

Eine Handlung im Rückwind

Wie es so weit kommen konnte, das muss man sich als Leser*in erst einmal erschließen. Denn Rückwind beginnt höchst konfus. Da erzählt einer von Hartmut Trössner, steckt dann aber auch noch als eine Art Über-Ich in Trössner selbst drin. Immer wieder springt dieser Erzähler zwischen personaler und auktorialer Schilderung hin und her. Die Welt ist im Kopf könnte man sagen, um mit einem Buchtitel Christoph Poschenrieders zu sprechen..

Wir lernen Hartmut Trössner kennen, der völlig verlottert und heruntergekommen gerade offenbar aus einer Anstalt oder einem Krankenhaus entkommen ist. Nachlässig gekleidet, mit einem wilden Vollbart wirkt er wie auf der Flucht. Nach dem Kauf eines Zugtickets begibt er sich auf die Reise nach Berlin. Dort im Zug lernt er eine junge Frau kennen, die ihm nach und nach die Geheimnisse seines Lebens entlockt. Dabei schwebt immer das kommentierende Über-Ich mit im Raum, das dieses Leben im Rewind- bzw. eben Rückwind-Modus noch einmal vom Spielfeldrand aus einordnet. Klingt zunächst kompliziert, ist es auch erst einmal, glättet sich dann aber doch schnell beim Lesen. Gerade die Rückblenden sind sehr verständlich – und auch an diese merkwürdige Erzählinstanz in Trössners Kopf gewöhnt man sich bald.

Schön ist es, dass Burkhard Spinnen sich im Vorfeld über die Konstruktion und Erzählweise seines Romans Gedanken gemacht hat. So hat dieser so doppeldeutig gewählte Titel Rückwind tatsächlich Einfluss auf die narrative Struktur. Hier kommen Form und Inhalt wirklich prima zusammen.

Obwohl es vordergründig natürlich vorwärts gen Berlin geht, springt das Buch in Wahrheit doch immer wieder zurück. So verfestigen sich die verschiedenen Facetten, die wir so als Leser*innen nach und nach erhalten, zu einem Bild. Und dieses Bild namens Rückwind ist dann doch überraschend vieles: so steckt in Spinnens Roman eine Mediensatire, ein Unternehmerroman, eine Geschichte der Windenergie, ein Männerporträt, eine leicht touchierte Geschichte der politischen letzten 30 Jahre BRD.

Fazit

Hier erzählt ein Autor, der seinen Stoff beherrscht (wenngleich für mich der Strang um die PPC-Erzählung und das Ende etwas überzogen und artifiziell wirkt, ohne hier zu viel verraten zu wollen). Gerne schaut man diesem Wunderkind Trössner zu, das doch in seinem Glück dazu verdammt ist, alles wieder zu verlieren. Sprachlich ist Spinnens Buch großartig und auch die Idee eines quasi dissoziativen Erzählers ist gut gemacht und überraschend. Ungewöhnlich und in meinen Augen definitiv ein übersehener Kandidat für die Longlist des Deutschen Buchpreises – all das ist Rückwind. Ein Buch, das viel Rückenwind und Aufmerksamkeit verdient.


Weitere Besprechungen des Buchs gibt es bei Stefan von Bookster HRO, Kulturnews und ein völlig konträres Urteil bei Deutschlandfunk Kultur von Enno Stahl.

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