Um den deutschsprachigen historischen Roman ist es nicht gut bestellt. Er gleicht oftmals lieblos produzierter Dutzendware, gerne auch in Form von Trilogien oder mehr, und liest sich, als hätten die Autor*innen eine Geschichte aus der heutigen Zeit einfach ein paar Jahrhunderte nach hinten datiert. Autos werden durch Kutschen oder Pferde ersetzt, die weiblichen Heldinnen sind durchweg tough und emanzipiert und man redet wie im 21. Jahrhundert miteinander. Belanglosigkeit allenorten.
Doch da gibt es dann zum Glück auch noch Christine Wunnicke. Die Münchner Autorin hat sich im Lauf der Jahre ihre eigene Nische erschrieben. Geschichten voller Exotik, skurrilem Humor und fantasievollen Handlungsbögen, die alle anderen historischen Romane noch blasser wirken lassen, als sie es eh schon sind. Zweimal gelang ihr eine Nominierung für den Deutschen Buchpreis (Der Fuchs und Dr. Shimamura im Jahr 2015, Katie 2017). Nun erscheint dieser Tage ihr neues Werk Die Dame mit der bemalten Hand. Und siehe da: auch dieses dritte Buch schaffte den Sprung auf die Longlist des Preises.
Und das zurecht, denn auch dieser Roman ist wieder ein origineller historischer Roman, der diesmal auf eine Insel in Indien entführt.
Drei Männer auf einer Insel
Dort, auf der Insel Elephanta beziehungsweise Gharapuri treffen 1764 zwei ganz unterschiedliche Männer aufeinander. Da ist zum Einen der aus Bremen stammende Carsten Niebuhr, den ein Forschungsauftrag seiner Göttinger Universität hierhergeführt hat. Eigentlich sollte ihn die Reise mit einer Gruppe anderer Forscher nach Arabien führen. Aber es kam alles etwas anders.
Jahrs darauf verließ Carsten Niebuhr Göttingen, um sich mit dem Philologus von Haven, dem Physikus Forsskål, einem Zeichner, einem Arzt und einem schwedischen Diener von Kopenhagen nach Konstantinopel einzuschiffen. Ein vielhundertseitiges Schriftstück, das die Instruktionen und alle Fragen enthielt, welche Professor Michaelis an die Bibel und ans Morgenland stellte, lag in seinm Gepäck. Vueke Gelehrte, aus vielen Ländern Europas, hatten brieflich etwas dazu beigesteuert.
Wunnicke, Christine: Die Dame mit der bemalten Hand, S. 38
Auch der zweite Mann auf der Insel hatte eigentlich ein anderes Reiseziel, nämlich Mekka. Dorthin wollte sich der Astrolabienbauer Musa al-Lahuri samt seines Helfers Malik aus Jaipur ursprünglich begeben. Doch die Windstille hat auch dieses Gespann auf Gharapuri stranden lassen. Dort, auf dieser von wenigen Menschen und vielen Affen bewohnten Insel stößt al-Lahuri nun auf den vom Fieber gezeichneten Niebuhr. Ein Schiff zur Abfahrt von der Insel ist nicht in Sichtweite. Und so lernen sich die beiden Männer allmählich kennen. Man erzählt sich gegenseitig die Lebensgeschichten oder das was man dafür hält. Man redet miteinander und aneinander vorbei, beobachtet den Himmel und kommt ins Philosophieren. Orient trifft auf Okzident.
Präzise gesetzt und von Humor durchdrungen
Die Dame mit der bemalten Hand ist ein Buch, das trotz oder gerade wegen seiner Kürze von 166 Seiten eine genaue Lektüre erfordert. Wunnicke lässt ihre Figuren sich ein ums andere Mal in einem babylonischen Sprachgewirr zwischen Sanskrit, Deutsch und Arabisch verfangen. Die skurrilen Figuren agieren mal hinterlistig, mal tollpatschig, mal staunend, mal salbadernd. Durch Wunnickes ganz eigene Sprache, die pointierten Dialoge und den ihr eigenen Humor entfaltet sich in diesem Buch ein originell verknapptes Panorama zwischen Ost und West.
Leser*innen, die historische Romane als breit auserzählte Auswanderer-Pilger-Königskinder-Sagas kennen, dürfte das freilich irritieren. Hier ist alles reduziert und mit Genauigkeit gesetzt. Die Figuren, obwohl oft historisch verbürgt, werden von Christine Wunnicke wild auf dem Schachbrett der Geschichte hin- und hergezogen und sind von eigensinnigem Leben erfüllt.
Wie angenehm ist es, dass solche Originalität auch ihren Platz auf dem Buchmarkt hat – wenngleich Christine Wunnicke immer noch den Status eines Geheimtipps besitzt und auch der Berenberg-Verlag, in dem die Autorin erscheint, mit seinen wunderbar gestalteten Büchern eine eher kleinere Rolle auf dem Buchmarkt spielt. Umso schöner, wenn solch literarischer und verlegerischer Mut belohnt wird, wie in diesem Falle mit einer abermaligen Nominierung für die Longlist des Deutschen Buchpreises. Für die Shortlist ist dieses Buch wahrscheinlich zu eigen und wenig massenkompatibel, da es sich den gängigen Schemata widersetzt und für viele zu reduziert und karg sein könnte. Ich freue mich aber wirklich für Christine Wunnicke und die Aufmerksamkeit, die diesem Buch hoffentlich zuteil wird! Die Dame mit der bemalten Hand verdient es.
Marie Schmidt traf die Autorin für die SZ, Hauke Harder verfasste für den Leseschatz ebenfalls eine Rezension. Und auch bei Sätze&Schätze findet sich seit neuestem eine Rezension zum neuen Buch von Christine Wunnicke.
- Christine Wunnicke – Die Dame mit der bemalten Hand
- ISBN 978-3-946334-76-7 (Berenberg-Verlag)
- 168 Seiten. Preis: 22,00 €