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Ralf Westhoff – Niemals nichts

Von der Hand in den Mund – dieser Ausdruck trifft die Lebensumstände des Bauernpaars Maximilian und Liza in Ralf Westhoffs Debütroman Niemals nichts sehr gut. Er zeigt das Paar im Kampf um Selbstbestimmung und gegen die drückende Schuldenlast.


Arbeiten, arbeiten, arbeiten. Zahlen, zahlen, zahlen. Das Mantra, das die Mutter in Wolf Haas‘ vorletztem Roman Eigentum als Dauermantra ihr ganzes Leben vor sich hertrug und ihr ein Gefühl der Unerreichbarkeit von materieller Sicherheit gab, es könnten auch die Worte sein, die über dem Leben von Liza und Maximilian in Ralf Westhoffs Roman stehen. Denn ebenso wie Wolf Haas zeigt er auch seine Figuren im Ringen um Sicherheit und gegen die Schulden, die von der steten Geldnot geprägt sind, in der Westhoffs Figuren unverschuldet geraten sind.

Angesiedelt in einer nicht näher bestimmten Gegend und Epoche vergangener Tage atmetet der Roman fast einen Geist von Neo-Naturalismus und zeigt die junge Bäuerin Liza, die sich mit dem Bauer Maximilien vom benachbarten Hof zusammentut, um sich ein gemeinsames Leben aufzubauen. Für Optimismus bleibt aber wenig Platz. Nicht nur, dass die Getreidepreise, die die reisenden Kornhändler zu zahlen bereit sind, viel zu niedrig sind und der Ertrag der Weizenernte stets einem Glücksspiel gleicht.

Die unsichtbare Gefahr der Schulden

Ralf Westhoff - Niemals nichts (Cover)

Auch müssen sie erkennen, dass eine unsichtbare Gefahr die wohl dringlichste und existenzgefährdendste ist. Die Rede ist von Schulden, die Maximilians Vater Andres ohne Kenntnis seiner Familie aufgenommen hat, um damit eine Schiffspassage in die Neue Welt zu finanzieren. Diese Schulden sind es nun, die die Existenz des Hofs und damit auch die des jungen Paars bedrohen.

Sie saßen jetzt in der kleinen Stube, und als niemand hinsah, hielt sie Maximilians zitternde Hand unter dem Tisch ganz fest, damit er sich nach der ganzen Aufregung ein wenig beruhigen konnte. Als es dann um Zahlen und um Summen ging, musste sie ihre Hand wieder zu sich nehmen, weil sie ebenfalls angefangen hatte zu zittern. (…)

Solche Summen warf kein Hof in dieser Gegend ab, der Maximilianshof schon dreimal nicht. Da gab es nur das Korn im späten Sommer, ansonsten Hühner, die Kuh, zwei Schweine, kein Pferd. Was sollte man da sagen.

Ralf Westhoff – Niemals nichts, S. 14

Es ist ein Kampf, der ausweglos scheint – und den das junge Bauernpaar doch aufnimmt. Während sich Maximilians Vater Andres, angetrieben von einer Melodie im Inneren, immer weiter von dem Leben zuhause entfernt, das doch nie seines war, versuchen Liza und Maximilian im Hauptstrang der Erzählung zu retten, was zu retten ist.

Im Kampf gegen die bestehende Ordnung

Gespräche mit der Bank und ein Blick auf die hoffnungslose Lage münden in erste Versuche, die unsichtbaren Spielregeln der Ökonomie zu durchdringen, die Maximilian und Liza in Bedrängnis gebracht haben.

Sie waren unterwegs ins Dorf, um den höchsten Betrag bei der Bank einzuzahlen, den sie je in Händen gehalten hatten. Wieder hatten sie alle vier Brote, die Maximilians Mutter gebacken hatte, in der Stadt verkauft. Stolz und Freude wie frischer Schnee zur falschen Jahreszeit. Noch immer zahlten sie weit weniger ein, als die Bank von ihnen haben wollte. Stumm und bedrohlich drehten sich die Zeiger der Schuldenuhr, und Tag für Tag wurde neue Schuld auf sie geladen. Einfach nur, weil die Zeit verging. Eine Schuld, die ohne ihr Zutun entstanden war und ohne dass sie dafür etwas bekommen hatten. Man konnte verzweifeln.

Ralf Westhoff – Niemals nichts, 119

In der benachbarten Stadt zeigt sich diese Ordnung besonders deutlich. Die in Armut lebenden Bauern, die jenen Weizen ernten, der dann von den Kornhändlern aufgekauft und im Kontor weiterverkauft wird, ehe daraus das Brot gebacken wird, das sich dann die höheren Stände kaufen. So war es immer in dieser Welt, in der die Gesellschaftsschichten so fest und hart scheinen wie die Kruste eines lange gebackenen Brotes.

Bislang ahnten Liza und Maximilian auf ihren abgelegenen Höfen von dieser Welt wenig. Und doch tun sie in ihr nun intuitiv erste eigene Schritte, um sich von der drückenden Schuldenlast zu befreien. Damit bringen sie die bislang so fest zementiert scheinende Ordnung ins Wanken, alleine dadurch, dass sie eigene Wege gehen und sich auch von den zahlreichen Widerständen nicht behindern lassen.

Eine Absage an die Resignation

Niemals nichts feiert die Absage an Resignation und die Absage an die Akzeptanz bestehender Ordnungen. Alles lässt sich ändern. Denn obschon für die Maximilians und Lizas Familien in Haas’scher Manier Arbeiten, Arbeiten, Arbeiten und Zahlen, Zahlen, Zahlen die dominierenden Mantras erscheinen, ist es vor allem die unbeirrbare Liza, die sich und den anderen das Motto Kämpfen, Kämpfen, Kämpfen auf die Fahnen schreibt. Denn eins darf nicht sein: Niemals nichts.

Und so zeigt Westhoff die Fortschritte und Rückschläge des Bauernpaars und beweist, dass sich alles ändern lässt, egal ob die eigene Sprachfähigkeit oder der Kampf gegen die undurchsichtigen Regeln eines Finanzsystems. Damit weist sein Roman auch mitten hinein in unsere gesellschaftliche Gegenwart.

Denn in Zeiten, in denen scheinbar mühelos Schuldenpakete mit schwindelerregenden Summen geschnürt werden, ohne die Frage der Tilgung und die Belastung für künftige Generationen näher in den Blick zu nehmen, in der die Steuerschuld überwiegend bei kleinen und mittleren Einkommen liegt und sich die Zahl von Millionären und Milliardären zunehmend vom Rest der Gesellschaft entkoppelt, liest sich Ralf Westhoffs Roman wohltuend systemkritisch, obschon die erzählte Zeit fern der unseren zu liegen scheint.

Ähnlich wie Stefan aus dem Siepens Roman Das Seil lässt sich Westhoffs Roman allegorisch lesen, bietet Anknüpfungspunkte zur Gegenwart, lässt bewusst manche Leerstellen und stellt auch die bedenkenswerte Frage, ob es unserer Gesellschaft nicht auch zuträglich wäre, wenn sie solch innovativen, klugen und unverzagten Frauen wie Liza mehr Raum und Entscheidungsmacht an zentralen Lenkstellen geben würde, anstelle egozentrierten Männern weiter Machtpositionen zuzubilligen.

Fazit

Der Kampf gegen die bestehende Ordnung mag dem gegen Windmühlen gleichen. Drückende Schulden und scheinbar Unverrückbares sind aber nichts, das man als gegeben hinnehmen muss. Das zeigt Niemals nichts deutlich. Ralf Westhoff gelingt mit seinem Buch ein kämpferischer Appell und eine Feier der Widerstandsfähigkeit, der obschon seines historischen Settings mitten hinein in unsere Gegenwart zielt und dem viele Leser*innen zu wünschen sind.


  • Ralf Westhoff – Niemals nichts
  • ISBN 978-3-7371-0213-1 (Rowohlt Berlin)
  • 224 Seiten. Prei: 23,00 €
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Lily King – Writers & Lovers

In ihrem neuen Roman erzählt Lily King von der Suche nach künstlerischem Ausdruck, vom Wunsch zu schreiben und dem Kreativitätshemmer Schulden. Ein durchaus moderner amerikanischer Roman mit klarer Botschaft.


Edith Wharton wurde als Kind von ihrer Mutter ausgeschimpft, wenn sie allein sein wollte, um sich Geschichten auszudenken, und durfte keine Romane lesen, bis sie verheiratet war. Als ihre Mutter starb, schickte Wharton ihren Mann zur Beerdigung; sie selbst blieb zu Hause und schrieb. Sie war fünfundvierzig, ein Jahr später erschien ihr erster Roman.

King, Lily: Writers & Lovers, S. 90

Es sind weitere biographische Vignetten, die Lily King in diesem kurzen Einschub in Writers & Lovers aufführt. Bei den Recherchen für ihren Roman stößt die Ich-Erzählerin Casey auf Namen wie Virginia Woolf, George Eliot oder Marcel Proust. Ihnen allen ist der unbändige Wunsch zu Schreiben zueigen. Doch die Faktoren, die dieses Schreiben verhindern, sind vielfältig. Mal wird Proust in einer Nervenklinik das Schreiben untersagt, mal verbietet das häusliche Umfeld Schriftsteller*innen ihr Tun. Immer jedoch entstand trotz der Hemmnisse am Ende große Literatur, die die vorher erlebten Einschränkungen vergessen machte und die Zeiten bis heute überdauert.

Es ist der Wunsch nach künstlerischem Ausdruck, der auch Casey umtreibt. Literatur zu schaffen, die gelesen wird, die in Menschen etwas auslöst. Ihr größtes Hemmnis heißt allerdings Schulden. Diese Schulden sitzen mit erdrückender Macht in ihrem Nacken. Ein Zustand, mit dem Casey nicht alleine ist. Alleine unter jungen Studenten beträgt das Schuldenvolumen in Amerika derzeit circa 1,6 Billionen Dollar.

Auch die 31-jährige Casey ist in die Schuldenfalle geraten, mit mehreren zehntausend Dollar befindet sie sich in den Miesen. Mit Kellnern in einem Restaurant auf dem Gelände der Harvard-Uni hält sie sich über Wasser.

Ich habe Schulden. Ich habe so schwindelnd hohen Schulden, dass Marcus mir jede Mittags- und Abendschicht dieser Welt geben könnte, und ich könnte sie trotzdem nicht abbezahlen. Meine Kredite fürs College und für den Master sind während meiner Spanienjahre in Verzug geraten, und bei meiner Rückkehr hatte sich der anfängliche Betrag durch Strafen, Gebühren und Inkassokosten fast verdoppelt. Jetzt schaffe ich es mit Hängen und Würgen, den Status quo zu halten, das Minimum abzustottern, bis – ja, bis was? Und bis wann? Darauf gibt es keine Antwort. Das ist Teil des bedrohlichen schwarzen Lochs, das meine Zukunft ist.

King, Lily: Writers & Lovers, S 16

Wenn Schulden die Kreativität hemmen

Diese Schulden dominieren Caseys Alltag. So etwas wie ein Auto besitzt sie nicht. Stattdessen schleppt sie sich Schicht um Schicht in das Restaurant, wird von tyrannischen Köchen gepiesackt und kämpft darum, wenigstens etwas Oberwasser in ihrem Leben zu behalten. Denn ihren großen Traum hat sie nicht aus den Augen verloren. Sie will schreiben. Der Great American Novel, er ist auch ihr Ziel. Und so zwackt sie von ihrem hektischen Alltag immer wieder ein paar Stunden ab, um in der Garage, die als ihr Zuhause fungiert, oder in der Bücherei ein paar Zeilen aufs Papier zu bringen. Aber wie soll man die Kreativität, die für ein solches Projekt vonnöten ist, finden, wenn doch die Schulden einem Damoklesschwert gleich über einem schweben?

Lily King - Writers & Lovers (Cover)

Darum dreht sich Writers & Lovers. Lily Kingt rückt mit Casey eine leicht chaotische junge Frau in den Mittelpunkt, deren Leben exemplarisch für das von Millionen junger Menschen in Amerika (und nicht nur dort) steht. Wie will ich meinen Träumen und Bestimmungen folgen, wenn Schulden das alles eigentlich verhindern? Wenn die Kreativität nicht kommen mag, fast niemand an einen glaubt? Und ist die zumeist wenig erträglichere Schriftstellerei tatsächlich ein Weg, um den Schulden zu begegnen?

In einer direkten, fast ein wenig schmucklosen und weniger farbigen Sprache (Übersetzung Sabine Roth) als zuletzt in Euphoria rückt Lily King diese Fragen in den Mittelpunkt des Buch.

Ein amerikanischer und moderner Roman

Es ist ein im Kern sehr amerikanischer und moderner Roman, den sie mit Writers & Lovers da geschrieben hat.

Modern, da das Scheitern, die Unsicherheiten und chaotischen Liebesverhältnisse einem Memoir gleich ausgestellt und unbarmherzig beleuchtet werden. Modern auch, weil King relevant existierende Probleme wie eine mangelhafte Sozialversicherung oder die Probleme von Studienkrediten literarisiert. Amerikanisch, weil sie das Beharren auf den eigenen Traum in den Mittelpunkt rückt (der dann schlussendlich – Spoileralarm! – auch märchengleich belohnt wird).

Das ist dabei auch der Punkt, den man an dem Buch am ehesten kritisieren könnte. Dass alle Puzzleteile am Ende genau in die richtigen Stellen fallen, an die sie hingehören – diese Realitätsferne steht in Kontrast zur gesamten zuvor geschilderten Realitätsnähe.

Ich persönlich möchte hier allerdings nicht so streng sein. Denn was gibt es Schöneres, als in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten eine ermutigende Botschaft zu senden namens „Schreibe und verfolge deinen Traum – es kann sich lohnen!“? Eben!


  • Lily King – Writers & Lovers
  • aus dem Englischen von Sabine Roth
  • ISBN 978-3-406-75698-6 (C. H. Beck)
  • 319 Seiten, 24,00 €
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