Tag Archives: See

Susanne Tägder – Das Schweigen des Wassers

Ein wirklich solider Krimi gelingt der ehemaligen Richterin Susanne Tägder mit ihrem Debüt Das Schweigen des Wassers. Darin erzählt sie von einem ertrunkenen Bootsverleiher, dessen Tod den aus Hamburg zugezogenen Polizisten Arno Groth nicht ruhen lässt – und von Verflechtungen, die auch das Ende der DDR unbeschadet überstanden haben.


Frisch aus Hamburg zugezogen kann der Polizist Arno Groth seine Begegnung mit dem Mann nicht wirklich einordnen, der eines Tages vor seinem Bürofenster in der Wache von Wechtershagen steht. Bootsverleiher sei er, so teilt er es Groth im Gespräch mit. Er wolle den Diebstahl eines Tretbootes melden, und außerdem sei jemand hinter ihm her. Vielleicht komme er in der nächsten Woche mit Beweisen noch einmal bei Groth vorbei.

Doch so weit kommt es nicht. Denn kaum angekommen dort im Nordosten des kurz zuvor wiedervereinigten Landes wird Groth zu einem Tatort gerufen. Ein Mann ist im nahegelegenen Wechtsee ertrunken. Als die Leiche geborgen wird, hat der zugezogene Kriminalhauptkommissar schnell Gewissheit. Es handelt tatsächlich um den Treetbootverleiher, der ihn kurz zuvor noch am Fenster der Wache besucht hatte.

Ein Unglück oder ein Mord?

Susanne Tägder - Das Schweigen des Wassers (Cover)

Obwohl für seinen Vorgesetzten schnell feststeht, dass es sich um ein bedauernswertes Unglück handelt, will Groth diese einfache Erklärung nicht wirklich glauben. Er verbeißt sich in den Fall und stößt auf Ungereimtheiten, die außer ihm und seinem Kollegen, einem ehemaligen Stasi-Mitarbeiter, niemand so recht sehen will. Jetzt da die blühenden Landschaften kurz bevorstehen und der Tchibo in Wechtershagen Einzug gehalten hat, ist ein Blick zurück eigentlich nur belastend – und einen möglichen Mord kann da eh niemand brauchen.

Für ihren Krimi setzt Susanne Tägder auf zwei zentrale Erzählperspektiven, die mit ihrer Sicht auf den Fall die Handlung vorantreiben. Da ist der melancholische Ermittler Arno Groth, der langsam wieder in seiner eigentlichen Heimatstadt Wechtershagen ankommt und der sich mit seinen Vorgesetzten und alten Bekannten arrangieren muss. Und dann ist da auch noch Regine Schadow, die ebenfalls neu nach Wechtershagen zugezogen ist und die sich im am See gelegenen Tagungshotel namens Erholung als Servicekraft verdingt. Sie hat ganz eigene Gründe, um den Todesfall am See im Blick zu haben. Gründe, die sie auch zu einem Spiel mit den Ermittlungsbehörden veranlassen.

Der überlegte Einsatz der Erzählperspektiven macht aus Das Schweigen des Wassers einen gelungenen Krimi, der in manchen Zügen Christian Alvarts Film Freies Land erinnert. Angesiedelt ist die Handlung bei ihr dabei in einem fiktiven Landstrich um die Ortschaften Delmin und Wechtershagen, irgendwo in Vorpommern nahe der Ostsee.

Risse und Brüche

Ebenso klein wie ihr fiktives Städtchen ist auch das Ensemble des Romans, in dem Susanne Tägder auf überflüssigen erzählerischen Ballast verzichtet und mithilfe von sorgsam dosierten Rückblenden und sprechenden Momenten ihr Personal charakterisiert. Darüber hinaus erzählt Tägder von den Rissen und Brüchen, die durch die Wendezeit verursacht wurden und die nun im Jahr 1991 offen zutage treten. Der gesellschaftliche Wandel, die Zerrissenheit in dieser seltsame schwebenden Zwischenwelt von DDR-Vergangenheit und neuer Gegenwart eines wiedervereinigten Landes, all das wird in Tägders Krimi miterzählt.

Zudem zeigt sie anhand des Falles, wie über alle Systemwechsel hinweg die Zirkel der Macht unbehelligt blieben und auch nach dem Fall der Mauer weiter fest im Sattel sitzen. Indem sie die Handlung um den Tod des Tretbootverleihers mit einem Cold Case verknüpft, kann sie diese Kontinuitäten trefflich beleuchten und bewegt sich dabei auf dem Boden tatsächlicher Ereignisse, die für ihren Debütroman Pate standen.

Ihrem Krimi liegt ein tatsächlicher historischer Todesfall zugrunde, dessen Reportage von Renate Meinhof in der Süddeutschen Zeitung das auslösende Momente für den Krimi war. Die damaligen Mauscheleien von Stasi und Volkspolizei des damaligen Todesfalles finden sich leicht abgewandelt in Das Schweigen des Wassers wieder und zeigen das Bild eines wenig gefestigten Staates, in dem die Unantastbarkeit manch einflussreicher Personen dann doch an den vielfach so kritisierten „Bruderstaat“ erinnerte.

Das ist gut gemacht und ergibt in Verbindung mit dem reduzierten, aber pointierten Setting und Fall einen guten Krimi, bei dem nicht literweise das Blut fließen muss, um Spannung zu erzeugen. Vielmehr gelingt Susanne Tägder ein Pas de deux zwischen intuitivem Ermittler und undurchsichtiger Zeugen, der anfangs so trügerisch ist wie die so unschuldig daliegende Oberfläche des Wechtsees.

Fazit

Das Schweigen des Wassers ist ein konzentrierter Krimi, der auf Ermittlungsarbeit und Intuition sitzt, um langsam die ganze Dimension des Verbrechens und die historischen Verflechtungen hinter dem Mord an dem Bootsverleiher offenzulegen. Ruhig erzählt unter Verzicht auf erzählerische Taschenspielertricks gelingt der ehemaligen Richterin hier ein souveräner Krimi, der ohne viel Blutvergießen zurückführt in die Nachwendezeit und der die Kontinuität der Macht ebenso wie die Brüche im Leben seiner Figuren betrachtet und herausarbeitet.


  • Susanne Tägder – Das Schweigen des Wassers
  • ISBN 978-3-608-50194-0 (Tropen)
  • 336 Seiten. Preis: 17,00 €
Diesen Beitrag teilen

Still und starr ruht der See

Miku Sophie Kühmel – Kintsugi

Es ist kaputt, so kaputt
Das kann man nicht reparieren
So kaputt, so kaputt
Es fließen keine Tränen
Beim Familienfest im Grünen

Bosse: Familienfest im Grünen

Rückzugsort Uckermark: was schon bei Lola Randls Buch Der große Garten thematisiert wurde, ist auch beim ebenfalls für den Deutschen Buchpreis nominierten Roman von Miku Sophie Kühmel ein prägendes Motiv. Draußen, im Grünen, abseits von Hektik und Stress, versuchen auch Kühmels Protagonisten dem Takt der Großstadt zu entgehen und ihr Leben neu zu ordnen und zu reparieren. Was bei Randl wenig überzeugend ausgestaltet war, gelingt Miku Sophie Kühmel deutlich besser. Das sah auch die Jury des Deutschen Buchpreises so – und nominierte die junge Autorin (Jahrgang 1992) für die Endrunde des diesjährigen Preises.

Die in Gotha geborene Kühmel wählt für ihren Roman die Form eines Kammerspiels. Vier Menschen, ein Haus am See in der Uckermark – mehr braucht sie nicht, um über fast 300 Seiten ihre Geschichte zu erzählen.

Vier Menschen, ein Haus, ein See

Da sind zum Einen Reik und Max. Ein homosexuelles Pärchen, das schon seit zwanzig Jahren zusammenlebt. Max lehrt als Professor für Archäologie an der Universität und ist ein zutiefst strukturierter Geist. Alles muss seine Ordnung haben, von der Teeschale auf dem Van-Duysen-Board bis hin zu den Ritualen im Alltag.

Miku Sophie Kühmel - Kintsugi (Cover)

Ganz anders da Reik. Als Künstler zieht er das Chaotische, Unperfekte an. In der Post-Wende-Zeit kam er mit seinen Kunstwerken zu großem Ruhm, der bis heute anhält. Ständig ist er in der Welt unterwegs, besucht Vernissagen, Galerien und Museen – und hat im gemeinsamen Ferienhaus mit Max seinen Ruhepunkt gefunden.

Das Pärchen, das den Kontrapunkt zu den beiden gealterten Bohémiens bildet, wird von Tonio und Pega gebildet. Pega ist Tonios Tochter, der auch früher einmal ein Liebhaber von Reik war. Aber diese Zeiten sind schon längst vorbei. Tonio hat in der Vaterschaft von Pega seine Bestimmung gefunden und geht in der Rolle als alleinerziehender Vater vollkommen auf. Pega hingegen ist ein wirklicher Wirbelwind, die in einer Berliner WG lebt und als auslösendes Moment von außen die eingespielte Riege der alten weißen Männer aus dem Tritt bringt.

Erstaunlich souverän in der Form erzählt Miku Sophie Kühmel nacheinander von den vier Menschen, ihren Geschichten und ihren Motivationen. Zwischen die vier Teile des Ganzen montiert sie kleine Theaterpassagen, die aus reinen Dialogen bestehen und die Handlung im Ferienhaus weiter vorantreiben. Denn die Handlung umspannt nur einen Tag, der um 8 Uhr am Morgen beginnt. Alles spielt sich innerhalb dieses Tages ab, ehe ein Epilog um 8 Uhr des nächsten Morgens die Geschehnisse in Kintsugi abschließt.

Tolle Inneneinsichten der Figuren

Das ist toll gemacht, diese Verdichtung auf einen Tag und vier verschiedenen Figuren, aus deren Beziehung zueinander sich die Handlung ergibt. Alle vier Perspektiven konstruiert Miku Sophie Kühmel sehr glaubhaft. Die Widersprüche in den Figuren, ihre Wünsche und heimlichen Sorgen, davon erzählt die junge Autorin erstaunlich reif und psychologisch glaubwürdig. Während sich Reik eigentlich Kinder wünscht, kann Max mit diesem Gedanken gar nichts anfangen. Auch solche vermeintlich spießigen Themen wie „Heirat“ oder die Ausgestaltung der bürgerlichen Existenz beschreibt Kühmel sehr nachvollziehbar und kohärent.

Alle vier Berliner*innen wirken lebensnah, die Brüche in ihren Leben sind nachvollziehbar gestaltet – Miku Sophie Kühmel ist eine genaue Beobachterin von Menschen, die auch unter die Oberfläche von vermeintlich Glattem sieht. Würden Max, Pega und Co. nach ihrem Wochenende aus dem Buch ins Leben übertreten – sie würden sich wunderbar in unser Miteinander einpassen. Eine solche Figurengestaltung ist für mich große Kunst und aller Ehren wert (wenngleich die vier Protagonist*innen natürlich auch noch etwas unterscheidbarer hätten klingen dürfen).

Toll in der Form, Schwächen in der Sprache

Doch so stark das Debüt auch in der Introspektive seiner Figuren und der Form ist: einen Kritikpunkt habe ich dennoch vorzubringen. Und das ist der sprachliche Stilwillen, der in Miku Sophie Kühmels Debüt noch etwas ungebändigt wirkt. So „zischelt“ den Figuren beim Besteigen eines Hochsitzes eine Ladung Käfer entgegen (S. 79) oder „die Zeitanzeige glüht [Reik] auf Augenhöhe entgegen (S. 8). Manchmal kippt das Ganze auch ins Schwülstige oder Kitschige, wie beispielsweise auf Seite 12:

Sie beginnen, sich zu küssen, und die Baumwollwolken wogen um sie her.

Kühmel, Miku Sophie: Kintsugi, S.12

Hier hätte sicher ein strengeres Lektorat noch die ein oder andere Formulierung glätten oder streichen können. Aber im Falle eines ansonsten so starken Debüts bin ich gerne auch einmal bereit, über diesen Punkt gnädig hinwegzusehen.

Auf diese Debütantin lohnt es zu schauen

Zwar rechne ich angesichts der starken Konkurrenz nicht wirklich mit einem Sieg von Miku Sophie Kühmel. Davon unbesehen ist Kintsugi wirklich ein tolles Debüt einer Erzählerin, die genau hinschaut und sich für ihre Figuren interessiert. Von ihr erwarte ich mir noch einiges – denn wer jetzt schon so souverän Form und Inhalt beherrscht, der hat noch eine große Karriere vor sich, so meine persönliche Einschätzung. Hier könnte Großes entstehen!

Und ein letztes Rätsel sei an dieser Stelle auch noch aufgelöst: wer oder was ist denn eigentlich jenes titelgebende Kintsugi? Im Appendix des Buchs werden sämtliche japanische Titelüberschriften erklärt, darunter eben auch jenes Kintsugi:

das kunsthandwerk, zerbrochenes porzellan mit gold zu reparieren

Kühmel, Miku Sophie: Kintsugi, S.295

Das passt auf die Figuren und die Handlung des Romans wirklich exzellent und wird auch noch einmal im Cover wirklich kongenial aufgegriffen. Kaputtes reparieren und dadurch sogar aufwerten, das könnte wirklich eine Umschreibung von Kühmels Debüt sein. Sehr stimmig!

Beispiel einer mithilfe von Kintsugi veredelten Schale. (Quelle Twitter/Josh Corman)

Andere Meinungen zu dem Buch gibts beim Freitag, bei Letteratura, beim Textmagazin und bei Bleisatz.

Diesen Beitrag teilen