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Salvatore Scibona – Der Freiwillige

Vom Dschungel Vietnams bis nach Hamburg. In seinem Roman Der Freiwillige spannt Salvatore Scibona einen weiten Bogen – und scheitert an den eigenen Ambitionen.


Dabei ist der Auftakt zu Scibonas zweitem Roman (zuletzt „Das Ende“, erschienen 2012 bei Arche) durchaus vielversprechend. Ein Junge steht menschenverlassen auf dem Hamburger Flughafen, keine Spur von Erziehungsberechtigten. Die Ermittlung der Identität des Jungen stellt sich als schwierig heraus. Von dort aus springt der Roman dann einige Jahrzehnte zurück, um im ersten Teil die Geschichte von Vollie zu schildern.

Salvatore Scibona - Der Freiwillige (Cover)

Dieser meldet sich als Freiwilliger für den Vietnamkrieg und verlängert sein Engagement dort sogar noch einmal. Er gerät in Kriegsgefangenschaft und erlebt den Wahnsinn des Kriegs hautnah mit. Später wird er nach seinem Ausscheiden aus dem Dienst auf eine Spionagemission geschickt. In Queens soll er den Verbleib eines Mannes herausfinden. Sollte er erfolgreich sein, erwartet ihn eine finanzielle Entlohnung. Doch bis sich diese Geschichte mit der des verlassenen Jungen auf dem Hamburger Flughafen verbindet, wird noch einige Zeit vergehen.

Es sind durchaus vielversprechende Zutaten, die Salvatore Scibona für seinen Roman verwendet. Schilderungen des Vietnamkriegs, die Frage von familiärer Verbundenheit, der Blick auf das gesellschaftliche Leben abseits des öffentlichen Interesses. All das spielt in dem Buch eine Rolle, mag sich aber nicht zu einem überzeugenden Ganzen verbinden.

Ein Buch, das den Fokus verliert

Beginnt das Buch mit einer klaren Schlagrichtung, nämlich den Schilderungen des Kriegs in Vietnam, verliert sich dieser Fokus bereits nach dem ersten Teil. Scibona springt zurück nach Hamburg, erzählt von dem Jungen, der unter die Fittiche eines Priesters genommen wird. Dann ändert er den Erzählfokus, rückt Vollie (der inzwischen seine Identität bereits zum ersten, aber nicht letzten Mal gewechselt hat) an den Rand der Erzählung. Er beendet den Teil um die Spionageerzählung, um dann weiter zu einer Kommune in New Mexico zu springen. Vollie, sein Sohn, der Junge in Hamburg – immer mehr lösen sich die Erzählstrukturen auf, enden oftmals wahllos und in großer Beliebigkeit. Viele eingeführte Konflikte enden im Nichts, immer zielloser wird dieser wild mäandernde Erzählstrom. Auch bleiben die meisten Figuren völlig unkonkret, obwohl Scibona viel Zeit zur Schilderung dieser verwendet.

Das ist schade, denn so bleibt bei mir der Eindruck eines Buchs, bei dem deutlich mehr dringewesen wäre. Schon die Schilderungen des Kriegs in Vietnam wirken eingedenk einer Fülle an Filmen und Romanen überholt. Andere Schriftsteller haben gezeigt, wie man heute modern und mit Erkenntnisgewinn von diesem Krieg erzählen kann. Scibona wirkt hier etwas antiquiert und fällt ästhetisch hinter ein solches Erzählen zurück. Und da dieser Teil der überzeugendste des Buchs ist, bekommt man eine Ahnung, wie der Rest dieses Romans versandet. Zwischen all den Identitäts-und Schauplatzwechseln stellte sich bei mir eine Müdigkeit ein, die ein guter da fokussierter Roman so hätte nicht entstehen lassen.

Das ist schade, denn mit einer klareren Stoßrichtung, einer prägnanteren Figurenzeichnung und einer überzeugend durchgeführten Entwicklung hätte aus Der Freiwillige ein echter Klassiker werden können. So bleibt Scibonas Roman weit hinter seinen Möglichkeiten zurück und erzeugte zumindest bei mir etwas Ratlosigkeit ob der erzählerischen Orientierungslosigkeit.


  • Salvatore Scibona – Der Freiwillige
  • Aus dem Englischen von Bettina Arabarnell und Nikolaus Hansen
  • ISBN 978-3-8270-1383-5 (Berlin-Verlag)
  • 560 Seiten. Preis: 25,00 €

Titelbild: „1968 Helicopter Lands Jungle Clearing US Soldiers Vietnam War UPI Photo“ by manhhai is licensed under CC BY 2.0

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Pierre Lemaitre – Wir sehen uns dort oben

In diesem Jahr ist Frankreich das Partnerland der in Kürze beginnenden Frankfurter Buchmesse. Ein Land, das mit einer erfreulich heterogenen Literaturszene aufwarten kann. Meine neueste Entdeckung ist hierbei Pierre Lemaitre, ein in Paris lebender Schriftsteller, der bislang überwiegend als Krimiautor in Erscheinung trat.

Sein nun im Taschenbuch erschienener Roman Wir sehen uns dort oben (Übersetzung Antje Peter) erzählt von einem ganz besonderen Triumvirat, das durch Geschehnisse in den letzten Tagen des Ersten Weltkriegs zusammengeschweißt wird. Da wäre zunächst der etwas unbedarfte Soldat Albert Maillard, der von seinem Vorgesetzten, dem Offizier Pradelle auf ein Himmelfahrtskommando geschickt wird, um den deutschen Truppen ein paar Meter Schlachtfeld abzujagen. Jener Pradelle selbst („ungestüm und primitiv“ so die Kennzeichnung auf S. 38) möchte mit diesem Manöver endlich noch die ihm seiner Meinung nach zustehenden Meriten verdienen, die ihm bislang versagt blieben. Der Dritte im Bunde ist der Soldat Edouard Péricourt, der in letzter Sekunde zum Retter Alberts wird, dabei aber fast mit seinem eigenen Leben bezahlt.

Dieses Beziehungsgefüge bildet nun die Grundlage zu Lemaitres mit dem Prix Goncourt ausgezeichneten Roman, der ein umfassendes Panorama der französischen Nachkriegsgesellschaft zeichnet. Während Albert und Edouard eine symbiotische Freundschaft schließen, nicht zuletzt um auch leichter überleben zu können, legt Offizier Pradelle einen steilen Aufstieg hin und avanciert zum hochdekorierten Kriegshelden.

Albert und Edouard eint der Hass auf diesen, da sie beide wissen, um welchen Preis Pradelle seinen Erfolg errungen hat. Sie beschließen, durch eine ausgeklügelte Masche Rache zu nehmen und ihrem Leid als Kriegsversehrte zu entfliehen. Hier zeigt sich das Talent Lemaitres, der weiß wie man spannend erzählt und Erzählbögen entwickelt, die die Geschichte tragen. Immer wieder wechselt er die Perspektiven von Albert zu Pradelle zu Edouard und so weiter. Das ist gut gemacht und treibt die Geschichte voran.

Mit einer Prise Dumas erzählt er von der französischen Nachkriegsgesellschaft, dem Leid und den Sorgen, die die Menschen mit sich trugen, trotz der Tatsache, dass Frankreich Kriegsgewinner war. Doch ein solcher Krieg kennt doch nur Verlierer, das wird bei Wir sehen uns dort oben eindringlich klar. Ein starkes Buch über ein auch nach einhundert Jahren immanent wichtiges Thema, das nicht in Vergessenheit geraten sollte.

 

Und an dieser Stelle noch ein Hinweis für alle Leser, die nun neugierig auf Pierre Lemaitre geworden sind: jüngst erschien der neue Roman Lemaitres mit dem Titel Drei Tage und ein Leben im Klett-Cotta Verlag. Eine Besprechung hier wird in Kürze folgen!

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