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Antonia Baum – Siegfried

Wenn einen die eigene Familie in die Psychiatrie bringt. Antonia Baum in ihrem neuen Roman Siegfried über drei Generationen einer Familie, die alle mit eigenen Dämonen kämpfen und doch nicht von der Stelle kommen.


Transgenerationale Traumata und Probleme sind ein Thema, mit denen sich die deutsche Literatur in zunehmenden Maße befasst. Welche Probleme einer Generation werden in der nächsten fortgeführt und wodurch bedingt sich diese Weitergabe von Problemen und Verhaltensmustern? Ulrike Draesner beschäftigte sich jüngst in ihrem Werk Die Verwandelten literarisch mit diesem Thema und auch Antonia Baums neuem Roman Siegfried liegt diese Fragestellung zugrunde. Sie blickt ausgehend von der jüngsten Generation auf Mutter, Vater und Großmutter und untersucht im eigenen Erinnern die erlernten Verhaltensmuster und Konfliktstrategien.

Ein Wartezimmer in der Psychiatrie

Es beginnt alles mit einer namenlosen Frau, der Ich-Erzählerin. Sie lässt in einem Gefühl der Überforderung ihren Mann und ihre Tochter zuhause zurück, um sich in eine Psychiatrie zu begeben. Geldprobleme, Beziehungsprobleme, Abgabedruck eines Buchs, dessen Vorschuss zwar schon aufgebraucht, aber noch keine einzige Zeile zu Papier gebracht ist. Viele nagende Sorgen, die in einer morgendlichen Fahrt zur Psychiatrie resultieren.

Auf der Rückbank des Taxis trug ich keine Schuhe, aber dafür einen Trenchcoat. Ich hatte nicht wie sonst die Nylonhandtasche meiner Mutter dabei, ich hielt meinen Rechner mit beiden Händen auf dem Schoß fest. Ich hätte nicht sagen können, was seit der Situation im Badezimmer passiert war. Es beunruhigte mich aber nicht sehr, ich fand meine Idee, in die Psychiatrie zu fahren, sehr gut. Jemand würde mir sagen, was mit mir los war, dieser Arzt würde mir helfen, die Dinge zu sortieren, ich hatte mir sogar seinen Namen notiert. Ich würde dort sitzen und für Reihenfolgen nicht zuständig sein. Es würde eine Diagnose geben. Ich bildete mir die Dinge nicht ein, ich war keine Simulantin, ich war nicht überempfindlich. Ich war auch nicht verrückt, es gab Gründe.

Antonia Baum – Siegfried, S. 18 f.

Als sie nun im Warteraum der Psychiatrie sitzt, fängt das Erinnern der Erzählerin an. Sie entsinnt sich ihrer Kindheit, die sie teilweise bei ihrer Großmutter Hilde verbrachte, in deren Hause Strenge und merkwürdige Regeln herrschten. Keine Spiegel, Schwimmen nach Stoppuhr, aufgetakelte Treffen in der Öffentlichkeit mit alten Freunden und wenig Lebensfreude. All das bedeutete die Zeit im Haus der Großmutter, die die Erzählerin dort als Kind verbrachte.

Blick auf die eigenen Eltern und Großeltern

Antonia Baum - Siegfried (Cover)

Aber auch auf die Erinnerung an ihre eigenen Eltern blickt sie, als sie darauf wartet, im Wartezimmer aufgerufen zu werden. Der prägende Vater Siegfried, die Mutter, die stets von Hilde, Siegfrieds Mutter, mit Argusaugen beobachtet wurde. Die Affären des Vaters, die Begleitung der Mutter auf Siegfrieds Dienstreisen und damit verbunden weitere Aufenthalte im kalten Haus Hildes. Dazu die Erinnerung an Episoden, wie die des Einsperrens der Mutter im eigenen Zuhause, die dann schlussendlich in der Trennung der eigenen Eltern mündete.

Die Lieblosigkeit der elterlichen Generationen, das strenge Regiment der Großmutter, das Nicht-Funktionieren von Beziehungskonzepten, all das betrachtet die Erzählerin noch einmal in der Rückschau, während sie sich dort in der Psychiatrie Heilung erhofft, diese aber schon selbst durch die Rückschau und das Betasten der eigenen seelischen Narben erbringt.

Die Rückschau fördert nicht sonderlich scharf konturierten Figuren zutage, die die Familie rund um Siegfried bevölkern. Diese Figuren stehen aber auch als eine Art Stellvertreter für viele nachkriegsdeutsche Familiengefüge, wie sie viele Leserinnen und Leser auch aus der eigenen Familie her kennen dürften.

Figuren als Stellvertreter für transgenerationale Verhaltensmuster

Unausgesprochene und unerforschte Altlasten aus der Zeit des Nationalsozialismus, Härte in der Erziehung der eigenen Kinder, das Aufrechterhalten der bürgerlichen Fassade – davon erzählt Siegfried, in dessen Name ja auch schon etwas der (vermeintlichen) Härte und Stärke aufscheint, die Antonia Baum im Folgenden dekonstruiert. Sie leuchtet die familiären Verhältnisse aus und zeigt eine Frau, deren Bindungsschwierigkeiten und schwierige Beziehung zumindest ein Stück weit auch als Ergebnis der vorgelebten Unfähigkeit zu lieben der familiären Anti-Beziehungsvorbilder zu lesen ist.

Das macht aus Siegfried zwar keinen leichten Familienroman á la Joachim Meyerhoff, aber dennoch lohnt sich die Lektüre, lassen sich die aufblitzenden Muster und Figuren doch in den meisten Familien finden und stellen einen guten Beitrag zur Behandlung des Themenkomplexes der transgenerationalen Traumata dar, auch wenn ich mir noch etwas schärfere Figuren – allen voran die Erzählerin gewünscht hätte.


  • Antonia Baum – Siegfried
  • ISBN 978-3-546-10027-4 (Claassen)
  • 256 Seiten. Preis: 24,00 €
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