Monthly Archives: Februar 2016

Das literarische Quartett – eine Kritik

Zum Abschalten

Das Literarische Quartett Quelle: ZDF
Das Literarische Quartett
Quelle: ZDF

Gestern Abend war es wieder einmal soweit -und ich habe es mir angetan. Bereits zum vierten Mal wurde im ZDF am Freitagabend unter Leitung von Volker Weidermann (nicht immer nur) über Bücher gestritten. Wobei letzter Satz eine falsche und eine wahre Aussage über das Programms im Berliner Ensemble beinhaltet: während man von einer Gesprächsleitung durch Volker Weidermann kaum sprechen kann, ist das Wort Streiten bei dieser Art von Sendung mehr als  angebracht. Doch von vorn:

Ohne die krankheitsbedingt fehlende Christine Westermann saßen sich diesmal Volker Weidermann, Maxim Biller und als Gast Eva Menasse gegenüber. Trotz der absenten Christine Westermann hatte man sich entschieden, trotzdem alle vier Bücher anstelle von nur drei ins Programm zu nehmen und diese in 45 Minuten durchzuhecheln. Über die Auswahl und die Omnipräsenz des Kiepenheuer-Witsch-Verlags und seiner Autoren war an dieser Stelle schon genug gesagt worden.

Die Auswahl des Literarischen Quartetts Quelle: ZDF
Die Auswahl des Literarischen Quartetts
Quelle: ZDF

Dennoch musste ich auch konstatieren, dass man sich hier wieder einmal für die meiner Meinung nach unrelevantesten Titel dieser Tage entschieden hat. Ein englischer Proust (Anthony Powell, der nun schon seinen 100. Geburtstag feiern würde) und die Unterstützung von Nischenverlagen in Ehren – ich glaube trotzdem dass man mit seiner Auswahl näher am Puls des literarischen Lebens liegen müsste und es auch nicht schaden würde, einmal einen Bestseller unter die Lupe zu nehmen. So standen vier Titel im Programm, mit denen ich nicht viel anzufangen wusste, obwohl ich mich durchaus als literarisch firm bezeichnen würde. Aber vielleicht hätte mir die Sendung Appetit auf die Bücher machen können?

Machen wir es kurz – nein. Worum genau geht es in den vier Büchern? Warum haben sie es verdient, sie zu lesen? Bei diesem Gehetze, das im Berliner Ensemble produziert wurde, blieb sehr vieles auf der Strecke. Inhaltsangaben und -zusammenfassungen zählen eh nicht zum eingeplanten Konzept, wie mir scheint. Dennoch wäre es schön, wenn man die Titel wenigstens grob vorgestellt bekommen könnte, ehe man sich gegenseitig ins Wort fällt. So ist das gegenseitige Niederbrüllen, der permanente Kampf um Aufmerksamkeit und die Deutungshoheit des Buchs und das grundsätzliche Schlecht-Finden der jeweils nicht selbst vorgeschlagenen Titel ein unangenehm oft auftretendes Phänomen. Gerade Maxim Biller tut sich hier mit steilen Thesen und der Lust zum Krawall hervor.

Dies wäre in Maßen ja durchaus noch erträglich, hier jedoch bräuchte es jemanden, der die Konflikte einbremsen und regulieren müsste. Doch Volker Weidermann als Gesprächsleiter scheint mir hier ebenfalls eine glatte Fehlbesetzung zu sein. Die ganze Sendung wirkt wie ein einziger ADHS-Trip, das Gehetztsein überträgt sich sehr schnell auf den Zuschauer. Kaum ein Argument, das schlüssig zu Ende geführt werden würde. Und dass ein anderer Kritiker aufgrund von klar vorgetragenen Urteilen von einer anderen Sichtweise überzeugt werden würde? Dieser Gedanke ist nun ganz und gar abwegig …

Der Schweizer Literaturclub Quelle: SRF
Der Schweizer Literaturclub
Quelle: SRF

Nun möchte ich auch Vergangenes nicht glorifizeren und das „alte“ Quartett zum einzigen Maßstab machen. Doch auch ohne die alten Folgen im Hinterkopf wirkt das Quartett lediglich auf Krawall gebürstet und schafft es, auch ambitioniertere Leser nachhaltig zu verschrecken. Das muss einem auch erst einmal gelingen. Auch wenn ihn Maxim Biller gestern verächtlich schmähte – vieles was ich mir an Diskussionen wünsche und hier vermisse, finde ich beim Pendant der Eidgenossen. Der Schweizer Literaturclub ist so, wie ich mir niveauvolles Diskutieren über Bücher vorstelle. Ruhe in der Diskussion, ein Vorgeschmack auf den Stil des Buchs – hier tut man sich und seinen Nerven etwas Gutes und bekommt wohltuende Eindrücke, ohne dass eigene Egos im Vordergrund stehen. Für mich ist Literatur nämlich zu wichtig , als dass man sich permanent über sie in die Haare kriegen sollte.

Für das Literarische Quartett in der momentanen Form im ZDF beherzige ich nur das Motto der vor wenigen Tagen leider gestorbenen Fersehikone Peter Lustig aus dem gleichen Sendehaus: Und jetzt, ihr wisst schon – abschalten!

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Tad Williams – Spät dran am jüngsten Tag

Inferno, Purgatorio, Paradiso?

Er hat es geschafft – Bobby Dollar hat seinen Abstieg in die Hölle in Happy Hour in der Hölle überlebt, um nur jetzt abermals vom Regen in die Traufe zu gelangen. Das gelingt auch nur Bobby Dollar alias Doloriel, dem mehr als gefallenen Engel, der auf der Suche nach seiner geliebten Dämonin Caz sämtliche Himmels- und Höllenkreise durchwanderte. Auch im dritten und damit abschließenden Band der Trilogie steht er noch mit leeren Händen da, dafür findet er sich gleich zu Beginn des Buchs vor dem Himmlischen Gericht wieder.

Spät dran am jüngsten Tag - Tad Williams

Spät dran am jüngsten Tag – Tad Williams

Denn seine Suche nach Caz hat das Personal des Himmels und der Hölle gehörig aufgerüttelt und einige schmutzige Deals zum Vorschein gebracht. Da Bobby ein mehr als nur abnormal großes Talent für Fettnäpfchen hat, ist er einigen der Mächtigen auf den Schlips getreten und es scheint, als sei der Engel diesmal endgültig zu weit gegangen. Denn bei seiner Suche wurde er Zeuge eines Deals zwischen Dämonen und Engeln, der eigentlich um jeden Preis geheim bleiben sollte. Dies hat nun zur Folge, dass Bobby von himmlischen und teuflischen Gesandten gejagt wird, wo er doch eigentlich nur Caz in die Arme schließen möchte. Und so entspannt sich eine actionreiche Hatz, die Bobby mit sämtlichen Ausgeburten der Hölle und Ausgebufftheiten des Himmels konfrontieren wird – Ausgang ungewiss.

Das Finale der Bobby-Dollar-Trilogie ist genauso witzig, actionreich und verzwickt wie die beiden Vorgängerbücher geworden. Cornelia Holfelder-von der Tann schafft es auch in diesem Buch wieder, den Witz und die hohe Pointendichte des Engels mit dem Talent fürs Chaos und Blamage ins Deutsche zu übertragen. Der Ton, den Williams mit seinem Engel Bobby gefunden hat, erinnerte mich stark an den selbstironischen und trockenen Humor, den z.B. auch Ben Aaronovitch in seinen Büchern mit dem Police Constable Peter Grant pflegt.

Zwar ist Williams in seinem Buch (560 Seiten) auch nicht vor gewissen Längen gefeit und mit der Vorkenntnis der beiden Bücher hat man von Spät dran am jüngsten Tag auch deutlich mehr, aber der Lesegenuss und vor allem -spaß ist durchgängig vorhanden. Ein kreatives Finale der Trilogie und so ziemlich das Beste, das ich in letzter Zeit im Genre der Urban Fantasy lesen durfte. Diese Reihe ist wirklich himmlisch beziehungsweise in Bobby Doloriel Dollars Fall eher teuflisch lustig und kreativ. Hier noch einmal eine Übersicht der drei Bände:

 

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Anthony Doerr – Memory Wall

Erinnerungen

Mit seinem Roman Alles Licht, das wir nicht sehen gelang es Anthony Doerr im letzten Jahr, mich tief zu bewegen und lang über seine Geschichte nachzusinnieren lassen. Umso größer meine Freude, als ich in der Vorschau des C. H. Beck-Verlags die Ankündigung zu einem neuen Roman bzw. einer neuen Novelle des Amerikaners entdeckte. Seit letzter Woche ist nun seine 132 Seiten starke Erzählung Memory Wall im Handel erhältlich, ins Deutsche übertragen wurde sie abermals von Werner Löcher-Lawrence.

Der Inhalt dieser Novelle lässt sich nur unzureichend beschreiben und soll an dieser Stelle auch nicht allzu vertieft ausgeführt werden. Die Grundfrage, die Doerr umtreibt, ist die Frage der Erinnerung. Woran erinnern wir uns und was machen wir mit unseren Erinnerungen? Bereits Karl-Ove-Knausgard vermerkte in seinem Roman Spielen: „Das Gedächtnis ist keine verlässliche Größe im Leben, aus dem einfachen Grund, dass für das Gedächtnis nicht die Wahrheit wichtig ist.“ Doerr treibt diesen Gedanken weiter und geht mit ihm in die Zukunft. Dort ist es Forschern gelungen – ähnlich wie beim Denkarium von Albus Dumbledore in den Harry-Potter-Bänden – die Erinnerungen von Menschen zu konservieren. Sie können die Erinnerungen abzapfen und diese in Kassetten abspeichern. Eine Kundin dieser neuartigen Technologie ist die greise Alma, die sukzessive der Krankheit Vergessen anheimfällt. Sie wohnt in Kapstadt in ihrem Haus, hat ihren Mann verloren und wird nur von einem Haushälter aus den Townships betreut. Sie flüchtet sich in ihre eigenen Erinnerungen, auf die es aber auch Kriminelle aus bestimmten Motiven abgesehen haben.

Alles Licht, das wir nicht sehen - Anthony Doerr

Anthony Doerr hat mit Memory Wall eine sauber gearbeitete und brillant ausgeführte Novelle vorgelegt, die ebenso fraktal wie unsere Erinnerungen ist. Aus mehreren Strängen setzt er seine kurze Geschichte zusammen, die verschiedene Stränge und Rückblenden zu einem Gesamtporträt verbindet, in das man sich schon nach kurzer Dauer einfindet. Die unerhörte Begebenheit, die eine Novelle gemäß der Goethe’schen Literaturtheorie besitzen sollte, ist Doerrs Fiktion von Erinnerungsspeichern und Erinnerungszapfen. Was sich hier nach einer Prise Philip K. Dick anhört, liest sich im Buch sehr einfühlsam, schön, und enthält viele Impulse, wie es beispielsweise hier deutlich wird:

Dr. Amnestys Kassetten, das South African Museum, Harolds Fossilien, Chefe Carpenters Sammlung, Almas Gedächtniswand – waren das nicht alles Versuche, der Vernichtung zu trotzen? Was sind Erinnerungen überhaupt? Wie können sie so zerbrechlich und vergänglich sein? (…) Die Erinnerung baut sich ohne klare, objektive Logik auf: Ein Punkt hier, einer dort, und dazwischen liegen viele dunkle Räume. Unser Wissen entwickelt sich ständig und unterteilt sich. Wenn Sie sich oft genug an etwas erinnern, können Sie eine neue Erinnerung schaffen: Die Erinnerung an das Sicherinnern.“ (Doerr, Anthony: Memory Wall, S.114 f.)

Den Inhalt von Memory Wall zusammenzufassen, gleicht einem Versuch, den Vorgang des Erinnerns in Worte zu fassen. Es ist kaum möglich, da auch jeder Leser etwas eigenes aus diesem Buch mitnehmen wird. Ein Buch über das Vergessen, über Fossilien, über Wunder im Leben und vieles mehr. Am besten einfach selber lesen und genießen!

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Don Winslow – Way down on the High Lonely

Neal Careys dritter Einsatz

Drei Jahre sind vergangen, seit den turbulenten Ereignissen aus China Girl, die den jungen Privatdetektiv Neal Carey gefordert haben. Seitdem saß der Amerikaner im Reich der aufgehenden Sonne in einem buddhistischen Kloster fest, ehe nun Joe Graham auftaucht. Dieser ist Neals Mentor und hat ihn für die Bank rekrutiert, ein exklusives Unternehmen mit einer ebenso exklusiver Klientel. Für diese Bank soll Neal nun ein weiteres Mal auf ein Himmelfahrtskommando gehen. Der Sohn einer Hollywoodproduzentin wurde entführt und niemand weiß, wo sich das Kind und der Kindsvater befinden, der den Jungen gekidnappt hat.

Way down on the High Lonely - Don Winslow

Neal Carey No. 3

Ein Fall wie gerufen für Neal, der undercover ermitteln muss. Seine Spuren führen ihn schon bald in die tiefste Provinz nach Nevada, wo noch echte Cowboys und Ranger leben. Es scheint, als sei der Vater und der entführte Junge auf einer dieser Ranches untergekommen und würde sich dort vor der Welt verstecken. Neal Carey beschließt, sich auf dem Nachbargut einzuquartieren und die benachbarte Ranch in aller Ruhe auszukundschaften und zu unterwandern. Doch damit beginnen erst die Probleme, denn die Cowboys auf der entsprechenden Ranch scheinen fanatische Rassisten zu sein, die den Schwarzen, Juden und allen sonstigen Ethnien und Menschen den Kampf angesagt haben. Neal Carey muss sein ganzes kriminalistisches Talent aufbieten, um den entführten Jungen aus diesem Schlamassel zu befreien.

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Emanuel Bergmann – Der Trick

Immer mal wieder geschieht es, dass man in der ganzen Bücherflut über Preziosen stolpert, die man nicht unbedingt auf dem Schirm hatte, denen man aber eine möglichst große Leserschaft wünscht. Das im März neu erscheinende Debüt von Emanuel Bergmann fällt in diese Kategorie – erschienen ist es gleich als Hardcover bei Diogenes. Für ein Debüt spricht dies schon Bände – umso schöner dass das Buch auch alle Versprechen einlösen kann.

Von Prag bis nach Los Angeles

978-3-257-06955-6

Das Buch erzählt in zwei Strängen vom kleinen Mosche Goldenhirsch in Prag 1934 und vom kleinen Max Cohn, der dieser Tage in Los Angeles lebt.

Dessen Eltern haben sich nicht mehr viel zu sagen und stecken gerade inmitten ihrer Scheidung. Max nimmt dies alles sehr mit, sähe er doch seine Eltern am liebsten wieder zusammen. Die Rettung aus dieser verfahrenen Situation scheint eine alte Schallplatte zu sein, die Max im Gerümpel seines Vaters findet. Diese Schallplatte stammt vom Zauberkünstler Zabbatini, der in rätselhaftem Singsang von einem Liebeszauber berichtet, den er vollführen könne. Aber wie das mit alten Schallplatten so ist – an der entscheidenden Stelle hängt natürlich die Aufnahme. Für Max steht nun fest – er muss diesen Zabbatini finden, koste es was es wolle. Kurzerhand macht er sich auf die eigene Faust auf den Weg, den Zauberer zu finden. Doch wird Zabbatini die Magie noch einmal entfachen können?

Während Max nach dem Zabbatini sucht, erzählt Emanuel Bergmann derweil parallel von Mosche Goldenhirsch, den das Leben bald zu eben jenem Großen Zabbatini machen wird, der Max‘ Eltern verzaubern soll. Während der Nationalsozialismus in Deutschland um sich greift, wächst Goldenhirsch als Sohn eines Talmud-Gelehrten in Prag heran und beschließt, sich einem Zirkus anzuschließen. Langsam bewegen sich die beiden Stränge aufeinander zu und bringen Max und Mosche zusammen, die zwar Jahrzehnte trennen, die sich aber beide ähnlicher sind, als es zunächst den Anschein hat.

Magie, Humor, Drama

Seit Joachim Meyerhoffs Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke habe ich bei keinem Buch mehr so oft lachen müssen. Emanuel Bergmann hat ein tolles Gespür für Pointen, Situationskomik und humorvolle Dialoge. Das Aufeinandertreffen von Max und Mosche wird toll beschrieben und der deutsche Autor geizt nicht mit absurden Szenen. Doch was sich hier vielleicht nach überdrehtem Klamauk anhören könnte, ist es keinesfalls. Bergmann nimmt seine Figuren ernst und schafft es, im letzten Teil des Buchs noch eine todtraurige Ebene einzuziehen, die mich sehr berührte.

Sein Roman erzählt vom Zauber der Kindheit, als noch vieles möglich schien. Die Magie und die Kunst der Täuschung nehmen in seinem Roman einen großen Raum ein. Er erzählt vom zeitlosen Wunsch, seinen Träumen zu folgen und rührt damit genauso zu Tränen, wie er die Leser herzlich lachen lässt. Manchmal genügen nur kleine Andeutungen, dass der Leser weiß, was Sache ist. Sein Mosche alias Zabbatini erinnert passagenweise auch an Charlie Chaplins großen Diktator, gerade wenn Bergmann im letzten Drittel die prägenden Erlebnisse aus Mosches Leben schildert.

Mit Max und Mosche stellt er zwei schlitzohrige Helden in den Mittelpunkt, die den Leser für sich einzunehmen wissen. Der Trick ist ein buntes Buch, das viele Emotionen beim Leser zu wecken weiß. Ein großartiges und toll inszeniertes Debüt, das in den Bestsellerlisten landen sollte!

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