Category Archives: Kriminalroman

Loraine Peck – Der zweite Sohn

Es ist schon ein paar Jahre her, da Benjamin von Stuckrad-Barre bei seiner Lesetournee zu seinem Buch Ich glaub, mir geht’s nicht so gut, ich muss mich mal irgendwo hinlegen – Remix 3 in Augsburg Halt machte. Ein Thema, das ihn an jenem Abend umtrieb, war auch das der Autorenbiografien, mit denen viele Verlage ihre Schreibende aus dem Gros herausheben und aufpeppen möchten. So könne man in Autorenviten gerne einmal lesen, dass der Autor oder die Autorin als Blumengroßhändler, Leichenwäscher, Safariguide und Molekularbiologe gearbeitet hätte. Was solche kapriziösen Aneinanderreihungen von Tätigkeiten über die Qualität des Buchs selbst aussagt, das ist ja eher fraglich.

Von exzentrischen Autorenbiografien

Als ich nun Der zweite Sohn, das von Thomas Wörtche bei Suhrkamp herausgegebene Debüt von Loraine Peck in der Vorschau nebst Ankündigungstext sah, musste ich an von Stuckrad-Barres Worte damals in Augsburg denken. Denn diese Vita ist in ihrer Exzentrik gerade zu beispielhaft für das von Stuckrad-Barre bespöttelte Phänomen:

Loraine Peck war Porträtmalerin und Assistentin eines Magiers in Sydney. Nachdem sie einmal zu viel in zwei Hälften gesägt wurde, wechselte sie zum Blackjack an der Goldküste. Barkeeperin und Hummerverkäuferin in den USA führten zu einem Job in der Filmindustrie, bevor sie eine Karriere im Marketing in Australien, dem Nahen Osten, Asien und den USA einschlug.

Der Suhrkampverlag über Loraine Peck

Von Zauberei, Glücksspiel oder Hummern findet sich in Der zweite Sohn dann allerdings keinerlei Spur. Vielmehr ist das Buch ein klassischer Gangster-Thriller, der eine kriminelle Familie und deren Fehden in den Mittelpunkt stellt. Was mit Mario Puzos Paten auf dem Gebiet der italienischen Mafia begann, ist inzwischen wohl überall in verschiedenen Ausprägungen lokalisiert worden. Egal ob in Deutschland (etwa 4 Blocks oder Clemens Muraths Der Libanese) oder Down Under (hier wäre zum Beispiel die ebenfalls von Wörtche herausgegebene und wie Peck mit dem Ned Kelly-Award ausgezeichnete Candice Fox mit Hades zu nennen) – Unterwelt-Familien und deren Machenschaften faszinieren nach wie vor und sind ein fruchtbarer Boden für Thriller.

Eine kroatische Familie in Sidney

Das hat auch Loraine Peck erkannt, die ihre Geschichte im Umfeld einer kroatischen Einwandererfamilie in Sidney ansiedelt. Zusammengehalten von Vater Milan Novak verdient der Clan mit Fischgeschäften, Einwanderern und Drogendeals sein Geld. Rechte Hand von Vater Novak war bislang sein Sohn Milan. Doch dieser wurde bei der Leerung seiner Mülltonne vor dem eigenen Haus erschossen.

Loraine Peck - Der zweite Sohn (Cover)

Es ist nicht der erste Tote aus dem Gangmilieu. Schon zuvor starb ein serbischer Gangster – weshalb Novak annimmt, dass es sich beim Tod seines Sohnes um eine Vergeltungsaktion handelt. Serben und Kroaten können sich eh nicht ausstehen und führen die blutige Fehde aus dem Jugoslawienkrieg einfach auf einem neuen Kontinent fort. Und da nun seine rechte Hand tot ist, liegt für Milan Novak die Lösung auf der Hand. So soll sein zweiter Sohn, Johnny, für Vergeltung sorgen und den Tod seines Bruders sühnen. Doch dieser ist für das brutale Geschäft der Novaks eh nicht wirklich gemacht – muss nun aber eine eigene Lösung finden, um den Konflikt und den Rachewunsch der eigenen Familie zu befrieden.

Seinen Kampf um die Gunst seines Vaters und gegen rivalisierende Banden schildert Loraine Peck dabei nicht alleine aus dessen Perspektive. Sie wählt als Erzählerin auch Amy, die Frau von Johnny. Diese schildert ihren Blic auf das Geschehen und den Novak-Clan mit all seinem autochthonen und ausgrenzenden Denken und Verhalten. Schnell zeigt sich, dass neben dem vordergründigen Konflikt um Johnnys Rolle in der Familie Novak auch noch ein viel gravierenderer Konflikt herrscht – nämlich der um die Ehe von Amy und Johnny.

So muss sich dieser um die kriselnde Beziehung, die Rache seines Bruders und dann auch noch um die Durchführung eines riskanten Raubzugs kümmern. Da kommt dann leider die Charakterisierung der Figuren und die Originalität des Plots manchmal etwas unter die Räder.

Wenig originelle oder überzeugende Figuren

Denn das Personal von Der zweite Sohn wirkt bisweilen wie stark an der Grenze zur Parodie. Der irre Meth-Gangster mit Tattoos und Sprachfehler, die tumbe Gang aus Kroaten voller Muskeln und wenig Hirn, der beständig in seiner Unterwürfigkeit zu seinem Vater verharrende Held mit dem Herz am rechten Fleck, die Ehefrau, die mitsamt ihrem Kind gekidnappt und von ihrem Mann befreit werden muss. Oftmals liest sich Der zweite Sohn wie aus dem Setzkasten für derartige Thriller zusammengeklaubt – und altbekannt.

Vieles ist einfach cartoonesk vereinfacht, nicht alles schlüssig erklärt (so werden die anderen Müllabfuhr-Morde auch schnell eingeführt und dann wieder zur Seite geschoben) und wirken weder neu noch wirklich überzeugend. Da passt auch das Cover in seiner schwarz-weißen Einfallslosigkeit ins Bild, das wirkt, als sei es ganz am Ende eines langen Tages voller Coverentscheidungen und Diskussionen noch durchgewunken worden, um endlich Feierabend machen zu können.

Fazit

Und dennoch gelingt es Loraine Peck in ihrem Debüt auch, Spannung zu erzeugen. Sie beschreibt die Welt der kroatischen Familie Novak, den Kampf Johnnys gegen und mit der Polizei, andere Gangster und um seine Ehe durchaus mitreißend, wenn man sich an den vielen altbekannten Motiven oder allzu schablonenhaften Figuren nicht besonders stört.

Als fein nuanciertes Porträt einer kriminellen Familie in Down Under, deren Struktur und Funktionsweise funktioniert Der zweite Sohn überhaupt nicht. Auch ist Pecks Buch sicherlich kein Anwärter für einen Preis in Sachen Sprache und Figurentiefe. Aber ihr gelingt ein spannender und temporeicher, bisweilen arg cartoonesker Unterwelt-Thriller, der auch Fans von Candice Fox gut gefallen düfte und der sich durch seine beiden Perspektiven des Ehepaars Novak etwas von anderen Thrillern gleicher Bauart unterscheidet.

Dass Peck für ihr Buch den Ned Kelly-Award in der Kategorie „Debüt“ erhalten hat, geht in meinen Augen in Ordnung (Hauptgewinner im letzen Jahr war übrigens Chris Whitaker). Denn auch wenn ihr Buch wenig innovativ ist, so gibt Loraine Peck mit ihrem Buch Versprechen ab, die sie mit folgenden Büchern dann hoffentlich noch einlösen kann. Man darf gespannt sein!


  • Loraine Peck – Der zweite Sohn
  • Aus dem Englischen von Stefan Lux
  • Herausgegeben von Thomas Wörtche
  • ISBN 978-3-518-47229-3 (Suhrkamp)
  • 423 Seiten. Preis: 16,95 €
Diesen Beitrag teilen

Brian Selfon – Nachtarbeiter

Goya? Diesen Namen kannte man bislang wohl nur von Hörbüchern, die unter dem Dach der JUMBO Neue Medien & Verlag GmbH erschienen. Doch nun hat man sich zur Expansion entschlossen und betritt nun im Frühling 2022 erstmals den Markt des gedruckten Wortes. Einer der ersten Titel aus dem Verlag ist der Titel Nachtarbeiter von Brian Selfon. Darin widmet er sich den dunklen Seiten Brooklyns und erzählt vom florierenden Geldwäscheunternehmen von Shecky Keenan, das plötzlich unter erheblichen Druck gerät.


Henry, Kerasha, Shecky. Sie sind die Nachtarbeiter. Shecky Keenan hat ein ausgeklügeltes System aus Boten, Konten und falschen Spuren geschaffen, mithilfe dessen er Schwarzgeld wäscht. Im Brooklyn zwischen Kunstgalerien, Bars, Armut und Szenekneipen hat er sich damit seine eigene berufliche Lücke geschaffen. Seine Ziehkinder Henry und Kerasha unterstützen Shecky bei seinem Tun und Treiben.

Henry hat ein Problem, seine Gewalttätigkeit zu kontrollieren. Kerasha ist heroinabhängig beziehungsweise gerade auf Entzug. Höchst widerwillig befindet sie sich in Therapie, um die Traumata ihrer Vergangenheit und Herkunft aufzuarbeiten. Und dann ist da noch Emil, ein aufstrebender Künstler, den Henry auf einer Vernissage kennenlernt und der etwas in Henry anrührt. Er will ihn als Boten in das Geldwäschesystem seines Ziehonkels einführen – doch schon nach kurzer Zeit ist Emil tot.

Nachtarbeiter unter Druck

Brian Selfon - Nachtarbeiter (Cover)

Von dieser Tat ausgehend beginnt Brian Selfon seinen Roman, der immer wieder in Zeitsprüngen vor oder zurück von den Hintergründen zum Tod Emils erzählt. Die Nachtarbeit von Shecky steht eh schon unter keinem guten Stern, da immer wieder Konten gesperrt sind und stets das gleiche Auto vor seinem Haus parkt. Es scheint, als hätte jemand das florierende System ins Visier genommen – und jetzt ist auch noch ein Bote tot. Da stellt sich die Frage, wer Shecky ans Leder möchte.

Brian Selfon hat einen Roman geschrieben, der sich auch aus dessen eigener beruflicher Vergangenheit speist. So ist er selbst in der Strafjustiz tätig und war als Ermittlungsanalytiker für das Büro des Bezirksstaatsanwalts in Brooklyn tätig. Dass er sich mit den dunklen Seiten des New Yorker Stadtteils auskennt, das zeigt Nachtarbeiter eindrücklich. Denn ihm gelingt ein Krimi Noir, der sowohl durch sein vielschichtiges Bild der Halbwelt als auch durch den Blick auf seine Figuren überzeugen kann.

Sprünge in der Zeit und der Perspektive

Immer wieder wechselt Selfon die Perspektive, erzählt aus Sicht von Shecky, Kerasha oder Henry, zeichnet ihre Abhängigkeiten und Abgründe nach. Er springt zeitlich hin- und her, zeigt die Verstrickungen der Figuren in ihre eigene Vergangenheit und schildert das alles in einer derben, direkten und schnörkellosen Sprache (Übersetzung durch Sabine Längsfeld).

Man muss genau am Ball bleiben, um die Hintergründe zum Mord an Emil und die mannigfaltigen Probleme der Nachtarbeiter*innen geordnet zu bekommen. Denn neben den drei flirrenden und ambivalenten Figuren gibt es auch noch eine Ermittlerin namens Zera Montenegro, die noch einmal ganz eigene Verbindungen zu dem Fall hat und die langsam in die Handlung eingebunden wird.

Fazit

Wer klassisch erzählte Krimis mit übersichtlichem Personaltableau, klarem Fall und Motiv sowie eine wohlstrukturierte Tätersuche schätzt, der sollte die Finger von Nachtarbeiter lassen. Vielmehr ist das Buch die komplexe Schilderung einer schwierigen Familie, in der das Misstrauen mindestens ebenso groß ist wie der Zusammenhalt. Das Buch ist in manchen Passagen geradezu ein Wimmelbild des nächtlichen Brooklyns, erzählt von halbseidenen Gestalten, Psychotherapiesitzungen und problembeladenen Hauptfiguren. Das ist manchmal unübersichtlich, dann wieder mitreißend und erinnert in seinen besten Momenten an die Erzählungen von Peter Temple oder James Ellroy.

Es ist ein spannender Debütant, den uns Goya hier im ersten Belletristikprogramm präsentiert. Neben dem Noir von Brian Selfon gibt es ansonsten hier noch Erzählungen aus Kanada, Irland oder der deutschen Provinz zu entdecken. Man darf gespannt sein, was hier noch so alles zu erwarten ist!


  • Brian Selfon – Nachtarbeiter
  • Aus dem amerikanischen Englisch von Sabine Längsfeld
  • ISBN 978-3-8337-4425-9 (Goya)
  • 368 Seiten. Preis: 22,00 €

Diesen Beitrag teilen

Arne Dahl – Null gleich eins

Ist es wirklich der letzte Teil der Reihe? In Null gleich eins gibt Arne Dahl dem Affen richtig Zucker und lässt das Ermittlerduo Berger/Blom und die Polizistin Desiré „Deer“ Rosenkvist auf den Spuren eines gerissenen Serientäters noch einmal zu Hochform auflaufen. Ein komplexer Thriller, zwar hanebüchen, aber durchaus spannend und besonders für alle Fans der Serie Die Brücke ein echter Leckerbissen.


Viermal durften Sam Berger und Molly Blom bislang ermitteln. Ein Kind haben die beiden inzwischen, dafür hat im letzten Fall (Vier durch vier) die den Privatermittlern verbundene Polizistin Deer Rosenkvist beide Beine verloren.

Ein Mörder in den Schären

Arne Dahl - Null gleich eins (Cover)

Zwar wurde sie operiert, der Genesungsprozess zieht sich allerdings hin. Und auch wenn sie noch etwas gehandicapt ist, hat Deers Spürsinn nicht gelitten. Sie kommt einer ganzen Reihe von Toten auf die Spur, die immer am 5. des Monats an einem Tatort in den Schären aufgefunden werden. Doch ihre Ermittlungen werden von ihrem Vorgesetzten unterbunden, woraufhin sie sich verzweifelt an Berger und Blom wendet, denn der nächste 5. Tag im Monat naht mit großen Schritten. Und während Deer für ihren Vorgesetzten nun im Fall eines mit einer Axt ermordeten Ex-Mitglied der Hells Angels ermitteln muss, verzweifeln auch Berger und Blog am gerissenen Mörder:

Sie jagten einen Mann, der aus unerklärlichen Gründen an jedem Fünften eines Monats einen nicht identifizierbaren Menschen ermordete und die Leichen an Stränden ablegte, die alle ähnliche Parameter erfüllten. Er tötete sie an einem anderen Ort – aller Wahrscheinlichkeit nach an immer demselben – und transportierte sie dann in einem Wagen und einem Schlauchboot an den jeweiligen Fundort. Es sprach einiges dafür, dass er immer denselben Wagen verwendete und lediglich die Kennzeichen austauschte. Leider wurde es immer unwahrscheinlicher, diesen Wagen zu finden.

(Arne Dahl – Null gleich eins, S. 133)

Das Streben nach dem ewigen Leben

Die Leichen nicht zu identifizieren, der Mörder, der ein Spiel mit falschen Fährten treibt und ein Geheimnis aus der Vergangenheit, das alle Morde doch miteinander verbindet. Aus diesen Grundzutaten strickt Arne Dahl seinen komplexen Plot, der Fans der Serie Die Brücke oder ähnlicher vielschichtigen skandinavischen Krimikost mehr als zufriedenstellen dürfte. Nach Themen wie Menschenhandel oder globaler Sicherheitspolitik ist es diesmal das Thema des Alterns und des ewigen Lebens, das die Grundlage von Null gleich eins bildet.

Vieles in diesem Buch ist Zufall, nicht plausibel hergeleitet, unwahrscheinlich oder gnadenlos überzogen. So ist es etwa ein Banker, der Deer noch Gefälligkeiten schuldet, der dann gleich in die Geschäftsbücher gut abgeschirmter sogenannter LLC-Firmen in Delaware blicken kann, woraufhin die Spur wieder nach Schweden führt. Dort hat die Firma eine Immobilie angemietet, in die Deer dann einbricht, wo sie kurz vor der Entdeckung durch einen Mann steht, der dann aber gleich wieder selber ermordet wird. Das ist natürlich alles in seiner Kausalität furchtbar an den Haaren herbeigezogen – genauso wie die Tatsache, dass Berger und Blom als Zivilisten im Polizeipräsidium Befragungen durchführen dürfen, weil es eine Ausnahme im Gesetzbuch plötzlich erlaubt, wenn es dem Plot dienlich ist. Und doch ist das Buch aufgrund seines schnellen Takts hochspannend, springt zwischen den Ermittlern und dem Mörder hin und gibt ab der ersten Seite ständig Gas und beschleunigt.

Fazit

Wer Krimis vor allem für ihren Realitätsgehalt schätzt und Logiklöcher großzügig umfährt, der wird hier sicher nicht glücklich. Für alle andere Skandinavien-Affine und Arne Dahl-Fans im Speziellen ist Null gleich eins aber ein echter Pageturner, bei dem am Ende die Frage bleibt, ob es das nun wirklich war mit der Reihe um Berger, Blom und Rosenkvist. Oder kommt da etwa doch noch etwas? Ich wäre weiterhin dabei.


  • Arne Dahl – Null gleich Eins
  • Aus dem Schwedischen von Kerstin Schöps
  • ISBN 978-3-492-05929-9 (Piper)
  • 464 Seiten. Preis: 17,00 €
Diesen Beitrag teilen

Doug Johnstone – Eingeäschert

Zu den Trends der letzten Jahre zählen Bücher über das Bestattungswesen. Trauerredner*innen, die ihre Erfahrungen teilen. Bestatter, die von ihrem Job berichten oder die gleich in den Mittelpunkt von Thrillern gestellt werden. Aber auch in leichteren Romanen ist das Gewerbe der Thanatopraxie und alle weiteren damit verbundenen Tätigkeiten mittlerweile keine Tabu.

Ein weiterer Trend ist die Erzählidee von unterschiedlichen, sich gegenseitig beeinflussenden Generationen von Frauen, die – die unzähligen austauschbaren Historiensagas einmal außen vor gelassen – zuletzt recht häufig Anwendung fand, etwa bei Evie Wylds Die Frauen, Alena Schröder oder jüngst bei Lea Dräger.

Man könnte nun im Falle von Doug Johnstone von einem kühl kalkulierten Mashup ausgehen, der einfach zwei Trends in seinem Krimi Eingeäschert amalgamiert hat, um auf Nummer sicher zu gehen und gleich auf zwei Erfolgswellen mitzuschwimmen. Könnte man, wenn der Autor eben nicht Doug Johnstone wäre, der mit dem im vergangenen Jahr ebenfalls im Polar-Verlag erschienenen Krimi Der Bruch einen der besten Kriminalromane des Jahres vorlegte. Nun also drei Generationen einer Bestatterdynastie mit ziemlich unterschiedlichen Charakteren, die doch ihre Familienbande eint.


Ihr Vater benötigte viel länger als erwartet, um zu verbrennen.

Doug Johnstone – Eingeäschert, S. 7

Es dürfte einer der eindrücklichsten Einstiegssätze der jüngsten Zeit sein, den Doug Johnstone an den Beginn seines Romans setzt. Wir lernen die drei Frauen der Familie Skelf hier gerade kennen, als diese auf eigenen Wunsch des Familien- und Firmenoberhaupts Jim Skelf diesen illegalerweise im heimischen Garten verbrennen. Hunderte von Beerdigungen hat er in ganz Edinburgh durchgeführt, nun hat ihn selbst das Zeitliche gesegnet.

Er lässt seine Frau Dorothy, seine Tochter Jenny und seine Enkelin Hannah zurück. Neben den drei Skelf-Frauen sind es zwei Herumtreiber, die den Frauen beistehen und die von Dorothy einst quasi adoptiert wurden, nachdem bei den Halt im Leben verloren hatten. Archie wurde zur rechten Hand von Jim und halb bei der Durchführung von Beerdigungen und dem Tischlern von Särgen. Und Indy, die zweite Streunerin ist nun mit Hannah liiert.

Bestattungen und Ermittlungen

Doug Johnstone - Eingeäschert (Cover)

Sie alle bleiben nun zurück – mitsamt der Firma, die ein skurriles Doppelkonstrukt darstellt. Denn Jim Skelf beschränkte sich nicht nur auf Bestattergewerbe, sondern zog auch noch eine Detektei mit auf, die sich die Räume mit dem Bestattungsinstitut teilt. Schon bald nehmen die drei Frauen den Betrieb beider Firmenzweige auf wieder auf – und stehen vor großen Fragen. Eine befreundete Mitstudentin von Hannah ist spurlos verschwunden. Ebenso verschwunden ist ein ehemaliger Mitarbeiter des Skelf’schen Bestattungsunternehmens – allerdings schon vor einigen Jahren. Und kurz nachdem die Frauen diese Fälle übernommen haben, melden sich weitere Klienten, die die Hilfe der Frauen in Anspruch nehmen wollen.

Doug Johnstone hat einen Krimi mit ungewöhnlichen Heldinnen geschrieben. Ermittelnde Kriminalbeamte, ausgebuffte Privatdetektive, Forensiker oder Senioren auf kriminalistischen Abwegen, davon ist die Kriminalliteratur übervoll. Aber drei Generationen von Frauen mit Hippiehintergrund, gescheiterten Kolumnistinnenkarrieren oder Studentinnen, die die familiäre Bande und finanzielle Nöte ins Bestattungswesen und dann ins Privatermittlungsbusiness bringt? So etwas liest man doch eher selten.

Ein Krimi voller Realismus

Schön auch, dass Doug Johnstone wie in seinem Krimi Der Bruch auch hier auf Realismus setzt. Hier wird nicht elegant mit dem Dietrich im Schloss gestochert bis die Türe aufspringt und Geheimnisse preisgibt. Hier tritt Jenny Skelf eine Tür, ziemlich ungeschickt und reichlich auffällig ein. Auch sind die Beschattungen und Spurensuchen ohne jeglichen Glamour, der solche Aktionen in anderen Romanen umgibt. Oftmals stehen die Frauen vor Problemen, bei denen sie auch nicht weiterwissen oder scheitern. Verdächtige werden sehr intuitiv und ohne wirkliches Konzept befragt, was natürlich auch schiefgehen kann.

Dass das alles am Ende doch auf einen krimigerechten Showdown hinausläuft und manche mal überraschenderen und mal weniger überraschenden Wendungen auf die Skelf-Frauen warten, das hat das Genre so an sich. Aber innerhalb seines Handlungsraums bietet Doug Johnstone mit Eingeäschert viel realistische Wahrheitssuche, die in einem Fall sogar noch ein altes literarisches Motiv mit Leben füllt (Jane Eyre-Fans dürften auch wissen, welches).

Eine Reflektion übers Sterben und Beerdigung

Nicht zuletzt bietet das Buch auch Impulse, um unseren Umgang mit dem Thema Tod, Sterben und Bestattungen zu reflektieren:

Es war schwer für jeden aus dieser Branche, mit Außenstehenden zu verkehren. Es kam häufig gar nicht gut an, wenn die Leute erfuhren, womit man sich seine Brötchen verdiente. Sie nahmen entweder an, dass man ziemlich morbid sein musste, oder sie hatten ihre eigenen gruseligen Fragen dazu, wie alles funktionierte – Oder sie schreckten komplett vor jeder Unterhaltung zurück, weigerten sich, über Sterblichkeit nachzudenken.

Doug Johnstone – Eingeäschert, S. 203

Doug Johnstone schaut genau hin (was ja schon die Setzung durch den Eingangssatz beweist). Er beschreibt, was nach unserem Verscheiden mit unseren Körpern passiert, was Beerdigungen vorangeht und was in einem Bestattungsinstitut so passiert. Alle, die solche Themen von sich weisen und Memento Mori für einen Charakter aus einem Disneyfilm halten, sie alle werden mit diesem Buch natürlich nicht glücklich werden. Alle anderen erhalten hier einen spannenden und ungewöhnlichen Krimi, dem in Großbritannien schon zwei weitere Bände rund um die Skelf-Frauen nachgefolgt sind.

Fazit

Ich für meinen Teil muss gestehen, dass ich im direkten Vergleich Doug Johnstones deutsches Debüt Der Bruch immer noch um eine Idee stärker fand, da er sich in diesem ganz auf seinen jugendlichen Helden Tyler konzentrierte, anstatt von drei Figuren parallel zu erzählen. Aber auch ohne solche Unterschiede im Millimeterbereich ist hier ein superber Krimi aus Schottland zu entdecken, der durch Realismus und eine ungewöhnliche Prämisse überzeugt.


  • Doug Johnstone – Eingeäschert
  • Aus dem Englischen von Jürgen Bürger
  • Mit einem Nachwort von Anthony J. Quinn
  • ISBN 978-3-948392-42-0 (Polarverlag)
  • 424 Seiten. Preis: 25,00 €
Diesen Beitrag teilen

Jörg Maurer – Im Schnee wird nur dem Tod nicht kalt

Es ist der Fluch der Serie. Was einmal Erfolg hatte, muss weitergeführt werden, bis es sich selbst irgendwann totgelaufen hat. Das sah man etwa bei der britischen BBC-Serie Sherlock, die Benedict Cumberbatch und Martin Freeman endgültig zu Stars machte. Was als spannend und stringent inszenierte 90-Minüter begann, wurde zusehends zu einem abstrusen Spektakel der Marke Schneller, Höher, Weiter, das sich in Selbstzitaten und immer wirrer werdenden Drehbüchern erschöpfte, bis das Team selbst keine Lust mehr zu haben schien.

Ähnliches lässt sich auch bei Jörg Maurer beobachten. Seine Reihe um Kommissar Hubertus Jennerwein begann der Musikkabarettist im Jahr 2009 mit dem Alpenkrimi Föhnlage. Inmitten all der bräsigen Regionalkrimis voller tumber Figuren, Kochrezepte und abgepauster Ortsschilderungen nahm mich (nicht nur als Bayer) diese Reihe ein. Toll geschrieben, mit schwarzem Humor und einem ironischen Blick auf das Voralpenland war Maurer damit eine Ausnahme, der sowohl das Krimigenre als auch den Witz hoch achtete und so einen Gegenentwurf zu Kluftinger und Co erschuf.

Krimis im Jahrestakt

Fortan folgte im Jahrestakt neue Krimis, die von sadistischen Klettern, im Häcksler verschwundenen Nobelpreisträgern oder alpenländischen Bestattern mit besten Kontakten zur italienischen Mafia handelten. Immer ein wenig durchgeknallt, drüber – aber genau das machte den Reiz der Serie auch aus. Hier schrieb einer, der überzeichnete, aber eben auch Spannung und Humor miteinander verband und so unterhaltsame Regionalkrimis erschuf.

Mit zunehmender Laufzeit wurden die Titel länger, das Format wandelte sich vom Taschenbuch zum Hardcover zum Paperback – doch die Qualität nahm ab. 2010 erschienen dann sogar zwei Jennerweinkrimis in einem Jahr. In seinem zehnten Fall Am Abgrund lässt man anderen gern den Vortritt war es dann der eingangs schon erwähnte Kommissar Kluftinger aus dem Allgäu, dem Jennerwein im Roman begegnete. Was andere als kultige Hommage verstanden, war für mich der Beweis, dass die Jennerwein-Reihe nun auf dem blödeligen und kriminallitarisch wenig überzeugenden Niveau von Klüpfel, Kobr und Co angekommen war.

Verlag (und Autor?) hielten es dann für eine gute Idee, im gleichen Jahr noch einen weiteren Krimi nachzuschießen, von dem (und allen weiteren) ich dann aber nach der Enttäuschung von Band Zehn der Reihe fortan die Finger ließ. Nun begegnete mir Im Schnee wird nur dem Tod nicht kalt in einer schwachen Minute auf dem Wühltisch des lokalen Buchhändlers. Ein günstiger Preis, eine winterliche Verfasstheit meinerseits und die Lust auf ein Guilty Pleasure nach einigen seriösen literarischen Backsteinen hatten die Entscheidung leicht gemacht. Hätte ich doch bloß die Hände davon gelassen!

Geiselnehmer mit gedankengesteuerten Bomben

Jörg Maurer - Im Schnee wird nur dem Tod nicht kalt (Cover)

Die Grundzutaten sind dabei altbekannt. Kommissar Jennerwein, der sich überraschenderweise als Hüttenbesitzer entpuppt, lädt sein Team und Weggefährten in ebenjene verschneite Hütte über dem Kurort ein, um die Weihnachtstage zu feiern. Doch in der Hütte kommt es dann zu einer Geiselnahme.

Was eigentlich eine gute Ausgangslage ist, wird in diesem Buch leider vollends zum Desaster (Obacht, nun wirds spoilerisch!). Das kriminaltechnisch hochbegabte Team merkt erst nach Stunden, dass einer der Gäste eine Bombe in die Hütte geschmuggelt hat und ein falsches Spiel spielt.

Der Geiselnehmer erpresst das Team mit dieser Bombe, die er per Gedankenströmen kontrolliert. Ein weiterer Gast mit unklarer Provenienz scheint auch ein doppeltes Spiel zu spielen, Snowboarder mit unklarer Provenienz schießen über nächtliche Pisten, eine Informantin unklarer Provenienz hat sich vor der Hütte in den Schnee eingegraben und dann hat der Geiselnehmer unklarer Provenienz auch noch den Ehemann der Gerichtsmedizinerin gekidnappt und in einen Gärtank eingeschlossen, der vollzulaufen droht. Drohnen werden unter Schneewehen gefunden und liefern Plätzchen vor die Hütte – und dann gibt es auch noch außerirdische Lebensformen, die eine Rolle spielen. Klingt völlig gaga? Ist es auch. Nichts ergibt wirklich Sinn oder löst sich befriedigend auf. Zudem überzeugt auch das Setting in der Hütte nicht.

Bomber allerorten

Dass so eine eigentlich hochspannende Situation einer Geiselnahme auch schnell bleiern langweilig werden kann, das scheint auch Jörg Maurer gedämmert zu haben. Deshalb verschneidet er die Rahmenerzählung mit einem Schwank aus Jennerweins Schulzeit. In dieser machte auch ein Bomber die Schule unsicher, indem er immer wieder Stinkbomben platzierte und die Schulfamilie zur Weißglut und Jennerwein zu ersten kriminalistischen Ermittlungen trieb. Doch auch diese Erzählung läuft sich irgendwann tot, sodass man die Explosion auf der Almhütte herbeisehnt.

Im Schnee wird nur dem Tod nicht kalt könnte ein origineller Krimi sein, ist dann aber leider ganz vieles andere: schlecht geschrieben, kaum durchdacht, wenig überzeugend ausgeführt. Nichts wird stringent zu Ende geführt, alles wirkt lieblos zusammengeschustert. Man hat hier das Gefühl, dass Maurer selbst nicht richtig wusste, was er wollte. Ein einziges Desaster, über das man besser eine ganz dicke Decke aus titelgebenden Schnee decken sollte.

Viele weitere Krimi-Möglichkeiten

Man würde sich wünschen, Maurer hätte den Mut, eine derartig Reihe zu beenden und seine kreativen Ideen in ein neues Projekt zu stecken. Aber auch das scheint ein Fluch der Regionalkrimis zu sein, egal ob Jennerwein, Kluftinger oder andere Figuren: die Reihen werden totgeritten, bis sich nicht nur das Pferd, sondern auch der ganze Sattel in Luft aufgelöst haben.

Aber die Absatzzahlen scheinen zu stimmen, das Publikum kauft und liest treu – und von daher ist zu befürchten, dass die nächsten zwanzig Bände der Reihe schon in Planung sind. Warum nicht mal ein Osterfest mit einem bombenlegenden Eier-Verstecker, Silvester mit einem Bowle-Giftmischer oder Fronleichnamsumzug, der von einem Sniper aufs Korn genommen wird? Der (bayerische) Festkalender hält noch einige potentielle Ideen für weitere Gaga-Jennerweinkrimis bereit. Ich weiß allerdings nur eines: ich werde sie nicht mehr lesen.


  • Jörg Maurer – Im Schnee wird nur dem Tod nicht kalt
  • ISBN 978-3-596-70369-2 (S. Fischer)
  • 432 Seiten. Preis: 12,00 €
Diesen Beitrag teilen