Heute morgen vor genau einhundert Jahren, nämlich am 11. November 1918 war es soweit: in einem Bahnwaggon im Wald von Compiègne unterzeichnete um 5:00 Uhr am Morgen die deutsche Delegation den Waffenstillstandsvertrag, der das Ende des Großen Kriegs besiegeln sollte.
Vier Jahre hatten sich zuvor Deutschland, Österreich-Ungarn, England, Frankreich, Russland, später auch die USA und zahlreiche weitere Kräfte bekriegt, Bündnisse geschmiedet und das Leben von hunderttausend zumeist junger Männer auf den Schlachtfeldern geopfert. Und das um den Preis, dass 15 Jahre später ein noch verheerenderer Weltkrieg den Erdball überziehen sollte.
Man kann natürlich abwinken, das ganze als Geschehen vor über 100 Jahren abtun. Was hat so lange Vergangenes uns noch zu sagen? Allzu fern scheinen manchmal die Geschehnisse, die einen ganzen Kontinent in ein nie gekanntes Kriegen und Morden gestürzt haben. Warum also über Vergangenes, wenn doch die Gegenwart und Zukunft auch so viele Wagnisse für uns bereithält?
Geschichte wiederholt sich
Ich hege allerdings eine andere Auffassung von Geschichte. Ich gehe mit der Auffassung des griechischen Denkers Thukydides, der konstatierte, die Geschichte sei eine ewige Wiederholung.
Auch ich bin der Meinung, dass Geschichte immer wiederkehrt und diese eigentlich nur in einer Abfolge von Mustern besteht. Mal treten dieser in einer höheren Frequenz auf, mal braucht es wieder hundert Jahre oder mehr, bis sich wieder eine ähnliche Situation einstellt. Das Traurige daran ist natürlich, dass man – obwohl die Vergangenheit ja bekannt ist, allzu selten Lehren für die Gegenwart und Zukunft daraus zieht. Beim Ersten Weltkrieg lässt sich das genau so beobachten.
Ein machtpolitisches Übergewicht, das zur Unzufriedenheit bei anderen Ländern führt. Eine Zersplitterung der Parteienlandschaft, Kriegsgetrommel und Propaganda, Verschiebung der geopolitischen Tektionsschichten – diese universellen Faktoren bedingten auch den Ersten Weltkrieg, der vom Balkan ausgehend schnell auf ganz Europa übergriff.
Die spannende Frage ist natürlich, wie sich der Erste Weltkrieg auf die Literatur auswirkte. Welche Bücher beschäftigen sich mit diesem Krieg und auf welche Art und Weise tun sie es?
Der erste Weltkrieg in der Literatur
Im Folgenden habe ich versucht, verschiedene Titel aufzuführen, die sich mit dem Ersten Weltkrieg auseinandersetzen. Dabei lege ich Wert darauf, dass diese Liste mitnichten der Weisheit letzter Schluss ist. Vielmehr kennzeichnet diese Liste ihre Unvollständigkeit und ihr Eklektizismus. Sie ist bewusst offen gehalten und versteht sich als offene Sammlung, die zur Ergänzung anregen soll.
Wenn ihr Bücher über den Ersten Weltkrieg schätzt und empfehlen möchtet, dann freue ich mich über alle Anregungen, die ich hier gerne in die Liste mitaufnehmen möchte.
Standardwerke, die einen umfassenden Blick auf den Krieg erlauben, sind die Werke des Professors Herfried Münkler mit dem Titel Der große Krieg und die Monographie Die Schlafwandler des australischen Gelehrten Christopher Clark. Besonders die umfassende Darstellung Clarks sorgte bei ihrem Erscheinen für Aufsehen, bettete er doch den deutschen Anteil an der Initiation des Kriegs in einen größeren Kontext und relativierte damit die starre Fixierung auf Deutschland als Kriegsauslöser.
Ein Name, ohne den die literarische Bearbeitung des Ersten Weltkriegs (zumindest aus deutscher Sicht) nicht gedacht werden kann, ist Ernst Jünger. Seine Memoiren In Stahlgewittern gelten als Vorläufer der Blut-und-Boden-Literatur und vermitteln einen Einblick in die Kriegsgeschehen an der Westfront. Auch der Franzose Jean Cocteau wirft mit Thomas, der Schwindler einen Blick auf das Kriegsgeschehen im Ersten Weltkrieg. Er richtet seinen Blick dabei aber eher auf die Absurditäten und den Wahnsinn, der mit diesem Krieg einherging.
Auf österreichischer Seite wäre Karl Kraus zu nennen, der in seinem als unaufführbar geltenden Monumentalstück Die letzten Tage der Menschheit den Wahnsinn rund um den Ersten Weltkrieg in ein Theaterstück verpackt. Er selbst bezeichnete dieses überbordende und kaum fassliche Drama als kaum inszenierbar – auch als Leser braucht man einen langen Atem. Wer den nicht hat, könnte es auch mit der Graphic-Novel Adaption von Reinhard Pietsch versuchen.
Einen belgischen Blick auf das Geschehen im Ersten Weltkrieg wirft Stefan Hertmanns in Krieg und Terpentin (bzw. im Hardcover unter dem etwas verkitschten Titel Der Himmel meines Großvaters). Der besagte Großvater diente im Ersten Weltkrieg, etwa bei der Schlacht an der Yser. Die Erinnerungen aus den Tagebüchern des Großvaters sind erschütternd und von großer Eindringlichkeit.
Ebenso erschütternd sind auch die Erinnerungen des Franzosen Henri Barbusse. Diese verarbeitete er in dem Bericht Das Feuer, die sich aus seinen Erinnerungen an die Schützengräben auf französischer Seite speisen.
DER Klassiker und das völlig zu Recht: Erich Maria Remarque mit Im Westen nichts Neues. Von den Nazis auf Scheiterhaufen verbrannt liest sich das Buch heute immer noch genauso frisch wie erschreckend. Zurecht ein Meisterwerk und immer aktuelle Schullektüre.
Eine ebensolche Pflichlektüre sollten auch die Memoiren von Vera Brittain sein. An der Heimatfront und dann in Malta und in Frankreich erlebte sie als Hilfskrankenschwester hautnah die Gräuel des Kriegs mit. In ihrer Autobiographie legt sie davon Zeugnis ab.
Ein hochinteressantes Buch ist auch die Schicksalssammlung und- verdichtung Schönheit und Schrecken von Per Englund. Englund, Mitglied der Schwedischen Akademie und damit zuständig für die Vergabe des Literaturnobelpreises, schildet in seinem Buch neunzehn Schicksale. Schicksale, die symptomatisch für den Ersten Weltkrieg sind.
Literarisch nimmt sich auch der Franzose Pierre Lemaitre des Ersten Weltkriegs an. Er erzählt von einem sadistischen Militär und zwei einfachen Soldaten, die vom Schicksal zu einer fatalen Gemeinschaft zusammengeschmiedet werden. Für Wir sehen uns dort oben erhielt er sogar den renommierten Prix Goncourt.
Ähnlich wie in seiner vielbeachteten Collage Die Tagesordnung über den Anschluss Österreichs an Deutschland im Zweiten Weltkrieg hat der französische Dokumentarfilmer und Autor Eric Vuillard das Ganze auch in Ballade vom Abendland über den Ersten Weltkrieg getan. Erschienen in der Backlist-Reihe von Matthes und Seitz.
Einem anderen Aspekt widmet sich der Chef des Literarischen Quartetts im ZDF, Volker Weidermann. Er schreibt in Träumer – als die Dichter die Macht übernahmen von der Räterepublik in München. Im Anschluss an den Ersten Weltkrieg wurde in München die Räterepublik ausgerufen – und mittendrin so bekannte Dichter wie Ernst Toller, Erich Mühsam oder Viktor Klemperer.
Basierend auf einer historisch verbürgten Biografie spürt David Pfeifer in Die rote Wand dem Schicksal einer jungen Frau nach. Diese verkleidete sich als Mann und nahm an den Kämpfen in den Dolomiten teil. Viktoria Savs ist der Name der Frau, die tatsächlich damals im Alter von 15 Jahren im Großen Krieg kämpfte. Bei David Pfeifer wird diese besondere Episode wieder lebendig.
Auch wenn es kein Buch ist, möchte ich hier dennoch auch auf ein spannendes Projekt hinweisen. In 14 Tagebücher werden interaktiv Männer-, Frauen- und Kinderschicksale, basierend auf 14 Tagebüchern, interaktiv vorgestellt. Dieses lohnenswerte Projekt soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden.
Auch nutzen auffallend viele Schriftstellerin den erzählerischen Rahmen des Ersten Weltkriegs, um darin queere Liebe zu schildern, die gemäß den damaligen Konventionen natürlich weitgehend tabuisiert wurde. Im Krieg allerdings finden viele Paare zusammen, wovon die folgenden drei Romane erzählen:
Der französische Schriftstellerin Philippe Besson schildert in Zeit der Abwesenheit eine homoerotische Ménage a trois, die auch den berühmten Autor Marcel Proust umfasst und in der der Erste Weltkrieg den erzählerischen Hintergrund für die Dreiecksbeziehung bildet.
Aleksandar Hemon lässt in Die Welt und alles, was sie enthält einen jüdischen Apotheker in Sarajevo Zeuge des Attentats auf Franz Ferdinand werden. In der Folge wird er in den Krieg eingezogen, wo er auf den Schlachtfeldern in Galizien die Liebe seines Lebens kennenlernt, den muslimischen Osman Karišik.
Alice Winn schließlich erzählt in Durch das große Feuer von der Liebe von zwei englischen Schülern in einem Eliteinternat, die erst durch den Kriegsdienst ihre Liebe wirklich ausleben können.
Eine echte Wiederentdeckung ist das letzte Buch in dieser Reihe. Denn Krieg stammt aus dem Nachlass des französischen Literatur-Enfant-Terrible Louis-Ferdinand Céline und wurde erst im letzten Jahr publiziert. Darin dreht sich alles um den jungen Soldaten Ferdinand, der bei der Flandern-Offensive 1914 schwer verletzt wird und in ein Lazarett eingeliefert wird.
Einen satirischen Blick auf das Kriegsgeschehen wirft Jaroslav Hašek in Der brave Soldat Schwejk. Mit seiner bitteren Parodie des Kriegsgeschehens schrieb er tschechische Literaturgeschichte und erlaubt einen Blick in die Abgründe des Militärwesens.
Einen anderen Blick auf den Ersten Weltkrieg erlauben auch Yury und Sonya Winterberg. In Kleine Hände im Großen Krieg widmen sie sich den Kinderschicksalen, die der Erste Weltkrieg ebenfalls beeinflusste.
Von dem, was Giftgas, Grabenkämpfe und permanenter Druck mit einem Menschen anrichten können – und wie Heilung gelingen kann, davon erzählt auch J. L. Carr. In seiner großartigen Erzählung Ein Monat auf dem Land erzählt er von einem jungen Kriegsveteran der an etwas leidet, was man heute Posttraumatische Belastungsstörung nennen würde. Durch die Restaurierung eines Kirchengemäldes in einem verschlafenen englischen Dörfen kommt es langsam zur Heilung.
Den Abschluss dieser kleinen Sammlung möchte ich wiederum einem Historiker überlassen. Jörn Leonhard gelingt in Die Büchse der Pandora
eine umfassende Darstellung des Ersten Weltkriegs und seiner Dynamiken – was auch durch den Umfang von über 1100 Seiten detailliert möglich ist. Ein Buch zum Durcharbeiten, das aber auch wirklich gut unterhält und informiert. Genau der Anspruch also, den ein geschichtliches Werk in meinen Augen haben sollte.
Fazit
Natürlich kann und muss solch eine Auswahl immer Stückwerk bleiben. Zu groß, allumfassend ist dieser Erste Weltkrieg, als dass sich ein abschließender Blick darauf erlaubte. Gerne trage ich nach Anregung auch passende Neuerscheinungen oder andere Titel aus der Backlist in die Liste nach und ergänze diese. Schließlich nimmt das Thema für mein Empfinden in seiner Widerspiegelung in Sachbüchern, Romanen oder auch Filmen wieder eine größere Aufmerksamkeit ein. Man denke nur an den in einer scheinbar einzigen Einstellung gedrehten und mit drei Oscars ausgezeichneten Kriegsfilm „1917“ von Sam Mendes oder das Blockbusterkino, das auch zunehmend den Großen Krieg wieder als Hintergrund für Erzählungen nutzt, etwa in Patty Jenkins Neuinterpretation von „Wonderwoman“. Der Erste Weltkrieg, er ist es wert, dass man sich mit den Hintergründen und Auswirkungen dieses einschneidenden Ergebnisses befasst.
Wenn diese kleine Zusammenstellung hier einfach einen eigenen Zugang oder einen neuen Blick erlaubt, dann wäre ihre Aufgabe schon geschafft und ich würde mich freuen. Denn um mit den Worten von Wilhelm von Humboldt zu enden:
Nur wer seine Vergangenheit kennt, der hat eine Zukunft.
[…] verheerenden Schuss in nur wenigen Momenten – und kurz darauf hinein in das, was später als Großer Krieg und noch etwas später als Erster Weltkrieg bezeichnet werden sollte. Schnell geht es in Hemons […]
[…] wurden. Das weckt in Eddie Erinnerungen an den eigenen Dienst in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs. Zudem alarmiert ihn wenig später eine weitere Schreckensmeldung. Ein anderer Pole hat einen […]
[…] einiges dort im Lauf der beschriebenen Handlung, die im Jahr 1913 einsetzt und bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs […]
[…] Schöne an Der Wintersoldat ist, dass sich Daniel Mason einen Schauplatz ausgesucht hat, der so im Rahmen des Ersten Weltkrieges insbesondere von einem Amerikaner noch nicht häufig bearbeitet wurde. Die Karpaten und die Kämpfe […]
[…] (sowie mit einem Nachwort versehen). Auch in Anbetracht der Tatsache, dass sich 2018 das Ende des Ersten Weltkriegs zum 100. Mal jährte, dringend […]