Ein Tag im Leben des Lion Feuchtwanger. Klaus Modick macht daraus ein berührendes Kunstwerk, das von der Freundschaft Feuchtwangers zu Bertolt Brecht erzählt, vom Leben und Schreiben der Männer – und vom Exil. Das ist Sunset.
Der Rahmen ist in Klaus Modicks Roman eng gesteckt. Vom frühmorgendlichen Aufgang der Sonne über dem gischtumnebelten Pazifik bis zum Untergang ebenjener Sonne reicht der erzählerische Bogen, der Sunset ausmacht. Diese enge Einheit eines einzigen Sommertages nutzt Modick, um wie in seinen später folgenden Romanen Keyserlings Geheimnis und Konzert ohne Dichter ein Künstlerporträt zu zeichnen.
Ähnlich wie bei letztem Roman ist es auch hier nicht nur ein einfaches, sondern eigentlich ein zweifaches Künstlerporträt. Denn bereits vier Jahre vor seinem Roman um das komplizierte Miteinander oder Gegeneinander des Worpsweder Malers Heinrich Vogler und des Dichters Rainer Maria Rilke widmete sich Modick 2011 bereits der Beziehung zweier Künstler, wie sie auf den ersten Blick gegensätzlicher eigenlich nicht sein könnten. Die Rede ist von Lion Feuchtwanger und Bertolt Brecht.
Da der Münchner Jude Lion Feuchtwanger, der mit großen historischen Romanen für hohe Auflagen und viel Aufmerksamkeit sorgte. Da Bertolt Brecht, Augsburger Kommunist und Verfechter des Epischen Theaters. Während Feuchtwanger nach einer kräftezehrenden Flucht in den USA an der Westküste heimisch wird, wird es Brecht in die entgegengesetzte Richtung in den Osten ziehen, wo er später auch begraben werden wird, nämlich in Ost-Berlin. Da der virile Feuchtwanger, dessen Potenz sich mittlerweile erschöpft und seine Beziehung zu seiner Marta alle Krisen überstanden hat, da Brecht mit seinen vielen Frauen und Nebenfrauen, Kindern und Bankerts.
Feuchtwanger und Brecht
Diese unwahrscheinliche Freundschaft, sie arbeitet Klaus Modick in seinem Roman noch einmal auf. Auslöser des Ganzen ist eine Todesnachricht, die Lion Feuchtwangers morgendliche Körperertüchtigung in seiner Villa am Paseo Miramar unterbricht. Niemand geringeres als Johannes Becher, der Kulturminister der neugegründeten DDR erbittet die Teilnahme Feuchtwangers an einem Staatsakt in Ost-Berlin, denn Bertolt Brecht ist tot.
Während nun Feuchtwanger rastlos durch sein Haus tigert und trotz der Abwesenheit seiner Frau so etwas wie Routine in seinen Tagesablauf zu bekommen versucht, brechen die Erinnerungen über ihn herein. Die unwahrscheinliche Freundschaft mit Brecht, dessen erste Kontaktaufnahme mit Feuchtwanger in München. Das Erlebnis nach der Lektüre von Brechts Spartakus, aus dem später die Trommeln in der Nacht werden sollten, der Baal als erstes Ausrufezeichen seines kraftgesättigten und kraftmeierischen Autors, all das scheint in kleinen Schlaglichtern in Modicks Roman wieder auf.
Aber auch Zeitgeschichtliches wie die Kommunistenehatz der McCarthy-Ära und das Verhör Brechts vor dem Tribunal wird durch die Erinnerungskaskade Feuchtwangers noch einmal greifbar. Überhaupt, die Zeitgeschichte: knapper, aber nicht minder eindringlich als in Uwe Wittstocks Marseille 1940 wird hier noch einmal an das Schicksal der Flucht und des Lebens im Exil erinnert.
Klaus Modick auf der Höhe seiner Kunst
Thomas Mann und seine Distanz zu Feuchtwanger, die Schwierigkeiten, in ein neues Leben hineinzufinden und in einem anderen Land mit anderer Sprache seine eigene Sprache und das Schreiben zu bewahren, all das tupft Modick grandios in diesen so kurzen, aber doch so intensiven Roman hinein.
Ihm gelingt mit Sunset das Kunststück, eine durchaus widersprüchliche Freundschaft und zwei ebenso kantige wie komplizierte Männer auf gerade einmal 190 Seiten in ein fabelhaftes Licht zu setzen. Biografisches, Werk der beiden Autoren und sprachliche Eleganz verbinden sich in diesem Roman zu einem großartigen Leseerlebnis, sodass man förmlich meint, selbst mit Feuchtwanger durch seine Villa über dem schimmernden Pazifik und sein wechselhaftes Leben zu spazieren.
Sunset ist ein reduzierter und gerade deswegen so starker historischer und zuvorderst Künstler-Roman. Er zeigt Klaus Modick auf der Höhe seiner Kunst. Es ist eine Höhe, die spätere Werke, allen voran Keyserlings Geheimnis nicht mehr so recht erreichen wollten.
Weitere Meinungen zu Sunset gibt es unter anderem bei Literaturkritik.de und bei Deutschlandfunk Kultur.
- Klaus Modick – Sunset
- ISBN 978-3-492-27418-0 (Piper)
- 192 Seiten. Preis: 11,00 €