Tom Bouman – Auf der Jagd

Country Noir ist ein boomendes Genre im Bereich der Kriminalliteratur. Autoren wie Daniel Woodrell (Winters Knochen), Donald Ray Pollock (Knockemstiff) oder jüngst Matthew F. Jones (Ein einziger Schuss) bedienen dieses Genre, das einen Blick auf das einfache und arme Amerika zwischen West- und Ostküste wirft. Der ungeschönte Blick zeigt die Lebenswelt der Außenseiter, die sich oftmals ungewollt in Verbrechen verstricken und in Drogen und Gewalt einen Ausweg suchen. Eine Facette, die bei unserem Blick auf die Vereinigten Staaten oftmals vergessen wird (zwei lesenswerte Aufsätze zu diesem Thema finden sich hier und hier).

Tom Bouman ist ein weiterer Debütant, der sich auf diesem Feld versucht. Er erzählt in Auf der Jagd vom Provinzpolizisten Henry Farrell. Dieser hat sich am Ende der Welt in Pennsylvania niedergelassen, um den Tod seiner Frau und seinen Kriegseinsatz in Somalia zu vergessen. Doch das Paradies ist auch sein selbst gewähltes Refugium nicht. Neben seiner windschiefen Hütte beuten große Fracking-Unternehmen die Bodenschätze aus; gierig schielen alte Nachbarn aufeinander, wer wohl am Fracking-Boom am meisten verdient.

Farrell versieht seinen Job ohne echte Höhepunkte, bis sich gleich zu Beginn des Buchs alles ändert. Per Zufall findet man in der bergigen Landschaft die Leiche eines Mannes, den keiner im Dorf kennt. Der unbekannte Mr. X bleibt allerdings nicht der einzige Tote, über den Farrell stolpert. Kurz nach dem Auffinden der Leiche wird sein Deputy erschossen – und auch hier ist der Täter flüchtig. In der Folge durchstreift Farrell die Wälder, stöbert Crystal-Meth-Labore auf und versucht die schweigsame und mürrische Dorfgemeinschaft zum Reden zu bringen. Doch die Suche nach dem oder den Mördern ist vertrackter, als es zunächst den Anschein hat.

Mit seinen Worten spannt Tom Boumann eine intensive und lesenswerte Geschichte auf, der man gerne folgt. Sein Debüt ist eine Bereicherung für das Genre des Country Noir. Der Ich Erzähler Farrell ist ein angenehmer Protagonist, dem man mit Wohlwollen bei seinen Ermittlungen zusieht und mit dem man gerne Zeit verbringt. Abgesehen von einigen kleineren Unstimmigkeiten (Henry Farrell kann zwar mit dem Gehör die mixolydische Stimmung eines Banjos erkennen, weiß aber nicht wann die Eisenzeit war) ist das Buch für ein Debüt sehr gut geraten (Übersetzung von Gottfried Röckelein).

 

Krimiliebhaber sollten generell ein Auge auf den kleinen fränkischen Verlag haben – hier sind in nächster Zeit noch einige spannende Veröffentlichungen von Krimiautoren zu erwarten, unter anderem George B. Pelecanos und Bernd Ohm. Bereits erschienen ist der letzte Band der Charlie-Resnick-Reihe von John Harvey. Hier tut sich also einiges!

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Wilhelm Genazino in Augsburg

Heute gibt es an dieser Stelle wieder einmal einen Veranstaltungshinweis für alle LiteraturfreundInnen rund um Augsburg.

Am Freitag, 17.03.2017, kommt der Büchnerpreisträger Wilhelm Genazino zu einer Literarischen Soiree in die Fuggerstadt. Auf Einladung der Augsburger Allgemeinen wird der Autor ab 19:30 Uhr im Foyer der Stadtbücherei Augsburg aus seinen Werken lesen und im Anschluss im Gespräch Rede und Antwort stehen.

Zudem gibt es nach der Lesung von Wilhelm Genazino eine Neuauflage des Literarischen Salons, der bislang immer im Stadttheater stattfand. Diesmal diskutieren Buchhändler Kurt Idrizovic von der Buchhandlung am Obstmarkt, Stefanie Wirsching von der Augsburger Allgemeinen sowie meine Wenigkeit über folgende drei Neuerscheinungen: Hanya Yanagihara Ein wenig Leben, Jonas Lüscher Kraft sowie Elena Ferrante – Die Geschichte eines neuen Namens. Konträre Meinungen sind zu erwarten. Die Moderation des Abends hat Wolfgang Schütz inne, ebenfalls Augsburger Allgemeine.

Auch Kinder- und Jugendbücher werden an diesem Abend vorgestellt, dies übernimmt Birgit Müller-Bardorff. Zudem gibt es als Abschluss noch eine Verlosung von Lesestoff – das Kommen lohnt sich also!

 

Karten für 10 Euro gibt es an folgenden Vorverkaufsstellen: Stadtbücherei Augsburg, der Buchhandlung am Obstmarkt und beim AZ-Ticketservice, Maximilianstraße 3, in Augsburg.

 

Ich würde mich freuen, wenn wir uns an diesem Abend sehen!

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Anthony McCarten – Licht

Mehr Licht! soll der Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe auf seinem Sterbebett ausgerufen haben, ehe er verschied. Als Lebensmotto würde dies auch für die beiden Hauptcharaktere in Anthony McCartens Roman Licht gut passen. Denn Thomas Alva Edisons und John Pierpont – gennannt JP – Morgans Begehrlichkeiten kreisen um dieses Licht, genauer gesagt um die prominenteste Erfindung Edisons – die Glühbirne.

Während Edison jene Glühbirne nebst hunderter anderer Innovationen ersann, sah der Bankier JP Morgan darin eine Chance, ganz Amerika damit zu elektrifizieren und damit ein sprichwörtliches Age of Enlightment einzuläuten. Von der Beziehung von Erfinder und Bankier erzählt Anthony McCarten und wählt hierfür eine clevere Romankonstruktion. Der alte und fast taube Edison hat sich an seinem Lebensende aus dem Staub gemacht und sitzt an einem Bahnsteig, wo er einem jungen Mann aus seinem Leben berichtet und immer wieder in Erinnerungen abschweift. Denn eigentlich sollte sich Edison im Zug auf dem Weg zu Feierlichkeiten zu seinen Ehren befinden. Henry Ford, Marie Curie und andere Größen erwarten den Erfinder, um ihn hochleben zu lassen, doch dieser zeigt einmal mehr seinen Sturkopf und sitzt nun als Erzähler am Bahngleis.

Immer wieder springt McCarten quer durch das Leben des Erfinders, berichtet von seinen beiden Ehen, den kuriosen Auswüchsen seiner Taubheit (Achtzig Dezibel!) und erzählt von seinen Kämpfen mit dem Gleichstrom, Nikola Tesla und dem lieben Geld.

Diese Sprünge enthüllen immer wieder neue Facetten an Edison und auch an JP Morgan. Sympathischen Schrullen gibt es bei beiden genauso wie auch Charakterzüge, die den Kopf schütteln lassen. McCarten widmet im Buch einen großen Teil auch dem ideologischen Kampf Edisons gegen den Wechselstrom, den Nikola Tesla propagiert. Diese sture Kampf lässt Edison zum Erfinder des Elektrischen Stuhls werden. Dessen Erprobung und Testreihen verlangen dem Leser einiges ab. McCarten zeigt sich hier als Humanist, der die Barbarei des Elektrischen Stuhls eindringlich einfängt und vermittelt.

Fünf Jahre nach dem Erscheinen des Buchs liegt Licht nun in deutscher Übersetzung von Manfred Kempf und Gabriele Kempf-Allié vor. Die Gestaltung des Buchs weiß wie üblich bei Diogenes zu überzeugen, schnell huscht man durch die großzügig gestalteten Seiten hindurch. Ein schön konstruierter Unterhaltungsroman und zugleich eine mehr als gute Einführung in das Leben und Wirken Thomas Alva Edisons.

 

Wer weiter von Edison und seinen Kämpfen lesen möchte, dem sei ein weiteres, diese Tage erscheinendes Buch empfohlen. Es stammt vom oscarprämierten Drehbuchschreiber Graham Moore und heißt Die letzten Tage der Nacht. Darin geht es um den Kampf Edisons gegen Westinghouse, in dessen Mittelpunkt abermals die Glühbirne steht. Erschienen ist das Buch bei Eichborn und genauere Informationen gibt es an dieser Stelle.

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Ulf Torreck – Fest der Finsternis

Paris im September 1805. Der Sturm auf die Bastille ist genauso beendet wie die blutige Terrorherrschaft der Jakobiner . Napoleon herrscht über Europa und in der Hauptstadt seines Reichs große Armut und Elend. Der ehemalige Inspektor Louis Marais, dessen Name noch immer die Unterwelt von Paris in Unruhe versetzt, kehrt genau hierhin zurück. Eigentlich hatte ihn der Polizeiminister Joseph Fouché nach Brest abgeschoben, doch nun braucht er den Polizisten dringend wieder in Paris. Die Leiche eines jungen Mädchens wurde schwer verstümmelt aus der Seine gefischt. Wenn ein Ermittler dem Täter das Handwerk legen kann, dann Marais.

Und dieser stößt bei seiner Recherche recht schnell auf höchst beunruhigende Information. Denn offenbar wurde von oberster Stelle her vertuscht, dass diese Leiche des jungen Mädchens nicht die erste ist, die in letzter Zeit aufgefunden wurde. Eine ganze Reihe weiterer Morde gibt es – nur war an der Aufklärung niemand interessiert. Marais verbeißt sich in den Fall und fordert damit Täter heraus, die keinerlei Interesse an der Wahrheit hinter den Morden haben. Seine Spuren führen in okkulte Kreise und sorgen schließlich dafür, dass aus dem Jäger einer Gejagter wird.

Ulf Torreck ist mit seinem Debüt im Heyne-Verlag ein großer Wurf gelungen. Bisher publizierter er unter dem Namen David Gray im Pendragon-Verlag, nun gibt es im neuen Verlag einen historischen Thriller von ihm zu lesen. Und der hat es in sich. Wendungsreich entführt er den Leser in ein dunkles und dreckiges Paris, das nicht viel mit der Seine-Metropole zu tun hat, die man heute kennt. In großer Armut lebt die französische Bevölkerung, während das Establishment rauschhafte Feste feiert und sich in Eskapismus ergeht.

Als besonderen Clou integriert Torreck zahlreiche historische Gestalten, deren Treiben den Rahmen des Buchs bildet. So spielt der damalige Polizeiminster Joseph Fouché genauso eine entscheidende Rolle wie auch der Staatsmann und Lenker Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord. Schon fast ein Holmes/Watson-Doppel ergibt dann Torrecks Idee, Marais mit dem legendären Marquis de Sade zusammenzuspannen, der den Ermittlungen entscheidend weiterhilft. Diese Idee und die entsprechende Umsetzung bilden das Salz in der Suppe und machen aus Fest der Finsternis ein besonderes Erlebnis.

Eine Prise Jean-Christophe Grangé, ein wenig Das Parfüm, ein wenig Okkultismus, ein bisschen Alexandre Dumas – die Mischung geht auf. Wenn die nächsten Fälle für Louis Marais genauso gut ausgearbeitet sind wie dieser erste Fall, dann stehen uns noch viele großartige Titel ins Haus, bei denen alleine das Lektorat deutlich bessere Arbeit machen muss. Ansonsten eine stimmige Geschichte!

Zum Hintergrund und der Idee hinter dem Roman sei an dieser Stelle noch das Interview empfohlen, das Alexander Roth vom hervorragenden Blog Der Schneemann mit Ulf Torreck alias David Gray geführt hat. Man findet es an dieser Stelle.

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Kurz und Gut

Nachschub in der Kategorie der kurzen Rezensionen! Heute gibt es drei weitere Rezensionen von Büchern, die in letzter Zeit gelesen wurden

 

Steffen Kopetzky – Grand Tour

Alles andere als ein bequemer Schmöker – Kopetzky lässt den Leser an Bord von Schlafwagen mit dem Schaffner Leon Pardell quer durch Europa reisen. Verschiedene sinistre Gestalten hegen eigene Pläne, ein reicher Baron jagt einer ganz besonderen Uhr hinterher und man selbst findet sich inmitten dieser etwas chaotischen Gemengelage, die sich erst nach und nach klärt und setzt.

Der Stil Kopetzkys ist sehr barock überbordend und von einer schönen Sprache, mitunter schlägt die Erzählung aber ein paar Arabesken zu viel. Man muss sich mühen, am Ball zu bleiben und die verschiedenen Reisestationen Pardells im Blick zu behalten. Wer diese Energie für das über 720 Seiten starke Epos aufbringt, wird mit einem Schmöker belohnt, der viel Reiz hat. Zwar erreicht das Buch die Klasse des fantastischen Risikos Steffen Kopetzkys nicht, aber dennoch lohnt sich diese Neuauflage des ursprünglich 2002 erschienen Buchs auf alle Fälle.

 

 

Colum McCann – Transatlantik

Diese Buch war nur ein Zufallsfund inmitten eines Tisches voller Remittenden. Da ich eh eine Schwäche für die Literaturszene Irlands habe (Adrian McKinty, John Boyne, Ken Bruen, tbc) habe, nahm ich mir einfach diesen Roman auf Verdacht mit. Eine Entscheidung, die sich mehr als gelohnt hat. McCann erzählt in seinem Roman von drei Momenten aus der Irisch-Amerikanischen Geschichte, verwebt durch eine wunderschöne Sprache (Deutsch von Dirk van Gunsteren). Der erste Transatlantikflug ist Thema in McCanns Erzählung, ein amerikanischer Senator reist nach Irland um im IRA-Konflikt zu schlichten und ein Abolitionist kommt nach Irland, um auch dort für seine Sache zu werben, nämlich die Aufhebung der Sklaverei.

Verbindendes Element sind – wie sollte es anders sein – natürlich Frauen, die in jenen drei Momenten immer beteiligt sind oder Einfluss hatten. Die Konstruktion des Romans überzeugt, die Geschichte fasziniert, McCann beherrscht sein Handwerk genauso gut wie seine anderen irischen Schriftstellerkollegen. Ein Glücksgriff für mich, dieser Roman!

 

 

Homer – Odyssee

Etwas Anspruch darf auch einmal sein – die Möglichkeit dazu bot und bietet die Taschenbuchausgabe der Odyssee im neuen Deutschland-Ableger des Penguin-Verlags. Dieser Klassiker der Weltliteratur liegt hier in der Übersetzung von Kurt Steinmann vor und weist ein einigermaßen gut lesbares Schriftbild auf. Man braucht Geduld und muss sich auf die Sprache einlassen. Wenn man dann allerdings ins Homers Lyrik eingefunden hat, versteht man schnell, warum auch dieser Text nach tausenden von Jahren immer noch seinen Reiz hat. Die Geschichten vom Zyklopen Polyphem und der listenreichen Flucht des Odysseus oder die Episode rund um die verlockenden Sirenen sind schon längst in die Legendenbildung eingegangen. Hier kann man sie noch einmal im Kontext erleben und neu entdecken.

Für ambitionierte Leser und Kultur-Kenner, die sich mit wirklichen Originalen beschäftigen wollen!

 

 

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