Peter Fröberg Idling – Gesang für einen aufziehenden Sturm

Ménage-à-trois

Die fernöstliche Gestaltung dieses beim Insel-Verlag erschienenen Titels gibt schon die geografische Richtung vor, in die Peter Fröberg Idlings Debüt den Leser entführen wird.. Der Autor kreist in seinem Schaffen um die Geschichte Kambodschas und die des Diktatoren Pol Pots. Diesem nähert er sich hier auf literarische Art und Weise und tut dies, indem er vor einer Ménage-à-trois aus verschiedenen Perspektiven erzählt, die sich im Jahr 1955 ereignet.

FröbergBeteiligt daran sind Sar (der später den Namen Pol Pot wählen wird), Sary und Somaly. Drei Personen, denen jeweils einer der drei Abschnitte des Buches zugeordnet wird, beginnend mit Sar. Fröber Idling verleiht jedem der drei Charaktere auch sprachlich eine eigene Identität, indem er in verschiedenen Personalperspektiven von den Dreien berichtet. So verfolgt der Leser beispielsweise Sar in der ungewöhnlichen Du-Perspektive und ist so ganz nah am Geschehen. Auch für seine Dialoge findet der schwedische Schriftsteller außergewöhnliche Wege – so sind die Reden im Buch teilweise im Schriftbild gegeneinander gesetzt und versinnbildlichen so die konträren (politischen) Perspektiven der Protagonisten, die mit Kambodscha ihre ganz eigenen Pläne haben. So wird Sar bald mit den Roten Khmer eine Diktatur errichten, die über 1,6 Millionen Menschen den Tod bringen wird, während die alten Machthaber um Prinz Sisowath Yuthevong im Moment noch an der Macht sind.

Leider merkt man in mehreren Passagen dem Autor seine Passion für Pol Pot und die kambodschanische Geschichte stark an. Leider deshalb, da einige Stellen sehr technokratisch ausgefallen sind, vor allem wenn es um die politischen Strategien der Machthaber und der verschiedenen Parteien geht. Dies zersetzt den Lesefluss und macht das Buch unnötig sperrig. Die Atmosphäre, die Fröberg Idling schildert, ist hingegen durchaus gelungen und fast mit den Händen zu greifen. Ein zugleich fiebrig und träges, ein schwüles wie schon fast überkochendes Land – der Autor kennt sich gut in der Geschichte aus, was man Gesang für einen aufziehenden Sturm auch anmerkt – im Guten wie im Schlechten.

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Eberhard Rathgeb – Cooper

Eberhard Rathgeb hat ein verrätseltes, bedrohliches und sehr dünnes Büchlein vorgelegt (lediglich 124 Seiten zählt die Monographie), das vom Eindringen des Irrationalen ins ganz normale Leben berichtet. Seine Novelle dreht sich um eine durchschnittliche vierköpfige Familie, die eigentlich nur in einem Ferienhaus auf dem Land ein paar Tage Urlaub verbringen möchte – doch dann kommt alles ganz anders als geplant.

Rathgeb_Cooper_MR.inddDie Familie begegnet schon auf der Hinfahrt an einer nahezu verlassenen Tankstelle einem Jungen und – der gute alte Aberglauben funktioniert immer noch – einer schwarzen Katze. Diese taucht auch nach der Weiterfahrt gleich wieder am Ferienhaus auf und kündet damit von bald nahendem Unglück. Und dieses lässt nicht lange auf sich warten, denn während der Vater und seine beiden Töchter sich auf den Weg zu einem Badesee im Wald machen, sucht die Mutter im Ferienhaus etwas heim, das sie auch Jahre später nicht loslassen wird.

Immer wieder unterbricht Rathgeb seine Geschichte und vollzieht Zeitsprünge. Mit seiner Affinität zu verschachtelten Sätzen und indirekter Rede reichert er seine eigentlich recht kompakte Geschichte an. Er setzt mehrere Zäsuren, ändert die Erzählperspektive – all das unterbricht natürlich den linearen Erzählfluss und sorgt dafür, dass der Leser immer wieder das Geschehene überdenken und neu bewerten muss. Dabei deutet Rathgeb nur an, nie wird er ganz explizit, was die Verrätselung des Buchs noch einmal erhöht. Diese unruhige und beunruhigende Novelle raunt viel und löst dennoch nichts auf. Unbequem!

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J. Ryan Stradal – Die Geheimnisse der Küche des Mittleren Westens

Gutes Essen hat im Verlagsprogramm von Diogenes seinen festen Platz – egal ob der Gourmetkoch Bruno, Chef de Police, sich durch das Perigord schmaust oder Martin Suter einen Koch ins Gewirr zwischen Molekularküche und Rüstungsdeal verstrickt – immer haben sinnliche Genüsse im Programm des Schweizer Verlags einen Platz. Nun hat sich der Verlag einen weiteren Debütanten ins Boot geholt, der dieser Linie zielsicher folgt und mit Die Geheimnisse der Küche des Mittleren Westens einen Roman rund um Kulinarik und Familie vorlegt.

Pressebild_Die-Geheimnisse-der-Kueche-des-Mittleren-WestensDiogenes-Verlag_300dpiDie Geschichte, die Stradal in seinem Debüt erzählt, ist die von Eva Thorvald. Schon als kleines Kind gerät sie mit gutem Essen in Kontakt und dies wird zu ihrer ganzen Passion werden. Für seinen Roman wählt Stradal hierbei einen besonderen erzähltechnischen Kniff, und zwar wirf er auf Eva immer wieder Schlaglichter während ihrer Entwicklung vom Kleinkind hin zur gefeierten Starköchin. Doch bei diesen Stationen liegt der Fokus nicht direkt auf Eva, sondern Stradal erzählt von Figuren, die Eva mal mehr und mal weniger intensiv begleiten oder beeinflussen. Stück für Stück arbeitet sich Stradal so vor, bis der Stern der Köchin aufgeht und ihr Ruhm immer heller zu strahlen beginnt.

Die Figuren, an denen sich Stradals Geschichte entlanghangelt, sind für meinen Geschmack etwas dünn geraten (wenn sie auch viele Amerika-Klischees erfüllen). [Achtung, Spoilerwarnung. Wer nicht wissen möchte, wie das Buch schließt, bitte einfach die nächsten Zeilen überlesen]. Immer wieder werden neue Figuren eingeführt, die den Lebensweg der kommenden Starköchin kreuzen, und die im Finale auch in Form eines Dinners auch zusammengeführt werden. Von den Köpfen, die Eva Thorvald dann für das abschließende Dinner um sich versammelt, ist mir aber keiner sonderlich sympathisch oder bleibt durch Tiefe und Ambiguität lange im Gedächtnis hängen. Immer wieder hatte ich Schwierigkeiten, mit den Namen die Episoden der Menschen zu verbinden, die Stradal zuvor erzählte. Spitze des Eisbergs ist für mich Eva Thorvalds Mutter, die ihr Kind für einen Sommelier verlässt, dann aber wieder nach Evas Erfolg ihre Mutter sein will und die Nähe Evas sucht. Sympathische Charaktere gehen anders. Zusammen mit dem recht dünnen erzählerischen Faden, der um die Einzelepisoden gebunden ist, bleibt mir eher der Geschmack, durchwachsenes Fastfood denn ein literarisches Gourmetmenü verzehrt zu haben. Dies ist schade, da der Roman durchaus Potential hat und gerade bei den Beschreibungen von Essen und dessen Zubereitung durchaus punkten kann. Auch das Cover ist mehr als gelungen, doch von einem imposanten Meisterstück zu sprechen, wie es die New York Times macht, das würde ich bei dem Neuzugang im Hause Diogenes leider nicht.

 

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Rose Tremain – Und damit fing es an

Die Gustav-Sonate

Rose Tremain begegnete mir bereits einmal – mit ihrem Mittelalter-Roman Adieu, Sir Merivel. Diesmal ist sie für ihren neuen historische Roman in der Zeit deutlich vorangereist und beginnt nun ihren Roman grob um 1930, um dann im Jahr 2002 zu enden. Dieser Bogen umspannt die Leben von Gustav Perle und seinem besten Freund Anton Zwiebel, deren Freundschaft den Kern der vorliegenden Geschichte bildet.

Und damit

Angesiedelt ist der Roman im schweizerischen Örtchen Matzlingen, einer beschaulichen Kleinstadt, in der Gustav und Anton aufwachsen. In drei Teile gegliedert erzählt Rose Tremain zunächst vom Aufwachsen Gustavs, dann springt sie zurück in die Vorgeschichte von Gustavs Eltern, um dann im dritten Teil die weitere Entwicklung von Anton und Gustavs Freundschaft bis ins Jahr 2002 zu schildern. Dabei verlässt der Roman kaum den erzählerischen Mikrokosmos Matzlingens und bleibt immer dicht an Gustavs Biografie, auch wenn der mittlere Teil mehr die Hintergründe von Gustavs Familie beleuchtet.

Einfühlsam beschreibt Rose Tremain Gustavs Leben, der aus armen Verhältnissen stammt und zu großer Selbstdisziplin erzogen wird. Seine Mutter lebt mit dem Jungen alleine, nachdem Gustavs Vater die Unterstützung von flüchtenden Juden in die Schweiz zum Verhängnis wurde. Ihre Verbitterung frisst Gustavs Mutter in sich hinein und macht es dem Jungen nicht immer leicht. Ganz anders da die kosmopolitische und wohlhabende Welt der Zwiebels, die auf Gustav einen großen Reiz ausübt. Während er von der Hand in den Mund lebt, soll Anton ein Konzertpianist werden und wird dementsprechend sehr viel protegiert. Doch wie es oft so ist – das Leben hält sich nicht an die großen Baupläne, die Menschen vorhersehen. Und so verläuft das Leben der beiden Freunde doch anders als gedacht.

Ein leises Buch

Rose Tremain reißt in ihrem neuen Roman viele Themen an: Das (mir unbekannte) Thema der jüdischen Flüchtlinge in der Schweiz, die Suche nach Glück, der Versuch ein ganzes Leben prägnanten Szenen zusammenzuraffen. Das meiste davon gelingt ihr auch, und so entsteht ein leises Buch, dass die Freundschaft feiert und bei aller Leidenschaft der Autorin für ihre Protagonisten nie ins Pathetische abgleitet.

Ein Kritikpunkt meinerseits ist nur die Wahl des Titels: Der Titel Die Gustav-Sonate (so der Titel im Original) gefällt mir da schon deutlich besser als der etwas nichtssagende Titel Und damit fing es an, auch wenn das Cover den Inhalt sehr gut wiedergibt. Abgesehen davon allerdings ein Buch, das Freunden von Robert Seethalers Ein ganzes Leben, Benedict Wells‘ Vom Ende der Einsamkeit oder Thomas Hettches Pfaueninsel gerne empfohlen werden kann.

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Vorfreude – neue Belletristik Herbst 2016

Vor einigen Tagen habe ich hier an dieser Stelle bereits neue Krimis aus den Verlagsprogrammen für den Herbst 2016 vorgestellt. Nun soll an hier eine lockere Vorstellung von neuen Büchern aus dem weiten Feld der Belletristik folgen – auf diese Titel freue ich mich besonders:

 

Nathan Hill – Geister

GeisterDas sagt der Verlag: Ein Anruf der Anwaltskanzlei Rogers & Rogers verändert schlagartig das Leben des Literaturprofessors Samuel Anderson . Er, der als kleines Kind von seiner Mutter verlassen wurde, soll nun für sie bürgen: Nach ihrem tätlichen Angriff auf einen republikanischen Präsidentschaftskandidaten verlangt man von ihm, die Integrität einer Frau zu bezeugen, die er seit mehr als zwanzig Jahren nicht gesehen hat. Ein Gedanke, der ihm zunächst völlig abwegig erscheint. Doch Samuel will auch endlich begreifen, was damals wirklich geschehen ist. – Ein allumfassender, mitreißender Roman über Liebe, Unabhängigkeit, Verrat und die lebenslange Hoffnung auf Erlösung, ein Familienroman und zugleich eine pointierte Gesellschaftsgeschichte von den Chicagoer Aufständen 1968 bis zu Occupy Wall Street.

Das sage ich: Ein mir unbekannter neuer Autor, ein zeitgenössischer amerikanisches Gesellschaftsroman (hoffentlich in der Tradition von Franzen und Co.) und ein spannender Klappentext – auf diesen über 800 Seiten starken Brocken freue ich mich wirklich und will da einfach völlig unvoreingenommen hineinstöbern. Das Buch erscheint im Oktober.

 

 

 

Christian Kracht – Die Toten

9783462045543_5Das sagt der Verlag: Christian Krachts neuer Roman »Die Toten« führt uns mitten hinein in die gleißenden, fiebrigen Jahre der Weimarer Republik, als die Kultur der Moderne, besonders die Filmkultur, eine frühe Blüte erlebte. Hier, in Berlin, »dem Spleen einer unsicheren, verkrampften, labilen Nation«, versucht ein Schweizer Filmregisseur, angestachelt von einem gewissen Siegfried Kracauer und einer gewissen Lotte Eisner, den UFA-Tycoon Hugenberg zur Finanzierung eines Film zu überreden, genauer gesagt: eines Gruselfilms, genauer gesagt: in Japan. Das überschneidet sich mit ebensolchen Plänen im dortigen Kaiserreich, mit denen man dem entstehenden Hollywood-Imperium Paroli bieten will …

Das sage ich: Ich habe ja eine Schwäche für die 20er und 30er Jahre der Bundesrepublik – besonders wenn sie in gute Literatur überführt werden, wie etwa bei Kästners Fabian oder den Büchern von Volker Kutscher. Bereits mit Imperium konnte mich Kracht von seinem Talent als Schriftsteller überzeugen, auch wenn die im Feuilleton geführten Debatten etwas am Kern des Buchs vorbeizielten. Nun freue ich mich sehr auf den neuen Streich des Autors, der im September erscheint.

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