Simone Buchholz – Nach uns der Himmel

Ist das schon der Himmel oder noch die Hölle? Simone Buchholz schickt in ihrem neuen Roman Nach uns der Himmel acht Menschen auf eine ganz besondere Insel und lässt nicht nur ihre Figuren lange Zeit im Unklaren über die Hintergründe ihres Aufenthalts dort.


Schon in ihrem zuletzt erschienenen Roman Unsterblich sind nur die anderen erwies sich Simone Buchholz als Meisterin der Unkonkretheit. Ihre Geschichte einiger Passagiere auf einer ganz besonderen Fähre ließ sich vielfach deuten und stellte die Frage in den Raum, ob die Geschehnisse auf der Fähre MS Rjúkandi überhaupt in der Realität angesiedelt waren, allzu rätselhaft und fantastisch war das, was sich an Bord des Schiffs abspielte.

Auch in ihrem neuen Roman Nach uns der Himmel herrscht wieder die gleiche opake Grundstimmung, wie sie schon kennzeichnend für Buchholz erste literarische Auszeit von ihrer Krimiserie um die Hamburger Staatsanwältin Chastity Riley war. Diesmal ist das Reisemittel, mit dem alles beginnt, kein Schiff, sondern ein Flugzeug, das gleich zu Beginn des Romans in schwere Turbulenzen gerät. Diese sind so gravierend, dass die Pilotin den eigentlich geplanten Landeanflug abbrechen muss und zurückkehrt nach Athen, wo das Flugzeug dann wieder landet.

Doch damit beginnt jener Rutsch der Realität, denn schon während dieses Zwischenaufenthalts mehren sich seltsame Zeichen. Drei Putzdamen wandeln durch die Riege der versammelten Passagiere wie weiland die Hexen von Macbeth, da findet ein Fluggast keine Toilette und keinen Ausgang aus der Wartehalle und eine „fast engelhafte elektronische Frauenstimme“ säuselt durch das Rund, ehe es ein zweites Mal mit dem Flieger auf die angepeilte Insel geht.

Eine Welt im Trudeln

Simone Buchholz - Nach uns der Himmel (Cover)

Hier gerät die Realität nun vollends ins Trudeln, denn je länger Simone Buchholz die acht Flugzeugpassagiere auf ihren Wegen über die anonyme Insel verfolgt, umso klarer wird, das dieses Eiland nicht nach den herkömmlichen physikalischen und sozialen Gesetzen funktioniert. Es ist eher eine Zauberwelt, wie sie Shakespeare in Der Sturm ersann, denn das, was wir aus den Werken Gerald Durrells oder Polly Samsons kennen.

Ein Bed & Breakfast verschwindet spurlos, in dem Marc und Sara zusammen mit ihrem Sohn Vincent abgestiegen sind, das Inselpersonal nimmt keine gesteigerte Kenntnis von den Urlaubern – und merkwürdigerweise sind auch die Handys der Gäste verschwunden. Eine Telefonzelle, die Vincent zusammen mit Heidi, einer anderen Urlauberin, ausfindig machen will, gibt es auf der Insel nicht.

Nicht nur, dass Wege nicht zum Ziel zu führen scheinen und sich winden und biegen, um ein Vorankommen der Urlauber zu verhindern. Auch der Weg über das Wasser führt nicht wirklich weiter. Eine Gruppe um den Krösus Claudius unternimmt einen Versuch, mit einem gemieteten Boot auf das Meer hinauszufahren, sieht sich aber jenem Effekt gegenüber, den man auch aus vielen Computerspielen kennt – irgendwann kommt das Boot trotz sämtlicher Kraftanstrengungen nicht mehr weiter. Trotz Claudius Reichtum, der sonst alle Probleme aus der Welt schafft, stößt man in bester Haushofer’schen Tradition gegen eine unsichtbare Wand, die die sämtliches Fortkommen verhindert.

Einwürfe aus der Stadt der Engel

Die Anzeichen mehren sich, dass sich die acht Fluggäste eventuell in einer Simulation befinden, in der sie für andere Menschen auf der Insel unsichtbar sind

Dazu kombiniert Simone Buchholz noch eine zweite Erzählstimme, die zunächst ebenso rätselhaft bleibt wie die Geschehnisse auf der namenlosen Insel. Hier kommt ein Erzähler zu Wort, der sich immer wieder vom 4621 Cahuenga Boulevard meldet, der in Los Angeles liegt. Dort, in der Stadt der Engel, scheint der Erzähler in eine Konzernstruktur eingebettet, von wo aus er zusammen mit einer Vorgesetzten Geschehnisse untersuchen soll.

Welche Geschehnisse das sind, das wird erst im letzten Viertel des Buchs deutlich, in dem sich dann die beiden Erzählstränge verbinden. Plötzlich ergeben die Rätselhaftigkeiten und Anomalien dort auf der Insel einen Sinn, die anfangs noch reichlich verwirrend und knapp neben die Realität gesetzt erscheinend.

Willkommen im Zwischenreich

Simone Buchholz hat mit Nach uns der Himmel einen Roman geschrieben, der ähnlich wie etwa zuletzt George Saunders in Lincoln im Bardo eine Zwischenwelt zwischen Leben und Tod beschreibt und bei der nicht nur der Alkoholika namens Kokytos oder Styx auf die weitere Reise hinweist, die den acht Flugzeuginsassen bevorsteht.

Gravitas hat dieses Zwischenreich bei Simone Buchholz nicht, vielmehr inszeniert sie mit ihrem Talent für Lakonie, schnell gesetzte Dialoge und Schnoddrigkeiten jenen Limbus als einen Ort der Liebe, in der sich plötzlich ganz neue Allianzen und Beziehungen zwischen den acht Menschen ergeben. Die Anziehung zu Heidi lässt den Teenager Vincent altern, seine zerstrittenen Eltern finden neue Partner, Affären werden fortgeführt oder beginnen neu. Sexualität und Begehren spielt eine große Rolle, ebenso wie der Jazz, der statt Finsternis und Trostlosigkeit in Simone Buchholz‘ Version des Jenseits den Takt vorgibt.

Das macht aus Nach uns der Himmel eine tröstliche, rätselhafte, lässige und sommerliche Melange, deren Verhältnisse sich mit zunehmender Laufzeit klären. Ihr Buch lässt zuversichtlich auf das blicken, was uns eventuell erwartet, wenn die Lebensreise zu Ende geht, ob im Flieger oder auf anderen Wegen.


  • Simone Buchholz – Nach uns der Himmel
  • ISBN 978-3-518-47442-6 (Suhrkamp Nova)
  • 218 Seiten. Preis: 20,00 €
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