Tag Archives: Balkan

Alida Bremer – Träume und Kulissen

In die engen Gassen von Split kurz vor dem Zweiten Weltkrieg entführt Alida Bremer in ihrem zweiten Roman Träume und Kulissen. Sie zeigt eine zerrissene Stadt zwischen Krieg und Frieden, Kommunismus und Faschismus und Ost und West. Ein Breitwandpanorama, das von Schicksalen und Geschichte erzählt. Sinnlich und begeisternd.


Nein, es ist kein großer Fisch, den der Fischer Fran Nisiteo aus den Netzen im nächtlichen Hafen von Split birgt und per Sackkarren zur Polizei fährt. Vielmehr handelt es sich um einen Toten, der durch Messerstiche den Tod fand. Die Nachricht alarmiert nicht nur die Polizei, sondern versetzt halb Split in Aufregung. Schließlich schreibt man das Jahr 1936 und die Lage auf dem Balkan und ganz Europa gleicht einem Pulverfass.

An Spitzel war man in Split gewohnt. Seit Beginn des Jahrhunderts tummelten sich Österreicher, Ungarn, Türken, Bulgaren, Rumänen, Ukrainer, Albaner, Italiener, Franzosen, Serben, Russen, Griechen, Deutsche, Tschechen, Polen, Briten und sogar Amerikaner in der Stadt. Alle unterhielten ihre Netze von Schnüfflern, die an die jeweiligen Auftraggeber in ihren Ländern berichteten – man fragte sich bloß, was? Das jugoslawische Königreich wirkte bisweilen wie ein Umschlagplatz, auf dem keine Handelswaren, sondern politische Ideen, nationale Spinnereien, Abenteurer, Agenten und Flüchtlinge verladen wurden.

Alida Bremer – Träume und Kulissen, S. 24

Die Herrschaft Österreich-Ungarns über Split ist Geschichte, die Königsdiktatur nach der Ermordung Alexander I. vor zwei Jahren ebenfalls. In Italien herrscht Mussolini und treibt gerade den Abessinienkrieg voran und unterstützt die kroatische Ustascha, in Deutschland hat Hitler die Macht ergriffen und viele Juden und Andersdenkende haben die Flucht ergriffen. In Europa und auf dem Balkan brodelt es – und beobachten lässt sich das auch in Split, das bei Alida Bremer zu einem Brennglas auf die damaligen Verhältnisse wird.

Eine zerrissene Stadt

Alida Bremer - Träume und Kulissen (Cover)

So schwanken die Bewohner Splits zwischen Nationalstolz und dem unbedingten Willen, die besseren Italiener zu sein. Fabrikerben huldigen den Ideen d’Annunzios, man ist sich uneins, ob es nun Fiume oder doch in Rijeka heißt. Kommunisten wie der Deutsche Frederick Achnitz sind genauso in der Stadt präsent wie eine Filmcrew, die Propagandafilme für die Nationalsozialisten zu drehen scheint.

Alle Figuren haben geheime Missionen, die sie im Schatten des Diokletianspalastes verfolgen und die zu Verwicklungen und Unübersichtlichkeit führen – was Alida Bremer immer wieder mit Augenzwinkern und feinem Humor schildert.

Für die Partei hier in Dalmatien , so hatte der Verbindungsmann weiter gesagt, stehe der Kampf gegen die italienischen Faschisten, gegen die kroatischen Nationalisten, gegen die katholische Kirche, gegen das serbische Königshaus und gegen die italienischen und jugoslawischen Kapitalisten ganz oben.

Alida Bremer – Träume und Kulissen, S. 15

So ist hier vieles wirklich Traum und Kulisse. Der Apotheker träumt von dem toten Schiffsbesitzer als Fisch, für die Filmcrew sind die historischen Mauern und Strände auch nur Fassade. Oftmals kommt man sich wie in einem alten Spionagefilm voller Kulissenschieberei vor.

Ein schnell drehendes Figurentableau

Alida Bremer erzählt schnell und mit Witz, stellt zahlreiche Figuren in den Mittelpunkt, die sie immer wieder durchwechselt. Der stets mit lateinischen Sentenzen um sich werfende Arzt, der zwischen Genuss und Wut schwankende Notar oder der sich vor der Zusammenarbeit mit der Politischen Polizei drückende Ermittler Bulat. Sie alle sind Teil des sich schnell drehenden Figurentableaus.

Geschickt schafft sie es, die verschiedenen Stimmungen und Tonlagen in der Stadt während des Sommers heraufzubeschwören. Von der stickigen Enge der Gassen bis zum reinigenden Gewitter, stets fühlt man sich, als würde man tatsächlich gerade durch Split streifen, während hinter allen Häuserecken Menschen auf besonderen Missionen unterwegs sind, egal ob Logenbrüder, Marktfrauen Kommunisten, Faschisten, Italiener, Kroaten oder Deutsche.

So gelingt ihr ein eindrucksvolles Bild von Split kurz vor dem Zweiten Weltkrieg, das auch pars pro toto für den Balkan und ganz Europa steht. Und auch wenn das Grundgerüst ein Krimi ist, der sich zentral mit der Frage der Ermordung des Schiffsbesitzers auseinandersetzt, ist Träume und Kulissen daneben auch deutlich mehr, nämlich die Schilderung einer zerrissenen Gesellschaft und einer zerrissenen Stadt. Auch ist das Buch eine liebevolle Hommage an die kroatische Küstenstadt Split und ihre diversen Bewohner.

Fazit

Alida Bremer hat mit ihrem zweiten Roman ein großartiges Sommerbuch geschrieben, das davon erzählt, wie es sich 1936 angefühlt haben könnte, als Frieden noch möglich, aber schon nicht mehr recht wahrscheinlich war. Ein tolles Leseerlebnis aus dem Jung und Jung-Verlag, für den man nur hoffen kann, dass nun nach der Übernahme durch den Kampa-Verlag weiterhin genau diese Sorte von origineller Literatur erscheinen wird, die den Verlag bislang ausgezeichnet hat. Ich würde es mir wünschen.


  • Alida Bremer – Träume und Kulissen
  • ISBN 978-3-99027-258-9 (Jung und Jung)
  • 360 Seiten. Preis: 24,00 €
Diesen Beitrag teilen

Sandra Gugić – Zorn und Stille

Blickt man auf die Veröffentlichungen der Verlage in diesem Herbst und achtet auf Themencluster, ist die Fülle an Büchern, die sich mit der Geschichte Jugoslawiens beschäftigen, frappant. So hat David Grossman mit Was Nina wusste einen Familienroman über drei Generationen verfasst, der im Tito-Regime und einer während dieser Zeit gefällten Entscheidung wurzelt. Ebenfalls (leider nicht so gelungen) thematisiert Zora del Buono diese Zeit in ihrem Buch Die Marschallin. Sie kreist in ihrem Buch um die Figur ihrer eigenen Großmutter, die im Lauf ihres Lebens fünf Pässe besaß und sich in den Partisanenkriegen und im Tito-Regime engagierte.

Und nun liegt auch von Sandra Gugić ein Roman vor, der sich der wechselvollen Geschichte Serbiens widmet und der die Auswirkungen der Geschichte im Privaten untersucht.


1976 in Wien geboren verfügt Sandra Gugić selbst über serbische Wurzeln. Mittlerweile lebt sie mit ihrer Familie in Berlin. Seit ihrem Debüt Astronauten im Jahr 2015 hat sie sowohl Prosa als auch Lyrik vorgelegt. Zorn und Stille ist nun der zweite Roman von ihr, der sich mit einer in Wien lebende Migrantenfamilie beschäftigt.

Eine Familiengeschichte aus drei Perspektiven

Die Erzählung setzt im September 2016 ein. Die Ich-Erzählerin Billy Bana erzählt ihre Geschichte. Eigentlich trägt sie den Namen Biljana Banadovic. Sie hat allerdings beschlossen, sich von ihrer Herkunft ebenso wie von ihrem Namen zu emanzipieren. Als Billy Bana ist sie als Fotografin tätig und hat die Flucht von Zuhause angetreten.

Sandra Gugic -Zorn und Stille (Cover)

Eine Nachricht reißt sie aus dem Leben, das sie sich aufgebaut hat. Ihr Vater ist tot. Folglich fliegt sie in die Heimat ihres Vaters, aus der er und seine Frau damals aufbrachen, um nach Wien zu gehen. Die Lebensgeschichten der beiden ist dann Thema der beiden anderen Teile, die Gugić zunächst aus Sicht von Billys Mutter im Juli 2008 erzählt, ehe dann ihr Vater Sima im Jahr 1999 Thema ist.

Aus diesen Teilen ergibt sich das Bild einer zerrissenen Familie. Eine, in der sich die Geschichte und die Verwerfungen des Balkans abbildet. Ein verschwundener Sohn, viele Kompromisse, nicht Ausgesprochenes und Verdrängtes. Dazu ständig die Unsicherheit, in einem Land zu leben, das einen nicht wirklich wollte:

Zuhause war damals die Vorstadt von Wien, dieses Zuhause mit seinen strengen Regeln holte uns jedes Jahr nach den Ferien zuverlässig wieder ein. Das oberste Gebot meiner Eltern war das aller braven Migranten: um keinen Preis auffallen oder Aufsehen erregen, unsichtbar und unangreifbar sein vor den Blicken und dem Urteil der Anderen. Sie waren Gastarbeiter, ihr Bleiben war nicht vorgesehen. Wir lebten in einem Häuserkomplex aus roten Backsteinen, in einer Substandardwohnung im zweiten Stock, die aus einem Zimmer und einer Küche bestand.

Gugić, Sandra: Zorn und Stille, S. 25

Drei Perspektiven, aber ähnlicher Sound

Gugić erzählt ihre Geschichte in einem schlichten Ton, der – und das wäre mein einziger Kritikpunkt an diesem Buch – bei allen drei Erzähler*innen relativ gleich bleibt. Zwar ändert sich die Erzählperspektive von Billy hin zu ihren Eltern. Klingen tun sie allerdings recht ähnlich, was sich aber durch einen Hinweis auf die Familienbande auch ein Stück weit erklären ließe. Abgesehen vom gleichen Sound ist Zorn und Stille ein konzentriertes Buch, das Einblick in das Seelenleben einer „Gastarbeiterfamilie“ gewährt. Das zeigt, wie die Konflikte des Balkan in der Familie fortwirken. Und das innerfamiliäre Konflikte aus mehreren Perspektiven beleuchtet. Das lässt sich nicht viel meckern.

Besondere Erwähnung muss an dieser Stelle natürlich auch das Cover finden. Ein echter Eyecatcher, der auch tatsächlich auf das Buchgeschehen anspielt. Da greift man gerne zu.

  • Sandra Gugić – Zorn und Stille
  • ISBN 978-3-455-00976-7 (Hoffmann und Campe)
  • 240 Seiten. Preis: 24,00 €

Diesen Beitrag teilen