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Joachim Meyerhoff – Die Zweisamkeit der Einzelgänger

Mit dem neuen Buch von Joachim Meyerhoff geht es mir wie mit kritischen Anleger eines erfolgreichen Unternehmens: selbst wenn abgeliefert wird und die Produkte einschlagen – es könnte immer noch besser sein und man könnte noch mehr herausholen. Diese befremdliche Unersättlichkeit stellte sich auch bei mir in leichter Ausprägung während der Lektüre von Die Zweisamkeit der Einzelgänger ein.

Meyerhoff, der Feuilleton-Liebling, der gekonnt auf dem zwischen Scheitern und Humor gespannten Seil balanciert, der arrivierte Schauspieler und Bestsellerautor, er dreht in seinem Alle-Toten-fliegen-hoch-Zyklus die Erinnerungen weiter voran. Zuletzt legte er die superben und höchst witzigen Erinnerungen an seinen Werdegang als junger Schauspieler in Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke dar, immer zerrissen zwischen großelterlicher Behaglichkeit und fordernder Schauspielschule. Nun widmet er sich seinen ersten Schauspieljahren in Bielefeld und Dortmund, bei denen sich langsam die ersten Erfolge einstellen, auch wenn die Selbstzweifel in der Zwischenzeit nicht kleiner geworden sind.

Verkompliziert wird sein Beruf zusätzlich noch durch eine Menage-a-quartre, die Meyerhoff im Laufe seiner über 400 Seiten starken Erinnerungen präsentiert. So verliebt er sich zunächst in Hannah, die ihn mit ihrer Mischung aus Wirrnis und Intellekt anzieht. Dann kommt an seiner nächsten Schauspielstation in Dortmund noch die Tänzerin Franka noch dazu, mit der er ebenfalls eine Liaison eingeht, ohne sich derweil in Bielefeld von Hanna zu trennen. Weitere Schubkraft erhält das Liebeskarussell dann noch in Form der Bäckerin Ilse, in deren Backstube der junge Joachim ebenfalls viel Zeit verbringt. Hier zeigt sich wieder einmal die Bestätigung der These, das mit dem Fortschreiten der Jahre alles immer komplizierter wird.

Tolle Erinnerungen sind das wieder geworden, die stark zwischen Lachen und Weinen schwanken, teilweise liegen die Pole nur wenige Absätze auseinander. Meyerhoff versteht sein Handwerk, in einer klaren Sprache (die immer besser wird, wie ich meine) schildert er die Episoden seines Lebens und inszeniert sich als ewig Zweifelnder inmitten der Frauen.

Nun aber zu meinen Luxusproblemen: stets hatte ich bei den letzten drei Büchern von Mal zu Mal das Gefühl, dass sich Meyerhoff steigern konnte. Bislang war Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke wirklich das Non-Plus-Ultra der Reihe – hier verbanden sich Wehmut und Lachen zu einer wirklich großartigen Mischung. Im neuesten Band hatte ich nun erstmals den Eindruck, dass sich Meyerhoff nicht mehr steigern konnte. Obwohl er die erzählerischen Episoden wie gewohnt furios aneinandermontiert, aus seiner Kindheit genauso wie aus der Jugend erzählt – irgendwann wird das ewige Kokettieren mit dem Scheitern und den Versagensängsten etwas obligat.

Nur um Missverständnissen vorzubeugen – Die Zweisamkeit der Einzelgänger ist nach wie vor ein hervorragendes Produkt  – nur für Meyerhoff’sche Verhältnisse hätte für meinen Geschmack noch eine kleine Nuance mehr drin sein dürfen. Abgesehen von diesem minimalen Meckern auf hohem Niveau – ein wunderbares Buch!

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Margaret Atwood – Hexensaat

Welch schönes Projekt: als Verneigung vor dem vor 400 Jahren verstorbenen Barden und ikonischen Dichter William Shakespeare schrieben beziehungsweise schreiben 8 Bestseller-Autoren unter dem Titel Shakespeare-Projekt Neuinterpretationen der Werke Shakespeares. Das Ganze erscheint bei uns nach und nach in schöner Ausstattung im Knaus-Verlag. Zu dem Autorenkreis zählen Größen wie Tracy Chevalier, Gillian Flynn, Howard Jacobson oder auch Jo Nesbø.

Als viertes Werk erschien nun das Werk Hexensaat der kanadischen Großmeisterin Margaret Atwood, das von Brigitte Heinrich ins Deutsche übertragen wurde. Grundlage ist Shakespeares Stück Der Sturm, der im Buch zum Prüfstein für den Regisseur Felix wird. Jener plante eigentlich eine furiose Inszenierung des Stücks, die ihn zum Gesprächsthema in der Theaterwelt machen und sein persönlicher Triumphzug werden sollte. Doch eine Intrige seines engsten Mitarbeiters verhinderte das. Gebrochen, durch den Tod seiner Frau und Tochter zerstört und von der Welt vergessen zieht er sich in eine bruchfällige Hütte zurück. Aufgeben will Felix dennoch nicht und sinnt auf Rache. Der Schlüssel hierfür ist eine Theatertruppe im Gefängnis, mit der er ebenjenen – wie könnte es anders sein – Sturm einstudiert, um sich an seinen Feinden zu rächen.

Folglich inszeniert Margaret Atwood eine Neuinterpretation jenes vielgespielten Werkes des Barden aus Stratford-upon-Avon, die auf drei Ebenen funktioniert. Da ist zunächst der klassische  Sturm mit seinen Motiven: der Insel, auf der Caliban, Prospero, Miranda und der Geist Ariel leben, der Schiffbruch, der neue Gestrandete bringt und all die Intrigen, die klassisch im Werk Shakespeares sind. Auch wenn man mit dem Opus des Barden nicht vertraut ist – durch einen raffinierten Kniff löst Margaret Atwood dieses Problem. Denn für seine Neuinszenierung muss Felix den Gefängnisinsassen jenes Werk auch erst einmal mit vielen – manchmal sogar etwas zu vielen – didaktischen Kniffen näherbringen. Neben dieser aktuellen Ebene ist da auch noch Felix selbst, der von der Welt vergessen gestrandet ist und nun seinen eigenen Sturm durchlebt und ein wahrer Prospero ist.

Margaret Atwood strukturiert ihre Neuinterpretation Hexensaat durch die klassischen fünf Akte nebst einem Epilog, der die Inhalt des Original-Sturms zusammenfasst und damit auch einen genauen Vergleich zwischen Interpretation und Originalquelle erlaubt. Insgesamt ein sehr gelungenes Remake (wenngleich Atwoods Gefängnisinsassen schon wirkliche Pappkameraden sind) – und ein frischer Zugang zu Shakespeares Werk, das den Staub von 500 Jahren locker wegpustet und vielleicht auch Atwood-Fans zu Shakespeare-Fans machen könnte und umgekehrt.

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