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Simon Urban – Wie alles begann und wer dabei umkam

Ein Jurist legt eine Beichte ab. Im Todestrakt, wartend auf seine Hinrichtung erzählt er uns sein Leben. Er schildert dabei Wie alles begann und wer dabei umkam. Und zeigt sich als ambitionierter Jurist, dem das Recht schon früh nicht mehr ausgereicht hat. Simon Urban hat einen Roman geschrieben, der Entwicklungsroman, juristische Einführung, psychologische Feldstudie und Schelmenroman miteinander kombiniert. Ein Roman, der unterhaltsam, aber nicht ganz rund und schlüssig ist.


Schon früh zeigt sich im Leben des Justus Hartmann: dieses Kind ist nicht wie andere. Zusammen mit den Eltern wohnt er in der Einliegerwohnung des Hauses der eigenen Großmutter. Diese tyrannisiert die ganze Familie, die Schwiegertochter muss zum Hungerlohn bei ihr putzen. Aber immerhin: den Lohn zieht sie der eigenen Familie dann vom Mietpreis der Wohnung ab. Mit ihren Tiraden und wohlgesetzten Spitzen knechtet sie die ganze Familie, sodass Justus schon im Kinderzimmer einen Prozess gegen die eigene Großmutter anstrengt. Als Beisitzer fungieren Kuscheltiere, das Ergebnis seines kindlichen Richterspruchs ist eindeutig: die Todesstrafe.

Ab nach Freiburg

Simon Urban - Wie alles begann und wer dabei umkam (Cover)

Doch bis dieses Todesurteil bei der eigenen Großmutter rechtsgültig in Kraft tritt, werden noch viele Jahre vergehen. Einstweilen absolviert er erst einmal die allgemeine Hochschulreife und tritt nach der Schulzeit den Weg aus Stuttgart nach Freiburg an. Er will der Enge der Wohnung und der großmütterlichen Tyrannei entfliehen und erwählt das heruntergekommene Freiburger Studentenwohnheim als sein neues Domizil. Immer noch mit den Auswüchsen der Pubertät geschlagen beschließt er, sich dem Studium des Rechts zu widmen.

Schnell wird er zu einem Überflieger, der Tutorien leitet, allerdings wenig soziale Kompetenz an den Tag liegt. Seine größte Erfüllung findet er in schonungslosen Gesprächen mit Kommilitoninnen oder jüngeren Studenten, in denen man gnadenlos Geheimnisse oder wahre Ansichten über das Gegenüber teilt. An diesen Gesprächen berauscht sich Justus und schreckt dabei auch vor Manipulation nicht zurück.

Alles ändert sich, als man der etwas biederen Strafrechtslehre in Freiburg mehr Glamour verleihen will. So erhält eine Berliner Starprofessorin einen Lehrauftrag an der Freiburger Uni. Sie krempelt gleich mit ihrer Antrittsrede den Laden auf links und verstört mit ihren Ansichten zur Rechtsprechung Justus nachhaltig. Er beginnt, sich als Gegenspieler der Professorin zu sehen und treibt in seiner Freizeit den Versuch der globalen Renovierung des Strafrechts voran. Doch seine Überlegungen haben für ihn und seine Mitmenschen Konsequenzen. Konsequenzen, die Justus um den halben Erdball führen werden.

Zwei unterschiedlich überzeugende Teile

Wie alles begann und wer dabei umkam teilt sich in zwei Hälften. Endet der erste Teil mit einem wahren Paukenschlag, setzt Urban die Geschichte seines Juristen mit psychopathischen Zügen dann auf der anderen Seite der Erdkugel fort.

Dabei fällt ein qualitativer Unterschied der beiden Hälften ins Auge. Während der erste Teil des Romans recht stringent und vorwärtstreibend erzählt ist, verliert sich diese Dynamik in der zweiten Hälfte fast gänzlich. Hier lässt Urban den Erzählungsfluss deutlich stärker mäandern und unterbricht die Handlung immer wieder durch kurze Erzählepisoden, die sich nicht wirklich homogen einfügen. Zwar sind Teile der Miniaturen großartig (ein humoristischer Höhepunkt sicherlich die Schilderung des Heino-Konzerts, das Justus zusammen mit der tyrannischen Großmutter besuchen muss), andere Geschichten bringen eher erzählerische Längen in den Roman ein (der mit über 500 Seiten eh recht umfänglich geraten ist).

Fehlender Drive im zweiten Teil

Auch schafft es Simon Urban nicht so recht, aus den beiden Hälften mitsamt der ganzen Erzählminiaturen ein literarisches Ganzes zu formen. Der Paukenschlag, der den ersten Teil beendet, läuft im zweiten Teil ins völlige Nichts, ehe der dann am Ende des Romans mithilfe einer Mail halbgar zu Ende gebracht wird. Auch weckt der Auftakt mit der Beichte aus dem Todestrakt heraus Erwartungen, die das Buch nicht erfüllen kann.

Statt einem skrupellosen Mr Ripley, dessen Taten nach und nach eine Lawine auslösen oder zu einem kriminellen Crescendo anschwellen, dümpelt die Handlung oft einfach vor sich hin. Justus scheint in seinen Schilderungen eher an sexuellen Erlebnissen, entblößenden Gesprächen und juristischen Fragestellungen oder Paradoxa Interesse zu haben, als sich als das zu präsentieren, was Klappentext und Geständnis am Anfang des Buchs insinuieren. So bleibt ein etwas unrunder Leseeindruck zurück.

Etwas nervig auch die Angewohnheit, sämtliche besonderen oder hervorgehobenen Wörter ständig kursiv zu setzen. Mit fortschreitender Dauer erweist sich diese Marotte als manieriert und erzählerisch nicht zweckdienlich. Ohne diese Kursivsetzung hätte das Buch kein Gran an Literarizität verloren. So zumindest mein Eindruck

Fazit

Wie alles begann und wer dabei umkam ist ein unterhaltsamer Roman, der besonders im ersten Teil vorandrängt und einen skrupellosen Ich-Erzähler in den Mittelpunkt rückt. Wer viele juristische Fallbeispiele und Betrachtungen über Recht und Unrecht abkann, den dürfte das Buch gut unterhalten. Einige Straffungen und Überarbeitung hin zu einem homogenen erzählerischen Ganzen hätten dem Buch gutgetan. So bleibt für mich der Eindruck, dass hier etwas mehr drin gewesen wäre. Ich empfehle vorrangig Simon Urbans Debüt Plan D, in dem er ein alternatives Deutschland entwirft, in dem die DDR noch fortbesteht. Diesen Thriller würde ich persönlich nach wie vor Wie alles begann und wer dabei umkam vorziehen.

Ein gesonderter Hinweis sei an dieser Stelle noch auf den originellen Trailer des Verlags zum Buch:


  • Simon Urban – Wie alles begann und wer dabei umkam
  • ISBN 978-3-462-05500-9 (Kiepenheuer Witsch)
  • 544 Seiten. Preis: 24,00 €
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Ian McEwan – Kindeswohl

Down by the salley gardens …

Der britische Schriftsteller Ian McEwan legt mit Kindeswohl ein Buch vor, das zwischen Juristerei, Liebe, Musik und Verantwortung oszilliert. Sein neuer Roman ist zwar äußerlich nicht umfangreich (gerade einmal 220 Seiten zählt das von Werner Schmitz übersetzte Buch), dafür aber sehr gehaltvoll. McEwan erzählt von Fiona Maye, einer circa 60-jährigen Richterin, die am High Court als Familienrichterin ihren Dienst mehr als korrekt versieht. Von Kollegen für ihr brillant formulierten Urteile geschätzt, hat sie nicht nur in ihrem Gerichtssaal alles unter Kontrolle, bis sie sich eines Tages auf das Minenfeld der Liebe begeben muss. Ihr Mann beklagt das eingeschlafene Eheleben des Paares, weshalb er von Fiona das Eingeständnis einfordert, sich eine Geliebte nehmen zu dürfen. Zudem ist Fiona beruflich auch noch mit einem hochdiffizilen Fall eines siebzehnjährigen Zeugen Jehovas konfrontiert, der eigentlich einer Bluttransfusion bedürfte, diese aus Glaubensgründen jedoch ablehnt. Die geordneten Verhältnisse Fionas geraten zunehmend außer Kontrolle …

Komplizierte Frauengestalten sind ja die Spezialität Ian McEwans – und in Kindeswohl zeigt er seine Meisterschaft im Entwerfen solcher Figuren erneut. Seine Richterin Fiona Maye ist eine ambivalente Figur, der man gerne durch die Gerichts- und Gedankengänge folgt und die auch nach der Lektüre noch im Gedächtnis des Lesers bleibt. Dem britischen Großautoren ist es auch hoch anzurechnen, dass in seinen fachkundigen Händen die Juristerei zu einer wunderbar zu goutierenden Prosa gerät. Ebenso wie die Gesetzgebung durchzieht die Musik den Roman unaufdringlich und verwebt so die akustischen, philosophischen, juristischen und amourösen Gedanken der Protagonisten zu einem dichten Netz, das auch allen Nicht-Juristin gerne empfohlen werden kann. Ein wunderbar geschriebener Roman mit einem nicht alltäglichen Thema, das durch die Schreibe Ian McEwans zu großer Literatur wird und den Leser grübelnd ob dem Gelesenen zurücklässt.

Mittlerweile gibt es auch eine Verfilmung mit Emma Thompson in der Rolle von Richterin Fiona Maye. Hier ein Trailer für einen Eindruck der Leinwandadaption:

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