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Ron Corbett – Preisgegeben

Im Oktober ist es (Stand jetzt) wieder soweit: die Frankfurter Buchmesse öffnet ihre Tore. Eine Ankündigung, die ich mit großer Skepsis zur Kenntnis genommen habe. Denn dass das Covid19-Virus beachtet, dass man die Buchmesse von den sonstigen verbotenen Großveranstaltungen ausgenommen hat, das wage ich zu bezweifeln. Ohnehin ist es eine ganz eigene Logik, Veranstaltungen wie das Oktoberfest abzusagen, die größte Buchmesse der Welt hingegen stattfinden zu lassen. Ob die Besucher und Aussteller das Angebot der Messe in Corona-Zeiten annehmen werden, wage ich zu bezweifeln. Insbesondere, da die großen Publikumsverlage wie etwa Randomhouse oder Bonnier ihre Teilnahme schon abgesagt haben.

Es sei wie es sei. Auch wenn die Buchmesse in diesem Jahr von Absagen gekennzeichnet ist, gibt es trotzdem ein Gastland, das sich im Zuge der Buchmesse präsentieren würde. Nachdem im letzten Jahr Norwegen an der Reihe war, liegt nun der Fokus auf Kanada. Um die Literatur aus diesem Land besser kennenzulernen, starte ich in diesem Jahr eine kleine Reihe unter dem Titel #kanadaerlesen.

Den Anfang macht ein Krimi des Journalisten Ron Corbett mit dem Titel Preisgegeben. Der Roman ist der Auftakt zu einer Reihe um den Cop Frank Yakabuski. Nach einigen Fachbüchern zum Thema Angeln ist das Corbetts erster Ausflug ins Genre des Kriminalromans. Und dieser Ausflug ist mehr als gelungen. So gelungen, dass das Buch eine Nominierung beim Edgar Allan Poe-Award erhielt und weitere Bände der Reihe um den angelnden Cop erschienen sind.

In der Einsamkeit Kanadas

Wenn es um originelle Stimmen im weiten Feld des zeitgenössischen Krimis geht, dann ist der kleine Stuttgarter Polar-Verlag eine gute Adresse. Hier erscheinen Bücher von Leonard Pitts jr., Ken Bruen oder Attica Locke. Seit diesem Jahr werden die Hardcover um eine von Jürgen Ruckh herausgegeben Taschenbuchreihe ergänzt. Der erste Band dieser Reihe ist Preisgegeben, der in die schneereiche Einsamkeit Kanadas entführt.

Ron Corbett - Preisgegeben (Cover)

Dort oben im Norden Kanadas liegt das Nest Ragged Lake. Früher einmal ein blühendes Zentrum der Papierindustrie, ist nun mit dem Ende der Industrie auch das Ende des dortigen Dorfs besiegelt worden. Ein kleines Camp für Sportfischer gibt es noch, aber sonst bietet Ragged Lake außer Bäumen und Schnee nicht viel, das einen Besuch rechtfertigen würde.

Ein Baummarkierer macht bei seiner Arbeit allerdings eine grausige Entdeckung. In einer eigens gebauten Hütte in der Nähe des alten Dorfes findet er die Leiche eines Mannes und seiner Frau. Die beiden galten als Sonderlinge, man hatte sich nicht groß mit ihnen beschäftigt. Nun ruft man die Polizei – die in Form von Frank Yakabuski und zweier Untergebenen nach einer beschwerlichen Anreise per Schneemobilen erscheint.

Kaum haben die beiden mit der Befragung der Ortsansässigen und Gäste im Fischer-Lodge begonnen, zieht ein Schneesturm auf. Doch nicht nur dieser Schneesturm nähert sich Ragged Lake mit unaufhaltsamer Kraft – auch einige Feinde aus Yakabuskis Vergangenheit sind schon auf dem Weg nach Ragged Lake.

Ein unaufhaltsamer Showdown

Das Setting, das Corbett auf den ersten Seiten aufbaut, erinnert an dutzendfach gelesene Krimis. Tote, die kaum jemand kannte. Ein Cop von außerhalb, der mit den Ermittlungen beginnt. Viele Fragen nach Alibis, sinistere Verdächtige und eine mühsame Rekonstruktion des Tatablaufs. Das könnte eine ebenso mühsame Lektüre werden.

Doch schon nach wenigen Seiten pfeift Ron Corbett auf Konventionen und macht aus diesem Police Procedural einen waschechten Thriller mit vielen Twists und hohem Bleigehalt. Der Bodycount in diesem Krimi ist hoch, das Tempo ebenso. Denn im Grunde läuft, wie auch Ulrich Noller in seinem Nachwort bemerkt, alles auf einen Showdown hinaus, auf den das Buch mit aller Macht drängt.

Das ist großartig erzählt, spannend, immer wieder überraschend und erinnert mit dem in der Blockhütte festsitzenden Verdächtigen etwas an Quentin Tarantinos The hateful Eight. Wer hat mit dem Tod der Einsiedler-Familie zu tun? Welche Geheimnisse hüten die Menschen in Ragged Lake? Und wer spielt falsch? In Ron Corbetts Thriller kann man sich nie sicher sein. Dazu überzeugen auch die Schilderungen der kanadischen Einöde, sodass sich hier am Ende alles zu einem verbindet: einem grandiosen Thriller, der viel Aufmerksamkeit verdient hat!


  • Ron Corbett – Preisgegeben
  • Aus dem kanadischen Englisch von Sven Koch
  • Mit einem Nachwort von Ulrich Noller
  • 400 Seiten, Klappenbroschur
  • ISBN 978-3-948392-04-8 (Polar-Verlag)
  • EUR (D) 14,00 / EUR (A) 14,60
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Robertson Davies – Der Fünfte im Spiel

Welche lebenslangen Konsequenzen ein einfacher Schneeballwurf haben kann, das illustriert der Autor Robertson Davies in seinem 1970 erschienenen Roman Fifth Business, zu Deutsch Der Fünfte im Spiel. Eine Wiederentdeckung.


Robertson Davies (1913-1995) gilt als einer der bekanntesten kanadischen Schriftsteller, dessen Bücher vielfache Ehrungen erhielten, unter anderem Nominierungen für den Booker Prize. Das Schreiben war für Davies lange eine Nebentätigkeit, bis 1981 arbeitete er nämlich eigentlich am Trinity College an der Universität von Toronto. Dort lehrte er bis zu seinem Ruhestand Literatur und Kreatives Schreiben. Zeitlebens interessierte er sich auch stark für Psychologie und die Lehren der großen Psychiater jener Zeit, darunter etwa Sigmund Freud oder C. G. Jung. All diese Themen, mit denen Davies zeitlebens in Berührung kam, finden sich auch in Der Fünfte im Spiel, das vielen als Davies‘ bestes Buch gilt.

Der Erzähler ist Dunstable Ramsay, genannt Dunstan. In einer Rückschau berichtet er dem Direktor seiner Schule, an der er jahrzehntelang lehrte, von seinem Leben. Ausgangspunkt ist dabei jener eingangs erwähnte Schneeballwurf. Aus jugendlichem Leichtsinn wirft sein Freund/Feind Percy Boyd Staunton einen Schneeball nach Dunstan. Doch dieser duckt sich weg, sodass der Schneeball die schwangere Frau des lokalen Pfarrers trifft. Jene Mrs. Dempster, so ihr Name, stürzt hochschwanger – und löst so die Geburtswehen aus. Ihr Kind kommt deutlich vor dem erechneten Termin zur Welt – und Dunstan wird von großen Schuldgefühlen geplagt. In der Folge entspinnt sich zwischen ihm und Mrs. Dempster eine komplizierte Freundschaft, die das ganze Leben lang andauern soll.

Aus einem Schneeball wird eine Lawine

Chronologisch entfaltet Dunstable vor uns sein Leben, ausgehend von jenem schicksalhaften Schneeball, aus dem eine ganze Lawine an Schicksalen und Ereignissen werden soll. Dabei ist der Ton, in dem die Geschichte erzählt wird, kaum veraltet, trotz des nun baldigen 50-jährigen Jubliäums des Romans. Einen Anteil daran hat auch die Übersetzung von Maria Seifert.

Man folgt Dunstans Erlebnissen sehr gerne, egal ob dieser von seinem Schicksal im Ersten Weltkrieg, seiner Kindheit in der kanadischen Provinz oder seinen Abenteuern bei einem Zirkus erzählt. Das Buch hat einen ruhigen Fluss, weiß an manchen Stellen mit trockener Komik zu überraschen, bietet eine interpretatorische Vielfalt und ist einfach das, was ich landläufig als guten Schmöker bezeichnen würde. Mir war es an manchen Stellen etwas zu viel Metaphysik und Religion (gerade die von Davies ausführlich skizzierten religiösen Befindlichkeiten und Rivalitäten der verschiedenen Kirchen sind doch etwas aus der Zeit gefallen). Aber das gleicht sich auf die Länge des Romans gut aus. Eine wirkliche Wiederentdeckung, die in Kanada zu Recht auf den Lektürelisten von Schulen steht.


Bildrechte Porträt Davies: By Source (WP:NFCC#4), Fair use, https://en.wikipedia.org/w/index.php?curid=5500688

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Louise Penny – Hinter den drei Kiefern

Mit ihrem Chief Superintendent Gamache widmet sich Louise Penny einer auf dem deutschen Buchmarkt etwas unterrepräsentierten Region: dem kanadischen Süden, genauer gesagt, der Region Québec. Dort spielt ihre Reihe um den Leiter der Sûreté du Québe (übersetzt von Andrea Stumpf und Gabriele Werbeck).

Leider ist Hinter den drei Kiefern nicht der erste Band der Gamache-Reihe. Dieser erste Fall heißt Das Dorf in den roten Wäldern und erscheint nun im Februar bei Kampa. Diese Publikationschronologie stellte sich für mich als etwas unglücklich heraus, da durch den Einstieg mitten in der Serie die Bezüge unklar sind. So gerät die Einführung des titelgebenden Dorfes Three Pines und all seiner Bewohner etwas ruckelig. Es braucht seine Zeit, bis man sich im französischen Dorf gleich hinter der frankokanadisch-amerikanischen Grenze einfindet.

Als erzählerischer Rahmen dient Louise Penny eine Gerichtsverhandlung im sommerlich-stickigen Montreal. Dort sitzt Chief Superintendent Gamache im Zeugenstand eines Mordprozesses. Der Staatsanwalt nimmt den Ermittler kräftig in die Zange und so erfahren wir als Leser in Rückblenden, was sich im Dörfchen Three Pines zugetragen hat. Ausgangspunkt dabei ist eine Halloween-Feier, die das ganze Dorf Kopf stehen lässt.

Ein Cobrador de frac in Three Pines

Denn plötzlich steht auf dem Dorfanger eine mysteriöse Gestalt mit Maske und schwarzem Cape. Auch am nächsten Tag steht diese noch auf dem Hügel. Und dem übernächsten. Allmählich wird den Dorfbewohnern doch mulmig, denn es scheint, als hätte sich ein echter Cobrador de frac in Three Pines niedergelassen. Ein Schuldeneintreiber, der Menschen besucht, die Schuld auf sich geladen haben, und sie durch seine bloße Anwesenheit beschämt, ehe sie ihre Schulden zugegeben und beglichen haben. Im Dorf greift Unruhe um sich. Wer hat so schwere Schule auf sich geladen, dass ein leibhaftiger Cobrador de frac Three Pines besucht?

Nach der eingangs erwähnten holprigen Einführung in den Prozess, die Geschehnisse an jenem Halloween-Abend und die Dorfgemeinschaft nimmt Hinter den drei Kiefern dann Fahrt auf. Mit ein bisschen zu viel an Geraune und Andeutungen macht Louise Penny den Leser*innen schnell klar, dass etwas Schlimmes im Dorf geschehen sein muss.

Trotz der Überakzentuierung des Foreshadowing entfaltet der Krimi gut seine turbulente Handlung, die durch die Rückblenden einen stimmigen Rhythmus besitzt. Louise Penny weiß zu erzählen und dreht mit Fortschreiten des Buchs das Ganze von einem vermeintlichen cozy Krimi hin zu einem Thriller. Ohne zu viel verraten zu wollen: in Three Pines geht es dann doch erstaunlich bleihaltig zu.

Guter Krimi mit kleinen Abstrichen

Auch wenn es für mich Sätze wie diesen nicht gebraucht hätte „Ich werde die Frage zulassen. In der Verhandlung geht es um Tatsachen, aber Empfindungen sind auch Tatsachen“ (S.60) (nein, sind sie mitnichten), ich auf das viele detailliert geschilderte Essen verzichten könnte und ein bisschen weniger Geraune goutiert hätte: Insgesamt ist Hinter den drei Kiefern ein wirklich prima Krimi mit einem sympathischen Städtchen, das der eigentliche Hauptdarsteller ist.

Zwar wäre es in meinen Augen einfacher gewesen, man hätte die Reihe chronologisch begonnen. Aber auch für sich alleine genommen kann Louise Pennys Buch gut bestehen. Und alle, die Gamache von Anfang an kennenlernen wollen, die können dann ja bis Februar warten. Dann bekommen sie auch die Erklärung dafür, wie es Gamache nach Three Pines verschlagen hat.


Weiter Besprechungen des Titels finden sich hier: Constanze Matthes hat das Buch auf ihrem Blog Zeichen und Zeiten besprochen. Genauso sind auch andere Blogger*innen verfahren. So sei an dieser Stelle noch auf die Besprechung von Nana verwiesen. Und auch Die Tipperin hat sich des Buchs angenommen.

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