Tag Archives: Kolonalisierung

Mario Vargas Llosa – Der Traum des Kelten

Mario Vargas Llosa schreibt in Der Traum des Kelten über den irischen Reisenden, Unabhängigkeitskämpfer und Berichterstatter Sir Roger Casement. Ein Roman, der die Ausbeutung und Gräuel des Kolonialismus in Afrika und in Südamerika beleuchtet. Und der die Geschichte einer Radikalisierung erzählt.


Die Grundkonstruktion seiner Erzählung ist eine klassische. Roger Casement sitzt im Gefängnis Petonville in London (wo vor ihm auch schon sein Landsmann Oscar Wilde saß). Er soll hingerichtet werden, ein Gnadengesuch ist eingereicht. Wie konnte es soweit kommen? Was hat sich der Mann zuschulden kommen lassen und warum droht die Todesstrafe? Das erzählt der Nobelpreisträger Vargas Llosa auf den folgenden gut 440 Seiten.

Der Traum von der Unabhängigkeit

Mario Vargas Llosa - Der Traum des Kelten (Cover)

Es ist ein bewegtes Leben, das Roger Casement führte. Als Berichterstatter führte ihn seine erste Mission in den Kongo. Dort sollte er für die britische Krone anfangs des 20. Jahrhunderts mögliche Gräuel und Menschenrechtsverletzungen dokumentieren. Und was er dort im Kongo entdeckt, das ist kaum auszuhalten. Unter der Regentschaft des belgischen Königs Leopold II. wird das ganze Land von einem Terrorregime aus Unterdrückung, Gewalt und Barbarei überzogen. Die Chicotte ist dabei das favorisierte Instrument der Kolonialherren. Mit dieser Nilpferdpeitsche wurden die Schwarzen schon bei kleinsten Vergehen ausgepeitscht. Massaker in Dörfern waren an der Tagesordnung, sobald die Dorfgemeinschaften nicht die geforderte Anzahl an jungen Arbeitskräften abgeben konnten. Abgehackte Hände, zu Tode gepeitschte Sklaven und eine unersättliche Gier nach Gütern und Reichtum bei den Kolonialherren. Und eine Bevölkerung, in der während des Regimes unter dem belgischen König acht bis zehn Millionen Kongoles*innen umkamen. Die Hälft der gesamten Bevölkerung.

Liest man Vargas Llosas Schilderungen dieser Barbarei, wird der Furor in Belgien offenbar, mit dem Statuen von Leopold II. zuletzt angegangen wurden.

Gräuel im Kongo

Auch Roger Casement ist von den Zuständen vor Ort mehr als erschüttert. Sein Bericht über die Gräuel im Kongo sorgt in England für großes Aufsehen. Und prädestiniert ihn in den Augen der Verantwortlichen für einen weitere Mission. In Peru soll er die Zustände beim Kautschukunternehmer Julio C. Arana untersuchen. Dort auf den Plantagen herrschen einem Zeitungsbericht nach ebenfalls unhaltbare Zustände. Die englischen Handelspartner sind beunruhigt und entsenden einmal mehr Casement. Dieser muss feststellen, dass sich zwar der Kontinent seiner Mission geändert hat, die Gräuel und die Ausbeutung der lokalen Bevölkerung gleichgeblieben sind. Die Abgründe des Kolonialismus, Roger Casement schaut sie in ihrer ganzen Tiefe.

Während dieser Zeit und fernab seiner Heimat verstärkt sich in ihm die Liebe zu seinem Heimatland Irland. Dort, in der County Antrim wuchs er auf – und nun will er sein Land vom Joch der Engländer befreien, die die irische Insel beherrschen. Zurück von seinen Missionen stürzt er sich im dritten Teil des Romans in den Kampf für die Unabhängigkeit Irlands. Er agitiert und reist – und endet schlussendlich im Gefängnis, wo der Roman seinen Anfang nimmt.

Dieses Leben der historisch verbürgten Figur ist bei Varga Llosa Ausgangspunkt für seine literarische Fiktion rund um diese schillernde Figur. Bekanntester Brite seiner Zeit, hofiert, umworben, von schwankender Konstitution, mit seiner Homosexualität hadernd, Kämpfer für ein freies Irland, dann wieder schwach und von Widersprüchen gezeichnet. Über Roger Casement und sein Leben zeichnet Vargas Llosa auch ein plastisches Bild von der Barbarei und Ausbeutung die im Kongo und Südamerika herrschten (und nicht nur dort). Auch die bewegte Epoche der Troubles und den Kampf um die Unabhängigkeit Irlands weiß Vargas Llosa eindrücklich zu schildern.

Nicht frei von Schwulst und Kitsch

Umso enttäuschender, dass ihm einige der Dialoge im Buch wirklich missraten sind. Und auch die Schilderungen rund um Rogers Homosexualität und seine Erfahrungen sind nicht immer frei von Schwulst und Kitsch. Hier tappt Vargas Llosa in die Falle, wenn seine Figur Roger Casement beständig über die muskulösen und so fröhlich unbeschwert-nackenden Afrikaner fabuliert und seinen Fantasien nachspürt. Darauf hätte der Nobelpreisträger ruhigen Gewissens verzichten können, ohne dass das Buch einen Mangel gelitten hätte.

Abgesehen von diesen Ausrutschern und Schwächen ist Der Traum des Kelten ein beeindruckendes Buch. Eines, das die Gräuel des Kolonialismus eindringlich vor Augen führt und eines, das die historische Figure des Roger Casements wieder entstaubt und dessen Verdienste zeigt. Durchaus eine Backlist-Perle, die dieser Tage wieder neu gelesen werden sollte auch angesichts der Debatten rund um den Postkolonialismus. Es lohnt sich.


  • Mario Vargas Llosa – Der Traum des Kelten
  • Aus dem Spanischen von Angelica Ammar
  • ISBN: 978-3-518-46380-2 (Suhrkamp)
  • 447 Seiten, Preis: 9,99 €

Diesen Beitrag teilen

Richard Flanagan – Begehren

Der Piper-Verlag meint es ernst mit der Autorenpflege – nun erscheint mit Begehren (Deutsch von Peter Knecht) ein weiteres Buch aus der Backlist des tasmanischen Autors Flanagan, ehe im Herbst mit Der Erzähler Neues vom Meister zu entdecken ist.

Sir John Franklin

Das Buch stellt mehrere Figuren ins Rampenlicht, deren Schicksal Begehren verfolgt. Da ist zum Einen der im Klappentext erwähnte Sir John Franklin, der als Gouverneur von Tasmanien zusammen mit seiner Frau über die Inseln am Ende der Welt herrscht. Auf Van Diemens Land versucht er die einheimische Bevölkerung zu kultivieren und ihnen die westliche Zivilisation nahezubringen – mit katastrophalen Folgen.

Zusammen mit seiner Frau beschließt er, ein Kind der Ureinwohner von Van Diemens Land zu sich ins Haus zu holen, um ihm Erziehung angedeihen zu lassen. Doch der eigentliche Plan entwickelt schon bald eine gefährliche Dynamik, da das Mädchen namens Mathinna das Gefüge im Hause Franklin völlig verschiebt.

Charles Dickens

Eine große Rolle spielt aber auch kein Geringerer als Charles Dickens, den das Schicksal von Franklin im fernen London zu kreativen Schüben verleitet. Ähnlich wie Franklin durch Mathinna erhält auch der englische Romancier und Dichter entscheidende neue Impulse, die sein Leben verändern.

Diese gespiegelte Motivlage macht den Reiz in Begehren aus. Richard Flanagan arbeitet heraus, wie diese beiden Männer auf dem Zenit ihres Schaffens jeweils durch Frauen einen neuen Spin erhalten. Auch wenn sie sich auf den entgegengesetzten Seiten der Weltkugel befinden mögen – vor der Kraft des Begehrens sind beide nicht sicher.

Der Fluch der Kolonialisation

Zudem stellt dieser Roman auch eindrücklich da, mit welcher Ignoranz und welcher Mutwilligkeit indigenes Leben in Tasmanien und Van Diemens Land durch die englischen Eroberer zerstört wurde. Die Figur der Mathinna ist hier stellvertretend für das Schicksal von vielen Zehntausenden zu lesen, denen von den Kolonialherren einfach neue Lebens- und Kulturweisen aufoktroyiert wurden – und das auf Biegen und Brechen. Diese Ignoranz hier so eindringlich vor Augen geführt zu bekommen, das macht betroffen.

Richard Flanagan - Begehren (Cover)

So bietet der Roman einen eindringlichen Blick auf die koloniale Geschichte Tasmaniens und zeigt zudem zwei Männer und ihre Verstrickungen in Liebe, Begehren und Vernunft. Die erzählerische Flughöhe von Tod auf dem Fluss oder Goulds Buch der Fische erreicht der tasmanische Autor hier bei allen Sprüngen durch die Leben seiner Helden nicht ganz, dafür ist es aber definitiv ein Titel, der aus der Backlist nach vorne gehoben gehört. Meine Aufforderung bleibt bestehen: Lest mehr Richard Flanagan – der Autor hat es verdient!

  • Richard Flanagan – Begehren
  • Aus dem Englischen von Peter Knecht
  • ISBN 978-3-492-30840-3, erschienen bei Piper
  • 304 Seiten
Diesen Beitrag teilen